Slt. Ingberler Anzeiger.
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M 80. Samstag, den 26. Mai J B 1877.
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Deutsches Weich.
Mänchen, 23. Mai. Prinz Karl von Preußen mit
Hefolge ist soeben hier eingetroffen.
Aus Berlin, 22. Mai, meldet man der „Allg. Zta.“:
Es verlautet, daß ein Antrag Preußens an den Bundesrath bevor⸗
teht, die Uebertragung gewisser preußischer Stempelsteuern auf das
Reich ia Erwäqung zu nehmen und durch eine Commission tech⸗
aischer Delegirter der einzelnen Bundesregierungen ein entiprechendes
Stempelsteuergesetz unter Verüchsichtigung der Steuergesetzgebung
aller Bundesstaaten ausarbe ten zu lassen.
Berlin, 23. Mai. Mit der Anwesenheit des Fürsten
Bismarck hat sich ein überaus geschäftliches Treiben im Auswärtigen
Amt entwickelt. Der Fürst arbeitet viel und anhaltend mit seinem
Sotne, dem Geafen Herbert, und dem Legationsrath v. Honstein,
woraus sein persönliches Engreifen in die Geschäfte zu erkenuen ist.
Mit allen deuischen Botschaftern herrscht ein reger Depeschenverkehr,
besonders lebhaft, wie men hört, mit der italienischen Regierung.
ks ist davon die Rede, daß der diesseitige Botschafter in Rom,
Hert v. Keudell, welcher sich bereits auf Urlaub bifinmet und sich
in der Nähe von Wien auf dem Lande aufhält, in Kurzem auf
jeinen Posten zurückkehren würde. Wie lange Fürst Bismarck in
Berlin verweilen wird, ist, wie bereits gemeldet, noch völlig unbe—
stimmt. Es ist in diesem Jahre ein längerer Aufenthalt des Fürsten
in Kissingen beabsichtigt, wie es heißt, sechs Wochen; auch ist nicht
ausgeschlossen, daß der Fürst, falls er sich wohl befindet, nicht direkt,
nach Varzin gehen, sondern etliche Wochen im bayherischen Hochlaude
oder in den österreich soen Alpen zubringen wird. — Die Anwesen⸗
heit des Grafen Schuwalow in Friedrichsruh und Berlin bildet voch
wwer den Gegenstand lebhafter Unterhaltung in unseren politischen
Kreisen. Der Graf scheiut in ziemlich weitem Umfange Eroͤffnungen
über die Verbältnisse in London çgemacht zu haben, bei denen die
Hhaltung des östereich schen Botschafters Grafen Beust jedenfalls eine
dedeutende Stesle eingenommen hat.
Berlin, 23. Mai. Die offiziöse „Prov.⸗Corr.“ schließt
ne übersichtliche Darstellung der dem letzten Ministerwechsel in
Frankreich vernusgegangenen Umstäaden mit folgenden Sätzen: Die
Vertagung der Kammer;, der vielleicht eine noch nalige vierwöchent⸗
liche Vertagung folgen werde, könne nach Lage der Verhältnisse
nur die Enleitung zur Auflösung der Kammer und zu Neuwahlen
jein, wobei die alten Parteien und zugleich die Ultraämontanen die
im vorigen Jahre verlorene Herrschaft wieder erriugen wollten.
Die Einflüsse und Umstände, unter welchen die merkwürdige Wendung
in Fraukreich eingetreten sei, hätten namen'lich unter den obwaltenden
ruropäischen Verhältnissen die ernste Beachtung von allen Seiten
auf die weitere Entwickelung der neuen Krisis lexken müssen.
Der Kaiser gedentt am 5. Juni der Jubelfeier des Königs—
Grenadier Regiments in Liegnitz, am 10. Juni der Stiftungsfaer
des Lehrbatarllons in Potsdam beizuwohnen und dann am 13.
Juni die Reise nach Ems anzutreten.
Berlhin, 23. Mai. Direkte Nachrichten aus Athen wissen
nichts von etner bevorstehenden Kriegsertlärung an die Türkei und
vezweifeln deselbe stark. Das Gerücht scheint aus einer mißver⸗
tandenen Ansprache des Ministers enistanden zu sein, der die er⸗
legten Studenten beschwichtigen wollte.
Mainz, 18. Mai. In der heutigen Sitzung des großh.
Obergerichts wurde Herr K. Pröll, Redakteur des „Mainzer Tag⸗
bdlatis“, wegen Beleidigung des Bischofs und des Dr. Moufang
zu einer Gilostrafe von 600 M. verurtheilt. Das Bezirkssiraf
gericht hatte eine Strafe von 200 M. erkanut. (Frtf. J.)
NAuslaud.
Wien, 23. Mai. Die „Corresp. generale autrich“ meldet:
Das Petersburger Cabinet stimmte den Anschauungen der öster—
zeichischen Regierung zu, daß die Behinderung der Dampffchifffahrt
uuf der Donau nur so lange dauere, als die m'luarischen Opera⸗
onen dies unbebingt erforderlich machen. Die Zustimmung der
Pforte steht noch aus, weil Graf Zichy die diesbezügliche Note erst
getzt übergeben kounte; doch ist kein Zweifel, daß auch die Pforte
den Anschauungen des Wiener Cobinets beipflichten wird. 8
Paris, 23. Mai. Die Baissepariei berbreitet, England
jabe, auf Dikraelis Betreiben, den Vorschlag einer anglo⸗russischen
Berständigung behufs Lokalisirung des Krieges abgelehnt, dagegen
ei ein Einvernehmen zwischen England und DOefterreich für gewiffe
Fälle zu Stande gekommen. (Die Erfindung ist so ungeschickt,
daß nur sehr zarte Börsengemülher ihr zum Opfer fallen loͤnnen.)
Paris, 23. Mai. Rach der „Indep. belge“ soll Don
Tatlos verhaftet und angewiesen worden sein Frankreich zu ver⸗
assen. (Die spanische Regiernng hat sich bei der französischen über
einen Aufenthalt in Frantreich beschwert, weil sie Grund zu haben
zlaubte. er benütze ihn uar zu Umtrieben gegen König Alphons.)
Eine schärfere Verurtheilung des Vorgehens des Prasidenten
)er französischen Republit, als ihm Seitens der gisammien eng⸗
ischen Presse zu Theil wird, kann man sich 'kaum denken. Es ist
ezeichnend, daß selbst Blätter, wie der „Slandard,“ welcher daß
epublikanische Regime und Jules Simon insbesondere verabscheut,
aicht anstehen, zu erklären, daß Mac Mahon einen sehr unklugen,
venn nicht gar höchst gefährlichen Schtitt gewagt hat. Allein den
emerkenswecthesten Artikel enthält der „Economist“. Derfelbe
nacht um so mehr Endruck, da das genannte Blati stets mit der
rößten Mäßigkeit sich ausdrückt. Das Blatt fürchtet, daß das
onstitutionelle Leben in Frankreich gefährdet sei. Dann heißt ez
vörtlich: „In tiner Neuwahl liegt nicht viel Gefahr, allein man
nuß mit Recht befürchten, daß Aergeres im Hintergrunde sich
irgt, und daß Mac Mahon eine Bahn eingeschlagen hat, auf
velcher ein coup d'état der einzige Ausweg sein wird. Diese
Furcht gab wahrscheinlich den Worlen Gambetta's ihre Bitterkeit,
As er ein Tadelsvosum gegen Mac Mahon wegen seines incon⸗
titutionellen Vorgehens beantragte, obgleich gerade diese Sprache,
ie wir unter den gegenwärtigen Umständen nicht tadeln ldnnen,
dielleicht für die Rathgeber des Marschallz als Entschuldigung
ienen wird, auf ihrer gefahrlichen Bahn zu beharren. Ein weñeres
Inheil des von“den Wiarschall eingeschlagenen Verhaltens ist es,
aß ducch dasselbe die Gefahr eines auswältigen Krieges für Frank⸗
tich vergrößert wird. Odgleich der Präsident es für nöthig ge⸗
alten hat, zu versprechen daß er eine ultramontan⸗ Polink nicht
egünstigen wird, so haben doch ultramontan⸗ Rathgeber und eine
zattei, die sich auf die Ultramontanen flützt, üder ihn die Herr⸗
haft erlangt. Und diese werden versuchen, Frankreich für ihre
inenen Zwecke zu benützen. Solch eine Regierung wird Frankreich
iel eher in einen Krieg stürzen, als eine Partei, die wirklich die
vesinnung Frankreichs repräsentirt, und die keine eigenen finsteren
Ziäne hegt. Es ist Grund vorhanden zu fürchten, daß an diese
Minoritäts-Regierungen die Versuchung eines auswartigen Krieges
erantreten wird, um ihre eigene Partei zu consolidiren, allein
iese Regierung wird noch die besondere Versuchung haben, den
Fehler des deutsch französischen Krieges zu wiederholen, um die
iltramontane Macht in Earopa wieder herzustellen. Wir koͤnnen
nur gegen die Hoffnung hoffen, daß dem aufrichtigen, aber politisch
inwessenden Soldaten, der jetzt Frankreich regiert, in irgend einer
Weise begreiflich gemacht werden wird, wie schändlich niederträchtig
rin Versuch ist, eine ganze Nation in ihrer Politik zu betrügen,
und wie groß die Gefahren sind, in welche er durch seine Thorheit
»as Land stürzt. Wenn ihm sein Gewissen nicht erlaubt, Frank⸗
reich mit der vom Volk gewählten Majorilüt zu regieren, dann ist
s seine klare Pflicht zu resigniren und die Natton „sowie deren
Parlament ihren eigenen Weg gehen zu lassen.
Vondon, 283. Mai. Nach einem Spezialtelegramm des
ürlenfreundlichen Daly Telegraph sind die Tuͤrken bei Batum ein⸗
geschlossen. Ihre Situation erjscheint sehr gefähcdet.
London, 23. Mai. Der Manchester Guardian meldet,
die aufständischen Tscherkessen hätten den gegen sie gesandten russischen
Benetal Raschaff geschlagen. Ein am Freitag gemachter Verfuch
er Russen, die Stadt Suchum Kaleh wiederzunchmen, ist vollständig