Full text: St. Ingberter Anzeiger

Anzeiger. 
der St. Jugberter Aczeiger und ↄas (2 mil woͤch:tlich) mit den Hruotblatte verbundene Unterhaltungsblatt. (Sonntags mit illustrirter Beis 
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M— 164. Samstag, den 20. Oktober 1877. 
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Deutsches Reich. 
Das kaiserliche Schreibenz welches unter Ablehnung des 
demisstonsgesuches des Ministers des Innern, Grafen zu Eulen ˖ 
dicsem einen läugeren Urlaub erthtilt, wird naturgemäß zur 
—* beider Häuser des Landiages gebracht werden. Wie wir 
oͤren, wird dieses Schreiben im Abgeordnetenhaufe sosort zum 
gegenstande tiner Besprechung und zwar auf Annag der naltonal⸗ 
beralen Pariei, gemacht werden. Die Nalionalliberalen, sind über 
en Ausgang der Krifie im höchsten Maße verstimmt, sie verlangen 
on' der Regserung ein bestimmtes Programm über die Feage. der 
Berwaltungsreform, über welches der interimistisch mu der Ver⸗ 
aftung des Ministeriums des Jnnern bettaute Mnifter Dr. Frieden - 
Jal schwerlich Rechenschaft zu geben im Stande wäre. Im Schooße 
es Ministeriums ist man übrigens auf eine derartige Interpellation 
orbereitet, deren Beautwortung von einer Staatsmioistexialsitzung 
estgestellt· worden und seitens des Vicepräsidenten des Staais— 
Ministeriums Herrn Camphaufen erfolgen wird. Wie. man der 
Deutschen Union“ mittheilt, ist man im liberalen Lager schon 
ange auf Herrn Camphaufen, den „liberalen? Muister, nicht gut 
an sprechen. Man ist der Ansicht, daß die Nachgiebigleit des 
zinanz ninisters früher oder später seinen Sturz herbeiführen wird, 
a krotzdem noch mauche ungelöͤste Differenzen zwischen ihm und 
em Rechskanzler bestehen. Vor einigen Tagen bemerkte ein libe⸗ 
aler Abgeordneter, Camphausen hat die Konjunktur verschlafen, er 
ätte, mit Ehren überhäust, mit dem weitsichtigeren Deldrück das 
Feld aumen, oder sein Portefeuille nach dem ihin vom Abgeordneten 
sause vor zwei Jahren ertheilten Vertrauensvotum bei Belegung 
nd Andauf des Probinzialfonds niedertegen müssen. Jetzt könnte 
ein Abgan nur unter viel ungünfligeren Verhältnissen erfolgen. 
Die Differenzen zwischen dem Reichsskanzher und dem 
Chef der Rarineverwaltung können nicht zum Ausgleich 
ommen. Daß General v. Stosch die längste Zeit in seiner gegene 
oärtigen Stellung gewesen sein wird, wurde schon gemeldet. Es 
it abjolut nicht mönlich gewesen, die Differenzen auszuzleichen, die 
wischen ihm und dim Reichzkanzler während der letzten Reichstags⸗ 
esfion aufgetreten waren, und weil deshalb ein eriprießliches Zu⸗ 
anmenwwitlen nicht zu erreschen ist, so ergibt sich der Rücktritt des 
herrn v. Stosch als Nothwendigkeit. Durch die Zurückversetzung 
ur Armee an die Spihzee eines Armeekorps wird einem alten 
Bunsche des Chefs der Ädmiralität genügt. Man nimmt an, daß 
zerr d. Siosch bis zur nächsten Reichstagssession in die ihm zu— 
edachte neue Stelle eingetreten sein wird. Seit dem Konflikt mit 
em Fücsten v. Bismard im vorigen Winter sfahen sich die beiden 
Nänner niemals, und abstchtlich vermied es Herr v. Stosch, einem 
Ministerrache beizuwohnen, wenn demselben der Fürst v. Bismarck 
räsidixte. Durch den Rücktritt des Staatsministers v. Stosch von 
der Marineberwaltung wird Beziehungen ein Eude gemacht, die sich 
aradezu bis zur Uneyträglichkeit zugespitzt hatten. 
Metz, 16. Okt. Der Kaiser hat tiner, gelegentlich seiner 
Inweisenheit im Mai d. J. in Rezonville durch den dortigen 
Zzuͤrgermeister an iha gerichtelen Bitte entsprechend vor einigen 
Tagen dieser Gemeinde die Summe von 7500 M. zur Beschaffung 
vn 3uenen Glocken zum Geschenke gemacht. 
Ausland. 
Paris, 17. Oklt. Gerüchtweise verlautet, die Minister 
)eczog Drazes und Paris hätten den Marschall Nac Mahon um 
dee Entlassung ersucht. Die Bluͤtter melden, der Herzog von 
Audifftet: Possquiet se zum Marschall zur Berathung über die Situ⸗ 
cion berufen worden. 
Der „Politischen Corresp.“ wird aus Konstantinopel 
erichtet: De Pforte hat eben jetzt das letzte Aufgebot der Reserve 
ter die Fahnen berufen. Man schätzt den Effeltivstand desfelben 
uf 160,000 Mann, welche innerhalb Ronaisfrist soweit abgerichtet 
in muüssen, um sofort nach dem Krücgssch auplatz abgeschickt zu 
rden. Wazs die Befestigungen von Konstantinopel anbelangt, so 
ind diefelben nunmehr beendigt. Sie bieten eine Front von 60. 
⁊ lometexn, welche von 17 Hauptwerken vertheidigt wird. Dieße, 
Verke sollen nunmehr m't 12. und 16Centimetergeschützen, aus den 
Zrupp'schen, Etablissements armirt werden. Ueber die Werlt, selbst 
hört man, daß sie durchaus Erdarbeiten, keineswegs sehr solider 
Ratur sind und durch die Herbste und Winterregen staxk leiden 
werden. Die Befestigung sarbeinen von Adrianopel sind zwat auch 
weit. vorgeschritten, aber noch lange nicht beendigte 
Wer dem rusüfchturkischen Krieg bisher in alle- seinq Phalen, 
zefolat ist wird ohne Rücksicht guf das wandelnde Kriegsglüch oft, 
an das Dichterwort gedacht haben „Ein · Schlachten war's Fnicht 
aine Schlacht zu nennen!“ Daß es zu einem Schlachten gemacht, 
puxde, datan tragen in erster Linie die Turken Schuld; die Titeß 
Ghyazi“ (oer Siegreiche) wurden den beiden Oberkommandanten, 
Oeman und Muthiar Pascha mit Vorbedacht verliehen. Man muß 
uum richtigen Verständniß diesen Ausdrud nicht wörtlich, allein, 
ondern auch in seiner moralischen Bedeutung übersezen. Wenng 
;in muselmännischer Gläubiger im Kampfe gegen die Ungläubigen 
allt, so wird er ein Stahid (Märtyrer) und wenn er einen großen 
Zieg gegen dieselben davonträgt, so heißt er Ghazi. Dieser letzt ere 
Tulel verleiht ihm aber gleichzeitig den Charakler eines Heiligen 
ind eines Etwähiten Gottes, so daß der Name „der Siegreiche“ 
m Turkischen einen ganz anderen Werth erhält, als in irgend einer 
uropaischen Sprache. Man könnie daher. sagen, daß ein Ghazi 
sleichzeilig ein Märtyrer sei, aber mit dem Unterschiede, daß er nicht 
m Kampfe unterlag, sondern siegreich war und nicht, von den Un⸗ 
zläubigen getödtet wurde, soadern noch lest und schon hei Lebzeiten, 
uf die ewigen Glüchseligkeiten rechnen könne. Es ist nicht ohne 
olitische Bedeutung, daß diese Namen den erwmähnten Generalen 
rtheilt wurden, weil die blinde Anhänglichkeit und der Fanatismus 
hret Armeen dadarch nur noch erhöht wird. Deshalh fallen 
Fausende von Mohamedanern, und Tausende folgen ihnen, freudig 
»en Todesstoß empfangend. — Noch eine politisce Bedeutung für 
ie Türken selbst, und für uns theilnehmende Zuschauer hat diese 
lufopferung. Da die Christen nicht in der Armee dienen, so 
allen blos Tücken im Felde und die Proportion zwischen Christen 
ind Tuürken ist dadurch nur noch greller geworden. Wenn man 
edenki, daß seit zwei Jahren sowohl in Europa als in Asien eine 
außerordentlich große Anzall von Türken gefallen ist, so wird man 
die politische Vedeutung dieser Zunahme der Shahids würdigen. 
Je mehr Märtyrer die Türkei erhält, desto weiter geht die friedliche 
dösung der orientalischen Frage. Die Ghazis mögen die Russen 
sindern, den Sieg davon zu tragen, aber nach dem Kampfe zwischen 
stußland und der Türkei wird de orientalische Frage auf ihrem 
igenen Gebiete sich fortentwickeln, und je größer die Anzahl der 
xhristen. sein wird, desto eher wird die orientalishe Frage ihrex 
natüclichen Loͤsung entgegengehen. 
Kiew, 16. Okt. An dea sädrussischen Eisenbahnen warten 
22,000 Waggons mit Getreide der weiteren Befsörderung nach 
danzig und Königsberg. Der Verkehr stockt wegen Mangels an 
Fahrpark. (H. T. B.) 
Vermisqhtes. 
4— Verduflet ist seit einigen Tagen in Kaiserslautern 
in Provisionsreisender und früherer Essendahnbediensteter, nachdem 
r zum Nachtheil verschiedener dortiger und auswärtiger Geschäfte 
unicht unerhebliche Incassos gemacht hat. 
fNeustadt, 17. Olt. Der Most aus von einem hiesigen 
Weinhändler angelauften gemischten blauen Trauben von Gimmel⸗ 
ingen-Konigsbachet Wingerten wog ausgelesen von Portugiesern 
30 dis. 81 Grad nach Oechsle, von Malvasier 101 Grad; ein 
janz unetwartet günstiges Ergebniß. Oesterteicher Most vot 
inem Wingeet hinter der Schießhausmauer hier wog 74 Grad; 
ie Lage in Betracht gezogen, läßt sich auch hierüber gews vicht 
lagen, und es dürfte sich vohl im Ganzen das Ergebniß günstiger 
telsen, als man glaubte befücchten zu müssen. (Bürgerztg.)