Full text: St. Ingberter Anzeiger

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9 J 
Amtliches Organ des königl. Amisgerichts St. Ingbert. 
Der „St⸗ Jugberter Auzeiger erscheint taͤglich mit Ausnahme der Sonn⸗ und Feiertage. 2 mal wochentlich mu Unterhaltungs ⸗Vlatt und Mittwocht und Samftags m 
sirirten Beilagen. as Blaut koftet dierleljährlich 1 A 60 einschließlich Tragerlohn; durch die Post bezogen 1M 78, q 40 4 reeez Die 
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Austauft cribeiu, 18 3. Neklamen 80 Rei 4maliager Einruckung wird nur dreimalige berechnei. 
c2 37. 
Deutsches Reich. 
Munchen, 11. Febr. Der Finan zaus⸗ 
chuß der Abgeordnetenkammer hat die Beratung 
dis Aultusctats begonnen. Das Zentrum 
erllaͤrte fich mit dem Ergebnis der Plazetberatung 
und der Redemptoristenfrage in der Riichsräte kammer 
gichtbefriedigt. Minister Crailshein gab 
ehr wohlwollende Erklärungen ab. Das Plazet 
ei eine Rechtsfrage. Die Alttatholikenfrage wolle 
zie Regierung mit den Bischöfen regeln. Die 
Redner des Zentrums hingegen verlangten be— 
—XVVVV 
wollen geschützt sfein gegen einen erneuten Einbruch 
in die ürchlichen Interessen und exemplizierten auf 
die jüngst vorgelomme Erzwingung des Kirchenge⸗ 
sautes dei der Beerdigung eines Altkatholiken. Das 
Zentrum müsse auf seinem Standpunkt beharren. 
die Diskusfion war nicht hitzig. Es scheint jedoch, 
daß das Zentrum ohne bindende Erklärung auf 
den parteipolitischen Abstrichen beharrt. 
Berlin, 11. Febr. Die sozialdemo— 
fratische Kundgebung am 1. Mai wird fich 
aut „Köln. Ztg.“ auf Versammlungen beschränken, 
die zahlreich geplanten Arbeitseinstellungen 
ür diesen Tag werden unterbleiben. 
Berlin, 12. Febr. Dem Vernehmen nach 
tritt der Staatsrat am Freitag Nachmittag 8 
Uhr im Königsschlosse zusammen. Der Kaiser er⸗ 
offnet die Verhandlungen mit einer Ansprache, 
worin er die zu stellenden Aufgaben entwickelt. 
Ddie Beratungen erfolgen nach dem Eingang der 
VBorlagen zunächst in Ausschüssen, welche durch 
Sachverständige verstärkt werden. 
Ausland. 
Paris, 12. Febr. Graf Münster hat 
heute dem Minister des Aeußern Spuller die 
Einladung zu der ArbeiterschutzeKonferenz 
überreicht, deren Einberufung Kaiser Wilhelm in 
Aussicht gestellt hatte. 
Paris, 12. Febr. Prozeß Orleans. 
Um den Jufstizpalast herum hielten sich bis 1116 
Uhr wenig Menschen auf, dann wurde es be⸗ 
lebter. Der Andrang zum Gebaude war sehr groß z 
der Sitzungssaal ist überfüllt. 
Der Herzog betritt den Saal um 1194 Uhr. 
Das Aeußere des Prinzen ist jugendlich und ein⸗ 
gehmend. Der Vorsitzende gibt bekannt, daß er 
bei der ersten Kundgebung den Zuschauerraum 
raumen lossen werde, und deginnt nach den üb⸗ 
lichen Iormlichkeiten das Verhör. Vorsitzender: 
Sie fallen unter die Bestimmungen des Ausnahme— 
desetzes. Angeklagter: Das Gesetz ist ein Aus⸗ 
nahmegesetßz. Ich bitte um die Erlaubnis, mich ohne 
jeden Umschweif an den Gerichtshof, wenden zu 
dürsen. Ich bin nach Frankreich gekommen, um 
als einfach r Soldat zu dienen. Ich treibe keine 
Politit. Die Politik ist die Sache meines Vaters, 
Rssen etgebener Sohn und treuer Diener ich bdin. 
Ich wußie wohl, welchen Möoglichkeiten ich mich 
aussetzte; das hielt mich jedoch nicht ab. 
Ich wollte meinem Valerland in einem Re— 
dimente dienen. Ist das ein Verbrechen“ 
Ich liebe mein Vaterland; ist das ein 
Fehler 2 Nein! Ich haule mich dvicht“ für schuldig 
und will mich nicht verteidigen. Ich habe in der 
Verbannung die Behdiden meines Landes —R 
gelernt, ich werde ihre Beschlüsse achten. 
Nachdem der Prinz geendel, beamragt der Staais⸗ 
anwalt die Anwendung des Geutzes. 
Der Rechtsanwalt Rousse betont in seiner Ver⸗ 
Donnerstag, 13. Februar 1890. 
25. Jahrg 
seidigungsrede, daß es sich nicht um einen unüber ⸗ 
egten Streich handle, sondern um die That eines 
„guten“ Franzosen, die jeden politischen Beweggrund 
ausschließe. 
Während der Beratung des Gerichtshofes herrschte 
im Saale eine lebhafte Erregung. Nach dem 
Wiedereintritt des Gerichtes verlas der Vorfitzende 
das ziemlich kurz gehaltene Urteil, daß Herzog 
Philipp von Orleans mit zwei Jahren 
Befängnis bestraft sei. Der Angeklagte, der 
elegant in schwarz gekleidet war, nahm den Spruch 
ruhig entgegen und lächelte während der Verkündig 
ung einigen ihm bekannten Personen zu. Nach 
der Verkündigung des Urteils wurde der Herzog 
in das Gefängnis zurückgeführt. Zugleich ertönte 
der Ruf: „Es lebe Philipp Orleans!“ und als 
Antwort: „Bravo!“ und „Es lebe die Republik!“ 
Der Vorsitzende bedeckt fich und gibt Befehl, den 
S„aal zu räumen. Es erhebt sich ein unbeschreib⸗ 
icher Tumult, alles drängt schreiend nach den Aus⸗ 
Jängen zu, und die Frauen kreischen. Draußen 
etzte fich der Larm fort. Schließlrch prügelte man 
ich vor dem Gerichtsgebäude. 
Rom, 12. Febr. stammer. Crispi erwidert 
auf die Anfrage Luzzatis, Italien arbeite gern an 
der Lösung der Arbeierfrage mit. Die von 
daiser Wiltelm ergriffene Initiative beweist 
immer mehr, daß unter der monarchistischen Re⸗ 
zierung die wichtigsten sozialen Probleme lösbar 
eien. 
Pest, 12. Febr. Tisza erklärte in einer Ver⸗ 
sammlung der Partei, die ungarische Monarchie 
werde an der von dem deutschen Kaiser 
dorgeschlagenen internationalen Konferenz teil⸗ 
aehmen. 
*— Das kgl. Staatsministerium des Innern 
hat eine Entschließung erlassen, die in der Pfalz 
freudig begrüßt werden wird. Darnach sind aus 
naäher ausgeführten Gründen die k. Bezirksamter 
zu beanfecagen, bei Revision der Gemeinderechnungen 
die etwa fur das Jahr 1889 auf die Gemeindelasse 
u en mmenen Beiträge zur lande und forstwirth⸗ 
ch itlrchen Berufsgenossenschaft nicht zu beanstanden. 
— Das für 28jährige Dienstzeit gestiftete 
Ehrenzeichen für Feuerwehren erhielten 
durch allerhöchste Entschließung nachstehende Feuer- 
wehrmänner: aus Blieskastel: Boyer Nik., Blank 
Mich. Engel Jak. sen, Kuhn Ludw., Legrom 
Franz, Lott Karl, Lott Nikol. Mahyer Jos., Mayer 
Peter, Rauusch Eduard, Roppenecker Franz; aus 
Zersheim: Becker Peter, Bozung Georg, Hittinger 
Dtto, Klein Paul, Lagaly Joseph, Merker Peter, 
Briester Joh, Rosenschon Mich, Wack Heinr., 
Wack Jak. Theod. Aug. 
— Der im Juli 1888 gestiftete Pfälzische 
dauptvereindes „Evangelischen Bun⸗ 
de3 zahlte Mitte vorigen Jahres 624 Mitglieder. 
Bei der Generalversammlung in Neustadt zeichneten 
sich gegen 150 neue Mitglieder ein. Der Verein 
hat jetzt über 1000 Mitglieder. 
— Zweibrücken, 12. Febr. Begnadig⸗ 
ung. Wie die Zig.“ vernimmt, wurden der 
Bergmann Nikolaus Biewer (geb. 1861 zu 
Michelbach)j und Margaretha Jung (geb. 1858 
in Dudweiler), beide von Dudweiler, letztere Wittwe 
des ermordeten Mathias Schmitt allda, welche vom 
Schwurgericht zu Zweibrücken am 14. Dezember 
1889 wegen Mords zum Tode verurt ilt waren, 
»egnadigt. Die erkannte Strafe ist von Sr. 
gl. Hoheit dem Prinz-Regenten in lebenslängliches 
Zuchthaus umgewandelt worden. 
— Das auf heute angesetzte letzte Gasispiel 
der Hofschauspielerin Magda Irschick in Zwei⸗ 
brücdten ist auf morgen, Freitag Abend ver⸗ 
choben. 
— Kaiserslautern. Wie der „Pf. Pr.“ 
zlaubwürdig mitgeteilt wird, stände die Entlassung 
zes dahier verhafteten Kaufmanns Hengärtner 
don Grünstadt baldigst zu erwarten, da sich seine 
Unschuld an dem ihm zur Last gelegten Reate des 
Betrugs herausgestellt habe. 
— Pirmasens, 12. Febr. Einem hiefigen 
Wirthe, Herrn Jalob Gaubatz,, wurde während er 
seldst dei seinen Gästen am Tische saß, aus der 
Schenke die Geldkafsette mit ca. 80 Mk. Inhalt 
Jessohlen. Der Dieb griff vom Hausgang durch 
zas Schalterfenster nach dem Gelde und hoffte 
ffenbar, einen größeren Fang zu machen, denn 
hurz zuvor waren noch 300 Me. in Rollen in der 
Kassette gelegen. 
— Von der Queich. Wie der „Pf. K.“ 
don zuverläsfiger Seite erführt, soll das Da mpf⸗ 
Straßenbahn-Projekt Landau⸗Bahnhof⸗ 
Bellheim noch in diesem Jahre seiner Verwirklichung 
entgegengehen. 
— Speyer. Der Postadjunkten⸗ 
Zßrüfung am 24. d. M. werden 17 Postad⸗ 
piranten aus der Pfalz fich unterziehen. 
— Schifferstadt, 12. Febr. Gestern ver⸗ 
ibte der 19jährige Jakob Thomas von Klein⸗ 
chifferftadt Sehbst mord dadurch, daß er sich 
nuf die Eisenbahnschienen legte und von einem 
seranbrausenden Zug den Kopf abfahren ließ. 
Furcht vor einer ihm in Aussicht stehenden väter⸗ 
ichen Züchtigung soll das Motiv zur That ge⸗ 
vesen sein. 
Lokele und pfälzische Nachrichten. 
*St. Ingbert, 13. Febr. Wir finden in 
dem gestrigen Morgenblatt der Zweibr. Zeitung“ 
eine Zuschrift des Herrn Professor Reeb dezüglich 
des Berichtes über die letzten Sonntag dahier statt⸗ 
zehabte Zentrumsversammlung, welchen die „Zw. 
Ztg.“ dem „St. Ingberter Anzeiger“ entnahm. 
Die Zuschrift lautet: In dem Betichte über die 
oon mir gehaltene Rede kommt der etidas unklar 
und vieldeutig gefaßte Satz vor: „Wenn deren 
der Nationalliberalen) Kandidat gesagt habe, er 
sei auch Katholik, so brauche derselbe nichts weiter 
zur Bezeichnung seiner Ansicht hinzuzufügen.“ 
Wenn damit angedeutet werden sollte, daß ich die 
Person des Herrn Gegenkandidaten einer Kritik 
anterzogen hätte, so müßte ich gegen eine solche 
Unterstellung entschiedene Verwahrung einlegen. 
Ich dämpfe nicht gegen Personen, sondern für 
Brundsätze, die ich für wahr und gerecht halte. 
In der Wahrung der Gesetze des Anstandes beim 
Wahlkampfe möchte ich mich von Niemand übertreffen 
afsen. Reeb, Professor. 
Wir erklären hierauf gern, daß mit dem an⸗ 
jezogenen Satz im „St. Ingberter Anzeiger“ dem 
Zerrn Professor Reeb die Unterstellung einer Kritik 
er Person des Herrn Gegenkandidaten durchaus 
aicht gemacht werden solite. Wir müssen aber auf⸗ 
zecht erhalten, daß Herr Prof ssor Reeb die Aeuße⸗ 
ung des Herrn Gegenkandidaten in Zweibrücken 
rwaͤhnte, und dabei die angeführten Ausdrücke ge⸗ 
rauchte. Den genauen Wortlaut der Rede des 
derrn Reeb sind wir allerdings nicht in der Lage, 
vie derzugeben. 
* Wir machen hiermit nochmals auf die heutige 
Ubendunterhaltung im Cafe Becker aufmerksam.