Full text: St. Ingberter Anzeiger

Wien, 8.Juni.“ Ein kaiserliches Handschreiben amnestirt 
alle bis zum Krönungstage wegen Majestätsbeleidigung oder Be— 
leidigung der Mitglieder des kaiserlichen Hauses Verurtheilten in 
den nicht⸗ ungarischen Kronländern und stellt alle dießbezüglich an⸗ 
hängigen Prozesse ein. Durch dasstlbe kaiserliche Handschreiben 
sind 454 Sträflingen die Reste ihrer Strafzeit erlassen, bei — 
Sträflingen ist die lebenslängliche in zeitliche Kerkerstrafe, bei 8 
die Todesstrafe in Freiheitsstrafe umgewandelt. 
Wien, 8. Juni. Der Prager „pPatriot“ erhielt ein Wie— 
ner Privat⸗Telegramm vom 7. Juni Abends, wonach „es ver⸗ 
lautet, Kaiser Max nebst den höheren Offizieren seiner Begleitung, 
Wickenburg und Khevenhüller, hätten freiwilligen Tod gesucht und 
gefunden.“ Diese Nachricht steht im Widerspruch mit der Nach— 
richt aus Newyork, wornach Maximilian kriegsgefangen sein soll. 
Graf Wedell (Hannoyeraner), der vor einigen Monaten den Prin—⸗ 
zen Bernhard Solms in Wien im Duell erschoß, ist, wie die 
„Presse“ berichtet, wieder nach Qesterreich zurückgekehrt und vom 
Kaiser Franz Joseph durch Begnadigung von der Strafe für den 
Zweikampf befreit. — Aus Wien wird gemeldet, daß der Ge— 
meinderath sich zur Abhaltung des „dritten deutschen Bundesschie⸗ 
ßens“ im Jahre 1868 bereit erklärt hat. 
J Wien, 11. Juni. Bei der Wiedereröffnung der Reichsraths 
sitzungen am 17. Juni werden bezüglich der Wehrordnung und 
der Befestigungsfrage zufriedenstellende Erklärungen im Sinne der 
Reichsrathsadresse erfolgen. Im Unterrichtswesen und der Ehe— 
gesetzgebung wird Trennung der Staatsinstitutionen von den kirch— 
lichen beabsichtigt. 
Pesth, 8. Juni. Gestern Nachmittag um 2 Uhr erschien 
die vom Landtag ernannte Deputation in der Burg zu Ofen, um 
in Gegenwart des Kaisers und der Kronhüter die Krone und die 
Reichsinsignien in die eiserne Lade zu legen, welche mit großem 
Gepränge in die Krönungskirche gefahren wurde. Im Lauf des 
Tages traf der Frhr. v. Beust in Pesth ein. Den heutigen Tag 
oerschönt das herrl ichste Wetter. Seit halb 4 Uhr des Morgens 
dröhnten die Kano nensalven. Schon am frühen Morgen waren 
die Straßen der beiden Schwesterstädte außerordentlich belebt. Die Ban⸗ 
derien der Comitate begaben sichzu ihren Sammelplätzen. Die Depu⸗ 
tirten in Gala versammelten sich um halb sechs Uhr in ihrem 
Berathungssaale. Um 7 Uhr begann die Ceremonie der Krö— 
nung mit dem Auszuge aus der Burg. Um halb 8 Uhr erschien 
der Hof und der Koͤnig in ungarischer Generaluniform, die Mi— 
nister und die Reichswürdenträger zu Pferde vor der Kirche. Der 
König wurde überall mit größter Begeisterung empfangen. Dann 
folgten die Königin in goldenem von acht weißen Pferden gezo— 
genem Wagen, die kaiserlichen Kinder und die Palastdamen. Un 
gerische Garden schlossen den Zug. An der Kirche wurden die 
Majestäten von den Bischösen empfangen. Die Krönungsceremo⸗ 
nie selbst dauerte über eine Stunde. Als Andrassh nach deren 
Beendigung Eljen auf die Majestäten ausrief, hallte es in der 
Kirche und auf dem Platze donnernd wieder. Der Rückzug ging 
nach der Garnisonskirche zum Ritterschlag, der nach 10 Uhr statt⸗ 
fand. Als der Konig herauskam und den Krönungsschimmel be— 
stieg, wurde er mit namenlosem Jubel begrüßt. Nach vollzogener 
Eidesleistung auf dem Krönungshügel des Franz-Josephsplatzes 
fand gegen 12 Uhr die Ceremonie der vier Schwertstreiche statt 
Der König ritt in kurzem Galopp den Hügel hinan und wendet 
‚das Pferd bei jedem Streiche' nach der betreffenden Himmelsge— 
gend. Herr v. Beust wurde an mehreren Punkten enthusiastisd 
begrüßt. Am Nachmittag war Volksfest auf der Generalwiest 
Ofen mit der üblichen Vertheilung von Fleisch, Brod und 
Wein. 
Frankreich. 
Paris, 8. Juni. Man hat noch nicht die Befürchtunc 
aufgegeben, daß das Attentat gegen den Kaiser von Rußland 
aus einem Complott hervorgegangen sei, und sechs bis sieben 
Personen sind auf diesen Verdacht hin verhaftet worden. Die 
polnische Emigration spricht in einer Adresse an den Kaiser Napo— 
leon ihren Abscheu über das Verbrechen aus. Die Polizei ist 
nach dem vorgefallenen unnachsichtig gegen die Personen, welche 
den Ruf „Vive la Pologne?“ ausgestoßen hatten. Sie sind noch 
immer in Mazas, wo auch der Attentäter Berezowsky sitzt, und 
zwar in derselben Zelle, in der einst Orsini gesessen. — Heute ist 
zum ersten Mal das Blatt des Hrn. Hollander La Situation“ 
erschienen. Herr Hollander ist ein geborener Deutscher, der sich zum 
franzöfischen Polizeispion gegen die Deutschen hergegeben hat und 
daun die Direction des hiesigen Preßbüreaus uͤbernahm. Wie 
er auf diesem Posten gegen die deutschen Zeitungen wirthschaftete 
ist bekannt. Und dieser Mann tritt als Verfechter des schwer be— 
drückten Deutschland nach Außen, nach Innen als Verfechter des 
Liberalismus auf. Diese Wendung des Strebens ist dadurch zi 
erklären, daß er vom Exkönig von Hannover reichlich bezahlt wird. 
Schon in seiner heutigen Rummer verlangt er einen Congreß 
über die deutsche Frage, welcher den Rhein, Hannover, Hessen, 
Schleswig-Holstein u. s. w. Preußen abnehmen und Letzteres zum 
Heile Europas und natürlich auch Deutschlands unschädlich machen 
soll. Ob wohl Herr Hollander viel ausrichten wird. 
Paris, 8. Juni. Inm Konstantinopel -herrscht eine große 
Gährung und eine Revolution steht zu befürchten. Die Zeitungen 
sind suspendirt und viele Verhaftlungen vorgenommen wor— 
den. Die Minister gehen nicht ohne Escorte mehr aus. Der 
Großvezir Ali Pascha darf sich aus seinem Palaste gar nicht 
herauswagen. Die Aufregung des Volkes ist sehr groß. Unter 
den Verhaftelen befinden sich fünf Pascha's, ferner der Divisions 
General Hussein Pascha und der Commandenr der Gensd'armerie 
Mustapha Pascha. J 1 
Paris, 9. Juni. Der Moniteur meldet, daß gestern 
Nachmittag um 4 Uhr der Kaiser mit dem GEzaren allein und in 
einem kleinen offenen Wagen zur Ausstellung fuhr, um die ägyp— 
tische Abtheilung zu besichtigen; die Monarchen wurden mit leb— 
haften Zurufen begrüßt. Der Moniteur fügt hinzu, daß das At— 
tentat in Frankreich und im Auslande von Fürsten und Völkern 
einstimmig mit Abscheu aufgenommen wird und daß Napoleon III. 
so wie Alexander bereits zahlreiche: Zeugnisse allgemeiner Theil⸗ 
nahme empfangen haben. — 
Das Droit meldet, daß die Untersuchung gegen Berezowsky 
schon so weit vorgeschritten sei, daß der Angeklagte bereits in der 
zweiten Hälfte des Juni vor die Assissen des Seine⸗Departements 
gestellt werden könne.. we 
Paris, 9. Juni. Der große Ball im Hotel de Ville ist 
über alle Maßen glänzend ausgefallen. Die k. k. Majestäten und 
ihre allerhöchsten Gäste fuhren in geschlossenen, im Innern aber 
hell erleuchteten Staatskarossen, nach dem in einen Feenpalast 
verwandelten Stadthause. Längs der Rivolistraße erscholl aus den 
—XVV 
Oꝛar! Noch stärker und begeisterter war der Empfang, welchen 
die Gesellschaft im Hotel de Ville selbst den allerhöchsien Herr⸗ 
schaften beim Eintritte bereiteee. 
Parris, 9. Juni. Gestern endlich wurde im gesetzgebenden 
Körper der lang erwartete Entwurf des Armeegesetzes eingebracht. 
Derselbe umfaßt 19 Artikel in vier Abschnitten. Nach ihm soll 
der Effectivbestand der Armee, actives Heer und Reserve, 800,000 
Mann betragen. Die Stüärke des jährlich einzuberufenden Contin⸗ 
jents wird vom gesetzgebenden Korper durch ein besonderes Gesetz 
estgestellt. Der Dienst im activen Heer dauert 5, der in der 
Reserve 4 Jahr. Die Reservisten können sich in den beiden letz— 
ten Jahren ihrer Dienstzeit, also vom 27 Lebensjahre an, ohne 
vorgängige Ermächtigung verheirathen, falls sie nicht zu aclivem 
Dienst einberufen sind. Es wird eine mobile Nationalgarde ein⸗ 
eführt, die nur durch besonderes Gesetz einberufen werden kann. 
Zu ihr gehören von 1807 ab alle junge Leute, die durch die 
Ziehung nicht der activen Armee einverleibt werden und alle frei⸗ 
willig sich Meldenden. Die Verpflichtung zum Nationalgardedienst 
dauert 5 Jahre. Die Offiziere werden vom Kaiser, die Unter⸗ 
affiziere und Corporäle von der Militärbehörde ernannt. Die 
Nationalgarde muß Uebungen in ihrem Kanton und Batallons⸗ 
und Exercierübungen in ihrem Bezirk mitmachen, deren Dauer 
während 5 Jahren nicht 2/3 Monate, während eines Jaähres 
nicht 25 Tage übersteigen daff. 
Paris, 10. Juni. Der Kaiser von Rußland wird morgen 
mit seinen beiden Söhnen Fontainebleau besuchen. Der Kaiser, 
der Prinz von“ Preußen und die sich augenblicklich in Paris auf⸗ 
haltenden Prinzen werden den Kaiser Alexander auf diesem Aus— 
luge begleiten. Abends wird der Kaiser mit seinen Söhnen 
auf der Gürtelbahn sich aaf die Nordbahn begeben, um nach 
Darmstadt abzureisen, wo er zwei Tage zu bleiben gedenkt; von 
da geht er nach Stuttgart, wo er gleichfalls 2 Tage bleiben will. 
In fünf oder sechs Tagen werden Kaiser Alexander und seine 
heiden Söhne in Berlin sien. — J— 
Wie der „Etendard“ meldet, wird der König von Preußen 
Paris am 14. Juni verlassen. Er wird mit der Sraß burger 
Bahn reisen, weil er nach Carlsruhe zu gehen gedenkt, um mit 
dem Großherzog von Baden eine Zusammenkunft zu haben. 
England. 
Londan, 10. Juni. Um die Mitte des Monats Juli wird 
eine große Flottenrevue stattfinden. Der Herzog von Buckingham 
ist in einer Spezialcommission an den dänischen Hos 
gereist. 
Italien. 1 
Florenz, 8. Juni. Morgen Abend findet zur Berathung 
äber den Entwurf für Liqnidation der Kirchengüter eine 
Tommissionssitzung statt. Die Annahme desselben ist sehr zwei— 
jelhaft. — 
— Der Papst, der jetzt 75 Jahre alt ist, wird am 16. Juni 
25 Jahre lang regiert haben. Unter den 259 Pädpsten, die seit