Full text: St. Ingberter Anzeiger

zroelitiscte Geschäftalokale befinden — 27. März. Heute Nacht 
wied iholten sich die Erzesse in der Hirschstraße and deren Umgebung; 
dieselben rugen jedoch den Cbarakter eines bloßen Lärmmachens 
Die Polt, Udener, der Stadtdirektor und der Gouberneur wurden 
mit Steiuwarfen empfaungen. Das requirirte Miluar stellte die 
Orduun; ohne schwere Konflikte her. * 
— Die , Wiener „Deutsche Zeitung“ bringt in einem 
Genfer Bricfe über die gesteigerte ultramontane Agitation 
umserer Tage Enthüllungen aus dem ultramontanen Lager, 
aus welchen wir folgende Schlußsätze entnehmen: Bei allen 
groͤßeren Ereignissen, welche die jüngste Zeit bewegten, war 
überhaupt der klerikale Einfluß in einer Weise im Spiele, 
welche die meisten Katholiken auch nicht von ungefähr 
ahnen. Die Entzündung des polnischen Mufstandes im 
Jahre 1864 war einzig und allein das Werk der Curie, 
welche die Vermittelung der Tuilerien dafür in Anspruch 
nahm; das wissen die Männer der „polnischen National⸗ 
regierung“*?, die damals in der Rue de la Paix ihre Ver— 
jammlungen hielten; gar wohl. das wußte auch der Ora⸗ 
torianer Charles Perrand, Professor an der Sarbonne, als 
er auf jesuitischen Antrieb sein berühmtes Werk: „De la 
rosurrection do Ia Pologne“ schrieb. Die Hoffnung, die 
der Römische Stuhl auf: die Zertrümmerung der Nord⸗ 
mmerikanischen Union setzte, der Verrath, den die Kirche an 
Mexico beging,“ sind' schon heutzutage historisch; welchen 
Antheil leßtere an den Kriegen von 1866 und 1870 
hatte. läßt sich gleichfalls geschichtlich nachweisen. Und in 
diesem Style infernaler Politik sollte die Sache weiter 
gehen; das Hauptquartier aber, die große Coulisse, hinter 
der die unsichtbaren Hände agirten, sollte Genf sein. Aber 
die Dinge haben sich anders entwickelt. Durch den kirch— 
lichen Conflict der Schweiz ist das Ha ptquartier der kle⸗ 
rikalen Agitativn blokirt und die Coulisse zertrümmert 
worden, die Vorbereitung zur großen Kom'ödie kirchiicher 
Allmacht gerieth in's Stocken. Und da wir hoffentlich die 
Aufführung derselben niemals erleben, so mag es dem Pu⸗ 
hlikum vielleicht um so erwünschter sein, wenigstens dann 
und wann hinter die Coulissen zu schauen und einige 
VProben“ davon wahrzunehmen““ 
Frankreich. 
Paris, 25. März. Die Polizei hat gestern hierselbst zwöl⸗ 
Ldeute als Mitglieder einer geheimen Gesehschuft verhuftet, dei wel⸗ 
chhen wichtige Papiere gefunden wurden. Dem Moniteur zufolge 
sind unter den Zwölfen zwei Spanier, die sich Delegirte der Re— 
gierung von Madrid nennen und verschiedene von Garibaldi und 
Figveras unterzeichnete Beiefe bei sih führen. Andere Verhaf- 
hungen sollen heute noch erfolgt sein. 
(Marschall Bazaine.) Ein Pariser Telegramm des Man—⸗ 
Hester Guardian“ meldet: Marschall Bazaime hat sich geweigert, 
Geneial Cissey's Anerbieten, ihn gegen Ertheilung seines Ehren⸗ 
wortes in Freiheit zu setzen, anzunehmen. Er ist einer Frei⸗ 
sprechung gewiß. J 
Italien. 
Rom, 23. März. In Sessa Aurunca, Probinz Caserta, 
find große Unordnungen vorgefallen. Ein Steuerpächter wurde er— 
schlagen. Tie Bauern attaquirten das Kommunal˖ Gebäude und 
derbrannten die Steuer⸗Register. Aehnliche Unruhen sollen auch in 
Modica, Sicilien ausgebrochen sein. 
— 
Bermischtes. 
fMünchen, 19. März. (Kbln. Zeitung.) Vor dem 
Straubinger Bezirksgerichte hat dieser Tage der lehte Alh eines 
lener altbayrischen oder, um gerecht zu unterscheiden, speciell nieder⸗ 
bayerischen Kulturbilder gespielt. die L. Steub so vortrefflich zu 
childern weiß. Vor eswa elf Monaten hatie die Straubinger 
Liedertafel. Männer, Frauen und Kinder, einen Frühlings⸗Ausflug 
auf den Bierlellet eines Gräflich Bray'jchen Gutes gemacht, der 
g halbstündiger Eisenbahnfahrt don der Stadt erteicht wird. Die 
Bauernburschen der Umgegend Aberfielen die unschusdige Gesellschaft 
aus reinem Muth'villen, verwundeten eine Anzahl und wütheten 
mit Rndttein und Prügela so segt, daß ein geachteter Bürger der 
Stadt an den Folgen ftarb. In der lauge dauernden Unter⸗ 
juchung find Meineide üder Meineide geschwoten worden, und so 
hat soeben nur einen lleinen Theil det Schuldigen eine verhältniß 
maßig geringe Strafe treffen koͤnnen. Ein Zeuge, dem der Rechter 
wit Verhafiung wegen Meineids drohte, fürzie wie vom Schlag⸗ 
getroffen im Gerichtssaale zu Boden. Sel⸗stverständlicht läßt on 
Frömmigkeit und Kirchlichkeit dieser Wilden Nichts zu wünschen 
übrig. Ber diesen Gesellen hat das neue Reichsftrafgeseß mit 
einen Antragsnormen einen schweren Stand, da die Gewaltthatig 
leit und Rohheit des von den ultramontanen Blättern —XX 
Zraftadels mit der gefüllten Geldkatze“ Schritt zu halten pflegt. 
Sagt wan den niederbayrischen Bauern doch nach, daß sie, um 
zroß zu thun, nichl jelten zu ihrem Kase oder Schweinebraten — 
Zanknoten verzehren. Auläßlich des Staäßklirchener Landfriedent. 
sruches erinnert man sich einer Landessitie, welche vor einigen 
Jahren die Bauernburschen aus der Nahe Straubinas gegen bie 
idotischen Spazierganger, Frauen und Manner, ins Werl ju 
setzen liebten. Der Uebermuth des läudlichen Kraftadels wang 
die „Stadtleute“ durch Androhung oder Zufügung von Mißhand. 
lungen, über einen Stock zu springen. Wenn aber das Ver⸗ 
mügen sehr hoch gehen sollte, warf man den Ueberfallenen wohl 
auch kurzer Hand in die Donau. Ein im Griff seststehendez 
Messer ist der tägliche Begleiter des niederbayerischen Raufboldes, 
and rauflustig sind sie fast alle. Dagegen ist über eine Abneigum 
der Geschworencn, welche regelmäßig den älteren bauerlichen Kreisen 
ingehören, das verdiente Schuldig auszusprecheu, nicht zu klagen. 
—AVL 
echt wohl. Bisher haben die Pfarrer das große Wort gefuaͤhrt, 
ohne Etwas zu erzielen, uad welche Prachtexemplare der uieder⸗ 
ayerische Klerus aufzuweisen hat, weiß man. Jetzt mag es der 
Staat einmal ernstlich mit der Schule und der allgemeinen Wehr⸗ 
oflicht versuchen, ob man nicht auch die Jugend dieses durchaus 
nicht unbegabten Volksstammes allmählich der Kultur und Zivili⸗ 
ation g winnen kann. Als Illstra ionen zu einer echten nieder⸗ 
ayerischen Dorigeschichte kann übrigens die neuliche Gerichtsder⸗ 
zaudlung vortrefflich dienen. 
fStuttgart, 26. März. In Folge eines persönlicher 
Streites zwischen einem Soldaten und einem Civilisten (nach einet 
HVtittheilung soll der Soldar in dim Laden eines Kleiderhändlert 
mißbandelt worden sein) fanden gestern von 3 Utzr Nachmittagt 
an Vollszusammenrottungen in der Hirschstraße Statt. Nach De— 
nolirung eines Ladens säuberte das Militär den Marktplatz und 
perrte die Hirsostraße ab. Eine Reiterschwadron besetzte den 
Viarktplatz. Gegen 11 Uhr Rbends zeigten sich neue Ansammlun⸗ 
zen, jedoch ohne erusteren Conflikt mit dem Militär zu veranlassen. 
Wegen Ausschreitungen durch Fenstereinwerfungen und Steinwürhe 
zegen die Polzei sind zahlreiche Verhastungen vorgerommen worden, 
deute Vormitiag fanden neue Ansammlungen in der Hirschstraße 
Statt. Der Ober⸗Bürgermeister wird den Sachverhalt durq 
Plakate veröffentlichen, wonach der gestern todtgesagte, übrigent 
nicht verletzte Soldat allein schuldig sein soll. Verstärlte Erneuer⸗ 
ung des Auflaufes wird für heute Abend befürchtet. 
fStuftgart. 27. Marz. Die Veranlassung zu den 
zestrigen Exzessen la; nach dem Schwäb. Merkur“ in sol endem 
Vorgang: Ein Soldat hatte mlt einer jüdischen Kleiderhündlern 
m Laden derselben Streit bekommen; er wurde auf Ansuchen det 
Hdausbesiers von der Polizei aufgefordert, den Laden zu verlassen 
und, als er sich wiedersetzte, verhaftet, Es sammelte sich eine Menge 
Menschen. darunter viele Soldaten, dor dem Hause; unter dem 
RKufe: „Der Jud' muß heraus! suchten wiederholt Einzelne die 
Fensterladen aufzureiß n. Anlaß zu der roßen Ercegung der 
Nenge gab das falsche Gerücht, der Soldat si an den bei feinet 
Berhaftung erlitienen Verletzungen gstorben. Um 8 Uhr Abendt. 
Als die Polizei der Menge richt mehr Herr werden konnte, wurd⸗ 
Mititar gerufen. Die Menge zog sid nun in bdenachbarte Straßen 
jurück und warf dort mekreren jüdischen Hausbesißtin die Fensier 
ꝛin. Erst nach Mitternacht wurde es ruhig. 
f* Berlin, 81. März. Am vergangenen Donnerstag passirn 
ein Invalide vom 24. Infauteri⸗eRegimente Berlin. Viühsan 
ichleppie er sich dis zum Denkmal Friedricbs des Großen. Unter 
en Linden, um den Kaiser zu sehen. Dieser bemerlie, wie Fig 
er zahlt. auch sofort die leidende Gestalt und winkte dem Krieger 
hereinzulommen. Wabrend der Gerufene fich beeilte, dem kaiserl 
Befehle Folge zu leisten, ließ ihn Se. Majeftät nicht aus den 
Augen und überzeugte fich dadurch, wie traurig e6* mit der kbr 
zerlichen Beschaffenheit des Soldaten beflellt war. Am Porial 
des Schlosses angelangt, wurde ihm zwar der Eintritt von dem 
Portier und der Dienerschaft verwehrt, es erschien aber der dienf 
huende Leibjäger, der den Invaliden in das Zimmet des Kaisen 
ührte. Se. Maj. fragte ihn, in welchen Schlachten er verwunde 
vorden sei, worauf die Antwort erfolgte; in denen an der Loitt. 
nit dem Hinzufügen, daß er seit dieser Zeit schwer verwundet ia 
Privatpflege dei dem Geh. Sanitatsrath Aschoff — also —X 
und 6 Monate fich befunden habe und nim im Begriff fei, nad 
einer Heimolh in Pommern zu reisen. Der Kaifer defahl ihm, der 
Mantel zu offnen, wobei sich zeigte, daß der Invalide mehrfach 
decorirt war und auch die Feldzüge don 1864 uUnd 1866 mitgt