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— Verunglückte Rektifikation. Vor wenigen Tagen
st der letzte Band von Guizot's Memoiren erschienen. In dem⸗
elben erzählt der Verfasser unter Anderem, daß nach dem Straß⸗
»urger Putsche Louis Philipp, von seinem guten Herzen ge—
eitet, 12,000 Fres. an Louis Napoleon schickte, der fie
erhielt, um ihm die Reise nach Amerika zu ermöglichen. Der
daiser schrieb an Herrn Guizot, um diese Angabe als ungenau
u bezeichnen und um eine Berichtigung zu ersuchen. Herr Gui—
vot jedoch erwiederte, daß er zu seinem Bedauern in die gewünschte
Rektificirung nicht einwilligen könne, weil er für die Richtigkeit
ieiner Angaben — die Beweise in Händen habe.
Man theilte kürzlich mit, daß für den Kaiser der Fran⸗
zosen in Wien eindurch einen sanften Gang ausgezeichnetes Pferd
im Werthe von sonst höchstens 2000 Frs. für 20,000 fl. ange—
cauft sei. Die Thatsache des Ankaufs ist nach der „L. A. 3.“
richtig, nur daß der Kaufpreis stark überirieben ist; nicht 20, 000
jondern 5000 fl. sind gezahlt. Aber den interessantesten Theil
der Sache hat man absichtlich oder unabsichtlich unterdrückt. Das
pferd ist nämlich vor allen Dingen deßhalb ausgesucht, weil es
wie eine Maner im stärksten Feuer steht, und verkauft ist es aus
»en kaiserlichen Stallungen durch den Oberstallmeister Grafen
Brünne.
Ferdinand Freiligrath.
Mitten im geräuschvollsten Theile der Londoner City, in
den „Royal buildings“, zwischen den königlichen Börsengebäuden
hefindet sich die schweizerische Bank, und in einem ihrer Vuͤreau's
vom frühen Morgen bis zum sinkenden Abend sitzt an den Schreib⸗
tisch geschmiedet der Menager dieses Bank-Comptoirs — Ferdi—
nand Freiligrath. Der wüste Lärm, der von der Börse heru⸗
berschallt, und das fortwährende Getöse der Tausende von Wagen
die auf der belebtesien Straße der City dahinrollen, hallen in
dem Ohre des emsigen Arbeiters wider, der im aufreibenden Dien⸗
ste des Tages das Brod für seine Lieben mühsam erwirbt. Nur
hie und da unterbricht ein Besuch aus der deutschen Heimath die
Arbeit. Fragt der Besucher, warum der Dichter seiner Muße den
Rücken gekehrt, dann antwortet Freiligrath dem Fragenden, wie
er 18605 Gustav Rasch erwiderse: „Horen Sie dies Geräusch,
athmen Sie den erstickenden Dunst, sehen Sie das ruhelose Trei⸗
ben da unten in den Straßen, und dann fragen sie mich warum
ich nicht mehr dichte? Bis zum Abend hält mich täglich diese
Atmosphäre fest, und seit Jahren habe im mich nur Sonntags
aus derselben loßmachen können. Klapka, der als Theilnehmer
der Bank jährlich seine Inspectionsreise hierher macht, verspricht
mir immer einen Urlaub auf das nächste Jahr. Aber es wird
nichts daraus, und ich sitze immer hier fest· Dam ergreift er
vohl die Feder und schreibt dem Touristen einige Worte ins Ta⸗
chenbuch, welche die ganze Fülle der feurigen Sehnsucht des Ver⸗
dannten nach dem lieben Heimathlande athmen. Um 7 Uhr
Abends verläßt Freiligrath die City und fährt in der Richtung
nach Nordost per Eisenbahn, die über die Dächer der Hãäuserreihen
über einen Friedhof und durch stille Gegenden der Riesenstadt
hren Weg nimmt nach Hackneh. Dort erwarten ihn bereits Gat—
cin und Kinder: Ida Freiligrath, geborne Melos aus Weimar,
als Kind Goethes Liebling, der jhren Spielen zusah, noch heute
eine schöne stattliche Frau, mit blondem Haar und zarten intelli⸗
genten Zügen; die Töchter im Alter von 18—-20 Jahren, lieb⸗
liche Mädchengesichter mit dunklen Augen und dem zarten Colorit
der Mutter, der älteste Knabe, der blonde Perch, und dessen
jüngerer Bruder. Welche Bedrängnisse an den vielgeprüften
Sänger des deutschen Volkes herangetreten sein mögen, wir wis⸗
sen es nicht; aber die blose Nachricht davon rührt unser Herz.
Als vor 10 Jahren eine Gesellschaft von Engländern zusammen⸗
rat, um ihm eine sorgenfreie Existenz anzubieten, da wies Frei⸗—
ligrath solchen Antrag von sich, mit dem Ausspruche, daß, wenn
er je einmal in die Lage kommen sollte, der Hilfe zu bedürfen,
er solche nur von seinen Landsleuten annehmen würde, die seiner
vohl nicht vergessen würden. Als ihn der amerikanische Dichter
dongfellow einlud, über den Ocean zu kommen, und seiner im
neuen Continente die größten Auszeichnungen harrten, da eilte
r, bei der Nachricht von der Erhebung seines Vaterlandes nach
Düsseldorf und stelite sich an die Spihe der demokratischen Par⸗
ei. Eine flüchtige Skizze seines Lebeus und Schaffens mag uns
den herrlichen Mann in's Gedächtniß rufen.
Ferdinand Freiligrath wurde am 17. Juni 1810 zu
Detmold geboren. Der Bück des Knaben fiel da auf die Höhen
des Teutoburger Waldes, in dessen Schluchten Hermann die gro⸗
ze Befreiungsschlacht geschlagen. Sein Valer war Bürgerschulleh⸗
der, die Mutter ward ihm schon im siebenten Jahre entrissen.
Ihr Bruder, Kaufmann in Edinburgh, wollte den Knaben adop—
ciren und siin aroßes Geschäft dereinst auf ihn vererben. Diese
Aussichten entschieden seine kaufmännische Laufbahn. In Soest
xrachte er seine Lehrjahre zu, wo er viel mit Grabbe derkehrte.
Als Commis eines Bankierhauses ging Freiligrath nach Amster⸗
dam. Der Bankerott des Onkels, der Tod des Vaters waren
wei Schläge, welche die ganze Energie der Jugend in ihm he—
causforderten. Von 1837 1839 conditionirie er in Barmen.
In dem Gemüth des jungen Kaufmanns hatte sichs bereits mäch⸗
ig geregt. Einzelne seiner Gedichte veröffentlichte das Morgen⸗
latt, andere führte Chamisso (1833) in feinem Musen⸗Almanach
»or. Die Pracht seiner Bilder, seine Originalität, seine farbige
Schilderung vom „Wetterleuchten in der Pfingstnacht“ vom ,Wuͤ⸗
tenkönig,“ von der Stimme am Senegal“ erregten das Crstau—
nien Aller. Mit wachsender Schnelligkeit stieg sen Ruhm. Der
ersten Ausgabe seiner Gedichte (1838) ließ er die herrliche Samm⸗
ung „Zwischen den Garben“ folgen. Die Laufbahn des Kauf⸗
nanns hatte er verlassen und die des Schriftstellers erwählt. Jetzt
olgten 1839 das „Rheinische Odeon“ und das „Rheinische Jahr⸗
»uch,“ 1841 das „Romantische Westphalen.“ Noch trat kein po—
itischer Gedanke in seinen Poesien hervor. An der TendenzeLyrik
des „Jungen Deutschland“ findet er kein Gefallen und ruft Her—
wegh die bekannten Worte zu:
Der Dichter steht auf einer höhern Warte
Als auf der Zinne der Partei...
wber nicht lange mehr, und er stürzt sich in das Gewoge der
Parteien, und bald wird er als politischer Dichter „der uner⸗
chrockendste Repräsentant des modernen Gedankens“ Im Jahre
844 lehnte er die Pension, welche Alex. v. Humboldt ihm beim
dönige Friedrich Wilhelm IV. erwirkt hatte, ab und veröffentlichte
zleichzeitig sein „Glaubensbekenntniß.“ Mit dem Glaubensbe—
enntniß wurde Freiligrath der Liebling des Volles; aber die Re—
zierungen des seligen deutschen Bundes dachten minder wohlwol—
end und Freiligrath flüchtete nach der Schweiz, von da nach
dondon, wo er, um seine Familie zu erhalten bei Huth & Co
intrat. Der Anblick der Armen und der Elenden entrang ihm
nanches herrliche Gedicht, so das „Lied vom Hemde,“ „Irland,“
»ie „Seufzerbrücke“ u. a. Der Ausbruch der Februarrebolution
in Paris fand ihren Widerhall in Deutschland, die deutsche Tri—
rolore ward aufgepflanzt und „Schwarz, Roth, Gold“ — „Pul⸗
oer ist schwarz, Blut ist roth, golden flackert die Flamme“ —
ubelt der Dichter ihr aus vollem Herzen zu. Das Letzte Lied
das er in der Verbannung sang: „Die Amnestirten im Auslande“
ündigt seinen Aufbruch in die Heimath an:
Wir treten in die Reiseschuh'
Wir brechen auf schon heute!
Run, heil'ge Freiheit tröste du
Die Mütter und die Bräute!
In Düßfseldorf wird er der Führer der demokratischen Partei.
Jetzt läßl er die herrlichsten Lieder erklingen, Juwelen in dem
„chatzkästlein der Poesie, wie das vom Tode:
Auf den Hügeln steht er im Morgenroth,
Das gezückte Schwert in der sehn'gen Hand 9
Wer ich bin? Ich bin der Befreier Tod!
Bin der Tod für die Menschheit, das Vaterland!
Als die reactionären Staatsweisen in Berlin das Heft wie—
jet in Händen hatten, da erinnerten sie sich des Dichters, der
Ca irats und „die Todten an die Lebenden“ gedichtet. Er ward
uns Gefängniß geworfen und vor die Assisen gestellt. Aber am
thein waren die Geschworenen keine Unteroffiziere, sondern frei⸗
innige muthvolle Bürger, die den Dichter der Freiheit schuldlos
rklärten. Von Neuem verfolgte die Regierung den Dichter und
xchriftsteller, und dieser rettetete sich und seine Ueberzeugung auf
den freien Boden England's. Dort lebte er ein arbeilsamer Tag⸗
verker und seine Muse ist verstummt. nur selten hat er sich in
etzter Zeit vernehmen lassen, das eine Mal an dem Grabe Jo—
hanna Kinkel's:
Zur Winterzeit in Engelland, m *
Versprengte Männer, haben
Wir schweigend in den fremden Sand —*
Die deutsche Frau begraben —
ind ein anderes Mal zur Feier des hundertjährigen Geburtstages
Schillers, ein Festgedicht welches die Amerikaner von ihm erbeten und
erlangt haben. Es wurde in der ganzen Union von allen deut—
chen Vereinen und Gemeinden nach derselben Melodie vorgetra⸗
gen. Freiligrath ist aber nicht blos ein Tendenzdichter, der Sän—
ger der Freiheit und als solcher uns werth. „O lieb' so lang
on lieben kannst,“ „Ruhe in der Geliebten,“ stellen ihn als tief—
einpfindenden Lyriker in die erste Reihe der lebenden Dichter. Sei—
ten politischen Ansichten werden wohl Viele nicht beistiumen,
einen Genius aber Alle bewundern und seinen Charakter
erehren.