reizt, habe Pohly den Angeklagten geohrfrigt. Becker
sei nun auf sein Zimmer gegangen, schimpfend
sei er später wieder im Hofe erschienen. Pohly
habe die Drohungen des Angellagten gehört, den⸗
jelben hierüber zur Rede gestellt und ihn schließlich
die Treppe heruntergestoßen, sei ihm über den Hof
nachgegangen und nun habe der Angellagte den⸗
jelben zusammengestochen. Hier könne don keiner
Nothwehr die Rede sein; jeder, der heute der Koͤrper-
verletzung angeklagt werde, berufe sich auf dieses
Schutzmitel. Die mildernden Umstände erscheinen
im vorliegenden Falle gegeben.
Die Vertheidigung stellte auf: Wie der heutige
Fall gelagert sei, könnte schon daraus ersehen
werden, daß die Staatsbehörde selbst die Annahme
mildernder Umstände empfehle. Die Frage sei nun
die: habe der Angeklagte nun nöthig, die Milde
anzurufen, oder könne er verlangen, daß er frei⸗
gesprochen werde. Derselbe sei allerdings an dem
bderhängnißvollen Abend etwas zu spät nach Hause
gekommen; das sei aber kein Grund, ihn die Treppe
hinabzuwerfen und zu mißhandeln. Wie ein wildes
Thier sei Pohly auf ihn zugestürzt, und wie weit
derselbe in seiner Wuth gegangen wäre, sei nicht
zu ermessen; erst in diesem Augenblick habe der
Angeklagte zum Messer gegriffen. Daß nun der
Angriff des Pohly rechtswidrig war, darüber könne
kein Zweifel bestehen, auch darüber nicht, daß eine
gegenwärtige Gefahr für den Becker vorhanden war.
Sogar, wenn der Angeklagte das Maß der Ver⸗
theidigung überschritten habe, sei er straffrei, denn
er habe in Angst und Bestürzung gehandelt und
könne er daher für das Geschehene nicht verant⸗
wortlich gemacht werden.
Die Geschworenen bejahten die Schuldfrage,
indem sie dem Angeklagten mildernde Umstände zu⸗
erkannten. Der Gerichtshaf verurtheilte sodann den
Angeklagten zu einer Gefängnißstrafe von 2 Jabr
ß Monaten.
Vermischtes.
F Eine Erbschaft und ihre Folgen.
In dem badischen Odenwaldorie Borberg herrschte
dor einigen Jahren großer Jubehl: ein gewisser
Bernd aus Boxberg war im Auslande gestorben
und Mangels näherer Erben wurde eine großze
Anzahl von Borxberger Einwohnern, die in ent⸗
fernterem verwandischaftlichen Verhältnisse zu Bernd
gestanden, mit größeren Summen bedacht. Im
Ganzen kam unter die paar Dutzend Erben eine
Summe von mehreren Hunderttausend Mark zur
Vertheilung. Als das Geld so untergebracht und
theilweise durchgebracht war, meldete sich die richtige
Erbin, eine Frau aus dem Württembergischen; ihre
Ansprüche wurden geprüft, für vollwichtig erkannt
und ihr das gesammte Erbe zugesprochen. Jetzt
war es an den falschen Erben, das Gut wieder
herauszugeben. Aber das konnten oder wollten
nur die wenigsten thun; die meisten legten sich
auf's Prozessiren, hatten aber kein Glück, sondern
wurden nicht nur zur Herausgabe des Erbgeldes
sondern auch in die hohen Gerichtskosten verurtheilt.
Schließlich ist ein Theil der glücklichen Erben, nach—⸗
dem ihnen Haus und Hof verkauft wurde, am
Bettelstab angelangt; andere sitzen im Gefängniß,
weil sie den von der Klägerin verlangten Mani—
festationseid nicht leisten wollen; kurz, Jammer
und Elend ist eingekehrt, wo früher Wohlstand
herrschte. Das „wie gewonnen, so zerronnnen“
hat hier wieder einmal eine drastische Illustration
erfahren.
Miesbach, 30. Nov. (Haberfeldtreiben.)
Das Bezirksamt Miesbach giebt bekannt: „Der
Fortgang der eingeleiteten Untersuchung wird wesent⸗
lich gehemmt durch die Furcht der Zeugen vor der
Rache der als verdächtig ermittelten Personen.
Die Ortspolizeibehörden werden daher beauftragt,
unverzüglich Anzeige zu erstatten, wenn zu ihrer
Kenntniß kommt, daß gegen vernommene Zeugen
wegen ihrer Aussagen von irgend einer Seite
Drohungen fallen oder fonstige Ausschreitungen er⸗
folgen. Wirthen, bei welchen fich solche Vorfälle
ereignen, und welche nicht sofort die Veranlasser
aus ihren Lokalen entfernen, wird jede Erlaudniß
zu Tanzmusiken u. dgl. unnachsichtlich verweigert
werden. Wenn wiederholt Angriffe auf die Person
oder das Eigenthum von Zeugen oder Ungebühr
gegen die Gendarmerie-Mannschaft vorkommen
sollten, so müßten die fstrengsten Maßregeln ohne
Rücsicht auf die der betreffenden Gemeinde hiedurch
erwachsenden Kosten angeordnet werden.“
F Berlin, 1. Dez. In der jüngsten außer-
ordentlichen Generalversammlung der Aktionäre der
„German Union Telegraph ˖ and Trust-Company“
wurde der Vorschlag der Verwaltung, die Kabel
und das Eigenthum der „German Union⸗Telegraph—
Lompany“ in Berlin an die deutsche Reichs Regierung
zu verkaufen, fast einstimmig zum Beschluß erhoben.
Der von der deutschen Regierung gebotene und
von der Verwaltung bewilligte Kaufpreis beträgt
3.,300,000 Mark. Die deutsche Regierung be—⸗
schleunigte die Unterhandlungen, weil sie den Be⸗
srag in das demnächst dem Reichstage vorzulegende
Budget aufzunehmen beabfichtigt. Wäre der Ver⸗
auf nicht zu Stande gekommen, so würde die
deutsche Regierung eigene Kabel gelegt haben.
Von 1889 ab, in welchem Jahre die deutsche
stegierung den Betrieb der unterseeischen Kabel
bernimmt, soll der englischedeutsche Depeschentarif
eine wesentliche Ermäßigung erfahren.
F Halle a. d. S., 8. Dez. Bei einer Feuers⸗
brunst, welche in Gehofen (im Kreise Sangers⸗
jausen) in einer Ziegelei ausbrach, sind vier Per⸗
sonen in den Flammen umgekommen; von den
Uebrigen, die sich durch Herabspringen retten wollten,
ind drei schwer verletzt. Die Unglücklichen
wohnten in einem Dachkämmerchen, von wo Ihnen
jeder Verbindungsweg durch das Feuer abgeschnitten
war.
F Leipzig, 3. Dez. Das Reichsgericht haf
jeute entschieden, daß die einfache Uebertragung
don Altien und Obligationen, sobald sie nicht ein⸗
Zession darstellen, stempelfrei seien.
Der Beruf als Zwerg ist ein sehr lohnender
kin Amerikaner, welcher bisher mit fieben Zwergen
nn der Welt herumzog, engagirte neulich einen
achten zu seiner Truppe. Ein Schaubudenbesitzer
welcher das Kind bei seinen Kreuz- und Querzügen
zufällig gesehen hatte, erhielt 200 Mk. Provision.
Der Amerikaner machte sich mit ihm und seinen
ieben Zwergen auf die Reise nach dem Anhal—
ischen, wo der Vater des neuen Zwerges als
leiner Eisenbahnbeamter bedienstet ist. Der Ameri⸗
aner zahlte den Eltern 1000 Mk. baar und ver—⸗
pflichtete sich zu einer ferneren Zahlung von 200
Mark monatlich. So war allen Betheiligten qge⸗
jolfen.
F Gleichheit vor dem Tode. Wenn
die Kaiser von Oesterreich begraben werden, so
ährt man sie auf dem nächsten Wege aus der
Burg nach der Kaopuzinergruft. Angelangt mit dem
Sarg, klopft der Ceremonienmeister mit seinem
Stabe an die verschlossene Pforte und verlangt
rinlaß. „Wer ist da?“ antwortet von innen der
Buardian, ohne zu öͤffnen. „Se. Majestät der aller⸗
zurchlauchtigste Kaiser von Oesterreich, König von
yon Ungarn u s. w.“ Stimme von innen: „Denn
enn' ich nicht.“ Der Ceremonienmeister klopft zum
‚weiten Male: „Wer ist da?“ — „Der Kaiser
von Oesterreich.“ — „Denn kenn' ich nicht.“ Der
Ceremonienmeifter klopft zum dritten Male: „Unser
Bruder Franz.“ Augenblicklich rasselt die Pforte
nuf, und der Sarg wird eingelassen.
F Die Limousin geht unter Journa-
isten. Sie schreibt an sämmtliche Pariser Re—⸗
zoktionen: „Ohne Vertheidiger in der Presse,
die mich nur beleidigt, um die Schande und
Bürdelosigkeit meiner Verläumder zu verdecken,
werde ich am Mittwoch den 30. November die
erste Nummer des Journals „Les Chätimens“ her⸗
nusgeben, wo ich alle Diejenigen erscheinen lassen
verde, die noch ein Interesse daran haben, im
Schatten zu bleiben. Ich erwarte, mein Herr, von
Ihrer Billigkeit die Veroͤffentlichung dieses Briefes
and Sie werden es sohne Zweifel richtig finden,
daß Ihre Leser, nachdem sie die Artikel Ihrer
Zeitung gelesen haben, endlich wissen, wo sie die
Vertheidigung der Unterdrückten lesen können.
Madeleine Limoufin“.
* Die Familienverhältnisse Jules
Brevys. Eigenthümlich und sonderbar find die
Familienverhaltnisse Grevys, über die jetzt Manches
in die Oeffentlichkeit dringt. Jules Grevy mußte
mit seiner Frau, von der er längere Zeit getrennt
war, sich wieder aussöhnen, mußte mit ihr wieder
in gemeinsamem Haushalt leben, um Präsident der
Republik werden zu können. Als Advokat hatte er
die Vertretung einer Dame übernommen, die durch
steichthum und Schönheit ausgezeichnet war. Aus
her geschäftlichen Verbindung entwickelte sich jedoch
mit der Zeit ein anderes, viel intimeres Verhältniß,
»as zu einem Bruche in der Familie Grevy führte.
Frau Grevy verließ das Haus ... Gleichzeitig
rennte sich ein Herr Pelouze von seiner Frau, der
Nadame Velouze. die mit ihrem Advokaten, dem
herrn Jules Grevy in Beziehungen getreten war
welche kein Geheimniß blieben. Das große Var
mögen gehörte ihr, der Frau... Das währte
nun so Jahre lang. Die Ereignisse des Jahre
1870 traten mit ihrer niederschmetternden Gewan
ein und fegten das Keiserreich hinweg. Jules
Brevy, welcher stets der republikanischen Parte an—
zehört hatte, stieg auf. Er wurde Präsident der
dammer in der kritischen Zeit des Kampfes mit
dem Marschall⸗Präsidenten Mac Mahon, und als
dieser gestürzt wurde, weil er die Monarchie zurüd.
juführen gedachte, vereinigten sich alle Stimmen
der Republikaner, um Grevy zum Präsidenten da
stepublik zu ernennen. Das war nun ein ent
cheidungsvoller Moment im Leben Grevys. Er
vußte es wohl: die zwar ungeschriebene, aber ge—
ieterische Bedingung, die er erfüllen mußte, wenn
r Prasident werden wollte, war die, daß er sein
Berhaältniß zu Madame Pelouze lose und mit seine
egitimen Frau sich wieder vereinige. Das geschah,
s geschah von beiden Theilen aus Liebe für da
ꝛinzige Kind, das aus dieser Ehe entsprossen war,
ius Liebe zu der Tochter Alice. Und nun ent.
vickelte sfich allmählig ein, man moͤchte sagen,
romanhaftes Verhängnitz. Der berühmte Tendrift
Tapou! entzückte ganz Paris durch seinen süßen,
chwärmerischen Gesang, und man darf sich nicht
vundern, daß Irl. Alice Grevy dieses Entzücken
heilte. Aber es war eiwas mehr .. Es kam so,
daß der Tenorist Grund hatte anzunehmen, daß,
wenn er seine Werbung um die Hand des Fräu—
lein Alice vorbringen würde, diese wenigstens nicht
Rein sagen würde. Die Tochter des Präsidenten
»er bürgerlichen Republik — Frau eines Teno—
isten ? Unmöglich! Vater Grevy wußte es. Aber
r liebte seine Tochter mit all' der Zartlichkeit und
hingebung, deren ein Vaterherz fähig ist. Er wollte
ich von der Präsidentschaft zurüdzziehen, wenn Alice
in der Verbindung mit dem Sänger Capoul das
Blück ihres Lebens erblicken würde. Präsident
lkonnte er dana nicht bleiben. Nein, der Präsident
der Republik Schwiegervater eines Tenoristen, ganz
unmöglich, undenkbar und eines Sängers dozu,
der durch verschiedene flotte Abenteuer ebenso bekannt
var, wie durch seine Kunst. In Frankreich, in
dem Lande der Gleichheit, kann ein Schauspieler
aicht in den Orden der Ehrenlegion aufgenommen
verden. So ist die Sitte, die Tradition. Gam⸗
hetta in der Fülle seiner Macht war nicht im
Stande, für seinen persönlichen Freund Coquelin,
)er gewiß ein hervorragender dramatischer Künstler
st, das Kreuz der Ehrenlegion zu erlangen ...
Der Tenorist Capoul konnie nicht der Schwieger⸗
sohn des Praäfidenten Grevy werden. Fräulein
Alice Grevy entschied; der Vater blieb der Präasi⸗
dent der Republiß... Andere Freier meldeten
fich. Unter ihnen befand sich ein eleganter Mann
von ausgezeichneten Manieren, von großer Bildung,
jon einnehmendem Wesen und von reputirlicher
Stellung, der Abgeordnete Wilson. Die Partie
'am zu Stande. Gegen Herrn Wilson war nach
den Begriffen der Bourgeoisie nichts einzuwenden.
derr Wilson ist der Sohn des Pariser „Gas-
oͤnigs“, jenes englischen Unternehmers, der dvor
angen Jahren nach Paris gekommen war, um in
her franzöfischen Hauptstadt die Gasbeleuchtung
inzuführen, wobei er ein hundertfacher Millionät
vurde. Mit Herrn Wilson theilte eine Schwester
as große Erbe. Fräulein Wilson heirathete den
Ingenieur Pelouze.... Madame Pelouze ver⸗
ieß, wie wir oben erzählten, ihren Mann. Hert
Breby trennte sich von seiner Frau. Als Hert
Brebh Prasident der Republik werden sollte, trennte
er sich von Madame Pelouze und vereinigte sich
vieder mit seiner Frau, weil der Präsident Franh⸗
reichs ein Haus machen muß und dazu einer legi⸗
imen Frau bedarf. Welch' ein Familienroman! ....
Fräulein Alice Greby heirathete einige Jahre nach—
Jer Herrn Wilson, den Bruder der Madame Pe—
louze ..... Herr Wilson, der Bruder der Ftau
Pelouze, wurde die unmittelbare Ursache des Sturzes
hcevhe. Es wäre vielleicht besser gewesen für
Bredh, für seine Tochter und wohl auch für Wilson,
venn der Saänger die Präsidententochter gebeirathet
zätte. ...
4 Merkwürdige Dinge hört man aus Sap
Remo über die Ärt und Weise, wie große deutsche
Blätter ihre „Spezial⸗Telegramme“ von; dorther be⸗
iehen. Den „Neuesten Nachrichten“ wird darüber
seschrieben: „Schlimm ist die Art und Weise.
die große deutsche Blätter, und darunter Berliner.
hre Nachrichten von hier heziehen. Eine junge