Full text: St. Ingberter Anzeiger

St. Ingberler Anzeiger. 
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M 79. Donnerotag, den 214. Mai 13377. 
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Deutsches Reich. 
Mänchen, 20. Mai. Die Eisenbahn;Expeditoren haben 
an die zuständige Behörde ein Gesuch eingereicht mit der Bitte 
um Verleihung pragmatischer Rechte und um Einvierleibung der 
Theuerungszulagen in den Gehalt. Die statuzmäßigen Postexpe⸗ 
diioren beabsichtigen nunmehr auch ein analoçes Gesuch zu instruiren. 
Berlhin, 20. Mai. Die Ausrüstung und Bexwaffnung 
des deuischen Landsturmes soll ähnlich derjenigen der preußischen 
Landwehr von 1813 eingerichtet werden. Als Bewaffnung erhalten 
die Mannschaften die in den Beständen vorhandenen nach Einfühtung 
des Mauser⸗Gewehres disponibel gewordenen Zündnadel⸗Gewehre 
und als Belleidung eine Blouse, ähnlich der der meclenburgischen 
Truppen. 
Berlhin, 20. Mai. Die Vorgänge in Frankreich lehren 
auns, auf der Hut zu sein. Die militärischen Ausgleichs maßregeln 
welche Feldmarschall Mouke so emsig für Eisaß Lothringen detrieb, 
obwohl sich, wie man behauptet, der Kaiser nur schweren Herzens 
eatschioß, seine Zustimmung zu geben, gehen jetzt ihrer Ausführung 
entgegen. In den ausschlaggebenden Militärkreisen ist beschlossen 
worden, zunächst, und zwar nicht im Herbste erst, die bestehenden 
Garnisonen in Elsaß-Lothringen zu verstärken, sowohl durch Comple⸗ 
tirung der bisherigen Kadres, als auch durch Heranziehung von 
Infanterie- und Kavollecie Regimentern aus den altländischen Pro⸗ 
binzen. Ferner ist nach der gewonnenen Ueberzeugung bei der 
Reise des Kaisers die Formation des elsaß-lothringischen Armee⸗ 
korps beschlossen worden. Das ist die Neuformation des loth— 
ringischen Infauterie Regiments Nr. 97, des unterelfässischen Regi⸗ 
ments Nr. 98 und des oberelsässischen Regimenis Nr. 99, des 
lothringischen Infanterie · Regiments Nr. 128, des elsaßlothringischen 
Infanterie Regiments Nr. 129, des untereifässischen Regiments Nr. 
130 und des oberelsassischen Regiments Nr. 131, der dazugehörenden 
Truppe von der Artillerie, von den Ingenieuten und dem Train 
und die Neubildung von vier elsaß lothringischen Kavallerie⸗Regi⸗ 
mentern, Ulanen und Dragon'rn. Es soll ferner ein lang gehenter 
Wunsch des Kaisers zugleich zur Erfüllung gebracht werden, nämlich 
die Neuformirung von zwei Garde Kavallerie-Regimentern, eines 
bierten Garde⸗Ulauen-Regiments und eines zweiten Garde-Hufaren⸗ 
Regiments. Das Alles hat der Berliner Correspondent der Neuen 
frelen Presse erfahren und unsere eigenen Informationen stehen dem 
nicht entgegen, obwohl unserr Officiösen diese Dinge nicht Wort 
haben wollen. Aber diese Aermste sehen eben nur so weit, als 
man ihnen zu sehen gestattet. Etwas fragwürdiger erscheint uns 
ein Brief, den Fürst Bitmarck an Graf Moltle gerichtet haden 
soll, als man ihm dessen so viel besprochene militärische Reichstags⸗ 
rede telegraphisch mitgetheilt. Dieser Brief lautet nämlich nach 
demselben Gewährsmann wie folgt: 
„Lieber Moltke! Meinen herzlichen Dank für ein rechtes 
Wort zur rechten Zeit; ich bin ganz und gar mit Ihnen einver⸗ 
standen; erwägen Sie mit dem König und Kamele, was Sie für 
noͤthig halten, und zögern Sie keinen Augenblick, denn wer kann 
uns verdenken, daß wir uns zur Zeit mit Regenschirmen versehen ? 
Man gewennt ja wohl auch in dem Maße die Achtung der Leute, 
indem man sie schlecht behandelt, und was kann uns Frankreich 
gegenüber Liebenswürdigkeit nützen? Man kann einen Hammel 
mit Hafer füttern, es wird kein Vollblut, die Franzasen leine ver⸗ 
nünfugen Menschen. Je länger ich in der Politikt arbeite, desto 
ziringer wird mein Glaube an menschlisches Rechnen. Rechnen 
wir auf den schlimmsten Fall, einen neuen Uebecfall, und wir kön⸗ 
nen uns nicht verrechnen.“ 
Wir möchten nicht die Bürgschaft für den Wortlaut dieses 
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prechen scheint, welche in Folge der neuesten „französischen Palasi— 
revolution“, wie Thiees den Sturz des Ministeriums Jules Simon 
bezeichnet hat, zwischen Frankreich und Deutfchland sich über kurz 
»der lang entwickeln dürfte. n GBerl. Tagebl.) 
Berlin, 20. Mai. Fürst Bismarck ist heute hier ganz un⸗ 
» erwartel eingetroffen. Wie lange er bleiben wird, darüber derlautet 
nichts. Man bringt sein plößliches Erscheinen natürlich in Ver⸗ 
zindung mit dem Minsterwechsel in Frankreich. Der Verkehr 
wischen Friedrichzruh und der Wilhelmstraße war in jüngster Zeit 
ehr rege. 
Ausland. 
.Wien, 19. Mai. Nach einem Münchener Telegramm des 
Fremdenblatts“ werden zu den militärischen Ausgleichsmaßregeln 
ür Eljaß⸗Lothringen auch bayerische Artillerie und Cavallerie heran⸗ 
ezogen. 
Wien, 20. Mai. Die „N. Fr. Pr.“ bringt heute die 
Mittheiluag, daß Munitiondtransporte für die rusfischen Truppen 
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iber oͤsterreichisches Gebiet gegangen seien. Sie nimmt an, daß 
zies mit Wissen der Regierung geschehen sei, und richtet daher an 
ieselbe die Frage, wie das zu der vor acht Tagen erlassenen Neu⸗ 
ralitaͤts proclamation stimme. 
Die Vorgänge in Frankreich, die der Entlassung des Mini⸗ 
leriums gefolgt sind, ertegen vatürlich eia großes Aufsehen in 
janz Europa. Für die innere Politik Frankreichs werden sie ziem⸗ 
ich allgemein als Vorboten eines Staatsstreiches betrachtet, nach 
Außen hin bedeuten sie die Lockerung der guten Beziehungen 
wischen Deuischland und Frankreich. Der Präsident der fran⸗ 
õsischen Republit wird die Kammern nur deshalb vertagt haben, 
im desto ungehinderter die weiteren Schritte und Maßregeln zur 
siederhaltung der repudlikanischen Partei unternehmen zu können. 
Daß diese Maßregeln nicht den Clerikalen, sondern den Gegnern 
erselden gelten, liegt auf der Hand, und eben deshalb weil die 
nüchste Eniwickelung der Verhältnisse in Frankreich auf eine Ver⸗ 
tarkunz des ultramontanen Einflusses abzielt, so wird man leider 
zur zu sehr berechtigt sein, eine Störung des bisher freundschaft⸗ 
ichen Verhältnisses zwischen Frankreich und Deutschland muthmaßen 
u müssen. In diesem Sinne wird denn auch die neue Wendung 
zer Dinge in hiesigen und parlamentarischen Kreisen aufgefaßt. 
Bukarest, 19. Mai. Nachdem die Donaustrecke von Reni 
»is Braila befestigt und mit 24pfündigen Batterien armirt ist, so 
daß ein Durchbruch der Türken an dieser Lin'e nicht zu besorgen, 
beginnen die bihher an der Donaumündung concentrirten Russen 
nach der oberen Donau abjzurũcken mit Zurüdlassung von 7 Regi⸗ 
mentern Jufanterie, 8 Regimentern Cavalerie, 11 Kosakenpulks, 
3 Feldbatterien und einem Sappeurbalaillon. Die Bewegung der 
cussischen Armee gehl gegen Oltenitza, Simnitza, Giurgewo. 
Konstantinopel, 20. Mai. Der Scheich ül Islam 
Ixroclamixt den heiligen Krieg gegen Rußland. Durch Erlaß des 
Sultans werden aud die Nichtmuhameder der Kriegsdienstpflicht 
interworfen. — Am Freitag sind 4 Transportschiffe, 4 Panzer⸗ 
regatien und 1 Aviso mit 10,000 Mann, 8s Batterien und 50,000 
ßewehren nach Suchum Kale abgesegelt. Fazly Pascha übernimmt 
das Comando des kaukasischen Expeditionskorpe. Schamyl's Sohn 
zefehligt die aufständischen Tscherkessen. 
Die Zahl der von den Türken in der Donau gelaperten 
Schiffe übersteigt 200. Die Schiffe waren im Ganzen mit etwa 
29,000 Hektoliter Getreide beladen. 
Nach einer Meldung der „Prefser aus Bukarest wurde 
ein Zusammenstoß zweier Essendahnzüge durch falsche Weichenstellung 
jerbeigeführt und haben dabei 16 Personen den Tod gefunden. — 
Der rusfische General, welcher bei dem Unglücke nachst Piteschti 
»en Tod fand, hicß Globiuskoi. Er commandirie die Truppen, 
welche bei Tucn⸗Severin Aufstellung nehmen werden. 
Ardahan, (lleine Festung nötdlich von Kars, am Kur) 
ist am 17. Mai vom General Loris-Melicoff eingenommen worden. 
Nach dem russischen Bericht hätten die Türken, als die Verthei⸗ 
digungswerle durch die Arlillerie erschüttert waren und die Rufssen 
sum Sturm schritten, die Flucht ergriffen, wobei sie von der Reilerei 
verfolgt worden seien. Den Verlust der Russen gibt Loris-Melikoff 
zuf 235 Todte und Verwundete, darunter 5 Offiziere an, die der