Full text: St. Ingberter Anzeiger

ven Pruth gegangen sein sollen und die russischen Truppen fast 
alle ihre Lebensmitiel aus der Moldau beziehen. Die aus Serbien 
heimkehrenden rufsifchen Freiwilligen, wird ferner beh auptet, werden 
der Mehrzahl nach in Ungheni angehalten undm die Festung 
Bender abgeführt, da man fücchle, sie könnten Nachrichten verbreiten, 
die auf den Geist der russischen Armee nachtheilig werkten. 
Das publizistische Hauptorgan der franzöischen Sosialdemo⸗ 
traten, die „droits de I hommo“, feierte dieser Tage in Paris ein 
Banket, an welchem gegen 700 M'irsstreiter theilnahmen. Als 
Schmuck prangte in dem Saale eine Büste der Rpublik mit phry 
pischer Mütze und ferner eine auf weißen Kattun gedruckte riesige 
Visitenkarte: X..h, wie denn auch zu Ehren desselben bekannten 
Unbekannten, der aus besonderen perisnlichen Günden nicht er— 
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Plakate war eine rothe Fahne angebracht. die Speisekatte war auf 
rothem Papier gedruchtt, die Göste trugen rothe Immortellen im 
Knopfloche und den Präfdententesch schmückte ein Strauß dunkel⸗ 
rother Rosen: Unter den Begrüßungstelegrammen befand sich äuch 
tines deutscher Sozialdemokraten aus Leipzig. Das Leiphiger Tele⸗ 
gramm lautete wörtlich ·· 
7 „Die Redaltion und Admin stration des Leipziger Sozi listen⸗ 
blattes Vorwärts“ senden „Droits de l'Honme“ ihre bruderlichen 
Grüße im Namen der deutschen Demokcatie.“ 
Dabei ist dem Verfasser der Depesche das Malheue pafsirt, 
ges galutations fraternolles statt leurs salutations fraternolles zu 
sagen. Die ganze Kundgebung war um so ungklücklicher, als der 
französische Vorsizende in feiner Rede der Pariser Regierung den 
Vorwurf machte, daß sie fich nicht gescheut hälte, diesen Staat zur 
Weltausstellurg einzuladen,“ sie verzesse also selbst den Haß gegen 
den Landesfeind und sei von Rache nur noch gegen den inneren 
Gegner bescelt!“ Die französischen Sozialdemokraten haben nämlich 
och die Eigenschaft, nebendei gute französische Patrioten zu sein, 
die selbst von ihren deutschen „Brüdern“ nichts wissen möjen! 
Basel, 15. Febr. Große Wassersnoth! In der Schweiz 
sind 7 Eisenbahnlinien theilweise überschwemmt; der Verkehr ist 
unterbrochen. Der Bodensee ist ausgetreten; der Rhein steht bei 
Basel 15 Fuß über der normalen Höhe. Neues Sieigen des 
Rheins wird befürchte... 
Die Veröffentlichungen des englischen Blanbuches und d'e eng⸗ 
lischen Parla nents · Ve handlungen sind eine nerschöpfliche Quelle 
in Sachen der orienlalischen Angelezenheiken. So erklärte am 
Montag im Unterhause der Unterstaatssekreltär des Aeußern, Bourke, 
auf eine Anfrage, es sei kein Grund mehr vocha den, die Mit 
sheilung der Dep sche des Grafen Derbyh zu verweigern, in welcher 
dieser die Pforte davon in Kenntniß setzte, daß sie in Falle eines 
Krieges mit Rußland auf keine materielle Unter stützung Engiands 
zu rechnen hab⸗. Darüber wird man in P tersburg gesviß gern 
quittiren. Allein, wie immer seit Ausbruch dieser Verickelungen, 
so entbehrt auch diesmal die englische Politik nicht jener Halbheit, 
die für sie gerade zum Charakteristikon geworden. So schreibt der 
diplomatische Berichterstatter dez, Berliner Tagbl.. ꝛ 
„Man habe guten Grund auzunehmen, daß die englische Anl- 
wort duf das letzte Gortschakoff'sche Rundschreiben vom 31. Januar 
(über die Frage, was nun, nach Schluß der Conferenz zu thun 
sei?) nicht schriftlich abgegeben werden wird. Voläufig wenigstens 
hat sich Graf Derby weni stens damit begnügt, dem russischen 
Botschafler, Grafen Schuwaloff, seine Ansicht darüber müsndlich 
mitzutheilen, wäbrend der englische Vertreter in Petersbutg, Lord 
Loftus, schriftlich vom mündlichen Inhalt dieer Mittheilung ver⸗ 
staͤndigt wurde. 8* 
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daß man sich in England durch den Mößerfolg der Conferenz fak⸗ 
tijch nicht verletzt fühlte, wel nach dortiger Auff issing der Conferenz 
kein anderes Mandat zufiel, als der Pforte Karhschläge zu ectheilen. 
Nach wie vor wird man in London der Lage der Chr'ften des 
Drients sein Augennerk zuwenden — weiter aber gedenkt man 
leine Consequenzen an die verflossene Conierenz zu knüpfen. 
Dagegen sind einige Sigaten der Ansicht, daß muin wohl in 
sKonstantinopel übereingekommen sei, die Botschafier abzuberufen 
wenn die Pforte dabei verharre, die Vorschläge der Conferenz ab⸗ 
zulehnen, daß man sich aber gegenseitig nuicht die Hdade gebunden 
habe, was das Wiederecjscheinen der diplomatischen Vertreter am Bos⸗ 
porus anlange: Man nennt daher auch bereits einige Cabineite, 
(die von Wien und London?), welche geneigt sind, ohhne Weitetes 
ihre Botschafter weder nach Konstantinopel zurüchkkehren zu lassen, 
sobald nur erst die Pfocte durch den erfolzten Friedensschluß mit 
Serbien und Montenegto Beweifse ihrer entgegenkommenden G.sin⸗ 
nung gegeben. 
Letztere Eventualität scheint nicht in allzuweiter Ferne zu 
stehen. Deun, wie aus Belgrad telegraphirt wird, ist Staatsrath 
Philipp Caristits nunmehr defigitid mit der Mission als Bevoll 
mächtigter Serdiens für die Friedensverhandlungen in Konstan 
sinohel beauftragt worden. Dort fre lich kann der serbische Abe 
gesandie noch Seltsames erleben, denn man meldet, trotz der amt— 
ichen Dementis, eine wachsende Aufregung aus der türkischen 
Hauptstadt. Dabei ist die Finanznoth grenzenloz. Wie im eng— 
nischen Unterhause der Kanzler der Schitzkammer, Norttecote, erklärte, 
habe die Türkei für die Bezahlung des Februarlupons der Auleihe 
bon 1855 allerdings Vorforge getroffin, aber was diejenigen der 
Auleihe von 1854 betreff, so sei Frankreich und England in 
Konstantinopel de30ꝛnen, vorstellig geworden. — Als „Gläubiger“ 
hàa t Englaud die Türkeifest; geug, als „Freund“ wird es der 
Pforte freilich keine Qpier bringen, aber was es an kleinen Auf⸗ 
merkfankeiten ohne besondere Kosten fͤr die Pfyrte thun kann — 
geschieht von Herzen gen. 
— Aus Besrußland, 33br. Seitdem die politische Kri⸗— 
siz sich zu eiuer chronischen Krauth'it gestaltet hat, erwächst auch 
die Stagnation aller geschäftlchen und industriellen Unternehmung 
rahezur zu einer das Stautswejen bedrohenden Kalanitcat. Allent⸗ 
halben und aus allen Gouveruements ertönen bedenkliche Klagen 
über den Ruin des Wohlstandes und über die Nothlage der ar⸗ 
beitenden Klassen.“ Seit Monaten bereits ruht fast alle Fabrikation 
und der Haudel entbehrt seines belebenden Elementes, des Ver—⸗ 
srauens und der Spekulation. Schon die drohende Gefahr eines 
Zr'eges verurtheilte Handelsplätze erften Ränzes wie Odessa, zut 
Bedeutunzslosigkett und führte andere, wie Cherson, Eupatoria, 
derisch.“ Taganrog, an die Grenze der Verarmunz und tyheilweise 
sur völligen Enwölkerung im Sinne desWortes; die Stockung 
der Fabrikthätigkeit außert sich im Innern— des Lindes noch er⸗ 
heolich verderdlicher; Rein grozzer Theil der Bevölkerung ist mitten 
vmxgrater feines Brodes beranbt und verfällt dem Elende oder 
zem Berbrechen. Ji ein'gea polnischen Distreikten hat bereits der 
Hunertyphus seinen unheimlichen Einzug gehalten and: was über 
die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit ducch hungernde Arbeiter 
in Tuta derlautet, ist, gerad⸗zu? erschrickend doet wiederholen sich 
die Schrecken des Grrotterihums; ungescheut werden die Passanten 
auf der Straße am lichten Tage angefalleu, ver Nicht aber mit 
Lasso's and Schlingen söermlich eingefangen, und die Bandenbildung 
geschent beinahe systemat: sch. Die Polizei ist ohnmächtig und 
dermug nuc, die Bedrohten ihrer Setbsthilje zu üheclasse n. Auch 
aus anderen Städten, wie Warschau, Moskau,, Kiew,, ertönen 
Zlazen über die Zusahme der Verbrechen w'der Person und Eigen⸗ 
shum und zauf dem flachen Lande geschieht die gleiche traurige 
Wahrnehmung. Unter soschen Umstäuden gewinnen dann auch die 
unheimlchen Z'ele der Nihilisten und ihre gleiß ie ischen Propheten 
weitere, zah resche Anhärger, da sie dem Volke Erlösung und Brod 
berheißen. »Ez ist ein öffentliches Geheimuße diß die Vorfälle an 
der Kurh drale vor Kasan-zu Petersbarg nicht vereinzelt geblieben 
ind, so dern sin in Moskau, ja sogar in Petersburg selbst am 
Neujahrstaze wiedecholt haben, ebenso, daß sich in der Armee zu 
se shiniew, in dieser Armee der blinden Disziplin und Pafsvität 
die bede klichsten Sparen gleichet Tendenzen gezeigt hatten. so daß 
nur eerzisches Einschreiten und das rasche Opfer von 7 Rädels⸗ 
füh ern durch Pulver und Blei, ihren Stellstand gebieten konnten. 
Nich allem d esem ist s nur zu natürlich, wenn der Raf nach 
einer Lösung der Frage, ein so aagemeiner iste daß er schließlich 
eher Herr der Laze werden könate, als alle d plomeitischen Bere he 
rungen. De wirthschaftliche Nothlage Naßlands ist schließlich die 
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danach däucht es uns, daß diefen kein allzuweiter Spfelraum mehr 
werde gegönnt sein, wie fein sie auch eingefadelt sein mögen; noch 
hreitet der Winter seine starre Hand über das küsftige Kriegs⸗ 
heater, bis ihm aljo der milde Lenz den Thron streuig macht, 
mözen die Diplomaten freee Hand haben, was sie aber auch for⸗ 
muliren und stylusiren, es dient nut bis dahin, pour passer le 
temps. 
„Rusßland bereitet fih ernstlich darauf vor, seine mobilisitte 
Armee in Kischeneff auf 500,000 Mann zu bringen. D'e betref⸗ 
senden Verfügungen tehen schon demnächst zevor. Ju diploinatischen 
Zreisen hat diese Anftündigung große Sersation gemacht, da sie zu 
hbeweisen scheint, daß in St. Petersburg jetzt die striegspartet 
weder das Uebergewicht gewonnen hat. Der Czar hält seine be⸗ 
rühmten, ia Moskau gesprochenen Drohworte aufrecht. 
KKratau, 13. Febr. Die anzekündiate Reise des Kaisers 
Al xander von Raßland nach dem Lazger von Kischenew ist vor⸗ 
aufiz aufzegeben worden. Man behauptet wegen des schlechten 
Befsundheitszustandes im Lager. 
Jassy, 12. Febr. Man behauptet, der Vertrag zwischen 
RKumänien und Rißland, betteffend den eventuellen Durchzug rus⸗ 
sischer Truppea. sei nun zum Adschluß gelangt und lasse die Frage 
der stooperation Rumän'ens in einem russisch türkischen Kriege 
nachh dem Rathe der Kabinette in Wien und Betlin gänzlich un⸗ 
berührt.