Full text: St. Ingberter Anzeiger

Sl. Ingberter Anzeiger. 
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Sonntag, den 7. Juli. 
A sos. 
is78. 
Deutsches Reich. 
München, 4. Juli. Das hiesige „Fremdenblatt“ erfährt 
„aus bester Quelle“, daß Domkapitular Anton Schmid nicht Wurz⸗ 
zurger Bischof werden wolle, weil ihm „seine Bescheidenheit dite 
Annahme dieser hohen Würde nicht gestatte.“ 
SBerlin, 4. Juli. In der heutigen Bundesrathssitzung 
wurden die Ausschußanträge wegen Ausführung der Tabak-Enquete 
mngenommen und die Mitglieder der Kommission für die Baͤum⸗ 
doben⸗ und Leinen⸗ Induftrie-⸗Enquete ernannt. Auch die Gewerbe— 
»rdnungs-Novelle soll die Zustimmung des Bundesraths erhalten 
jaben. 
Berlin. Gerüchtweise verlautet, daß der zeitige Gouver⸗ 
neur von Berlin, General v. Boyen, der erst vor wenigen Jahren 
den General von Stülpnagel ersetzt hat, seinen Abschied nehmen 
wolle. 
Der nunmehr vor die Schranken des Staatsgerichtshofes ge— 
orderte Meuchelmörder Hödel trägt noch jetzt dieselbe Frechheit 
sur Schau, die ihn vom Tage seiner Einlieferung kennzeichnete. 
Alle Versuche des Gefängnißgeistlichen, ihn Angesichts der erdrücken⸗ 
den Beweislast zum Geständniß zu bewegen, sind fruchtlos geblieben. 
död.l wird also wahrscheinlich sein System des Leugnens bei der 
Herhandlung beibehalten. Alltäglich wird der Verbrecher, mit 
etten belastet, im Hofe der Stadtvoigtei eine halbe Stunde ins 
Freie geführt, in der Zelle selbst bleibt exr nach wie vor fest ge— 
schlossen. Während er sich früher über seine Fesselung beschwerte, 
jußert er jetzt kein Wort mehr darüber. Er entwickelt einen sehr 
zesunden Appetit und ist trotz aller Unbequemlichkeiten stets guter 
Dinge. 
— 4. Juli. Die Kaiserin Eugenie ist soeben mit der 
Herzogin von Mouchy hier eingetroffen und in der Villa Petit 
Elysée abgestiegen. 
Ausland. 
Wien, 4. Juli. Dem „Fremdenblatt“ zufolge werden sich 
demnächst im Ganzen sieben Divisionen auf dem Kriegsfuß befinden, 
um die Akltion jenseits der Grenzen, entsprechend den orientalischen 
Verhältnissen, mit imponitender Macht zu beginnen. Das Blatt 
hedauert die widerstrebende Haltung der Pforte, in deren Interesse 
es gerade läge, sich mit Oesterreich über die Modalitäten des 
Ueberganges friedlich zu verständigen und die politischen Behörden 
entsprechend zu insnuiren. — Die „Presse“ betont, daß die Schwierig⸗ 
kesten der auswärtigen Situation für Oesterreich erst jetzt in vollem 
Ernste beginger. Niemand möge wähnen, die kulturelle Mission, 
welche Oesterreich in den Grenzländern zu erfüllen habe, sei einfach 
mit militärischen Mobilmachungen und Beamtenernennungen abzuthun. 
— Die „Neue Freie Presser vermag den Zweck der Occupation 
auf unbestimmte Zeit nicht einzusehen und würde eher eine offene 
Anntxionspolitil begreifen. 
Wien, 4. Juli. Die „Polit. Corr.“ läßt sich aus Berlin 
dom heutigen melden: Die Kriegs-Entschädigungsfrage ist derart 
zeordnet, daß keine kürkische Hypothek angetastet, auch die Kriegs— 
kentschädigung in keine Gebietzabtrelung umgewandelt wird. Die 
Donauschifffahrts-Fragen sind im Wesentlichen erledigt. Die Schwie— 
rigkeiten dezüglich der griechischen Frage sind groß, und ist kaum 
eine solche Erledigung zu erwarten, daß mit Sicherheit auf An— 
bahnung dauernder friedlicher Verhältnisse zwischen der Türkei und 
Griechenland gerechnet werden könnte. Die englisch⸗russischen Diffe⸗ 
tenzen wegen Batums sind noch ungelöst; Bismarck will die Lö— 
sung dieser Frage späteren direkten russisch-englischen Verhandlungen 
sorbehalten wissen. 
London, 4. Juli. Die „Times“ veröffentlicht einen Be— 
icht ihres Berliner Correspondenten über eine Unterredung, die 
derselbe am 3. Juli wit dem Fürsten Bismarck haite. Der Fürst 
habe gefentfurt ein Tee' den Frieden und habe so viel als möglich 
zur Ethagh,nfoeneden beigetroagen; England habe einen großen 
Erfolg in der Einschrünkung der Grenzen Bulgariens errungen; 
sachdem die bulgarische Frage gelöst worden, sei der Frieden ge⸗ 
sichert. Doch moͤge man von Rußland nicht weitere Zugeftändnisse 
derlangen, da dessen Friedensliebe Grenzen haben könnte. Die 
Frage wegen Batum biete Schwierigkeiten, werde jedoch hoffenilich 
außerhalb des Congresses eine befriedigende Lösung finden. Er 
(Bismarck) glaube, daß die Türkei Oesterreich gegenüber schließlich 
nachgeben, Zugeständnisse an Griechenland aber nicht machen werde. 
London, 4. Juli. Im Unterhaus antwortete Schatzkanz⸗ 
ler Northcote auf Childer's Anfrage, der Congreß sei jetzt so weit 
vorgeschrtütten, daß seine Beendigung in 10 oder 14 Tagen zu er⸗ 
varten sei. Er hoffe sodann in Betreff der seit Feststellung des 
Budgets erfolgten nachträglichen Ausgaben Vorschläge machen zu 
müssen. 
London, 5. Juli. Die ‚„Times“ glaubt es als wahr⸗ 
scheinlich bezeichnen zu dürfen, daß Batum Rußland zugesprochen 
werde unter der Bedingung, diesen Plat nie zu befestigen. 
Petersburg, 5. Juli. Die „Agence russe“ schreibt: 
Nachdem der „Standard“ angedeutet, die englischen Delegirten 
würden sich der Cession Batum's widersetzen, baben mehrere russische 
Blätter, darunter „Golos“, erklärt, Rußland müsse, falls diese Drobung 
äch verwirkliche, sih vom Kongreß zurüchziehen. Ohne so weit zu 
zehen, wie diese Blättet, müfsen wir doch sagen, daß die öffentliche Mei⸗ 
uung Rußlands nach den veröffentlichten Engagements sich weigert, anzu⸗ 
nehmen, daß englische Minister geneigt sein könnten, ihrem Worte untreu 
zu werden. — 
Washington, 4. Juli. (Indianerkrieg,) In militärischen 
Kre sen wird befürchtet, der gegenwärtige Indianerkrieg werde sich 
auf alle Stiämme der Indianer ausdehnen. 
Habana, 2. Juni. Ein königl. Dekret bewilligt Cuba 
dieselben Gesctze hinsichtlich der Munizipal- und Provinzialverwal⸗ 
lung wie solche in Spanien in Kraft ünd. 
Vermischtes. 
F Zweibrücken, 29. Juni. (Schwurgericht.) Verhandlung gegen 
deinrich Klippel, 47 Jahre alt, Bäcker von Kallstadt, wegen betrüg⸗ 
ichen Bankerotts, vertheidigt durch Anwalt Schmidt. Der Angeklagte, welcher 
ein gelernter Bäcker ist, betrieb neben seinem Bäckergeschäfte einen Weinhandel, 
vozu er jedoch, da er selbst wenig Vermögen hatte, stets fremde Gelder ver⸗ 
venden mußte. Da er stets auf etwas großem Fuße lebte, kam er in Ver⸗ 
mögensverfall, welcher durch die letzten auf einanderfolgenden schlechten 
Weinjahre beschleunigt wurde. Er wußte sich jedoch bis in die letzte Zeit zu 
salten und seine Gläubiger zu täuschen. Als er sah, daß sein Bankerott 
anvermeidlich war, verließ er am 24. Februar heimlich Kallstadt und reiste 
nach Hamburg, von wo er nach Hause schrieb, daß er seiner verzweifelten 
dage wegen nach Amerika auswandern wolle, um sich dort eine neue Existenz 
zu gründen. In Hamburg schloß er einen Ueberfahrtsvertrag ab und schiffte 
ich ein, wurde aber in Havre auf Requisition verhaftet und eine Baarsumme 
von 1870 Dollars bei ihm vorgefunden. Am 1. März abhin wurde er nun 
auf Antrag seiner Gläubiger in Gant erklärt, wobei sich eine Ueberschuldung 
don 33,000 M. exgab. Es liegt ihm nun, wie die Anklage behauptet, zu 
dast, Vermögensstücke zum Rachtheil seiner Gläubiger beseitigt zu haben, 
nämlich: 1) 124 VLiter Wein, welche er von Moritz Kaufmann in Mannheini 
um 742 M. gekauft hatte und am 8. Februar an die Adresse seines Sohnes 
Sarl Klippel in New⸗PYork spediren ließ, und die nicht wieder erlangt werden 
lonnten; 2) 631 Liter Wein, welche er mit seiner Fuhre nach Luswigshafen 
'ahren und an eben den Sohn am 14. Februar abhin nach New⸗Pork spe— 
diren ließ, welcher Wein von Rotterdam zurück spedirt wurde. Der Ange⸗ 
llagte gibt an, seine Gläubiger nicht dadurch habe betrügen, sondern durch 
zünstigen Verkauf des Weines in New⸗PYork durch seinen Sohn sich die Mittel 
jur Befriedigung derselben habe verschaffen wollen; sein Sohn habe ihn um 
Wein ersucht. Dieser Angabe steht entgegen der Umstand, daß der Sohn, 
der Bäcker in New-York ist, sich in sehr gedrückten Vermögensverhältniffen 
vefindet. Den Brief, worin ihn der Sohn um Uebersendung von Wein 
exsuchte, vermag der Angeklagte nicht vorzuzeigen. 8) Ende Januar abhin 
oderkaufte der Angeklagte seinen Weinvorrath an Valkenberg in Worms und 
erhielt dafür 3946 M. 95 Pf. ausbezahlt, welchen Betrag er zugestandener 
Maßen nach Hamburg mitnahm. Anfang Februar nahm er bei Gerheim 
in Grünstadt noch 1000 M. und bei Rupprecht in Kallstadt noch 200 M. 
auf auch discontirte er am 5. Februar bei Bankier Schiffer in Grünstadt 
einen Wechsel über 1000 M., den er darlehensweise von einem Handelsmann 
in Obrigheim erlangt hatte. Aule diese Beträge hatte er bei seiner Flucht 
mitgenommen. Auf seiner Durchreise durch Worms gelang es ihm außerdem, 
den Handelsmann Kuhn zu bestimmen ihm gegen Ausstellung eines Monats⸗ 
wechsels 300 Mk. zu geben. Er selbst gibt zu, bei seiner Flucht 8000 Mk. 
besessen zu haben, leugnet jedoch die Absicht, seine Gläubiger zu benachthei⸗ 
ligen und gibt an, er habe den Entschluß gehabt, nach Amerika zu gehen, 
um dort ein neues Geschäft zu gründen und seine Gläubiger zu befriedigen, 
habe jedoch von Heimweh befallen, diesen Entschluß aufgegeben und die Ab— 
ficht gehabt, Uber Havre nach Hause zu kehren. Rach der Anklage verdienm 
diese Aufstellung keinen Glauben. Seine Geschäftsbücher sind sehr mangel⸗ 
haft geführt, so daß sie keinen Ueberblick über eseine Bermögenslage geben 
Der Ruf des Angeklagten if qut 
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