Full text: St. Ingberter Anzeiger

Amtliches Oraan des königl. Amisgerichts St. Ingbert. 
er „St⸗ Ingberter Anzeiger erscheint täglich mit Ausnahme der Sonn⸗ und Feiertage. 2 mal woͤchentlich mit Unterhaltungs ⸗ Blatt und Wittwochs umd Samstags min 
snstrirten Beilagen. as Blau ioste dierehahrlich 1A 60 Z einschließlich Cragerlohm; durch die Poß berogen 1M 75 4, einschlieklich 40 ⸗ Zuftellungsgebuͤhr. Die 
rücknugsgebuühr far die 4gespaltene Garmondzeile oder deren Raum betragt bei Inseraien aus der Pfalz 10 —, bei auherpfalzischen und solchen auf welche die Expedition 
unetuni criheiu, 13, Neklamen 80 ⸗. Bei 4maliger Einrodung wird nur dreimalige berechnet. 
208. 
Samstag, 7. September 1889. 24. Jahrg. 
die letzten Ziele der Sozialdemokratie. 
(Aus der „Deutsch. Korrsp.“) 
Um das Recht des Arbeiters auf den vollen 
Arbeitsertrag und zugleich das Recht aufs Dasein 
a verwirklichen, verlangt die Sozialdemokratie grund⸗ 
zliche Beseitigung des Privateigenthums an Grund 
d Boden und Produktionsmitteln und gemeinheit⸗ 
che Gütererzeugung. 
Wie läßt sich das durchführen und was gewinnt 
er Arbeiterstand dabei? 
Die Marxisten verwerfen vor allem den gegen⸗ 
oartigen Staat selbst, von dem sich Lafsalle noch 
zilfe versprach, zumol die monarchische Staats⸗ 
7dnung und den Nationalstaat. Marx lehnte die 
— 
ind verlangte für alle Welt zugleich die Abschaffung 
es Nationalstaats und des Königthums, wie des 
zigenthums an Produktionsmitteln. Die Arbeit 
ollte derart neu geordnet werden, daß jeder daran 
deilnehmen müßte, keiner also ohne eigene Arbeit 
in Einkommen beziehen und zur Befriedigung seiner 
Jedürfnifse verwenden könnte. 
Eine offene Frage ist aber, ob der Arbeiter bei 
mer solchen Arbeitstheilung zu dem von ihm ver⸗ 
angten vollen Arbeitsertrag kommt? In den 
zchriften von Marx ist dies nicht klar ausge⸗ 
prochen. Schäffle hat s. Z. hingewiesen, daß es 
noͤglicherweise auf eine Schatzung dessen abgesehen 
t, was dem Einzelnen zur Befriedigung seiner 
Zedürfnisse und Ansprüche an das Leben nöthig 
päre. Auf Grund dieser Schätzung kann die Ent⸗ 
hnung der Arbeit im Sozialstaat gedacht sein. 
Hie eine solche freilich durchgeführt werden sollte? 
- Ja, wer das zu sagen vermöchte! Dazu müß⸗ 
en eben die Zustände im Land Utopien erst 
elannt sein. Aber es genügt zur Würdigung der 
ezten Ziel der Sozialdemoktatie volllommen, daß 
Schatzung der erwahnten Art dabei möglich ist. 
sticht der Maaßstaab der Arbeitsleiftung würde 
ann das Lohneinkommen bestimmen, — und an⸗ 
eres Einkommen wäre ja undenkbar, sondern das 
tteglement der Solialstaatsdirektoren! Und nicht in 
heldeswerth empfinge der Arbeiter seinen Antheil 
m Arbeitsertrag, sondern es würde ihm zur Ent⸗ 
ohnung von Staatswegen zuerkannt, wie und wo 
r wohnen darf, wie viel Kleidungs- und Nahr⸗ 
ingsstoffe er aus den öffentlichen Magazinen pro 
dopf der Familie entnehmen darf u. s. w. 
Je weiter man diese utopistischen Gedanken zu 
Ende denkt, desto krafser erscheinen sie. Die Sozial- 
emokratie weiß recht wohl, warum sie ihren Leuten 
en Ausblick nicht weiter gestattet, als bis zu dem 
zunkte der allgemeinen und radikalen Aufhebung 
»s Privateigenihums. Soweit hat die Perspektive 
ur den oder jenen Besitzlosen einen gewissen Reiz. 
Anders allerdings, wenn man ihn auch drüber 
inaus schauen läßt auf die Art und Weise der 
achher geplanten Bedürfnißregulirung und Be— 
rürfnißdefried.gung. Die meisten würden dann von 
er sozialdemokratischen Irrlehre für immer ge⸗ 
zeilt sein. Die andern aber müßten sich wenigstens 
ewußt werden, daß einer solchen Weltverbesserung 
ↄusagen die ganze Welt sich bis aufs Aeußerste 
oidersetzen wurde. Was sollte wohl aus dem 
Deiligthum des Familienlebens werden, wenn der 
ater der Familie den Trieb nicht mehr in sich 
erspüten könnte, für die Seinigen im edelsten 
Sinne des Wortes sorgen zu müssen. Was er 
ait Kopf und Hand erarbeitete, wäre allenfalls 
cworben, um dafür einen schönen Spiegel, etwas 
zierrath mehr, ein behseres Gewand und dergl. 
—— 
mzuschaffen. Aber für den Lebensunterhalt sorgte 
a der Staat, und die werbende Kraft der er⸗ 
parten Mittel wäre ebenso ausgeschlossen, wie die 
ttutzbarkeit dessen, was den Kindern vermacht 
vird. Aller Besitz wäre Luxusbesitz; alle Erspar⸗ 
niß wäre Ueberfluß. 
Es wäre ein nie erlebter furchtbarer Kampf, 
zer um eme solche Neu⸗-Ordnung entbrennen müßte. 
In einer Erwiderung auf gewisse — gelinde ge⸗ 
agt: Ueberschwänglichkeiten Liebsknechts bemerkte 
derr von Bennigsen im Reichsstag am 28. Nov. 
vor. Jahres Folgendes: 
„Nun ist doch eines cllmählich in den Augen 
er großen Arbeitermassen immer deutlicher ge⸗ 
vorden, daß Umwälzungen so tiefgreifender Art, 
zolitisch, sozial und wirthschaftlich sich nur voll⸗ 
iehen können in einem lange hin und herwogen⸗ 
zen Kampfe. Ich will einmal annehmen, daß in 
rgend einem Lande die Sozialdemokratie nach einem 
angen Kampfe der Sieget bleiben würde; das ist 
voch zweifellos: durch ein Meer von Blut und 
Frend müßte die Generation waten, die einen 
olchen Kampf durchmacht. (Sehr richtigh) Wenn 
die befitzenden Klassen niedergeschlagen find, dann 
st zweisellos die arbeitende Klafse derselben Gene— 
ation auch elend und verloren. Denn nach einem 
olchen Kampfe haben auch die Ueberlebenden in 
inem vollständig verwüsteten Lande und nach der 
zerftörung des größten Theils des Kapitals und 
Vohlstandes desselben erst von neuem wieder an⸗ 
ufangen. (Sehr war!) Also mit einem Worte: 
benn etwas derartiges unternommen wird — hoj⸗ 
entlich sind die buͤrgerlichen Klassen stark genug, 
im solchen Kampf in Deutschland und in den 
inderen entscheidenden Kullurländern zurückzuweisen, 
ind je besser ihr Gewissen ist in der Haltung 
jegenüber den arbeitenden Klassen und in der 
Fürsorge für dieselben, defto erfolgreicher werden 
je auch von den mechanischen Mitteln Gebrauch 
nachen können, die ihnen in der Vertheidigung 
jegen solche Angriffe zu Gebote stehen werden, — 
iber selbst, wenn sie besiegt werden, wenn die 
Arbeiter in irgend einem Lande, also wie die Herren 
vollen, in Deutschland, ein sozialdemokratisches 
Kegiment der gemeinsamen Produltion unter Ver⸗ 
nichtung des Privateigenthums an den Produltions- 
nitteln aufrichten koͤnnten: die eine Generation, 
ruch die arbeitende Klasse, hat sich 
uUsdann für die Zukunft geopfert. Sie 
ind diejenigen, die gemeinsam mit den von ihnen 
niedergeschlagenen Besitzenden in den Abgrund 
ineingesprungen find. Dazu wird sich doch auch 
hie große Masse der arbeitenden Bevölkerung nur 
zann entschließen können, derartige Tendenzen und 
zufregende Predigten unter dieser Klasse werden 
iur dann nachhaitig einen Erfolg haben können, 
venn eben die Lage dieser Klasse eine so ver⸗ 
weifelte ist, daß sie aus Fanatismus und aus 
ẽrbitterung ein so furchtbares Wagniß glaubt 
internehmen zu sollen, gewissermaßen als die 
inzige Rettung, die ihnen und ihren Angehdrigen 
noch bleibt.“ 
Und wenn einmal der Marx'sche Sozialsaat 
n's Leben gerufen wäre, was haätte der heutige 
Arbeiter dann im Verhälmiß zur Gegenwart ge⸗ 
vonnen? 
Der verantwortliche, auch am Gewinn höher 
Jetheiligte Direktor des Unternehmens wäre aus der 
Welt geschafft, und mit der gegenseitigen Abhängig- 
eit von Arbeitgeber und Arbeitnehmer jede per—⸗ 
onliche Autorilät. jedes gesteigerte Selbstgefühl, 
ede Anspornung der eigenen wirthschaftlichen 
Tüchtigkeit, jedes Interesse an dem Geschäftsunter⸗ 
njehmen erloschen. Jede einzelne Gemeinschafts⸗ 
Anternehmung würde sich gerade mit dem Vortheil 
egnügen, der durchschnittlich zur Befriedigung der 
deglementmäßig anerkannten Lebensbedürfnisse aus— 
teichte. Jeder Theilnehmer bekame ungefähr soviel, 
ils seinem Lebenshalt entspräche. Das wäre aller⸗ 
zünstigsten Falles dasselbe, was der Arbeiter in 
einem Lohnverhältniß heutzutage erhält. Nur daß 
er von einer größeren Produktionskrisis unmittelbar 
ind auf's Schärfste in Mitleidenschaft gezogen wäre 
der für die ganze Dauer einer solchen dem Sg 
ackel zur Last fallen müßte, während er jetzt die 
S„chwankungen der Erwerbssicherheit, dank dem Rück⸗ 
jali der Privatunternehmung am Kapital, nur aus⸗ 
ahmsweise in seinem Familien⸗ und Lebenshalt 
nitzumachen genöthigt ist. 
Denn daß fich auch die Erwerbsunsicherheit im 
Zozialstaat hintanhalten ließe, glauben die Sozial⸗ 
»emokraten selbst nicht. Man kann allenfalls die 
Besellschaft und den Staat vergewaltigen, aber doch 
die Naiurkräfte nicht hindern, auf die Produktions⸗ 
ind Verbrauchsfähigkeit der Menschhein ihren un—⸗ 
erechenbaren Einfluß fernerhin auszuüben. 
Jede weitere Kritik der letzten Ziele der Sozial⸗ 
zemokratie verbietet sich von selbst, so lange diese 
etztere sich weislich darauf beschränkt, die begehrlichen 
Triebe der Massen aufzustachen und die vom 
dlafsenhaß erzeugte Kluft zwischen Kapital und 
Arbeiter zu erweilern, statt einen stichhaltigen Nach⸗ 
veis zu erbringen, wieso denn der sozialdemolratische 
Zukunftsstaat alles dieten kann, was das Herz sich 
vünscht, ein Himmelreich auf Erden?! 
Seutsches Reich. 
Freiburg i. Br., 5. Sept. Der gestern 
ziet zusammengetretene Kongreß deutscher 
S5trafanstaltsbeamten, welcher gegen 150 
Teilnehmer zählte, beendete heute unter dem Vorfitz 
»es Ministerialrateßs v. Jagemann (Karlsruhe) und 
des Staaisrates Köstlin (Stuttgart) seine Verhand⸗ 
lungen. Die Beratungen betrafen Arbeitsleistung von 
Uniersuchuugsgefangenen, Haftsystem für jugendliche 
Berbrecher, Vorbildung der GefangenenAufseher, 
Vorbildung zum höheren Gefängnißdienste, Sonntags- 
jeier im Gefangniß, Abstufung der Strafe für Zucht · 
haus und Gefaängniß. 
Muͤnchen, 6. Sept. Der auf den 28. ds. 
nach München berufenen Landtagsversamm— 
lung durften außer dem Finanzgesetz, dem Budget 
und dem Militäretat, der Malzaufschlagsnovelle 
und außer der Vorlage zur Legung von Doppel⸗ 
geleisen der Staatsbahn, wichtigere Gegenstände 
vorerst nicht in Vorlage gebracht werden. Ein Ge⸗ 
jetzeniwurf zur Ausführung der Alters- und Inva⸗ 
iditätsversicherung wird den Landtag erst später 
veschaftigen, einige kleinere Gesetzentwürfe aus dem 
Ressort des Staaisministeriums des Innern befinden 
ich gleichfalls noch in Ausarbeitung. Die Ange⸗ 
egenheit der Betriebsunfälle auf den Staatsbahnen 
urfte, wie die „A. Z.“ hört, in der Abgeordneten⸗ 
ammer schon bald nach dem Zusammentritt zur 
Sprache gebracht werden, nachdem die strafgericht⸗ 
iche Untersuchung wegen der Katastrophe in Röhr⸗ 
noos durchgeführt sein wird. 
Dresden, 5. Sept. Die Ansprache, welche 
der Oberbürgermeister Dr. Stübel, umgeben von 
den ftädtischen Behörden und der gesammten Geist⸗ 
ichkeit an das Kaiserpaugr richtete lautete: Zum 
rsien Male detreten heute Ew. Majesiat das getreue 
Zachsenland, um prüfenden Auges Heerschau zu