Full text: St. Ingberter Anzeiger

jeltensten Fällen einen ganz minimalen Druck zeigt. 
Er schraubt eiserne Traillen auseinander, bearbeitet 
mit der gleichen wunderbaren Gewandtheit wie das 
Eisen auch das Holz, das ihm im Wege ist, schneidet 
mit Sicherheit eiserne Klammern und Holzwand⸗ 
lungen weg, wenn er ein künstlich verborgenes Schloß 
dahinter vermuthet, durchbricht die stärksten Glas— 
scheiden geräuschlos und betritt tollkühn die an die 
Schlafgemächer unmittelbar grenzenden Räume, ja 
sogar die Schlafzimmer selbst. In einem fpeziellen 
Falle ist er zu einem Fenster des ersten Stockwerkes 
an einem Blitzableiter hinauf gekletiert, bei einem 
der letzten Diebstähle an einer gewöhnlichen Stange. 
Nur einmal wurde er gehört, niemals noch gesehen.“ 
Ob aber diese, für den Einbruchsvirkudsen so 
schmeichelhafte Darstellung seines Talentes auch zu 
seiner Festnahme führen wird, ist freilich fraglich 
.Worms, 8. Marz. Heute Mitiag wurde 
ein Maurer aus Wies ˖ Oppenheim beim Graben 
eines Brunnens an der Hochheimerstraße durch Nach⸗ 
rutschen von Erdmassen verschüttet, so daß derselbe 
bis an den Hals im Sande steckte. Der anwesende 
Junge lief sofort um Hilfe, allein bis dieselbe auf 
der Unglücksstelle eintraf, war der Arbeiter tota 
verschüttet, und ist es bis jetzt noch nicht gelungen. 
denselben aus seiner schrecklichen Lage zu befreien 
Der Verunglückte hinterläßt 8 Kinder. 
F Worms, 8. März. Dieser Tage hat 
hier unter dem Vorsitz des Frhrn. Heyl zu Herns 
heim eine größere Versammlung von Veriretern der 
weinbautreibenden rheinhessischen Gemeinden statt⸗ 
gefunden, die folgenden Beschluß faßte: „Die in 
Worms versammelten Vertreter der weinbautreiben⸗ 
den Gemeinden des Kreises Worms erklären fich 
auf das bestimmteste gegen die Beschlüsse der 
Reichstagskommision zu dem Gesetzentwurf betref⸗ 
fend den Verkehr mit Wein. Wuͤrden diese Be— 
schlüfse durch den Reichsstag zum Gesetz erhoben, 
so hätte das Letztere nur die eine Folge, daß zu 
Gunsten weniger Besitzer hervorragender Lagen der 
gesammte Weinbau speziell Rheinhessens zu Grunde 
gerichtet würde. Die rationelle Weinverbesserung 
durch Zusatz von Zucker und Wasser vor erster 
Gahrung, ohne daß so verbesserte Weine besonders 
bezeichnet werden müssen, kann und darf nicht be⸗ 
anstandet werden, und Aufgabe des Reichstags 
sbeziell ist es, dem ohnehin von Gefahren aller 
Art bedrohten deutschen Weinbau die Bedingungen 
seiner Existenz zu erleichtern, statt, wie es durch 
obige Commissionsbeschlüsse geschehen, die Schwierig⸗ 
keiten der Lage dieses so bedeuienden Theils deutscher 
Volkswirthschaft noch zu vermehren.“ 
F. Hagenau, 4. März. Die gestern gemeldete 
Nachricht, wonach in der Rähe von Königsbrück 
ein Mord verüst worden sein solle, hat fich nach 
heute näher eingezogenen Erkundigungen zum Glüd 
als falsch erwiesen. (Str. P.) 
Aus dem Rheingau, 3. Maärz. Unsere 
Winzer find gegenwärtig mit dem Schneiden des 
Weinstockes beschaftigt. Dabei macht man denn 
fast allenthalben die erfreuliche Wahrnehmung, daß 
das Rebholz unter der Winierkälte gar nicht oder 
doch nur ganz vereinzelt gelitten hat. Das gleiche 
gilt von den Weinbergen in Rheinhessen; auch hier 
wird in den höheren Lagen kein Schaden notirt 
In den Niederungen ist freilich manches erfroren. 
FKreuznach, 2. Marz. In der hierselbst 
abgehaltenen Sitzung des Festkomitees für die Grumd- 
steinlegung des Hulten-Sickingen⸗-Denkmals wurde 
beschlossen, am 21. April eine Feier des 400jährigen 
Geburtstages Ulrich von Huttens in Kreuznach 
zu veranstalten und am 22. Mai die feierlicht 
Grundsteinlegung für das Denkmal auf der Ebern⸗ 
burg vorzunehmen. Die deutschen Fürfilichkeiten 
jowie die Spitzen der Behörden der RKheinprovinz 
und der bayerischen Pfalz sollen zu dieser Feier 
bei welcher die hiesigen Gesangveteine und zwei 
Musikkapellen mitwirken werden, eingeladen werden. 
Die Grundsleinlegung erfolgt Vormiitags 11 Uhr, 
ihr schließt sich ein Festessen auf der Burg an. 
F Mettlach, 1. März. Dieser Tage kam 
ein Handelsmann aus Merzig mit einer Kuͤh von 
Saarhölzbach her. Unterwegs wurden ihm jeden⸗ 
falls die Hände kalt; er befestigte deßhalb den 
Strick am Arme, stedte die Hände in die Hosen⸗ 
taschen und schlenderte arglos neben dem Thiere 
her. Da naht fich das Verhängniß in Gestalt eines 
Eisenbahnzuges. Die Kuh scheute, sprang bei Seite 
und riß den Leiter mit sich über die Böschung in die 
Saar hinab. Glücklicherweise konnte der Mann ge⸗ 
rettet werden, während die Kuh ertrank. 
FSaargemünd. 2. März. Die hiesigen 
besuchteiten Wirthschaften gehen nach und nach 
sämmtlich in die Hände der bedeutenderen pfälzischen 
Brauereien über. So hat die Bierbrauerei Schmidi 
und Guttenberger in Walsheim nun auch das An⸗ 
wesen des Herrn J. Becker mit der Wirthschaft 
zum Betrage von 56,000 Mk. angekauft. 
F In Lippfstadt wurde ein Wunderdoktor 
verhaftet, dessen Treiben wieder einen sprechenden 
Beweis für die bekannte Thaisache liefert, daß die 
Dummen nicht alle werden. Der Mann heilte alle 
rankheiten mit einem wunderthätigen Pulber, das 
rus — Cichorien bestand. Das Gericht wird seiner 
egensreichen Praxis für längere Zeit ein Ende 
machen. 
feGörlitz, 3. März. Heute Nacht ging hier 
in heftiges Gewitter nieder, von orkanartigem 
Sturm begleitet, der viel Schaden anrichtete. 
Chemnitz, 5. März. Auf der Strecke 
Themnitz⸗Borna⸗ Leipzig fehlen seit gestern Abend 
alle Züge von und nach Leipzig. 
FGEobdes Handwerk 3) Die Schneider⸗ 
nnung zu Plauen i. V. feierte am 27. Febr. 
das Fest ihres 325 jährigen Bestehens. Es Uefen 
ahlreiche Glückwünsche ein, unter ihnen auf eine 
Finladung folgendes Antworischreiben des Dichters 
Rofsegger in Graz. 
„Geehrte Herren!“ 
Ich danke Ihnen, daß Sie bei Gelegenheit 
Ihres Jubelfestes sich meiner erinnert haben. 
Leider macht die große Enifeinung mir die 
Theilnahme an ihrem Ehrentage unmöglich. 
Ich gedenke mit Freude, ja mit Stolz der Zeit, 
da ich fast 9 Jahre lang dem Schneiderhandweri 
angehört habe. Es war für mich eine zufriedene, 
zlückliche Zeit. In meinem alten Lehrmeifier, der 
noch lebt, steht mir ein ehrwürdiges Denktmal an 
ene Tage. Manchmal, wenn das Weltleben mich 
erstimmt, greife ich heute noch zum 
Werkzeug. Da ist mir, als hätte ich die Nadel 
noch gar nie aus der Hand gelegt, obwohl das 
chon vor 23 Jahren geschehen ist. Und da erfahre 
ch denn, wie ich dabei alsdann wieder wohlgemuth 
werde. 
Ich danke meinem Geschick, daß es mich nun 
auf meinen Posten gestellt hat, auf welchen ich nach 
zeringen Kräften für mein Volk manchmal Gutes 
wirken kann; aber ich danke ihm auch, daß es mich 
den Segen der schlichten Handarbeit kennen lernen 
ließ. Im treuen Handwerke liegt mehr Würde, 
als in manch anderem durch niedrigen Hochmuth 
nufgebauschten Stand, und Gottlob, die Zeiten 
zingen vorüber, wo der brave Mann sich seines 
dandwerks geschämt hat. 
„Arbeit ist des Bürgers Zierde, 
Segen ist der Mühe Preis. 
Ehrt den König seine Wurde, 
Ehret uns der Hände Fleiß.“ 
Mit diesem Worte unseres Schillers grüße ich 
—AV 
dandwerk!“ 
F Aus Berlin wird uns ein Aufruf zur 
Theilnahme an den Bestrebungen des „patriotischen 
Bereins für Luftschifffahrt“ zugesandt, wobei es fich 
im einen Besuch mit der „Ganswindi'schen Er— 
indung eines lenkbaren Luftballons handelt. 12,000 
Nk. find für diesen Zweck bereits vorhanden. Dem 
Lereine kann jeder unbescholtene Deutsche (auch 
Damen) beitreten; das Eintrittsgeld im Mindest 
»etrage von 8 Mek. ist an den Postsekretär Holle, 
Berlin, Teltowerstraße 83 einzusenden. In dem 
Aufruf wird auf die Anstrengungen Frankreichs und 
stußlands auf dem Gebiet der Luftschiffahrt hinge⸗ 
viesen und die Nothwendigkeit ahnlichen Vorgehens 
in Deutschland betont. — Wenn in dem Äufruf 
veiter gesagt ist, das Kriegsministerium habe die 
Banswindl'sche Erfindung angeblich wegen der zu 
hohen Kosten abgelehnt, so scheint uns das gerade 
nicht zu Gunsten der Erfindung zu sprechen. 
F Berlin, 2. März. Die alte Geschichte 
ist es, die ewig neu bleibt, die alte Geschichte aus 
dem Heine'schen Liede, und der fie just passierte, 
der brach das Herz entzwei. Fräulein Mathilde 
d. H. ist die Tochter wohlhabender und hochange⸗ 
sehener Eltern aus einer kleinen Stadt bei Bremen. 
Der Vater bekleidet dort den höchsten richterlichen 
Zosten, die Mutter stammt aus einem aliadeligen 
)ause. Eine bekannte Dichterin, die Gräfin Ida 
ahn⸗ Hahn, ist eine nahe Verwandie der unglüͤck⸗ 
ichen Mathilde v. H., die vorgestern Abend ihrem 
deben durch eine Kugel ein Ende zu setzen ver⸗ 
uchte. Von dieser Verwandten scheint Fräulein 
o. H. die poetische Begabung und den nimmer—⸗ 
ruhenden Geist geerbt zu haben. din 
geistreich hochbegabt und hochgebildet Fr. 
sitze irdischer Gluͤcksgüter, schien —3* 
alle Bedingungen einer glücklichen a 
2 —XI 
zu vereinigen. Ihrem lebhaften Viee 
Zleinstadt zuhause mit ihren enge Adet 
ungen nicht genügen, ebenso wenig on 
Fesseln des konventionellen Lebens beho emn 
suchte und fand in Berlin Aufnahme 9 * 
zesehenen Familie und war bald in n 
creisen als geistvolles und liebenswürdigets 
bekannt. Ein gewifses erzentrische —2 
nie zu verleugnen vermochte, machte fuhdri 
interessanter und begehrenswerthet, ih ber: 
jungen Mannes Herz mag für sie geschuedut 
Aber nichts konnte ihr Befriedigung, — 4 
Slück gewähren — sie jagte einem Ma v 
—D— 
es eines Tages gefunden zu haben mnnden 
'ann sagen, wie es kam? War es ai wa 
Zavalier · Balle, zu denen sie regelmähi rur 
erhielt, war es auf der Rousseou r b 
leidenschaftlich dem Eissport huldigte, 88 
vo in der großen Gesellschaft: innn 
jatte plötzlich, etwa vor zwei Jahren, ose 
gefunden, nach dem sie sich in Sehnsuned 
Ob Er“ schon anderweitig gebunde F 
„Er“ so unerreichbar hoch stand, wie die hmit 
von denen Goethe singt: 9 
„Die Sterne, die begehrt man nith 
Man freut fich ihrer Pracht — be 
zjenug. Mathilde v. H. liebte unglücklich wosch 
seit Monaten in ihrem Schmerze. Eie gicich 
Penfion gewechselt, wohnte jetzi in — 
Jochangesehenen Hause in bester, liebenshewi 
Besellschaft, pflegte innige Gemeinschis Bedo 
Töchtern des Hauses, schwärmte, diqrte, —X 
abwechselnd und war dann wieder bm in 
delnder Fröhlichkeit. Ihr aufgeregtes Wein 
in den jüngsten Wochen sich oft äußen 50 
natürlich ihrer Umgebung auffallen und theile 
Besorgnisse einflößen. Man beobachtete sron 
gesetzt, ließ fie faft niemals allein und iden 
nach Kraften zu zerstreuen. Umsonst — ⸗ 
wentrizitat nahm zu, und vor einigen! 
chon machte sie den Versuch, sich durth Fise 
der Pulsadern von dem ihr unerträglich gu 
deben zu befreien. Rechtzeitige Hilfe mhbd 
mals die Lebensmüde, die nunmehr mit dw 
Vorsicht und Aufmerksamkeit behandelt wutin 
hre Gedanken kehrten immer wieder zu dudai 
Punkte zurück, daß das Leben ihr eine OQut 
zer Tod ihr Erlöser sei. Ueberschwänglichochri 
chaftsergüsse wechselten mit Momenten oliel 
Trostlosigkeit ab. Das Beispiel der armn Fah 
ließ sie kaum mehr zur Ruhe kommen. Igrei 
Vormittag des Mittwoch befragte sie den di,ber 
Hauses, der im Waffenhandwerk Bescheid wei Bur 
die näheren Umstände, wie die Soubrente alse 
halla-Theaters sich das Leben genommen, unbese 
stugel sicherer den Tod bringe, wenn manzuj 
ins Herz jage, als durch die Schlafe, wie disati 
zekanntlich gethan. Der Gefragte fuchte damd 
eine scherzhafte Wendung zu geben, und Di⸗ 
bei der immer dringlicher werdenden Fragerauc 
berfangen wollte, meinie er allen Ernstes: the 
gnädiges Fräulein, ein solcher Gedanke muß am 
der das Leben so vieles bietet, noch unendidel 
liegen.“ Und als Antwort erfolgte eine wich 
ische Lobrede auf einen derartigen herrligerun 
Den Abend sollte die junge Dame im ae 
iner litterarischen Voriesung oder im Scho) 
zefreundeten Familie zubringen. Sie wlt 
etztere, verbrachte erst noch zwei Stunden u 
Zimmer mit Briefschreiben und Ordnen —* 
jand Kleinigkeiten und nahm dann eine u 
im angeblich zu der befreundeten Familie ut 
Thatsachlich aber fuhr sie — genau win 
Zeit die Erdösy — nach dem Thiergarten. 8 
etwa um 239 Uhr, aus einem sechslaufigng 
volver sich eine Kugel in die Bruft jan 
Aermsten erging es aber auch hier wie ihten d 
bilde; die Kugel durchbohrte die Lunge undfe 
das Herz nur, so daß sie bald nach der Theh 
lebend und schwer leidend aufgefunden uh 
Wenn die Leser diese Zeilen zu Gesicht — 5 
gat der mitleidige Tod die Arme wohl nn 
ihren Qualen erlöst. Gestern morgen war b3 
»ei Bewußtsein; mittags aber hatte ein un 
Wundfieber sie bereits vernehmungsͤunfähig gd 
die Kugel war bis Minag nog h r, 
Schon gegen 9 Uhr Adends wat die Famil