St. Jugherter Amzeiger.
Amtliches Organ des königl. Amtsgerichts St. Ingbert.
der „St. Ingberter Anzeiger“ erscheint wöchentlich fünfmal: Am Montag, Dienstag, Donnerstag, Samstag und Sonntag; 2 mal wöchentlich mit Unterhaltungs-
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Samstag, 29. Januar 1883. 22 Jahrg.
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ehmen alle Postanstalten, die Zeitungsträger, sowie
„ie Expedition entgegen.
nglitische Lebersicht. I
Das preußische Abgeordnetenhaus
jat mit seinen Sitzungen vom Montag und Diens⸗
ag eine große staatspolitische Debatte
inter sich, zu welcher die Spezialberathung des
ẽ tats des Ministeriums des Auswärtigen beim
dapitel „Gesandtschaften“ den äußerlichen Anlaß
ab. An beiden Tagen gab die Militärfrage den
grundton der Verhandlungen ab und sämmtliche
steden, die gehalten wurden, waren ersichtlich auf
ie bevorstehenden Wahlen zugespitzt und weniger
ür das Haus als vielmehr für das Land, die
Vähler berechnet. Den Haupttag der Verhand⸗
ungen bildete der Montag, welchem durch die
deden des anwesenden Fürsten Bismarck die
Signatur aufgeprägt wurde. In diesen Reden
jat der Kanzler dem deutschen Volke nochmals in
narkigen, eindringlichen Worten gezeigt, um was
s sich in den Reichstagswahlen des 21. Februar
jandelt, nämlich einzig und allein nur um die
Nilitarboclage, um die Stärkung unserer Wehr⸗
raft, wie sie in dem vom Reichstage abgelehnten
Septennatsgesetze vorgeschlagen wird. Dagegen
vies der leitende Staatsmann mit Entschiedenheit
ie Insinuation zurück, als ob es der Regierung
nehr um die Verkürzung des allgemeinen und
irelten Wahlrechtes, um die Durchführung ihrer
Monopolprojelte und sonstiger „realtionärer“ Pläne,
ils um das Seßptennat zu tihun sei und daß fie
ür diese Absichten bei den kommenden Neuwahlen
ine Mehrheit zu finden hoffe. Ausdrückich er⸗
laärte Fürst Bismarck gegenüber den Einwürfen
»er Oppositionsführer Richter und Windthorst, daß
»er Regierung bei Auflösung des Parlaments all'
ziese ihr imputirten Absichten fern gelegen hätten
und daß die Maßregel lediglich deshalb zur Aus⸗
ührung gelangt sei, weil die Regierung zu einem
steichstage, in welchem Elemente, wie die reichs⸗
reindlichen Protestler, Welfen, Polen und Sozial⸗
emokraten, in eminent wichtigen nationalen Fragen
»en Ausschlag zu geben pflegten, kein Vertrauen
nehr haben konne. Das ist allerdings des Pudels
dern und wenn hierüber Seitens der Gegner des
Septennais dem Volke Sand in die Augen ge⸗
dreut werden soll, so wird es hoffentlich nun
vissen, was es von dem Verfahren der Oppo⸗
ilionsführer zu halten hat! Die Dienstagssitzung
ꝛildete lediglich eine Fortsetzung der Tags zuvor
wischen dem Kanzler einerseits und den Abgeord⸗
neten Richter und Windthorst andererseits stattge⸗
undenen scharfen Auseinandersetzungen, wodei die
Abgg. Enneccerus (nat.alib.), Creiner und Minnige-
ode die Partie des Fürsten Bismarck übernahmen.
damentlich der erstgenannte rheinländische Abge⸗
rdnete vertheidigte das Septennat mit großer
lebhaftigkeit aus militärischen wie verfassungs⸗
echtlichen Gründen, trat der „Legendenbiidung“
erüber scharf entgegen und hielt der Fortschritts⸗
artei ihre ganze negirende Haltung vor. Herr
dindthorst antwortete den nationalliberalen Red⸗
ern mit dem Hinweis darauf, daß die erwähnten
„Legenden“ noch keine eigentliche Widerlegung —
zefunden hätten und ging dann plötzlich in eine
ichtige „Culturkampfrede“ über, indem er an ver⸗
chiedene Aeußerungen des Fürsten Bismarck vom
orhergehenden Tage anknüpftezn Der Eentrums⸗
ührer verwahrte alsdann seine«Partei energisch
jegen den Vorwurf, als ob sie destruktive Ten⸗
denzen verfolge und trat namenilich der Behaup⸗
ung entgegen, daß das Centrum vielfach im Ge⸗
seimen mit den Sozialdemolraten zusammengehe
ind erlkärte er, Ldaß auch zwischen dem Centrum
ind den Freisinnigen trotz des, gegenwärtigen Zu—
ammengehens beider Fe in der Militärfrage
ziele und schwere Differenzbunkte beständen. Die
veitere Diskussion über die großen schwebenden
Ingelegenheiten des Tages, an der sich außer dem
Ubgeordneten Windthorst die Abgeordneten von
Ninnigerode, Rinteln und Cremer Betheiligten.
dewegte sich im Allgemeinen in ruhigeren Bahnen,
venngleich auch hierbei die verschiedenen Anschau—⸗
ingen in der Militärfrage in einer Weise zu Tage
ralen, die keine Vermitlelung mehr zuläͤßit. Das
ẽapitel „Gesandtschaften“ wie der Etat des Aus⸗
vartigen selbst wurde hierauf unverändert ange⸗
iommen und auch die folgenden Etatstheile fanden
»is einschließlich des Etats der Bauverwaltung
neist ohne jede Debatte die Zustimmung des
hauses. Am Mittwoch pausirte das Haus.
Der Spionwahnfinn wütet in Lyon im⸗
ner stärker. Am Sonnabend wurde, so schreibt
man der „Voss. Ztg.“ ein Holländer in einem
daffeehause wegen seiner fremden Aussprache als
ↄreußischer Spion bezeichnet und verhaftet. Die
Polizei hatte Mühe, ihn gegen die Volkswut zu
ichutzen.
Herr Zankoff, der bulgarische Oppo⸗
itionsführer, scheint in Constantinopel
twas Schoönes zusammengebraut zu haben! Wenn
as Alles wahr ist, was aus Stambul über die
borbedingungen telegraphirt wird, unter denen
Zankoff in die bulgarische Regierung eintreten will,
o kann er bei der in Bulgarien noch vorherrschen⸗
»en Stimmung nur gleich einpacken. Absetzung
er Regentschaft, Besetzung des Ministerpräsidenten-
nosten, wie der Ministerien des Innern und
leußern durch Zankoffisten, Uebernahme des Kriegs⸗
ninisteriums durch einen russischen General, Neu⸗
vahlen zur Sobranje, Annahme des russischen
Thronkandidaten, allgemeine politische Amnenie,
Entlassung der ausgedienten Mannschaften und
kinstellung der neuausgehobenen Mannschaften
'ofort nach Installirung des neuen Fürsten und
endlicher Revifion der Verfassung — das Alles
ind Vorschlage, die bei der großen Mehrzahl des
Zulgarenvolkes auf entschiedenen Widerspruch stoßen
verden. Im ersten Kifer hatte Herr Zankoff so⸗
jar die Uebernahme des bulgarischen Kriegsmini—⸗
seriums durch den edlen General Kaulbars ver⸗
angt; hinterher heißt es aber, daß hierzu ein an⸗
erer russischer General, womoͤglich Cantucuzene,
erufen werden solle. Trotzdem scheint die Pforte
ieses Programm für geeignet zu der von ihr an⸗
sekündigten „glücklichen Losung“ der bulgarischen
drisis zu halten, denn fie will hierüber mit den
zulgarischen Delegirten Stoiloff und Grekoff, die
ich bereits auf der Fahrt von Brindisi nach Kon⸗
zantinopel befinden, am 29. d. M. in Unter⸗
andlungen eintreten. Der Erfolg derselben auf
worstehender Unterlage muß einstweilen sehr be—⸗
weifelt werden.
Deutsches Reich.
Berlin, 26. Jan. Auch sonst erhaͤlt sich,
vie das „Fr. J.“ hört, die Auffafsung, daß die
Situation eine ernste ist. Daran zu zweifeln wäre
ine Verdächtigung sehr hochgestellter Personen, die
ür eine alsbhaldige Sicherung gegen den Feind
ingetreten sind. In den Kreisen, welche in erster
Rinie für die Initiative des Vaterlandes zu wachen
haben, und die nicht lediglich ihre Parteipolitik oder
die Interessen von Hausse und Baisse vertreten,.
vird die Situation als unvermindert ernst angesehen,
und wir erachten es als Pflicht, das Publikum vor
Täufchungen zu warnen.
Berliu, 27. Jan. Der Minister des Innern
hat angeordnet, daß die Reichstags-Stich⸗
wahlen am fünften Tage nach der Ermittelung
des Resultates der ersten Wahl und die Nach—⸗
vahlen spätestens am elften Tage nach dem Termin
abgehalten werden, an welchem die Nothwendigkeit
der Nachwahl sfich ergiebt .·.
Berlin, Wi Januar. Der „Norddeutschen
Allgemeinen Zeitung“ geht von einem hervor⸗
agenden Industriellen“ eine Entgegnung auf einen
Artikel der „Freis. Ztg.“ zu, wonach auf Kosten
gx inländischen Steuerzahler der Dortmunder Union
ind dem Bochumer Gußstahlverein die größere
Zchienenlieferung zugeschlagen wurde — obwohl
englische Firmen 42,000 Mark weniger gefordert
zätten — welche ausführt: Das Gegentheil sei der
Fall. Der preußische Eisenbahn⸗Minister habe das
eutsche Angebot zurückgewiesen und den heimischen
Berken eroͤffnet. daß ihnen die Lieferung nur dann
zu Übertragen sei, wenn sie ihre Preise auf jene
der englischen Konkurrenz zurückschrauben. — Dem
werde fich auch die deutsche Industrie fügen, ob⸗
zleich sie fich zu Gunsten des Fiskus benachtheiligt
Jlaube. — Die Nordd. Allgem. Zig.“ reproducirt
ilsdann einen Artikel des russischen, Graschdonin“,
jerborhebend, daß ein Krieg zwischen Deutschland
und Frankreich keinenfalls ein bloßer Zweikampf
ein kLönne, da die Lage derart sei, daß der kleinste
Funke Europa in Brand stecken köͤnne. — Die
Nationalzeitung“ hebt Englands Interesse am
triege hervor. Man müsse daher englische Berichte
über die Lage besonders vorsichtig behandeln.
Berlin, 27. Januar. Gutem Vernehmen
nach wird dem Reichstage alsbald nach Zusammen⸗
ritt der Gesammistoff zu Erhebungen betreffs der
Sonntagsarbeit in Deutschland zugehen.
Ausland.
Paris, 25. Jan. Ein Privat⸗Telegramm
der „Post“ meldet: Nach dem offiziösen Bericht
iber die heutige Sitzung des Ministerrats konsta⸗
ierte letzterer, daß nichts vorliege um die verbreiteten
illarmierenden Informationen zu rechtfertigen, welche
Jleich unrichtig unter diplomatischem wie militärischem
Hesichtspunkt seien. Dem Vernehmen nach finden
äglich Besprechungen zwischen Ferry, Freycinet und
deon Say statt, um in kurzester Frist das Kabinet
Boblet zu stürzen, zum Zweck der Entfernug der
radikalen Elemente, namentlich Boulangers. als
dessen eventueller Nachfolger General Lewal ange⸗
jeben wird. Zugleich heißt es, daß Grevy mit
»em Plan einverstanden sei. Ob der Plan ge⸗
ingt, bleibt fraglich, wenngleich eine starke feindliche
Strömung gegen Boulanger in jenen Kreisen vor—
sanden ist.
Paris 26. Januar. Der „Temps“ schreibt
fffiziös: „Der französische Botschafter in Berlin,
derbette, hatte gestern eine längere Besprechung