Full text: St. Ingberter Anzeiger

Sl. Ingberler Zenzeiger. 
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der St. Ingberter Anzeiger und das (2 mal wöchentlich) mit dem Haupiblatte verbundene Unterhaltungsblatt. Sonntags mit illusrirter Bei⸗ 
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140. Samstag, den 8. September 1877. 
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Verfälschung und Verschlechterung der anima-⸗ 
ischen Nahrungsmittei. 
Von Alb. Frank. 
(Pf. K.) Vor nicht langer Zeit brachte ein geschätztes Familien⸗ 
lait (die Gartenlaub⸗) eine vorzugliche Abhandlung betreffs der über⸗ 
zandnehmenden Fälschung von Lebens nnd Genußmitteln. Der Ver⸗ 
asser betont mit Recht, daß einerseits die Polizei strenger lich moͤchte 
agen: consequenter) einschreiten, andererstits das Publikum seldst 
ich mehr vor den Betrügern schütz n müsse. Die Ursa hen dieser 
ocialen Krankheit hat er mit Sachkenntniß und Geschich nachgewiesen, 
iber er hat unernähnt gelassen, welchen Nachtheilen die Consumenten 
mimalischer Nahrungswittel vielfach ausgefetzt find. Die Wichtig⸗ 
reit dieses Gebietes wird heute noch vielfach unterschäzt, während 
zor tausend Jahren schon der Genuß des Fleisches von kranken 
Thieren verboten war. 
Die Ansichten über die Schädlichkeiten der „Fleischkost“ sagt 
Zeheimrath Gerlach in seiner so betitelten Abhaudlung, wechselten 
nit den Moden. In uralter Zeit, als man eben nur wußte, daß 
die Thiere krankd werden und sierben, stand es allgemein fest, daß 
yas Fieisch erkrankter Thiere nicht genossen werden lönne. In der 
Mitte des 8. Jahrhundert, nach Einführung der Sittengerichte, 
purde das Fleisch kranker und verendeter Thiere verboten. Später 
ahmen sich die weitlichen Betörden mehr um die Sache an und 
jzor der Milte des 16. Jahrhunderts ad kamen Verordnungen über 
zen Genuß des Fleisches von keanlen Thieren immer mehr zur 
dufnahme in die Marktordnungen, so daß Ende des 18. Jahr⸗ 
junderts der Verkauf des Fleisches kranker Thiere mit schweren 
Strafen belegt, i. J. 1899 vom Senate in Venedig sogar bei 
Todesstrafe verboten wurde. 
Als dann später eue Art empirischer Thierheilkunde sich ent⸗ 
vickelte, lernte man Fälle kennen, wo Fleisch von kranlen Thieren 
»hne Nachtheil genossen wurde, und da man einsah, daß man früher 
u weit gegaugen, fiel man jetzt (besonders in großen Städten wie 
Paris) in's andere Extrem, so daß sogar Fleisch aus den Abdede⸗ 
zeien zum Verkauf gelangte. 
Auf diese Weise dur erte sich die Annahme von der absoluten 
Anschädlichkeit dieses Fle sches bei uns ein, indem man glaubte, 
daß jede Schäolichkeit durch die Zubereitung auf dem Feuer und 
in den Verdauungswegen beseitigt werde. Man nahm sogar die 
Aaasfresser als prysiologischen Beweis an. 
Ecst in neuerer Zeit wandte man bei uns der Sache mehr 
Aufmeitjamteit zu, und zwar gab hierzu das Auftreten gewisser 
trankheiten des Menschen Anlaß, wie Trichinosis, Baundwurmseuche, 
Milzbrand ꝛc.; die durch den Genuß des Fleisches von Thieren 
detanlaßt wurden, welche an solven Krankheiten litten. — Als 
päter die fortgeschrittene Heilwissenschaft viele noch unbekannte Ge⸗ 
ahren ahnte, fiel die Erforschung dieser Art von Schädlichkeiten 
zer rasch sich entwickelnden Thierheilkunde zu. 
So entstand die wssenschaftliche Veterinärpolizei. —— 
Obwohl nun die Regierungen sich der Sache eifrig annehmen, 
o fehlt ihren Maßregeln doch vielfach der Erfolg, da nicht überall 
die geeigneten Organe vorhanden sind, um eine geregelle Vickualien⸗ 
eschau an der Hand der bestehenden, oft recht maugelhaften Gesetze 
hit Nachdruck zutr Geltung zu bringen. Leider scheinen auch beute 
noch an maßgebender Stelle die Aufichten über die Schädlichleiten 
der Fleischlost ‚mit den Moden zu schwankep.“ 
Aber nicht die Gesetze und die ihre Ausführung überwachenden 
Irgane tragen allein die Schuld: die träge Gleichgiltigkeit des 
Bublikums bietet den Verkäufern solcher Nahrungsmittel die beste 
Zelegenheit auf Kosten des Gemeinwohls betrügerischerweise sich den 
Säckel ju füllen. Die bestehenden Gesetze, mit aller Strenge gleich⸗ 
näßig gehandhabt, würden, wenn die berufenen Beamten und das 
zublikum die Uebertreter unnachsichtlich zur Kenntniß der Behörden 
rächten, und wenn die Richter nicht zu milde in Unwendung des 
gesetzes wäcen, Vieles, gar Vieles an diesem Krebsschaden“ zu 
eilen vermögen. 
Ich will nur einige täglich vorlommende Mißstände beim 
Fleischconsum anführen, und wohl jeder Leser wird die Wahrheit 
des Gefagten in der einen oder anderen Weise haben erfahren müfsen. 
Beim Fleischverkauf im Laden besteht der Beirug wohl haupt⸗ 
achlich darin, daß geringeren Qualität statt der besseren oder daß 
Bferdefleisch für Rindfleish, Ziegen⸗ für Hammelfleisch, Rindfleisch 
ür Dammwildpret, Katzen für Hasen⸗, und Hunde⸗ für Schweint⸗ 
leisch verabteicht wird! 
Die Unterscheidung des untergeschobenen und des echten Fleisches 
st oft sehr schwierig, was den Händler, der das recht wobhl weiß, 
zu dieser unverschämten Prellerei ermuth'gt. Derselbe Schwindel 
wird mit den Fetten dieser Thiere getrieben. 
Eine Niederträchtigkeit ist besonders auch der Verkauf und die 
Berarbeitung des Fleisches von Thieren, die durch anstedende Krank⸗ 
jeiten oder durch Gift umgekommen sind. 
Am meisten wird bei den Fleischwaaren gesündigt, die ganz 
der theilweise zubereitet in den Verkauf kommen: bei den verschie⸗ 
venen Wurstsorten, weniger bei Rauch und Dürrfleisch. In den 
neisten größeren Wurstgeschäften werden bedeutende Mengen ameri⸗ 
anischer Speckseiten verarbeitet, die billiget, aber oft auch die Träger 
er gefürchteten Trchinen sind. Wenn nun die Abwesenheit gesund⸗ 
eitsschädlicher Veränderungen, wie Fäulniß, Ranzigkeit, Finnen, 
Trichinen etc. m't Bestimmtheit constatirt wäre, so läge darin nichts 
Tadelnswerthes, allein man fabricirt die Würste nicht nur aus Spech, 
nan bedarf auch mageren Fleisches dazu, und in der Art, wie 
ieses beschafft wrd, liegt das Strafbare: der Wurstfabrikant — 
h meine nur den unehrlichen — kauft selbst oder läßt eine sogen. 
Burstkuh kaufen: eine wahre Jammergestalt, von sehr hohem Alter, 
ehr geringem oder keinem Nahrwerth, abgemagert bdis zum Skelett, 
zewohnt von allen möglichen Parasiten, behaftet mit allerlei chro⸗ 
nischen oder acuten Krankheiten, wie Wassersucht, Tuberculosis ꝛc. 
dieses Thier nun ohne Auffehen an den Ort seiner Verarbeitung 
u bringen, ist in den Städten, der wachsamen Polizei wegen nicht 
mmer die leichteste Aufgabe, auf den Lande aber meistens ganz 
ingefährlich. Mit Hilfe des durch die Erfahrung ausgebildeten 
„charfsianes gelirgt es solchen Metzgern nur zu oft, die Polizei zu 
äuschen. Hat man nun das Opfer an Ort und Stelle verbracht 
ind geschlachtet, so wird das Fleisch von den Knochen losgeldst 
„ausgebeint“) und sodann „verwurstelt.“ — Ist aber das Thier 
jor Krankheit und Elend nicht transportfähig, so wird es von den 
Unterhändlern schon auf dem Lande geschlachtet, ausgebeint und in 
rgend einer Trughülle an seinen Bestimmungsort eingeschmuggelt. 
52 gibt Unterhändler, die die Sache gewerbsmäßig betreiben und 
abei ein sehr gules Auskommen finden. Schreiber dieses hatte 
helegenheit, zu beobachten, wie der Besitzer einer der größten 
7chlächtereien solches Fleisch nur mit etwos Stroh überdeckt in 
den Theil seines abgeschlossenen Wagens berlud, in den noch Schafe 
ind Kälber in nicht allzuzarifühlender Weise eingezwäugt wurden. 
Abgesehen von der Thierquälerei läßt fich leicht denken, in welch' 
appetitlichem Zustande das Fleisch angelangt sein mag. 
Da nun aber bei dem Ungesetzlichen dieses Verfahrens immer 
zie Gefahr der Entdeckung der allerd engs sehr billigen Material⸗ 
zezugsquellen zu befürchten steht, so suchen sich die saubeten Patrone 
zurch List und Bestechung zu helfen. Sie ziehen den Fleischbeschauer 
erst nach erfolzter Schlachtung bei, nachdem sie zuvor etwa kranke 
ind anstoͤßige Thele mit großer Geschicklichteit beseitigt haben, wo⸗ 
ur fälschlich gefunde Organe von anderen Thieren der vorgeschrie⸗ 
zenen Besichtigung unterbreitet werden. 
Ist dieses Verfahren zu auffällig, so maht man durch allerlei 
dunstgriffe die Veränderung unkenutlich und sucht den Defekt als 
in Leiden unbedeutender Natur darzustellen, das die Qualität des 
Fleisches wenig oder gar nicht beeinträchtige. Ja, selbst die rohesten 
ind abscheulichsten Mittel werden nicht gescheut, indem man, um 
as eigentliche Leiden zu vertuschen, sogar dem lebenden Thiere 
illerlei Verletzungen beibringt, wie künstliche Knochenbrüche, das 
Hherbringen fremder Körber in den Schlund u. s.f. (Fortsetzung