St. Ingberler Anzeiger.
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M 123. Donnerstag, den 9. Augqust 1877.
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Der Arbeitsmarkt.
8.0. Dem „Geweirkverein“ wird berichtet, daß die Arbeiter⸗
oerhältnisse in Sorau, Nicderlausitz, in den meisten Zweigen
sehr gedrückt sind. Am schlechtesten besinden sich daselbst die Stuhl⸗
arbeiter (Weber, Tuchmacher). Die mechanische Weberei beschäftigt
jast ausschließlich weibliche Arbeitskräfte und gewährt nur niedrigen
dohn. Dabei sind die Lebensmittel theuer und die Miethen hoch.
— In Rostock wird das gänzliche Darniederliegen der Schiff⸗
saahrt und des Schiffbau's beklagt. Auf Sch'iffswerften, welche
rüher über hundert Gesellen beschäftigten, finden nur noch einige
Wenige Arbeit. Infolge dessen liegen auch die meisten anderen
Beschäftszweige darnieder. Die Maschinenbaufabriken stehen fast
still. Auch auf dem Lande gibt es so viel Arbeitskräfte, daß nur
noch 1,80 bis 2 Mark pro Tag und halbe Kost gegeben wird,
während früher b's 4 Mark neben gauzer Kost gezahlt wurden. —
AUuch auf der Insel Zingst bei Barth i. Pr. wird über da: Dar—
niederliegen des Scheffsbau's geklagt. Der Lohn der Schiffbauer
daselbst beirägt 2,60 Mark pro Tag. Glücklicherweise haben die
meisten Männer Gelegenheit, zur See zu gehen und hierdurch für
hre Familie zu sorgen. — Die Arbeiter in den opt'ischen Fabriken
von Ratheno w sind rege beschäftigt und verdienen wöchentlich
12-20 Mark. Auch in den übrigen Erwerbszweigen fehlt es
nicht an Arbeit. — Die jüngsten Berichte der großen Berliner
Maschinenbauanstalten lauten vicht erfreulich. Das Jahr 1876
haͤhlt für den Maschinenbau zu den ungünstigsten. Während Borsig
i875 166 Locomotiven baute, sank seine Production 1876 auf
30 Locomotiven. Aussichten auf besseres Geschäft sind nicht vor—
handen. — Dagegen sind nach dem Bericht der Offenbacher
dandelskanmer in den Jahren 1875,76 nicht weniger als 85 neue
Fabrikgebäude aufgeführt worden, ohne daß während dieser Zeit
rgend welche nennenswerthe Geschästsstockungen Platz gegriffen haben.
— Der preußische Handelsminister hat kürzlich die Erweiterung des
hafens von Ruhrort genehmigt. Die Kosten des großartigen
Werkes, welches eine Zeit von 8—12 Jahren erfordern wird, sind
auf 3,200,000 Mark veranschlagt. Der Hafen hat besondere Be—
deutung für den Kohlenexpoit nach Holland und Belgien. — Aus
oyck wird berichtet, daß die Ostbahudirection 500 sglesishe Arbeiter
herangezogen hat, um den dortigen Arbeitermangel zu dechen. —
In den Cigarrenfabriken von Delmenhorst brach schon vor län⸗
gerer Zeit ein Streik aus, der dadurch Erledigung fand, daß neue
Arbeiter für die streikenden eingestellt wurden. Die letzteren haben
indessen den Ort nicht verlassen, sondern gefallen sich in bitteren
Angriffen gegen die neuen Arbeiter, wodurch diese fortwährend zur
Nothweht gezwunzen sind. Die hieraus hervorgehenden Schläge⸗
reien baben zu gerichtlichen Untersuchungen Anlaß gegeben.
Aus Frankreich wird berichtet, daß sich die Direclionen
»et Nord- und Ostbahnen bereit erklärt haben, den mittellosen
Deutschen, welche der Pariser Deutsche Hilfsverein in die Heimath
zefördert, halbe Fahrpceise zu gewähren, wie dies bereits vor dem
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3200 Landsleute über die Grenze. — In Englaad haben sich große
Arbeitermassen, auch die Bergleute von WestLarcashire, mit erheb⸗
ichen Lohnreduchonen einverstanden erklärt. In Staffordshire sind
veitere Hochöfsen ausgeblasen worden. Man beadsichtigt aber da—
ielbst eine Verlängerung der jetzt üblichen Arbeitdzeit. In Man—
hester ist der Streit der Tischler noch immer nicht beendet. In
Weston errangen die Bauarbeiter Lohnerhöhung n. In London
treben die Maurer nach Erhöhuag der Löhne und Verminderung
der Arbeitszeit. Das Baugewerbe ist im Allgemeinen in reger
Chatigkeit. In Cornwallis ist die Lage der Bergwerksindustrie
ehr gedrücht, so daß viele Bergarbeller sich nach anderen Beschäf⸗
igungen umsehen. Die Schiffbauer am Cliyde verharren noch
mmer im Streik. — In Süd⸗Australien wird fleißig an
ieuen Eisenbahnen gebaut. Ja Neu⸗Südwales hat die
Jesetzgebende Versammlung 100.000 Lstr. zur Förderung der Ein—
vanderung bewilligtt. — Am Cap der guten Hoffnung
verden tüchtige Eisenbabnarbeiter gesucht.
Deutsches Reich.
Berlin, 6. August. Nach dem Reichsmünzgesetz ist be—
anntlich das Maximum des auszuprägenden Silbergeldes auf 10
Mark für den Kopf der Bevölkerung festgesetzt, der Betrag des
Nickel· und Kupfergeldes soll das Zweiundeinhalbfache der Be—
»ölterungsziffer nicht übersteigen. Für das Sitbergeld ist nun
nach dem letzten Prägungs-Answeise vom 28. Juli die Maximal—
zrenze beinahe erreicht; es betrug nämlich bis zu diesem Termin
ie gesammte Ausprägung von filbernen Fürf-, Zweimark-, Mark⸗
50 und 20 Pfennig-Stücken 406,555,497 M. und 80 ppf. Da
das deuische Reich am 1. December 1875 eine Bevölkerung von
12,752,554 Seelen aufwies, so fehlen an der zehnfachen Ziffer
aur noch etwa 20 Millionen M. Unter diesen Umftänden istes
erklärlich, daß die Ausprägung von Silbermünzen gegenwärtig fast
janz eingestellt ist; nar an den neuen 50 Pfennigfiücken wird noch
ortgearbeitet. Uebrigens kommt von dem überhaupt in Umlauf
efindlichen Silbergeld ein Betrag von mehr als 10 Mark auf den
dopf der Bevölkerung. Man denle nur an die vielen Millionen
von Thalern und Fünfgrosch⸗nstücken, die noch nicht aus dem Ver—
ehr gezogen sind und auch wohl sobald nicht vollständig heraus—
jezogen werden. Von Nickel und Kupfermünzen sind zusammen
etzt etwa 45 Millionen Mark ausgeprägt, doch siockt auch hier die
veitere Ausprägung, da man sich aus den Klagen der Gewerb—
treibenden über den Ueberfluß an Kleingeld wohl überzeugt haben
vird, daß hier die Maximalgrenze wohl etwas zu hoch gegriffen
var. Von älteren Kupfernünzen sind bekanntlich nur noch die
rinpfeanigstücke und die Zweipfennigstücke einzelner Staalen im
Berklehr. An Goldmünzen werden in einigen Munzstätten noch
mmer Doppelltonen, Kronen und halbe Kronen geprägt, doch haben
ibcrall ArbeiterEntlassungen vorgenommen werden müssen, am
neisten hier in Berlin, wo wegen mangelnder Beschäftigung zum
zroßen Leidwesen der leitenden Beamten die tüchtigsten, diele Jahre
zang in der Münze beschäftigten Arbeiter entlassen werden mußten.
NAusland.
Bad Gastein, 7. August. Kaiser Wilhelm ist heute Nach⸗
nittag unter Hochrufen der zohlreich versammelten Curgaͤfte nach
Salzburg abgereist. Der Kaiser sagte dem Bürgermeifter beim
Abschiede: er hoffe, im nächsten Jahre, wenn es Gottes Wille sei,
vieder zu kommen. (Ist Adends 794 Uhr in Salzburg eingetroffen.)
Ischl, 7. August. Der Kaiser von Oecsterreich fährt morgen
»em Deutschen Kaiser nach Strobel entgegen. Die Ankunft der
deiden Monarchen in Ischl findet morgen Mittag statt, von wo
Nachmitiags ein Ausflug nach Hallstadt unternommen wird,
Wien, 7. August. Der „Neuen fr. Pr.“ wird aus Bu—
harest vom 4. d. gemeldet: Gestern Abend von Vjela angekommene
IAfficiere erzählen, daß Mehemed Ali und —58 Pascha ibre
Bereinigung bei Tirnown vollzogen und daß sie den Russen eine
Schlacht geliefert haben. 15,000 Todte und Verwundete. — 120, 000
Mann der kaiserliche Garde werden demnächst hier erwartet. —
Der Kaiser befindet sich seit Mittwoch in Graieschi.
London, 7. August. Ein Seegefecht hal bei Tultscha nahe
der Sulinamündung stattgefunden. Sieben russische Kanouenboote
vurden von türkischen Panzerfchiffen angegriffen, ein russisches
danonenboot sank und ein anderes wurde an's Land getrieben.
die Russen versuchten einen Angriff mit Torpedos, allein Netze
derhinderten die Wirksamkeit derselben. Die Türken verbrannch
das gestraudeie russische Kanonenboot. (Fr. 3.)
Pera, 7. Aug. Die Russen vereinigen ihre Streitkräfte an
ꝛet Lomlinie. Südlich vom Balkan steht kein Russe mehr; auch
jalten sie den Schipka-Paß nicht bewacht. Die Türken haben
däinkibi besetzt.
Konstantinopel, 6. Aug. Die Wiedereinnahme Jeni⸗
Saghra's und Kasanlyk's durch die Türken wird bestätigt. Die