Full text: St. Ingberter Anzeiger

Ueber-daz Fisenbahnunglũd auf der badischen Siation 
Qurg berichtet ein Augenzeuge: Der Zug war um weniqe 
Rinuten nach⸗ 4 Uhe Rachmtitags in Murg eingetroffen. Die 
hersonenwagen waren wie gewöhnlich an Sonne und Feiertagen 
choner Witterung mit Menschen beinahe überküllt. Viele wollten 
siet s zund einsteigen, wodurch die Abfahrt büber die vorschrift⸗ 
Zate kine Minuͤte Aufenthalt) petzögert wurde Wahrtend 
—* Drangens auf der sehr beschränkten Bahnhofräumlichkeit fuhr 
in Ertrazug, bestehend aus der Maschine Katzenbuckel“ und dem 
Tender, in der gleichen Richtung mit erhöhter Geschwindigkeit 
herz!ebzerfolgte ein sarchtbarer Auprall, den das Echo der be⸗ 
achbarten Schweizergebirge schaurig wiedergab. Staub und Rauch- 
wollen verbreiteten sich nach allen Seiten, und erst nach einigen 
jugenbliden hörtr· man im JInnern der Wagen Eestöhn und 
— wohl an G0 Personen mit leichteren Verwun⸗ 
zungen suchten jetzt das Freie zu gewinnen; eine Person wurde 
at'(es ist die 27 Jahre alte Holzhändlerstochter Veronikn Ebnen 
don Murg, die eben eingestiegen war) und 12 andere schwer ver⸗ 
pundet aus und unter den Trümmern dreier Wagen hervorgezogen 
ind in die benachbatten Gasthoͤfe verbracht. (Einer der Verwun ⸗ 
seen, Gärtnet X. Dossenbach von Sücingen, statb während der 
Opparation der Schenkelartikulation.) Ueber die Schuld des 
Meschinenführers, welcher die, vorausgegebenen Nothsignale unbe⸗ 
rügsichtigt ließ, wollen wir die zuständigen Behörden richten lassen; 
er nicht viel fehlte und es wäre denselben auch dieses erspart 
vorden, indem die umherstehenden Menschen denselben lynchen 
vollten, was nur mit vieler Mühe verhindert werden lonnte. Nicht 
—E— 
quch scher verwundeten Hrn. Medicinrath Ruff aus We übergehen 
welcher den zuerst herbeigekommenen Arzt Jrnbat,/ er möchte vor 
Allem die anderen Schwerderletzten besorgen 3er warte gern 
his zuletzt —2— 
f Bei einer in Szakbadat (Rumänien) ausgebrochenen 
biehseuche delretirte der Ortsvorstand. in der Ueberzeugung, daß 
die Seuche nur auf Zauberei beruhen könne, daß zur Abwehr der⸗ 
elben alle Männer uud Weiber im Dorfe der Ortschaft körperlich 
untersucht werden sollen, wer diet Hexenmeister und Hexen im 
dotfe sind. Das Resultat dieser sonderbaren Untersnchung war, 
daß 81 Indibiduen als erdächtig erklärt wurden; diese mußten 
dann einen Eid und das Verfprechen ablegen, daß sie ihre Teufels⸗ 
rünste künftig nicht mehr treiben werden. 5 
Salmon, der Vater von Victor Noir (der vom Prinzen 
Heler Bonaparte erschossen⸗ wurde) ist am 13. Mai gestorben. 
Zeine Familie ließ ihn in aller Stille begraben. Seine Partei 
jatte es ihm nämlich seht verübelt; daß ex die 25,000 Franken 
Schadenersatz, welche ihm das Gericht zusprach, angenommen hatte. 
dein einziges der radikalen Blätter erwähute seines Todes. Sal⸗ 
mon war bereits krank, als sein Sohn vom Prinzen erschossen 
vurde; dessen trauriges Schichsal war auf den Verlauf seiner 
krankhrit aber qhne Einfluß gebliebhen I 
f New h'rk 28. Mai. Hiesigen Blälkern zufolge wüthe 
in den Waäldern der Region Saguenay in Canada, einem Flächen⸗ 
aumr von 30 Meilen Länge und 5 Meilen Breite ein großes 
Feuer.“ Viele Menschen haben in den Flammen ihl Leben ver⸗ 
oten, und 300 Familien in dem Dorfe Saguenay sind durch den 
dtand arm und obdachslos gewoeden. — Das Repräsentantenhaus 
jat zur Ausrüstunge der“ amerikanischen Nordpol- Erpedtition 
100,000 Doslars bewilligt. — Im. Laufe voriger Woche kamen 
in Newyork: 12,000 Einwanderer aus Europa an. 
— — Si h 73 
3* J 22 A—— * J— 
7 Eandwirthschaftlicheesss. 
Jute. In gleicher Weise wie im Mitelalter die Cultur der 
eutschen Farbenpflanzen durch die Einfuhr des Indigos verdrängt 
wurde, wie später der Wolle durch die Baumwolle eine empfindliche 
Joncurrenz erwuchs, wie der Rapsbau durch die Eifuhr fremder 
deleuchtungs⸗ und durch die Entdecdung neuer Schmiermittel bedroht 
tschien, so scheint die deutsche Linnencultur, der Hanf- und Flachsbau 
jart bedrängt durch mancherlei neue Gespinnstpflanzen, inbesondere 
durch Inte, die jeht schon zum Theile bei der Anfertigung unjserer 
Ftucht und Mehl,äche mit verwendet wird. Sie ist, wie der 
flachs und Hanf, eine Bastfaser und stammt aus der Pflanzenfamilie 
Seide. Im südlichen Asien, ihrer Heimath, wo sie seit den ältesten 
deiten im Anbaue ist, erreicht sie als einjährige Pflanze eine Höhe 
vn 12 Fuß. Die Cultur dieser Pflanzen verursacht keine besonderen 
ochwierigleifen und die Ernten fallen sehr ergiebig aus. Die 
jasermenge ist bis 10 mal so groß, als die von Flachs und Hanf 
uf gleicher Fläche. Die in England mit dieser Pflanze ausge— 
ührten Acclimatisationsversuche haben keine Hindernisse gefunden, 
doch ist der Ertrag viel geringer gewesen, als er es im Heimath— 
ende dieser Pflanze ist. Wie Hanf und Flachs, so muß auch die 
Jute eine Röste durchinachen; es dauert dieselbe nach den Angaben 
dex Ichles nandw. Zeitjchrijt nur eine Woche uud wird einfach in 
der Weise durchgesuhrt daß man die geerntelen Stengeln von 
Blattern und Rebenzweigen befreit, in dicke, jedoch lodere Bündek 
usammenfaßl und in einen langsam fließenden Bach legt. Begünftigt 
zurch die hohe Temperatur. wird in kurzer Zeit eine derartige 
Aufloderung in den⸗Geweben. des Stengels hervorgerufen, daß 
ich der Bast schon in einigen Tagen in ganzen Stücken vom 
HSolzkorber trennen läßt. Die Abschneidung der Faser ist eine 
ehr einfache,““Ein“ Arbeiter steigte in den Bach/ in welchem die 
Hündel negen, und zieht? dene Faserbalge ponjedem. einzehnet 
Ztengel ab, ohne lehteren zu zerbrechen. Zur Bejseitigung des 
wa unhaftenden Schlammes⸗ und⸗ dert zerstöxenden Gewebe zieht 
er nun die Faser voch durch Wasser und schwingt wiederholt in 
die Luft. * Die so geiponnene Faser witd ans Ufer gelegt, um zu 
rocknen,/ und so verkaufbar zu —S Es ist gewiß das beste 
Zeugniß, welches man der Jute ausstellen kann, daß dieser Stoff, 
welcher vor einigen Jahrzehnten blos in den Museen belannt 
war nunmehr zu den wichtigsten Spinnstoffen zühlt umd daß der 
Zerbrauch an Ime jenen unserer einheimischen, jeit uralter Zeit 
Verwendung siehenden Waaren, Hanf und Fiachs, zu erreichen 
heginnt. In England erreicht die Einfuhr von Jute diejenige des 
Flachses und übertrifft diejenige des Hanfs. * 
Siand der FFräüche Biele Gegenden, insbefondere die 
Rheinlande ermangein immern noch des längst ersehnten Regens. 
Manche Culturen haben unter, der anhaltenden Trocenheit emnpfind⸗ 
lich zu leiden. Der Roggen, der noch nicht einmal zur Blüthe 
eiommen ist, fängt stark an von unten herauff weiß zu werden, 
so daß selbst jezt eintretender Regen taum mehr den bereits ent⸗ 
tandenen Nachtheil⸗ ausgleichen würde. Die Gerste ist dünn auf, 
Jegangen; manche Körner liegen“ noch im Voden, die wohl bei 
intreiender feuchter Witterung noch aufgehen wärden, wodurch aber 
ein sehr unegaler Stand der Grrste entstehen müßzte und deren 
Qualuat vermindern würde. Die Schoten des KRapses find klein 
und haben nur geringen Inhalt. Zweifelsohne wird der diesjäh⸗ 
rige Ertrag gering ausfallen. Sehr arm stehen die Futterkräuter. 
Die Wiesen zeigen einen dünnen und dabet seht flark⸗ schießenden 
Zrasbestand bei Mangel an Bodengras und der Klee, dessen Stand 
im Frühjahre zu den schönsten Hoffnungen, berechtigte, erscheint 
heilweise förmlich aus dem Boden gebranunt und eröffnet für den 
Uusfall des Ertrags schlechte Aussichten. Feuchnigkeitsniederschläge 
haben in Karnthen, Ungarn, ISiebenbürgen, theilweise in Bömen⸗ 
und Schlesien stattgefunden, in Folge dessen denn aus diesen Ge⸗ 
genden die Berichte über den Stand der Früchte sehr güustig 
lauten. * 
Volkswirthschaft Handel und Verkere. 
Stuttgatt, 1. Juni. Im Verlaufe der vom 29. Mai 
bis 1. Juni d. J. tagenden 4. Geueralversammlung des Verb an⸗ 
ydes Deuscher Muͤller und Mühlinteressenten in Stuttgart hatten 
die Verireler der verschiedenen Zweigverbände unter Führung ihres 
um die Sache hochverdienten Präsidenten, Herrn J. v. d. Wyn⸗ 
—V—— 2. Vorstand 
des bayer schen Zweigvereins von Nuruberg) Audienz bei dem Köe 
nig vnu. Würtemberg, und erfreuten sich einer höchst ehrendollen 
Aufnahme von Seiten des Monarchen, welcher den regsten Antheil 
an dem Streben und der Zukunft des gedachten Verbandes nahn 
und dieser Theilnahme bei dieser Gelegenheit Ausdruck verlieh.“ 
Dienstesnachrichten. 
Der Adbocat Friedrich Grost in Zweibrüden ist auf sein 
Ansuchen in gleicher Eigenschaft nach Kauiserslautern versetzt und 
an seine Stelle der geprüfte Rechtscandidat Karl Philipp Scholler 
von Ruchheim zuni Ädoccaten bei dem Bezirksgerichte Zweibrücken, 
ferner der Rechtscandidat nud Polizeianwalt Wilhelm Wenz in 
Speyer um functionirenden Staatsprokurator-Substituten beim 
Bezirtsgerichte Kaiserslautern und der Rechtscandidat Theodor 
Sauter in Zweibrücken zu functionirenden Staatsprncurador · Sub- 
iiuten beim Bezirksgeaichte Zweibrücde nernanut worden. — Zu 
Gerichtsvollziehern im rechtsrheinischen Bayern sind, außer den in, 
Nr. 85 bereits mitgetheilien, noch ernannt worden: der vormalzge 
Gerichtsboten ⸗Schreibgehife J. Guerrein in Hoͤdt nach Wunsiedel 
und der geprüfte Gerichtsboteneandidat Jacob Walter von Kirchheim⸗ 
bolanden nach Aschaffenbug. 
Gayerisches Voltsschullieb duch.) Das k. 
Staatsministerium des Innern für Kirchen und Schulangelegenheiten 
röͤffnet den k. Regierungen. Kammern des Innern, dann den 
Distrittsschulbehörden des Königreichs, daß das von dem baherischen 
Boilksschuliehrer · Verein herausgegebene Liederbuch fur Volksschulen 
I. uud 2. Abtheilung, Kempten 1870, Drud und Verlag von 
Tobias Dannheimer, in das Verzeichniß der zuin Gebrauche, der 
Schuler an den katholischen und protestantischen Vollksschulen ge⸗ 
zilligten Lehrmittel aufgenommen wurde.