Slt. Ingberler Anzeiger.
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AMß 30. Donnerstag, den 21. Februar 1878.
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Deutsches Reich.
München, 18. Febr. In dem Berichte des Ausschusses
der Reichssrathskammer über das Budget wird zum Etat der direkten
Steuern bemerkt, daß den bei diesen Anlässen zu Tage getretenen
Ansichten über die Reform unserer Steuergattungen zunächst ent⸗
gegenzuhalten sei, daß vor Allem das Gebiet der indirekten Be—
steuerung vom Reiche aus betreten werden müsse, weil ohne diese
Vornahme die Reform unserer Besteuerung ein Stückwerk bleihen
werde und bleiben müsse. Zu dieser Reform aber werde die Noth
drängen, und auf welch' andere Weise sollten die Bedürfnisse des
Reiches gedeckt werden, ohne die Unzufriedenheit auf das Höchste
zu steigern ? Und warum sollten wir nicht dieselben Wege betreten,
welche die Großstaaten; Europas, ehe wir uns diesen zurechnen
tonnten, längst eingeschlagen haben, und die allein ermöglichten,
daß man die Kosten eines großen Reiches trage! Was man bei
uns — ungbhängig vom Reiche thun könne — Das sei, daß man
die Ungleichheit der verschiedenen Steuergattungen zu ebnen suche.
Bei der Grundsteuer werde man aber unter allen Umständen Halt
machen müssen; diese sei gegenüber den Ansprüchen, mit denen sie
zu kämpfen habe, gegenüber der reichen Produktion fruchtbarer
Länder keineswegs in einer beneidenswerthen Lage. Alles, was
man, ohne die Kosten einer neuen, theuren Boaitirung aufzuwenden,
jür dieselbe werde thun können, dürfte darin bestehen, daß man
etwa diejenigen Oedungen zur Besteuerung herbeiziehe, welche zu
Weinbergen, Hopfenanlagen ꝛc. umgewandelt worden sind, und diest
sollen in manchen Gegenden an Zahl nicht unbedeutend sein, ja es
sollen noch Weinberge unbesteuert sein, welche heute einen Werth
pon manchen Tausenden ausmachen. Auch die Bauplätze würden
hiebei in Betracht gezogen werden können. (Fr. K.)
München, 19. Febr. Die Abgeordnetenkammer nahm
den Gesetzentwurf über die Abkürzung der Finanpperioden bezüglich
des Meilitärbudgets nach dem Ausschutzantrag an. Die Forft chul⸗
frage mußte von der Tagesordnung abgesetzt werden, weil der
Finanzausschuß die Vorberathungen nicht beendet hal. Der Militär—
kredit muß noch vor der Vertagung erledigt werden.
Berlin, 19. Fedr. (Rtrichstag.) In der Begründung
der Orient-Interpellation sprach Vennigsen das vollste Verlrauen in
die Leifung der auswärtigen Augelegenheiten aus. In Bezug auf
Oesterteich außerte er unter dem Beifall des Hauses: „Wir haden
ein Interesse an der ungeschmälerten Erhaltung Oesterrrichs, wir
wünschen, daß die Interessen Oesterreichs durch den weiteren Ver—
lauf der Dinge nicht geschwächt werden.“ Unser Deutschlands)
zöchster Ehrgeiz bestehe in der Erhaltung des Friedens, wofür wit
Opfer zu bringen und schwere Lasten zu tragen haden. Es sei
spon der Weisheit der Leitung der deulscheu Politik die Erreichung
dieses Zieles zu erwarten.
Berlinn, 19. Febr. Die Interpellation betreffend die orien⸗
talische Augelegenheit beantwortend, sagt Fürst Bis'm arck heute
im Reichstag: Durch die Bestimmungen der Friedenspräliminarien
werden Deutschlands Interessen nicht so berührt, daß es aus jseiner
bisherigen Halt iug heraustreten müßie. Die Befürchtungen wegen
der Dardanellen wären durch die ihatsächliche Lage nmicht berechtigt.
Ueber Deutschlandz einzunehmende Haltung koͤnne er jetzt noch keine
amiliche Mintheilung machen, da er erst heute Morgen in Besitz
der bezüglichen Aktenstücke gelangt sei.
Er glaube nicht an einen karopaischen Krieg, da die gegen
Rußland vorgehende Mächte alsdann die Verantworlung der tür—⸗
kischen Ecbschaft übernehmen müßten. Deutschland sei für die Be—
schleunigung der Conferenz, die vielleicht in der ersten Hälfte des
März zusammentreten werde. Er weise entschieden alle auf ein
Tinschreiten Deutjchlands gestellten Anforderungen zurück. Deutsch⸗
and wolle ehrlich vermitteln, aber kein Schiedsrichleramt in Europa
ausüben.
Gegenüder Aeußerungen Windthorst's (ultram.)“, welche das
Berhältniß Deutschlands zu Oesterreich bemälelten, änßerte Für si
Bismarckn. A.“
„Unsere Beziehungen zu Oesterreich sind die der Gegenseitig⸗
keit, der vollen Offenheit und des gegenseltigen Vertrauens, was
eine große Seltenheit ist, namentlich nach den Vorgängen, wo
andere Parteien in Oesterreich noch mächtiger waren, als sie Dies
heute sind. Nicht blos von Regierung zu Regierung, nein, ich
iehe persönlich mit dem Grasen Andrassh zu meiner Freude und
ju meiner Ehre in demjenigen freundschaftlichen Verhällniß, was
hm die Möglichleit gibt, mir jede Frage, die er für nothwendig
jält im Interesse Oesterreichs, offen zu stellen, und etr hat die Ueber⸗
ugung, daß ich ihm die Wahrheit antworte, und ich habe die
Jeberzeugung, daß er mir die Wahrheit über Orsterreichs Absichten
agt. (Bravo!) Ein solches Verhaliniß ist ein sehr günstiges, wenn
nau sich gegenüber einen Minister hat, bei dem man von der
Wahrheit Dessen, was er auf sein Wort versichert, vollständig über⸗
eugt ist. In der angenehmen Lage befinden wir uns mit Oester⸗
reich. In früheren Zeiten, die dem Herrn Vorredner (Windthorssh)
jefallen mögen, war es anders. Da habe ich österreichische Kollegen
nir gegenüber gehabt, denen habe ich gesagt: es ist mir gleichgillig,
»b Sie reden oder ob der Wind durch den Schornstein geht, ich
glaube kein Wort vvn Dem, was Sie sagen. GHeiterleit.) Graf
Undrassy glaubt mir, und ich glaube ihm, was er mir sagt, und
vir brauchen zu diesem Verhältniß die Vermitilung des Herrn
Borredners am allerwenigsten; er würde es nur verdetben können.“
Beifall.)
Für die Verstimmung der leitenden Kreise in Berlin gegen
s'ußland bezeichnend ist ein Artikel der gut gouvernementalen
Post“, in welchem es u. A. heißt: „Die kühne Aufrichtigkeit des
Fürsten Bismarck und seiner Forderungen gleicht dem scharfen Berg⸗
zrofil, das jedem Auge deutlich sich vom reinen Himmel abhebt.
Die zussische Kühnheit don heute gleicht dem wolke aͤbedeckten Berg
an trübem Tage, dessen Form der Nebel phantastisch und unge—
je aerlich verzerrt. Man läßi die türkischen Bevollmächtigten nach
dazanlik kommen, läßt sie sechs Tage warten und führt sie dann
iuch Adrianopel, um sie dort am 81. Januar zur Unterzeichnung
ines Abkommens zu bringen, das noch heute, am 18. Februar,
ür alle Welt Geheimniß ist. Man weiß nicht einmal, ob das
Ibkommen ein geheimes Bundniß mit der Türkei nebst einem defini⸗
iven Frieden oder nichts von allen Dem bedeutel. Ein solches
Berfahren muß Besorgniß und Unruhe in aller Welt hervorrufen.
Deutschland, Rußlands Freund, auch in den Krisen dieses Feld⸗
„uges, kennt weder Rußlands geheime Abmachungen noch seine
veitere Plane. Dafür empfängt es seltsame Liebesbezeigungen.
Als Plewna noch nicht gefallen war, als Oesterreichs schon damals
'inmal bevorstehende Mobilmachung auf Deutschlands freundschaft⸗
ichen Rath unterblieben, da schrieb der „Golos“: Ein Hauptwerk
ür Rußland nach dem Frieden werde die Befestigung der deuisch⸗
ussischen Freundschaft durch Ausdehnung des Handelseberlehrs sein
Deute dergleicht der „Golos“ Deutschland mit dem Wolf, der
überall eingebrochen ist und scheu, aus Furcht vor Strafe, in jeden
Stall blickt; nur Rußlands breite Brust könne det Wall für diesen
derrufenes Wolf sein. Siehe da, wie man gelernt hat, aufrichtig
ju sein! Wir wissen nicht, welchen Thiercharakter dzr „Goloz“ in
enem liebenswürdigen Gleichniß für Rußland in Ansptuch nimmt.
Bielleiht den des Lammes, das jeden Brocken, den es je gefunden,
nit aller Welt brüderlich getheilt, oder vielleicht den des Löwen,
dem das Reich des Lebendigen von Rechtswegen gehörtt, darin nach
Belieben zu jagen und zu zerreißen. Seltsam ist jedoh, daß der
öwe den Wolf auffordert, für ihn die Kanonen aufzufangen, welche
die besorgte Welt abschießen könnte. An den maßgebenden Stellen
in Rußland wird die Erwägung indeß eine andere sein. Wir sind
ungeduldig, das Resoltat derselben zu vernehmen, denn um uns
in Europa ist die Ungeduld über Rußlands Haltung im starken
Zunehmen. Fürst Bismarck erklärte 1871, die Ehre Frankreichs
ei nicht verschieden von der aller anderen Völker, welche in Ab⸗
retungen von ihrem Gebiet gewilligt. Deuischland forderte sein
altes Reichsland Luxenbutg, daß es kutz vor dem Kriege dem