St. Ingberler Anzeiger.
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M 136. Samstaa, den J. Sepicber J 1877.
Deutsches Reich.
Nürnberg, 29. Aug. Soerben, kurz nach 4 Uhr, st der
Deutsche Kronprinz hier angekommen. Unter Zujauchzen der Menze
jährt derselbe nach dem Hotel „Bay rischer Hof.“
Beilin. Nach der „Köln. Ztg.“ müssen die Vorarbeiten
zum Reichshaushalts-Etat bis zur dritlen Septemberwoche abge⸗
schlossen sein, damit sich im Oktober der Bundesraih m't den
einzelnen Etatsgruppen beschäftigen kann. So viel man hört, wird
der nüchstjährige Reichkhaushalt Etat keineswegs so große Umge—
stallungen mit sich bringen, wie der diekjährige, welcher die Neu⸗
ordnung des Reicht kanzler-Amts und die Errichtung des Reiche⸗
Justizamts in sich auf. unehmen hatte. Dagegen erweisen sich die
Arbeitskrafte fast aller Reschs Centralbehörden als nicht ausreichend
und es werden vielfsach Mehzrforderungen nach dieser Richtung hin
nicht ausbleiben. Namentlich werden das Reichs⸗-Justiz- und das
Keichẽ · Gefundheitsamt neue Bewilligungen beantragen und das
etztgedachte Amt diese in einer umfassenden Denkschrift begründen.
Das am 25. August ausgegebene Reichsgesetzblait enthält e'ne
Verordnung des Ministeriums für Landesvertheidigung vom 10.
d. M., welche die Ausführungsbestimmungen zum 8 18 des Wehr⸗
gesetzes enthält. Nach 8 18 des Wedtrgesetzes können nämlich jene
Wehrpflichtigen, die zwar nicht zum eigentlichen Kriegsdienste, wohl
aber zu fonstigen Dienstleistungen für Kriegszwecke, welche ihrem
zürgerlichen Verufe entsprechen, geeignet sind, im Kriegsfalle zu
solchen herangezogen werden und zwar bis zum vollendeten 32.
Ldebensjahre. Hierüber sind neue Bestimmungen ergangen.
Aussand.
Wien, 27. August. In Nonstantinopel scheint man nicht
geneigt, die europäischen Reklamationen gegen die an russischen Ver⸗
wundeten begangenen Gewaltthaten stillschweigend hinzunehmen.
Die Pforte erklärte vielmehr bereits, daß sie gesonnen sei, gegen
die Reklamationen Einwendungen zu erheben, und, wie Graf Zichy
nach Wien berichtet hat, dieselben mit einem ausführlichen Rund—
scchreiben zu beantworten. In deser Note wird sich die Pforte
—X
krieg proklamirt und so alle Leidenschaflen der Bevöllerungen wach
zerufen habe. Dann soll im Rundschreiben bekont werden, daß
curopa über türkische und russische Gräuel lediglich gleichwerthe
Belege besitze und daß demnach beide nicht stattgefunden oder beide
wahr sein müßten. In europhdischen (euglischen) Dokumenten seien
die furchtbarsten Gewaltthaten von Bulgaren und Kosaken konstatirt
worden, und vollgültigere Beweise besitze keine europäische Macht
über türlische Ausschrestungen, die keineswegs in Abrede gestellt,
bielmehr lebhaft bedauert, aber auch damit entischuldigt werden
sollen, daß sie zumeist blos Atte der Vergeltung gewesen seien. Im
Uebrigen wird die Pforte entschieden erklären, daß sie die Bestim⸗
nungen der Genfer Konvention rückhallslos anerkenne und nie daran
dedacht habe, sich von denselben loszusagen. Man darf wohl ge⸗—
panut darauf sein, wie Europa diese hohe, selbsibewußie Holtung
der Pforte aufnehmen wird.
Das „Wiener Tagbl.“ meldet aus Belgrad: Der Ausmarsch
ꝛer serbischen Armee soll am 831. d. erfolgen. Die serbische Re—
dierung frahte bei dem russischen Obercommando an, ob sie General
Fadejeff engagiren solle. Die Antwort laulete berneinend. Wie
derlautet, bereitet die Pforte ein Ultimatum in Betreff der Haltung
Serkiens vor. Vorläufig haben die Truppen in Widdin Befeh
thalten, an die Timolgrenze zu marschiren. Aus Novibazar sind
reits türk sche Truppen an die serbische Grenze abmarschirt. —
Der Justizminister Gruics hat seine Entlassung gegeben.
Pest, 28. August. Ein hochofficioser arlilel des Pester Lloyd
agt: Bei Plewna und am Schipkapaß haben der Cjar und der
hanslabizmus eine entscheidende Niederlage erlitten. Durch die
Art ihrer Vertheidigung habe die Türkei ein unverwüstliches An⸗
necht auf die Beruüͤcksichtigung Europas erworben. Der Momem
at Intervention sei noch nicht gekommen; wie aber auch die Kriegs⸗
vürfel fallen mögen, alle uͤrsprünglichen zerstörenden Plaäne gegen
die lünftige Gestaltung des Orients müssen defin'tiv fallen und auf
Feformen zurückgegriffen werden, zu weichen die Pforle ehtlich beteit
st. Die Fortfuhrung des Krieges sei zwedlos. Selbft ein Wecsel
des Waffinglücks 180ne die europaischen Mächte nicht bestimmen,
andere Bedingungen zu sanktioniren, als heute schon formulirt
werden könnten.
Paris, 29. August. Gambetta und die Republique fran⸗
raise“ haben noch zur Stuͤnde keine Vorladung erhalten; aber nach
dem „Francais? wird ihnen die'elbe noch heut zugestellt werden.
Da die Nede, sagt dieses Blatt, in einer Pr'vawerfammlung ge⸗
halten worden ist, so beruht das Vorgehen auf der Verdffentlichung
und Geambetta wird demnach' als Mitschuldiger des Blattes oder
der Blätter verfolgt, welche zuerst seine Rede au dit Oeffentlichkeit
gebracht haben. Der „Francais“ glaubt ebenfalls. daß der Prozeß
schon in den ersten Tagen des Septenber zur Verhandlung ge⸗
langen werde. J
Das Schwurgericht der Haute Sadne hat den Gärtner Bauk⸗
mann, welcher am 2. Sepslember 1872 den deutschen Statibnsvort
ttand Frärck in Boitweiler umbrachte,, „mit Rücksicht auf das
malellose Votlebea und auf die guten Diensizeugnissc des Angekiagten“
jreigesprochen. Der Thatbestand des Verbrechens ist fo lgender;
Line Gruppe von Deutschen fingt auf deutschem Boden ein deutsches
Kriegelied. Eine Gruppe von Franzosen antwortet durch ein fran⸗
oͤsisches Kriegslied. Es entwidelt fich ein Streit, bei dem einem
Deutschen die Gurgl durchgeschnitten wird. Der französische Thäter
ist gestandig und wird 5 Jahre nachher vor ein französis ches Schwur⸗
zericht gestellt. Wenn letzteres, den politischen und „patriotischen“
Besichtspunkt im Auge behaltend, den Angeklagten unter Annahme
aller möglichen Mildecrunggzmomente — was übrigens durch die
Anträge der Staatsanwalischaft schon vorbereitet war — mit einer
Junz gelinden Strafe abgefertigt hälte, so würde die vielgeprüfte
und oft be viesene deutsche Odjectivität sich das vielleicht zurechtge⸗
egt und erklärt baben. Die Anschauungsweise aber, welche in der
Nänzlichen Freisprechung und dem dieselbe begleitenden Beifalle des
Puklicums zu Tage trift, wollen wir lieber nicht zu erkläten versuchen.
Als gegen Ende 1871 der Ermordupg des Deutichen Demmler
und der Verkrüppelung des Deuischen Krafft gleichfalls die Frei⸗
prechung der Thaͤter erfolgte, konnte man darin allenfalls noch die
etzten Erscheinungen der Sturmfluth des Krieges erblicken. Aber
jeuse J Je schwerer die Schatt en sind, welche von dirart geri Ein⸗
zelerscheinungen auf konventionelle Phrasen und in die Zuikunfst fal⸗
en, desio mehr möhten wir den Vorwurf der Aufreizung und eine
deutsche Betheiligung an etwaiger Verantwortung vermeiden. Wir
tehen also fur jetzt schweigend vor dem Widerspruche zwischen
Wort und That, zwischen den freundlichen Worten der Einladung
zur Industrieausstellung und dem Spruche der Geschworenen der
daute Saöne.
London, 29. August. „Reuters Bureau“ meldet aus
stonstantinopel: Gestern richtete die Pforte neuerdings eine Note
an Musurus Pascha, in der sie ihn auffordert, Esglands Aufmerk⸗
jamleit auf die Rüstungen Griechenlands zu lenken und zu erklären,
die Türkei werde im Falle einer aufständischen Bewegung in ihren
zriechischen Provinzen ihre Truppen nach Athea marschiren lassen,
im das Uebel bei der Wurzel auszurolten; England möge der
zriechischen Regierung Vorstellungen machen. Letztere hat der für—⸗
ischen Regierung eine Note zugesteltt, worin sie derselben ihre
eriedlichen Gesinnungen versichert und das Versprechen gibt, wenn
nothwendig, gemeinsam mit den türkischen Truppen, das Räuber⸗
unwesen an der Grenze zu unterdrücken. — Eine fernere Meldung
pvon „Reuters Bureau“ lautet: Der Abschluß der neuen türkischen
Anleihe ist noch nicht zu Ende gebracht. Die .Banque ottomane“
hat ein Syndicat gebildet in Betreff eines Vorschusses don einer
Million Pfund auf das Erträgniß der neuen Anleihe.
Allem Anscheine nach befindet sich der Schi phapaß noch
immer in den Händen der Russen. Die Verlusie der Tuͤrken in
Folge der unausgesetzten Stürme auf die russischen Stellungev