Full text: St. Ingberter Anzeiger

Dasselbe lauten: Mein letztir Wille, welcher bekaunt werden soll, 
bebor- meine Leiche unter die Erde gebracht. ist der, daß die 35.900 
M, welche in meinem Bett gefunden werden, ohne Abzug meiner 
Heimathsbehörde in Boyern zufallen. Erbberechtigte Personen 
znterlasse ich ncht, wohl aber neun Verwandte hier in Berlin und 
inen Freund, mit dem ich zu meinem Leidwesen vor Jahren in 
Zwist gerathen bin, weil er ein Grobian ist. (Es folgen die Namen 
ind Adressen der 10 Personen.) Ich dabe für diese Zehn, welchen 
mein Tod unverzüglich augezeigt werden soll, 3000 M., welche 
man in weinem Schreibtisch finden wird, vestimmt und zwar so, 
daß Jeder 300, M. erhaͤlt, j⸗do h. unter der Bedingung, daß er 
neiner Leiche nicht folat. Die Kosten, welche meine — wie ich 
will — tlaug⸗ und sanglose Beerdigung verursacht, wird man in 
meiner Wohnung abgezählt vorfinden.“ Der Erblasser hatte sich 
in den lieben Verwandten nicht geltäuscht, sie blieben zu Hause, und 
ranten à conto der 300 M. ihr Töpfchen. Eine einzige Person 
jolgte still dem Sarge des Alten. Es war der Freund, ein Mann, 
der in leidlichen Verhältnissen leßt und es vorzog unter Verzicht 
auf die für ihn ausgesetlen 300 M. im Tode dem Freunde sich 
zu versöhnen. Er matf seine drei Hände voll, Erde auf, den Sarg 
aͤnd verließ stll den Friedhof, ohne wohl daran zu denken, welche 
Früchte ihm aus der Spätfaat der Versöhnunz erblühen sollten. 
Im Rachlaß des Verstordenen ist ein Codicil aufgefunden worden. 
Dasselbe jagt ganz katz: „Sollie einer der 10 Legatare sich trotz 
Feier Verfuzung beilommen lassen, bei meiner Beeidigung gegen⸗ 
warüg zu sein, so erhält er die bersprochenen 300 Menicht, sondern 
wird Universalerbe meines ganzen Nachlasses. Sind es Mehrere, 
denen meine Person und das Andenken an sie mehr noch war, als 
die 8300 M. so sollen alle zu gleichen Theilen an: meinem Bermögen 
participiren. Meine Heimathsbehörde erhält in beiden letzlzeenannten 
Fallen nichts, die zu Hause gebliebenen Legatare sollen aber nicht 
dataczt werden.“ — Ob diese⸗ Codicill Gültgkeit hat, oder ob 
wischen den Parteien Prozesse entstehen, muß die Folge lehren. 
pDie Franzosenin Berlin. Ein höchst interessanter 
noch vom französischen Kriege her datirender Proceß spielt sich jetzt 
beim Konigl. Siadigerichte in Berlin ab. — Bei. Erklärung des 
franzosischen Krieges spekulirte ein galizischer Butterhandler en gros 
bereus datauf, daß die Franzosen unbedingt Berlin besetzen würden, 
in der Stadt dann eine Hungersnothh eintteten müßte und Butter, 
wäre sie jelbst noch so schlecht, zu höchsten Preisen Käufer finden 
würde. Er kam mit dieser Idee nach Berlin, um hier große Ab 
schlüsse auf direkt für diesen Fall bestimmte Butter zu erzielen. — 
Er sand auch in Berlin eiten Gesinnungsgenoss en in der Person 
eines hiesigen Butterhändlers en gros, der die bedeutenden Abschlüsse 
auf Buͤtter effeltuirte und zwar uater der ausdzücklichen Bedingung, 
daß die Butter so schlecht fein müsse, daß die Franzosen sie eher 
als Wagenschmiere, denn als Butter benutzen könuten — wenn sie 
in Berun einrüchken. — Die Butter kamauch richtig nach Berlin, 
wurde gestapelt u. s. w. — aber die Franzosen kamen nicht, und 
so blich dem spelulationsmuthigen hiesigen Butterhändler en gros 
ein großer Theil der bestellten Butter auf Laget liegen, wo sie 
schließlich in einem solchen Grade verdarb, daß sie selost „zur 
Wagenschm'ere“ unbrauchbar war. Der hiesige Kaufmann zahlte 
bis auf einen Rest von 10,000 Mark, den er sich für nicht inne⸗ 
gehaltene Lieferungsbedingung. „daß die Butter, für die Fran⸗ 
josen, wenn sie nach Berlia kommen,, vur als Wageaschmiere zu 
benuzen sei“, zurückhielt. Alle gütlichen Vorstellungen fruchteten 
nichts und so hat der Galizier denn endlich die Klage eingereicht. 
Der hiesige Kaufmann hat sich auf das eidliche Zeugniß Sach⸗ 
verständiger bezogen, daß die n Rede stehende Butter nach einiger 
Lagerzeit selbst nicht als Wagenschmier., geschweige denn als Butter 
brauchbar sei. 
Eine unsinnige Wette in —A der 
wir juͤngst b.richteten, ist jetzt doch, troßdem der erste Versuch durch 
das Einschteiten der Frau dereitelt worden war, zum Austrag ge 
brocht worden. Sch. wurde von seinen Bekannten geneckt, und er 
selbst glaubte nicht srüher beruhigt zu sein, bis der Stre'ch vollführt 
sein werde. Nur zwei Bekannte, bei denen er einen Verrath nicht 
zu fürchten hatte, erfuhren von feinem Entschluß, und am Dinstag 
Abend begad sich das Kleeblatt zu Wagen von Steglitz nach Sud⸗ 
ende, weil man auf dem Bahnkörper der Dresdener Bahn sicher 
zu sein glaudte. Zwischen Südende und Marienfelde wurde die 
zuntelste Stelle herausgesucht, damit der Lokomotidführer nichts von 
Sch. eutdecke. Mit Spannung erwarteten die Drei den Zug, und 
eiwa um 10 Uhr 30 Minuten legte sich Sch. in dem dereils be⸗ 
schriebenen Kostume zwischen die Schienen. Der Zug brausie heran, 
die Freunde standen sprachlos und stier nach dem schwarzen Körper 
schauend da. Noch einige Augenblicke, es erfaßte dor Angst der 
Fine den Andern im Äugenblick der höchsten Aufregung — der 
Zug entschwindet — er war bereits über Sch. weggegangen. Die 
deiden Zuschauer erholten sich bald, sie stürzten auf Sch. los, der 
noch bewegungslos da lag, und ruͤttelten ihn empor, da er zuerst 
hast hewußtlos erschien. Man trat nun schnell auf die Seite und 
iete vandem man sich von der Aufregung erholte, sehr vergnügt 
iber das Gelingen des tollkühnen Streiches. Der raufmann zahrtt 
ofort die 78 M., worauf man zum Standplatz des Wagens sich 
Jegab und daun; zur Kneiperei nach Berlin inhr. In der Nacht 
ehrte Sch. sehr orgeheitert nach Hause zurück, und in seiner seligen 
Stimmung verrieth er seiner Frau die ganze furchtbare Geschichte. 
Zie sprach lein Wort, wie sehr ihr Gatte auch die Gefahrlosigkeit 
einer unsinnigen Wette zu beweisen suchte; selbst des Morgens 
As er sie verließ, war sie schwegsami und als Sch. Nachmittags 
ach Hause zuruͤckehrte, fand er etnen Brief von der Gattin vor, 
haß sie vorlaufig sich zu ihren Eltern begeben, weil ein Vater seine 
Familie nicht lieben lönne, wenn er solche Streiche mache. 
Eine Xantippe. Auf der Oberspree in der Nähe der Stadt 
Zerl'n lagen am Sonntag Abend mehrere Schiffsgefäße nebeneinander 
riedlich vor Auker, bis sich auf einem der Fahrzeuge zwischen einem 
Zzchiffer und seiner Frau ein Streit entspann, der, troß der wieder⸗ 
jolten Mahnung zur Ruhe von Seiten des besonnenen Ehemannes, 
Folge der Zungenfertigkeit der ehelichen Gegnerin keine Ende 
nden wollie. Nach vielen fruchtlosen Vorstellungen des Haders 
nude, räumte der Ehemann das Feld, indem er in feinen kleinen 
dahn stieg, um nach dem in der Nähe lie zenden Fahrzeuge eines 
gekannten überzusetzen. Kaum hatte er dort angelegt. als er einen 
Fall ins Wasser hörte. Die keifende Frau hatte sich vor Wuth 
ns Wasser gestürzt. Der Schiffer eilte sofort zar Stelle und auf 
inen Hetferuf tamen noch mehrere seiner Kameraden h'nzu und 
s gelang mit deren Hilfe, das Hauskreuz noch lebend den Wellen 
dieder zu entreißen. 
PEme Probe franzöosischer Sprtachgelehrsamkeit. Es 
st belannt, daß die Franzosen weder gtoße Sprachaelehrte, noch 
Heographen sind. Einer Dame ist aber aus Paris von dem be—⸗ 
Ahmten Magazine de la Paix“ eine Ankündigung zugegangen, 
Ae alles Dagewefene überfteigt und die wir daher der Kuriosität 
alber wiedergeben wollen: Geehrte Dame, In die ersten Tage von 
Rkiober erssheint ein illustrirtes Büchlein, wovon 36 Folio's gedruckt 
Text) und 48 Folid's Mode⸗ Zeichnungen), welches Büchlein ohne 
dosien, an jede Dime, welche davou begehren macht, gesunden 
dird. Wir glaüben, es wäerek Ihnen angenebm dieses außer⸗ 
dentliches Geschenk zu empfangen; und am gleicher Zeit ein Büchlein 
zasz mit Aussicht auf die Ausstellung von 1878 erscheint, und 
ilten wir Eure Name mit Adresse auch von eure Bekannten am 
stüchseite dieses an zu geben, und eg uns sosort wie moeglich zuruck 
zu schichn. Jede Dame deren Adresse angegeben ist, erhalt d'ie 
iben genannte zwei Büchlein und diejenigen, welche jeder Jahres⸗ 
eit. erscheinen. Hochachtungsvoll. Die Administration der Grosze 
Magazin⸗ de la Paix. 
F Die berühmte Pianoforte-Fabril von Erard in Paris 
st vor einigen Tagen fast gänzlich ein Raub vder Flammen geworden. 
Der Schaden ist ungeheuer; über 100 Vianos ud von den Flammen 
zerzehrt worden. 
4 Eine Massenvergiftung durch — Brod. Die „Annales 
hygiène publique* (Septemberheft dieses Jahres) berichten von 
iner Bleivergifrungs: Epidemie, welche in Paris im 18. und 8. 
Atrondissement wüthet. Dieselbe hat, allein aus der Praxis des 
rerichtenden Arztes, Dr. Ducanp, 66 Person'n befallen, jedoch 
pußerden noch eine anderwe'tige große Außdehnung genommen. 
dus den angestellten Untersuchungen ergab sich, daß sämmtliche 
dranke fortdauernd von einem und demfelben Bäcker ihr Brod be⸗ 
ogen und dieser seinen Backofen mit altem Bauholz heizte, welcheẽ 
— Fenster⸗Einfassungen und Thüren bestand, 
velche mit dicken Lagen bleiweißhaltiger Oelfarbe angestrichen waren. 
We natürlich ist, hat sich beim Verbrennen dieses Holzes das Blei 
Is unverbreunlichee Körper in Staubform auf dem Boden des 
Backefens angesammelt und sich so mit der Unterkruste des Brodes 
erbunden. — Mitglieder der Familie des Bäckers, namentlich aber 
Fie Austräger, welche das Abbürsten desselhen zu besorgen hatten. 
ind seyr schwer erkrankt. 
Dem Pariser „Figaro“ gibt die Wahlkampagne Anlaß zu 
llerlei Scherzen. In einer Waohlversanumlung ruft der Vorsitzende 
us; Traut nicht dem Bürger Bezuche', er wechselt seine politische 
desinnung so oft wie sein Hemd. — Daun sind wir feiner bis 
um Jahre 1880 sicder ruft ein Wahler mit dem Brustion der 
leberzeugung. denn vor 8 Tagen zog er ein neues an, und so 
ange dies hält, vertauscht er es mit keinem andern. Der Scherz 
eg „Figaro“ läht uns vermuthen, daß Bezuchet au fond du 
oeur eine konservative Natur war. Uebrigens erinnert uns der⸗ 
elbe an jene Frage, die cinst an einen belannten Polinker gerichtet 
purde: Sagen Sie do h, lieber W., wer trägt eigentlich Ihre 
teine Wäsche? 
Sübaustralische Blätter berichten, daß sich in der Bay von 
Melbourne plötzlich eine Masse von H aifischen gezeigt habe. 
Die Regierung sah sich genöthigt, einen Preis auf diese dem Menichen 
so · gefährlichen Raͤubthiere auszusetzen und in kurzer Zeit waren 
nuch über 8000, darunter wahre Ungeheuer, weggefangen worden. 
Mancher Schiffer haite bei dieser übrigens nicht ohne Gefahr ver— 
chundenen Jagd bis an 80 Mark des Tages vetdient. Eine Ab⸗