St. Ingberler Anzeiger.
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M 197. Sonntag, den 10. December 1876.
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Deutsches Reich.
Speyer, 8. Dez. Der Landralh hat der Umwandlung
der Gewerbschulen in Gkursige Realschulen zugestimmt und die be—⸗
treffenden Mittel bewilligt.
Berlin, 7. Dez. Die Rede des Fürsten Bismarck in der
ODrientfrage hat den Berliner Telegraphendraht stark in Contribution
gesetzt. Seit der Rede Bismarcks über die Annex'on Elsaß und
Lothringen im Jahre 1872 und dem Siegeseinzuge der deutschen
Trupper. ist hier eine so starke Depeschenausgabe nicht vorgekommen.
Eine vorlaufige Berechnung auf dem Haupttelegraphenamte gibt die
Wortzahl der Telegramme, welche die Rede des Reichskanzler nach
allen Weltgegenden, insbesondere in diplomatischer Mission und au
die verschiedenen polit schen Zeitungen, verbreiteien, auf 38,980 an.
In unverkürztem Wortlaut (derselbe enthält nach einer ungefähren
Schätzung 45600 Worle) ging die Rede an die „Kölner Zeituig,“
die Times“, die „Dasy News“, dio „Indepedance Belge“ und
an zwei Wiener Zeitungen ab. Mehr als 350 Telegrammie, welche
die Rede Bismarcks zum Inhalt hatten, waren Börsendepeschen. Bis
spät in die Nacht hörten die Aufträge nicht auf und beschäftigten
unausgesetzt das in dieser Voraussicht verstärkte Perfonal.
NAusland.
Wien, 7. Dez. Der „Presse“ zufolge soll die Vorconferend
in Konstantinopel am nächsten Dienstag eröffnet werden; am Sams
tag bereits würde eine gemeinsame Besprechung der Mitglieder der
Conferenz statifinden.
Aus Pest, 4. Dez., wirb der „N. 3.“ gemeldet: Im gegen⸗
wärtigen Augenblicke ist der populärste Mann in Ungarn weder
Graf Audrassy, noch Tisza, sondern Fürst Bismarck. Selbverständlich
legt sich jedes Parteiblatt die bei dem parlamentarischen Diner
gefallenen Aeuperungen des Fürsten über die Orientfrage und
Oesterreich Ungarn in dem Sinne aus, wie dies den Wünschen
und Bestrebungen einer jeden Partei am besten entspricht. Die
magyarischen Chauvins möchten sofort gegen Rußland vom Leder
ziehen, denn sie meinen Oesterreich Ungarn könne durch den Krieg
gegen Rußland nur gewinnen, indem die Integrität der Monarchie
für alle Fälle garantirt sei. Dageigen ist man in den gemäßigten
streisen durch die Aufschlüsse des Fürsten Bismarck noch friedlicher
gestimmt, als früher, da nun die geheimen Befürchiungen, daß ein
eventucller Sieg Rußlands in einem localisirten russisch-türkischen
Kriege für die Machtstellung Oesterreich Ungarns gefährliche Folaen
nach sich zieh mm könnte, geschwunden sind.
Bukarest, 7. Dez. Unter der Bevoͤlkerung, insbesondere der
der Donaustädte, ist Fercht vor einem Einfall der Türken ein⸗
gerissen, viele Familien flüchten. Der „Romanul“ brachte gestern
und heute deruhigende Artikel: in welchen diese Furcht als un⸗
begründet bezeichnet wird, da die Beziehungen Rumäniens und der
Türkei die allerbesten (7) seien.
Petersburg, 7. Dez. Die russische Regierung versandte
rine Instruktionsdepesche an ihre diplomatischen Agenlen bei den
Großmächten, in welcher sie ihre Botschafter auweist, die Otkupation
Bulgariens als unvermeidlich hinz stellen, nicht nur, um die Re⸗
formen für die christlichen Bevölkerungen zu garantixen, sondern auch,
um neue Christen-Massacres wirksam zu verhüten. Separat Ver⸗
handlungek zwischen Rußland und England führten dazu, daß das
Kabinet von St. James versprach, der Pforte anzurathen, gegen
eine in solcher Wesse motibirte Okkupation jeden bewaffneten Wider⸗
stand aufzugeben.
Vermischtes.
St. Jugbert. Eiu Brief von einem Mannheimer Hause,
der an einen hiesigen Geschäftsmann adressirt sein sollte, dessen
Adresse jedoch irrthümlich geschrieben:
Herrn E. Grewenig
in Et. Grewenig
machte eine famose Reise, die nicht weniger ala OMonate
dauerte, dis derselbe nach und aus Greweno in Albanien über
Konstantinovel an seinen Aussteller nach Mannheim zurückkam.
„Mannheim, 4. Dez. Hier fand sich vorgestern ein zu⸗
gereister Arbeiter auf der Polizeiwachtstuke mit der Selbstanklage
rin, daß er soeben auf der Rheinbrücke seinen Begleiter, mit dem
er in Wortwechsel und dann in Thätlichleiten gerathen, mit dem
Stocke so uuglücklich an den Kopf getroffen habe, daß derselbe todt
niedergestürzt sei; die Leiche habe er in den Rhein geworfen. Bis
jetzt ist diese nicht aufgefunden worden.
Am 1. d. M. wurde polizeilicherseits die Zahl der Fuhr⸗
werke festgest Ut, welche durch die engen, vielgewundenen Thor⸗
passagen der Stadt Köhn ihren Weg nahmen. Nach dieser amt⸗
ichen Aufnahme fuhren aus der Stodt nicht weniger als 2828
dast- und 505 Fersonenfuhrwerke. im. Ganzen also 3333 Gefährte.
Die von außerhalb eingetroffenen Fuhrwerke sind in dieser Ziff⸗er
nicht mit aufgezählt. Angesichts dieser Thatsache ist wohl die Frage
erlaubt, schreibt die „K. Z.“ : „Wird denn nicht endlich die längst
ingestrebte Niederlegung der jede Ausdehnung unserer Stadt un⸗
nöglich machenden alten Festungsmauern und der den Berkehr im
zöchsten Grade beengenden Thotburgen und Thorpassagen verwirl⸗
icht werden?“
Ein tragikom'scher Unglückssall — so erzählt der „O.
B.“ vom Blauen — passicte dieser Tage einem , Weinverbesserer“,
welcher, um den „Neuen? auf eine höhere Stufe zu bringen, dem⸗
selben ein ziemliches Quantum Spiritus zugesetzt haite. Aber der
Mensch versuche die Götter nicht! Der korrigirte „Neue“ lag an⸗
che nend ruhig und harmlos, sich dem Prozeß der Gährung über⸗
'assend; tief im Innern jedoch brütete er Rache. Die Zeit der
Bergeltung ließ nicht warten. Eines Tages, nichts Böses ahnend,
aht sich der „Weinverbesserer“ dem Fosse, bewaffnet mit einer
‚weiten Flasche Spiritus. Jetzt ward es dem „Neuen“ doch zu
»unt — mit Gekrach sprengte er die bölzerne Hülle, den Ver⸗
ʒesserungslustigen mit einer wahr n Sündfluth seiner trüben Flüssig⸗
eit, vermischt mit den Bruchtheilen des zertrümmerten Fasses, über⸗
chüttend. Seither liegt der Verunglückt“ wund darnieder. Nebmt
in Exemvpel d'ran!
f Scit Wochen ist Paris durch eines jener außerordentlichen,
anheimlichen Verbrechen aufgeregt, deren Scheußlichkeit Alle empört,
ind die mit einem Dunlkel umgeben sind, wie dies nur iu großen
Ztädten möglich ist. Unterhalb Paris, bei Saint-Quent, wurde
er in Stüce zerlegte, der Eingupeide entledigte Körper einer elwa
30 Jahre alien Frau aus der Seine gefischt, worin derselbe kaum 24
Ztunden verblieben sein konnte,eteotz der dicken Steine, welche an
enselben gebunden waren, um ihn auf dem Gtunde des Flußbettes
u erhalten. Ueber eine halbe Million Meuschen haben die Leiche
n der Morgue gesehen, wo jetzt noch eine zum Vetwechsein ähnliche
Maske ausgestellt ift. Das Bild derselben ist in mehr als einer
Nillion Exemplaren im ganzen Lande verbreitet worden, und trotz⸗
em ist es nicht gelungen, die perfönlichen Verbältnisse der Ermor⸗
eeten festzustellen. noch weniger den Mörder zu entdecken. Ein
dienstmädchen erklärte, die Geordete sei ihre Landsmännin heihe
Flemence Barbara und habe als besondere Kennzeichen ein Mutter⸗
nal an der Stirn unter den Haaren und außerdem an den beiden
dänden den kleinen Finger etwa einen Centimeter kürzer, als das
Zerhältniß erfordert. Man führte sie des Nachts bei Lampeuschein
n den schaurigen Raum zu der Todten und hier bestätigte sie von
steuem ihre Erkennung; die angegebenen besonderen Merlmale
anden sich genau, wie sie dieselbe im Voiaus beschrieben. Es bleibt
zie Frage, wer ist der Moͤrder? Und um dies zu ermitteln, muß
uerst festgestellt )erden, wo sich die Gemordete in den letzten drei
Monaten aufgehalten, während deren sie ihrer Landesmännin un⸗
ichtaar gewe n. Namen und Adresse der Dienstherrschaft ist bald
Jefunden, Polizeikommissär und Untersuchungsrichter eilen hin. Aber
dier tritt ihnen die wirtliche Clemence Barbaro leibhaftig entgegen;
ie hat mit der Gemordeten nicht nur eine täuschende Aehnlichkeit,
sondern auch die bezeichnelen besonderen Merkmale gemein! Der
Mördee ist noch nicht entdeckt.
Wie aus London telegraphirt wird, wüthen seit Sonn⸗