Full text: St. Ingberter Anzeiger

Slf. Ingberler Anzeiger. 
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M 2. 
Samstag, den 6. Januar 1877. 
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Deutsches Reich. 
München, 1. Jan. Das münchner demokratische Organ, die 
„Süddeutsche Post“, theilt mit, daß G. Friedr. Kolb die ihm von 
der Volkspartei angetragene Candidatur abgelehnt und ebenso Herr 
seröber eine solche ausgeschlagen habe. So weit wäre die Nachricht 
ziemlich unecheblich, denn die Volkspartei hat in München nicht die 
entfernteste Aussicht, durchjudringen; aber wichtiger ist der zweite 
Theil des betreffenden Acrtikels, da derselbe, indem er troß der ei⸗ 
genen Candidatenlosigkeit dringend zur Theilnahme an der Wahl 
aufforderl, die Simmabgabe empfiehl für jeden Andern, nur für 
keinen Nationalliberalen. „Jedermann eile zut Wahlurne und gebe 
zunächst dem Cand'daten seiner Pattei die Stimme. Gehört aber 
der Wähler keiner Partei an, oder stellt seine Partei keinen Caudi⸗ 
daten auf, dann wahle er Alles, nur keinen Nationalliberalen.“ 
Das bedeutet also eine Verstätkuag der ultramontanen oder social- 
demokratischen Partei, die unter Umständen bedenklich werden kann. 
Mäünchen, 2. Jan. Gestern Vormittag zwischen 8 und 9 
Uhr passicten 3 Bataillone österreichische Infanterie per Bahn die 
hiesige Stadt. Dieselben kamen von Bregenz und sollen, wie sich 
die Mannschaft äußerte, dirckt nach Semlin gehen. 
Berlin, 2. Jan. Der bis zum 1. Marz d. J. verlängerte 
Waffenstillstand zwischen der Türkei, Serbien und Montenegro hat 
den Ausdruch des russisch-türkijchen Krieges zwar hinausgeschoben, 
aber die Vorbereitungen nicht verhindert, welche im großartigsten 
Maßstabe von beiden Siiten für die Eröffnung des Feldzuges ge⸗ 
troffen worden. Die russische Südarmte ist durch die Herstellung 
eines aus drei Din sionen bestehenden Reservecorps und darch die 
Hälfte des russischen Gardecorps veistärkt worden, außerdem ist die 
Mobilisicung von weiteren vier Armeecorps beschlossen worden, so 
daß Ende Februar reicht'ch 300,000 Viann in Bessarabien und 
am Pruth concentrirt sein werden, der Truppen nicht zu gedeuken, 
welche zur Verwenzung auf dem Kriegsschauplatz bestimmt sind. 
Aber auch die Türkei rüstet gewaltig zum Eutscheidungskampf und 
die mohamedanische Bevöiterung in Asien wie Earopa legt eine 
Opferwilligkeit an den Tag, die nahezu beispiellos genannt werden 
tann. Die Tüsken leben der Ueberzeugung, daß sie auch ohne 
Verbündete mit den Russen fertig werden und der bis zum äußersten 
entschlossene neue Großbezier Midhat Pascha wird alle Vorichläge. 
die etwa von der Türkei noch gemacht werden sollten,, etschieden 
ablehnen. Diese kriegerische entschrossene Haltung scheint kenner 
Macht willkommeneuer zu sein, als Oesterreich- Ungarn. Die Re— 
gierung desselben gibt sich zwar den äußeren Anschein als ob sie 
in Gemeinschaft mit Rußland und Deuischland die orientalische 
Frage behandle, in Wirklichkeit aber ist sie mit der Türkei einver⸗ 
flanden und würde der ungarischen Stimmunz aus vollem Herzen 
nachgeben, wenn sie nicht jeßzt noch d'e Politik der gebundenen 
Marschroute einzuhalten hätte. Im Uedrigen geschieht weder von 
Wien, noch von Pest aus dos Geringste, um de eine gewaltigere 
Dimension anzuneymende Bewegung in Ungarn einzudammen. Im 
Begenth il wird behauptet, die ungarische Regierung sei vollkommen 
damit einverstanden, daß der Agitator Kossuth, der alle Hebel in 
Bew gung setzt, um die Maghenen zum Kriege gegen Rußland zu 
jreiben, wiedet nach Ungarn zurückkehre. Auf diese Rücklehr scheint 
die Presse in ganz Oesierreich das größte Gewicht zu legen, da 
fast fammtliche Blatter sich mit derselben eifrig beschäftigen. Wir 
dürfen daher auf die Eutwickelung der Dinge in Ungarn für die 
nächste Zeit einigermaßen gespannt sein. Ensiweilen dürften wir 
hoffen, daß auch hier das alte Sprich wort sich bewahren wird: Es 
wird Nichts so heiß gegessen, als es gekocht wird, denn die Magyh⸗ 
aten sind ohnmächtig, wollten sie in die Speichen des rollenden 
Kades der Weltgeschichte fallen und ihre Sonderinteressen zum Gesetz 
II 
Betkin, 3. Jan. Die „Prov. Corresp.“ meldet, daß die 
Eröffnung des preuß. Landtags am 12, Januar erfolgen wird; 
— wirde der Kaiser in Pecson den Erössungsact vor 
lehmen. 
Der Kaiser hat gestern (2. d.) Nachmittag eine Konferenz mi 
dem Fürsten Bismark gehabt. Man glaubt, daß die Wendung 
die die türkischen Angelegenheiten neuerdings 2genommen, Gegenstand 
der Unterredung gewesen ist. 
Straßburg, 2. Jan. Für die Beurtheilung der finan⸗ 
iellen Lage von E:saß Lethringen ist es von Interesse, die der⸗ 
nalige Steuerbelastung des Reichslandes mit derjenigen von Frank— 
eich zu vergleichen. In Frankreich sind nach dem Etat sür 1877 
nitlels der diretten und indirekten Steuern und der Staats wonopole, 
venn man bei lezteren die Kosten der Rohmaterialen ausscheidet, 
in runder Summe aufzubringen, 1,900,000,000 Mark. Nach 
Verhältniß der Volkszahl würde Elsaß-Lothringen bei dem gleichen 
Abgabesystem in Wege der Besteurung jährlich aufzubringen haben, 
78,194.000. Im Deutschen Reich beträgt nach dem Etat für 
1876 die gemeinschaftliche Einnahme an Zöllen, Rübenzucker⸗, Salz⸗ 
ind Tabalsteuer, so wie an Abgaben vom Branntwein 224,000,000. 
diervon kommen nach Verhältniß der Volkszahl auf Elsaß-Lothringen 
3,530000. Es treten weiter dinzu der Betrag der in Elsaß⸗ 
Lothringen erhodenen Wechselstempelsteuer mit 298,000, die direkten 
und indirekten Landessteuern von Eisaß-Lothringen mit 22,232, 000. 
Bibt zusammen eine Steuerbelastung von 31,057,000. Gegenüber 
»bigen 78,194,000 zaählt also Elsaß Lothringen gegenwärtig im 
Jahre weniger 47,137,000 Mark. 
Ausland. 
Wien, 3. Jan. Die „Polii. Corr.“ meldet aus Konftan⸗ 
inopel vom 2. Jan., daß angesichts der großen Spannung der 
jegenwärtigen Sachlage im türkischen Ministerrathe nicht mehr die 
volle Einigkeit herrsche. In Foige dessen drohe Midhat Pascha, 
velcher gegen jede Nachgiebigkeit sei, mit seinem Rücktritt. 
Die Aeußerung des ungarischen Minssiers Tisza bei'm Neu—⸗ 
ahrsempfang über die orientalische Frage lautete wörtlich: „Was 
sie Regierung anbelangt, so hat sie es bisher für ihre Pflicht er⸗ 
ichtet, wie sie es auch heute noch thut, die Jnieressen des Landes 
o zu wahren, daß auch der Friede des Landes gewahrt bleibe, 
ind wir werden auch küaftig diesem Ziele aicht hoffuungslos zu— 
treben. Wir können dies umsomehr thug, denn ich für meine 
Berson lebe in der festen Ueberzeugung, daß man Gut und Blut 
iner Nation weder aus Ehrgeiz, noch aus Ungeduld, ja selbst nicht 
aus einer noch so edlen und berechtigten Aufwallung gefährden darf, 
»aßß man dieselben nur dann in Anspruch nehmen darf, wenn die 
dechte und Juteressen der Nation und des Staates auf andere 
Beise nicht mehr vertheidigt werden können. (Langanhaltender 
Zeifall.) Ich glaube mich nicht zu täuschen, wenn sch annehne, 
»ß, je tiefer itgerd ein Land davon überzeugt ist, seine Regierung 
sabe Alles gethan, um sein Gut und Blut nicht mit außerordent- 
ichen Mitteln in Anspruch gebmen zu müssen, dieses Land um so 
»ece lwilliger jene Opfer bringen werde, denn es wird wissen, daß 
s dies aus keinem anderen Grunde, als lediglich und ausschließlich 
nn seinem eigenen Interesse thun muͤsse. (Lauter Beifall und Zu— 
timmung.) Gott sei Dank, diese Zeit ist noch nicht gekommen, 
uind wir habea die Hoffnung, daß unjer Streben von dem Erfolge 
zekroͤnt sein werde, daß ste überhaupt nicht komme. Aber wenn fie 
Ahen sollte, dann werden wir in dem Bewußtsein, Alles für die 
Bermeidung eiget folchen Ebenkualität gethan zu haben, mit vollem 
Beitrauen an die Nation appelliren.“ (Lange daueinder Beifall.) 
London, 3. Jan. „Reuter's Bureau“ meldet aus Kon— 
danlinopel vom 2. d.: Gestern nach stattgehabter Montagssitzung 
der Conferenz begad sich der Marquis Salisbury zu Midhat 
Pascha. Letzterer erklärte, er sei berein, seine Entlafsfung zu geben, 
denn er könne die mit der Unabhäagigkeit und Integrität der Tuͤrlei 
anvertraͤglichen Conferenzvorschlage nicht annehmen. Hierauf fand 
ein turkischer Ministerrath stati. Heute machte Midhat Pascha 
allen Bevollmächtigten Besuche. 
Konstantinopel, 2. Jan., Abends. Ueber die gest⸗ 
rige Usiterredung des Großocziers mit dem Marquus Sal'sbury 
meidet die „Agenee Hidbas“ noch Folgendes: Salisbury delonte