Full text: St. Ingberter Anzeiger

Sl. Angberler Anzeiger. 
MW222— 
er St. Ingzberter Anzeiger und das (S mil wo hentlich) mit dem Hurptslalte verbuadene Uaterhaltungsblatt, (Sonntags mit illustrirter Bei⸗ 
age)/ ericheint wöchentlich viermal: Dienstag, Donnerstag, Samstag und Sountag. Der Abounementspreis beträgt vierteljährlich 
ari 20 R.⸗Pfg. Anzeigen werden mit 10 Pfg., von Auswärts mit 15 Pfs. fur die viergespaltenẽ, Zeile Blattschrift oder deren Raum, Neclamen 
mit 830 Pig. pro Zeile bercchntt. J 
2 
M 120. — J J Samstag, den 4. Aus ust — —8* * 1877. 
Armuth und Bettelei, wahre und falsche 
—775Wohlthätigkeit. 
8. Ol'Aus Annaberg meldetdas „Wochenblatt,“ daß infolge 
zs außergewöhnlichen Undrangs von Beitlern; namentlich sogenannter 
armer Reisender,“ ein dortiger Bürger folgende Ersahrung machte. 
nnerhetb 16 Taͤgen bot er 18 Betilern, welche ihn ansprachen, 
ler gesunden, kraftigen Burschen, Arbeit an und zwar eine sofort 
ia beginvende: Rasen ausstechen vor dem Hause, wofür täglich 1 
— außerdenu Frühstüch, Mittags⸗ 
d Abendbrod. Was geschah aber auf dieses gute Anerbieten ? — 
heu jenen 18 Leuten nahm nur ein Einziger an usded eser Eine 
ar ichon am nächsten Tage verschwuudren. 
Tem Annaberger Bürger kann man nur æin herzliches Bravo 
arufen, daß er diesen Versuch gemacht und das Ergebniß der Oef⸗ 
entlichkeit nicht vorenthalten hat. Der Vorgang bestätigt, was seit⸗ 
jahrzehnten so vielfach anderwärts, namentlich durch gemneinnützige 
eine, wie z. B. den Berliner „Verein gegen Verarmung,*. die 
Iohannesbrüderschaft des Rauhen Hauses in Horn bei Hamburg.“ 
uch viele staatliche Armenbehörden festgestellt ward:r daß die Muild⸗ 
häligkeit vom großen Publikum in eider nicht blos ganz nutzlosen, 
udcen geradezu schädlichen, unsittlichen Weise geübt wird. Turch 
lusstreuen kleinet Gaben wird keineswegs der Armuth entgegenge⸗ 
rTbeitet, sondern lediglich die Arbeitsscheu, der Bettel und das 
Strolchenthum groß gezogen. Wer eine gedeihlich wirkende Unter⸗ 
zützung gewähren kann und will, sei was er spendet noch so viel 
der noch so wenig, muß die wahrhaft hilfsbedürftige. Armuth 
rufsuchen, und wenn er das nicht recht anzufangen weiß, so 
tag er dabei Aerzte, Geistliche, Lehrer ꝛc. oder gemeinnützige Ver⸗ 
ne zu Rathe zichen. Was sich uns in Straßen und Häusern 
itelnd entgegendrängt, verdient durch die Bank keine Unterstützung. 
desto mehr der Hilfe Bedürftige und Würdige gibt es unter denen, 
ie ihre Roth n'cht durch Worte oder Geberden ausdrücken. Gesetzt 
edoch, unter hundert Straßenbettlern wären zwei oder drei wirklich 
aterstützungswerthe, so werden diese auch ohne Deine und meine 
habe nicht verlommen, weil sihh nun einmal das Almosengeben 
uf's Gerathewoht der Masse, namentlich den Frauen, nicht aus⸗ 
cven läßt. Oft ift ja bei dieser Art von Almosengeben unzweifel⸗ 
saft wahre Güte d'e Triebfeder, wohl noch häufiger aber spendet 
nan, um die lastige Heimsuchung los zu werden, oder um vor den 
igenen Kindern oder anderen Leulen nicht hart oder gar arm zu 
ijcheinen, oder aus Gedankenlosigkeit oder aus Besorgniß vor 
Frobheiten, auf dem Lande zuweilen aus Farcht vor rachsüchtiger 
zrandstiftung. Gegen die Letztere gibt es, sollle man meinen, 
men wirksomen Schild, odet vielmehr zwei Schilder: das eine 
iefert jede Feuerversicherungsanstalt, das andere lautet: „Mitglied 
es Vereins gegen Verarmung“ vnd ist von dem betreffenden Ver⸗ 
ine gegen einen mäßigen Jahresbeitrag zu beziehen. Beide Schil⸗ 
zer nebtneinander an der Hausthür angebracht werden ihre Wer⸗ 
ung schwerlich verfehlen. 
Gern sei hier zugestanden, daß es jedem nicht ganz Herzlosen 
afangs Ueberwindung kostet, d'e Bitte um eine tleine Gabe abzu⸗ 
eisen. Hat er sich aber erst klar gemacht, daß er durch solche 
heindare Barmherzigkeit nur das Lotterleben fördert, so wird er 
ald davon abstehen lernen. 
Zum Schlusse mag hier angeführt sen, was uns vor Jahren 
in Mitglied des italienischen Parlaments in Rom über den Genen⸗ 
and gesprächsweise sagte und weiter ausführte, als hier thunlich 
t: Glauben Sie mir, unter den vielen wunden Stellen an un⸗ 
cem herrlichen Lande ist die Bettelei eine der bösesten, ein rechtes 
Seilenstück zum Rauberunwesen, sogar theilweise Vorschule für dicses. 
Bie bet jenem in Lumpen gehülllen Weibe, welches uns soeben 
ien Arm mit einer ekelhasten Wunde entgezenstreckte, von der mix 
n Arzt versicherte, daß sie schon seit geraumer Zeit tünstlich offen 
chalten werde, um Almosen zu eischleichen, so wird einer der gar⸗ 
Gsten Schädein an unserem socialen Köcper, der Bettel, fort urnd 
ort erhalten durch' die von“allen Klassen geübte und don keiner 
Bolizei gestörte falsche Mildthätigkeit. “ * 
Die Greuel des Kriegss. 
.. Unter Stromen von Blut hat einst der Halb mond seinen Ein⸗ 
zug in die Länder der Christenheit-gehalten, und Stxbme von Blut 
sostet esihn schritiweise aus Europa wieder hinauszudrängen, da⸗ 
nmit die unter seiner Fremdherrschaft seufzenden Völler sich selbsl 
und der Gesittung wieder gegeben werden. Die Erloͤsung Bul⸗ 
Jariens ist heute von denselben entsetzenerregenden Greuelthaten 
hegleitet, wie vor einem Halbjahrhundert die Erlssung Griechens 
lands. Die Alien unseres Geschlechtes erinnern sich noch, wie auf 
die erste Kunde vom Aufstand in Morea die Christenmehzeleien in 
Koustantinopel begannen, wie der Sultaun selbst sich am Änblick deg 
aufgelnüpften Patriexhen, der griechischen Kirche weidete und 
essen Leiche in's Meer schleppen. üieß. Kehnliche Greuel 
reignetein sich an v'elen Otten, zumal nachdem die rusũsche Kriegs⸗ 
erklärung an die Pforte erfolgt war, zu Cydonza und Smhrno, 
nuf Cypern und auf Creta. Aber mil gleicher Wildheit und Er— 
itlerung rächten sich die Griechen an ihren bisherigen Unter⸗ 
»rückern, wo fie die Gelegenheit dazu fanden. Als am 5. Oktober 
821 die Banden des Kolokotronis der Stadt Tripolitza sich be· 
nächtigt hatten, richteten sie ein furchtbares Blutbad an, jeder 
Vinkel wurde nach Opfern durchsucht, kein Stand, kein Allter, lein 
ßeschlecht verschont; wer nicht sein Leben theuer an die habsüchtigen 
dlephtenführer zu verkausen wußle, erlag der Wuth der Griechen. 
Zierundzwanzig Stunden, rühmte sich Kolokrotonis, thätig gewesen 
u sein und erst in der 20. etwas Brod gegessen zu haben. Drei 
Tage währte das Brernen, das Plündern, das Morden. Kinder 
ind wehrlose Greise wurden vor dem Abzuge niedergemetzelt. So 
agen die Leichen gehäuft, daß Kolokrotonis p̃ferd „von den Mauern 
eis zu den Palästen nicht den Boden betrat“. Man gibt die Zahl 
»ex Umgekommenen auf 8-10,000 an; Kolokotronis selbst rechnete 
ie in Stadt und Umgegend auf 32,000. Diesilbe Wildheit eines 
eine Kette eudlich zerbrechenden Volkes zeigten die Griechen au 
eindern Orten: als sich Nabarin ergab, wurde der größte Theil der 
Zesatzung, dem Vertrag zum Trotz, unter nichtigem Vorwand 
niedergemacht und ein Rest auf die Felsen von Sphalteria ausgesehzt, 
vo sie den Hungertod starben. Aber das folgende Jahr war durch 
)ie blutig räbbende That von Chiss bezeichnet. Kapudan Pascha 
rschien vor der blühenden Insel mit 46 Schiffen und 7000 
andungstruppen. Die Haupisiadt wurde niedergebrannt, alle Ein— 
vohner getödtet oder zu Sclaven gemacht. Nach Verkündigung 
iner Amnestie fielen die Türken über die sicher gemachten Land— 
ewohner her und mordeten so fürchterlich, daß das Meer weithia 
ine blutrot e Farbe annahm. Selbst die Kranken in den Spi— 
älern wurden niederg hauen. Von 100,000 Griechen wurden nur 
0,000 gereltet, auf 28,000 schatzte man die Ermordeten, 47,000 
vurden auf die Sclavenmärkte von Konstantinopel, Alexaudria und 
Tunis gebracht. Aber aus diesen Blutthaten erwuchs die Freiheit 
non Hellad. Noch sind die Spuren der fürchterlichen Verheerung 
auge nicht getilgt, doch die Bedingung des Wiederauflebens, die 
Brundlage einer bessern Zukunft ist geg ben, überall sind die Au—⸗ 
änge erner neuen Gesittung, einer den europäischen Völkern eben— 
»üttigen Cultur erlennbar. Die Wildheit ungezügelter Leidenschaft 
sat den Boden bereitet, auf dem wieder die Bluͤme der Menschlich⸗ 
eit erblühen sollte. Das Eine, daß auf den edeln Säulen dis 
Parthenon das Zeichen des Halbmonds verschwunden ist, sagt alles: 
nach grauenhauften Schichsalen ist das der Barbarei entrissen und 
er Zultur wiedergeschenkt, vom Fremdjoch befreit und fich selbst 
urückzegeben worden. Jetzt braust der Erlösungssturm durch das 
ulgarische Land. Entsetzliche Gräuel von Seiten der bisherigen 
derren, wie von Seite dir die Ketten zerkrechenden Sclaven werden 
jemeldet und auf noch enltseßlichere darf man gefaßt sein: möge aus 
dieser Blutsaat gleichfalls eine bessere und gesichertere Zukunft her— 
norgehen. Die heultige Generation ist dem Untergange geweiht,