Full text: St. Ingberter Anzeiger

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M 157. . Sonntag, den 7. Oktobe 1877. 
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Deutsches Reich. 
München, 4. Oct. Von den Mitaliedern des Finanzaus⸗ 
schusses der Abgeordnetenkanmer soll namenttich Abgeordneter Schels 
der Ansicht sein, daß der in der nächsten Finanzper ode sich ergebende 
Ausfall nicht durch Steuecerhöhung, sondern durch ein Anlehen zu 
decken wäre. Diese Ansicht soll indessen, wenigstens bis jetzt, nicht 
biele Anhänger zahlen. 
Berlin, 2. Ociober. Von fachmännischer Seite wird heute 
in der „NateZig.“ der Nachweis geliefert, daß Rußland seinen 
Zrieg gegen die Türkei schon überwiegend mit neu geschaffenem 
Papiergeid hat sühren müssen. Das Pedgnostilon, welches die fi⸗ 
nanc elle Autorität jenes russenfreundlichen Blattes Angesichts dieser 
Thatsache für die nächste Zukunst Rußlands zu stellen sich vorbehält, 
tann natürl'ch nicht sehr güastig ausfallen. Gleichwohl versichert 
uns ein officibies St. Petersburger Ocgan, daß gegenwärtig nur 
militärische Rücksichten maßgebend sesen, und eine diplomatische 
Action erst später in Frage kommen könne. Mit anderen Worten 
also wäre Rußland nach wie. vor entschlossen, trotz seiner financiellen 
Verlegenheiten, trotz semer mililärischen Mißerfolge und trotz der 
furchtbaren Op'er, welcher dieser unselige Kampf ihm auferlegt hat, 
denselben bs zur vollständigen eigenen Erschöpfung oder bis zu 
derjenigen seines Gegners foitzusetzen. Inzwischen verrathen die 
sehnsüchtigen Blichke, welche von der Newa her nach einer Coope⸗ 
ration befreundetet Großmächte geworfen werden, sowie die Anstren⸗ 
zungen der russischen Dipliomatie, Serb en und Griechenland in die 
Aetion zu drängen, daß die Kräfte des Czären-Reiches zu erlahmen 
beginnen. Darauf stützt sich denn auch die in ehnem afficiösen 
Wiener Blatt zum Ausdruck gelangte Hoffnung auf die Führerschaft 
Desterreich Unganns im. Orient — eme Hoffnung, die ohne Zweifel 
durch die Salzburger Unterredungen genährt sein dürfte, da der 
leitende Staatsmann Deuischlands schon bei früheren Gelegenheiten 
jenes Ziel als die Aufgabe der östetreichische ngarischen Politik be⸗ 
zeichnet hat. Juwiewe t solche Besttebungen mit der späterhin Ruß⸗ 
land vindicirten „Cultuc-Htission? auf der Ballan-Halbinsel iu Ein— 
tlaug zu bringen sind, ist freilich ein schwet zu lösendes Rätdsel. 
A. 3.) 
Berlin, 3. Olt. Für den wahrscheinlichen Fall, daß eine 
Verständigung über den neuen Handelsvertrag mit Oesterreich-Ungarn 
nicht zu Stande kommt, ist die Verlängerung des bestehenden Ver⸗ 
trags bis Ende 1878 in Aussicht genommen. 
Berlin, 3..Okt. Wie alljährlich, so tauchen auch jetzt 
jurz vor Beginn der Landtagserdffnung wieder Gerüchte von par⸗ 
iellen Ministerkrisen auf, um dald darauf mit oder ohne Berechti⸗ 
gung wieder zu verschwinden. Diesmal ist der Handelsmin' ster 
Dr. Achenbach, dessen Stellung die „Kreuzzeitung“ als erschüttert 
dezeichnet; doch dürfte dies wohl mehr ein Wunsch des feudalen 
—X Hrn. Achenbach keine Sy npathie hat.“ 
Die „Vessische Zeg.“ schreiht: Kaum sind dee Gerüchte, daß 
Fürst Bismarck bestrebt sei, sich des eigenwilligen Finanzministers 
zu entledigen, wieder verstummt oder wenigstens in den Hiuter⸗ 
Zzrund gedrängt, so läßt die Kreuzz.“ eine neue dartielle Minister⸗ 
lrisis am Horizonte erscheinen, indem sie an der Sp tze ihrer Ber⸗ 
liner Nachrichten schreibt: „Es sind Gerüchte verbreitel, daß die 
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erachten sei; insbiso dere werden Zweifel laut, ob er bis zum 
däichsten Reichssage im Amte verbdleiben werde. Wir notiren vor⸗ 
zäufig hier nur das Vorhandensein dieser Gerüchte.“ Es gibt 
Leute, besonders in der industriereichen Heimath des Herrn Achen⸗ 
bach, die eben so dringend seine Besestigung verlangen, wie die 
des Herrn Camphausen, obgleih er sith ohne Zweifei viel geneit ter 
zezeigt, manche ihrer Wünsche zu erfüllen, als sein Kollege vom 
Finanz- Dep artement. Aber würde ihnen ein ewaiger Nachlolger 
mehr: Gewahr leisten, daß der Re'chstag einer Aenderung der Zoll⸗ 
bomt zustimmte, oder önnte Fürst Bismarck glauben, daß vielleicht 
Hr. Maybach als preuß scher Handelsminister die Reichseisenbahn⸗ 
Idee besser soͤrdern würde ? 
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Das Organ des fürkischen Kriegsministeriums, die in fran⸗ 
zösischer und mirkischer Sprache erscheinende „Verite“, begleitete die 
hekannte Depesche, mit welcher unser Kaiser Wilhelm das unter 
einem Kommando stehende russische Garderegiment bei dem Aus⸗ 
narsche nach dem Kriegsschauplatze beglüdwünschte, mit folgenden 
Worten:“ 3 
„Diese in dem Augenblicke ausgesprochenen Glückwünsche, in 
velchein das Regiment im Begriffe steht, in die Aktion einzutresen, 
ind bedeuisam genag, um von ihnen Notiz zu nehmen. Alle Völ⸗ 
errechts: Doktrinen, mit Ausnahme viellescht derjenigen, welche Herr 
Professor Bluntschli ad usum Russiae zusammengedoktert hat, 
timmen darin überein, daß hiermit thaisächlich eine Intervention, 
ein unverkennbares Aufgeben der Neutralität ausgesprochen ist. Es 
st jetzt nicht mehr möglich, die Kooperation Preußens in dem von 
stußland begonnenen Kriege zu leugnen. Wenn nicht schon das 
decht auf Seiten der türkischen Armee wäre, so dürfte diese kaiser⸗ 
ich⸗· deutsche Kundgebung und die für Frankreich verlttzende Form, 
n welche sie getleidet ist — in der ganz ohne Veranlassung die 
Wunde von 1871 wieder aufger ssen worden — Grund genug sein, 
im die Sympathien Ftankreichs füt die Türkei zu rechtfertigen.“ 
Sollte die Piorte wirklich glauben, daß ihr die franzoͤsischen 
Zympathien so nützlich sein dürften, wie den Russen diejenigen der 
deutschen Regierungg?ẽ?? J 
Ausland. 
Wien, 4. Olt. Ueder Mehemed Ali's Absetzung und die 
Berufung Suleiman's verlautet in diplomatischen Kreisen. Mehemed 
Ali habe sich geweigert, mit den vorhandenen, Ichlecht ejugeliblen 
Truppen die Jantra Linie anzugreifen, worauf, die Frage an Sulei⸗ 
nan gerichtet wurde, Vob er dazu bereit sei. Uls dieser besahle, 
'olgte der Kommandowechsel. ——— 
Nach dem Wiener „Tagblatt“ richtete der Fürst von Mon⸗ 
denegro em Schreiben an den Czaren, worin et ertlärt“ er 
palie mit der Befretung der oberen Herzegowing seine Haupiaufgabe 
iür erreicht; üder Baujani hinaus wolle er nicht gehen. 
Paris, 4. Ott. Der Proceß gegen Gawbetta gelangt am 
nächsten Mittwoch vor dem Appellhofe zur Verhandlung. ** 
„Daily News“ melden aus Karaj al, vom 8. Oktober über 
die bereits gestern gemeldete Schlacht: Heute früh wurde ein all⸗ 
gemeiner Angriff gegen Mukhtar Paschas ganze Linie gerichtet. 
Seuneral Loris Melitoff südrte das Commando. Der Sclüssel von 
Mulhtar Paschas Position, von nur einem einzigen Bataillon ver⸗ 
heidigt, wurde von 3 Seiten angegriffen und genommen, das Ba⸗ 
caillon aufgerieben. Die Türken versuchten. Paulet wiederzunehmen, 
vurden aber zuurückgeworfen. Die Russeir;“ welche 1500 Todie 
ind Veiwundete verloren, bivouakirten auf den eroberten Positionen. 
Der Wiederbegian des Kanpfes wird exwartet. General Loris 
Hdelitoff veabsichtigte, Muthtar Pascha von Kars abzuschneiden und 
vußie die Tütken übet seine Bewegungen zu täuschen. 
Schum'la, 83. Olt. (H. T. B.)' Die Türken haben sich 
im rechten User des Lom verschanzt, da sie eine russische Offensive 
„efürchteten. — In Rasgrad sind zwei bulgarische Spione hinge⸗ 
richtet wordden. 
Kopstantinopel, 8. Olt. (H. T. B) Der Minister 
der auswärtigen Angelegenheiten hat an die Vertretet der Pforte 
m Auslande folgendes Telegramm gerichtet: Als einen weiteren 
beweis der vom Feinde gegenüber der wehrlosen imuselmäunischen 
Bedoltexung brobachteten grausamen Handlugzsweise theilt Kiazim 
Bey, Kommandeur des Regimenis Fethie der hiesigen Regierung 
folgenden Vorfall mit 
Eine Esladron Kosaken und 150 insurgirie Bulgaren üÜber⸗ 
fielen den Fleden Izdor, welcher nicht mit türkischen Truppen be— 
eßt war, und stechken denselben in Brand, nahdem fie die Woh⸗ 
aurgen ausgeplündert hatten. Die unglücklichen Bewohner wurden 
nit fortgeführt', theils an die Pferdeschweife, iheils an die mit 
Beute beladenen Wagen gebunden. Die Gefangenen halten die 
zrausamste Behandlung zu erdulden und wurden aus ihrer vein⸗ 
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