St. Ingberker Anzeiger.
Der St. Ingberter Anzeiger und das (2 mal wochentlich; mit dem Hauptblatte verbundene Unterhaltungsblatt. (Sonntags mit illustrirter Bei⸗
lage) erscheint wöchentlich viermal: Dieustag, Dounerstag, Samstag und Sonutag. Der Abonunementspreis beträgt vierteljahrlich
1A 40 B einschließlich Trägerlohn; durch die Post bezogen 1. 60 O, einschließlich 40 Zustellgebühr. Anzeigen werden mit 10 , von Auswärts
mit 15 — fur die viergespaltene Zeile Blattichrit oder deren Raum, Reclamen mit 30 — pro Zeile berechnet.
M 958.
Dienstag, den 15. Juni
1880.
Deutsches Reich.
München, 18. Juni. Wie man vernimmt, dürfte die
Einberufung des seit 21. Februar dieses Is. vertagten Landtages
auf den 5. oder 6. Juli erfolgen (im vorigen Jahre war er auf
den 16. Juli einberufen) und das Einberufungs-Rescript noch im
Lauf dieser Woche veröffentlicht werden. — Der den Kammern vor⸗
zulegende Hauptetat der Militärverwaltung Bayerns für 1880,81
belauft sich auf 42,080, 416 M. (im Vorjahr 41,961,780 M).
Im Gegentheil zu der neulichen Sensationsnachricht der „Koͤln.
Ztg.“ erfährt die ,Germania“ aus Rom, die Kurie scheine vor⸗
erst auf weitere Verhandlungen mit der preuß. Regierung über die
Maigesetze verzichten zu wollen. Die „Germania“ wird wohl recht
berichtet sein.
von einander, geschritten. Am ersten Sitzungstage wird das Verhör der
Bruder Tillmann beendet. Beide bestreiten theils die objective Wahrheit der
hnen von der Anklage zur Last gelegten Manipulationen, theils geben sie
dieselbe zu, bestreiten aber die betrůgerische Absicht. Ebenso verhielten sich
Mittwochs Morgens die beiden andern AÄngeklagten, worauf mit dem Zeugen⸗
verhöre begonnen wird, das bis Freitag Abend dauerle. Am Samsiag be⸗
gann sodann das Plaidoyer. Die Rede, in welcher der kgl. Staatanwalt
die Anklage vertrat dauerte am Sameiag Vormittag von 429 Uhr bis
:/31 Uhr und Nachmittags von 3 Uhr bis 4 Uhr. Am Sonntag Mittag
verkündeten die Geschworenen nach 2u/ Stunden Berathung ihren Wahr—
pruch; er lautete: Michael Tillniann schuldig unter Annahme mildernder
Umstände des einfachen und des betcügerischen Bankerotts, ohne Annahme
mildernder Umstände der Urkundenfälschung bezüglich des von Verkel accep⸗
tirten Wechsels; Ehefrau Tillmann schuldig der Beihilfe zum betrügerischen
Bankerott, Karl Tillmann und Fischer nichtschuldig. Letztere beide wurden
sofort in Freiheit gesetzt. Das Ürtheil gegen die beiden ersteren lautete nach
einstündiger Berathung des Gerichtshofes Miichael Tillmann 4 Jahre Zucht⸗
haus und 4 Jahre Ehrenverlust, die Ehefrau desselben 6 Monate Gefangniß,
wovon 51 Tage Untersuchungshaft in Abzug kommen; auch die Letztgenannte
wurde, da das Maß der erkannten Strafe eine Präventivhaft nicht mehr be⸗
zründet, sofort auf freien Fuß gesetzt.
Ausland.
Der Finanzenminister Frankreichs konnte der Kammer ein
Gesetzbroject über Herabsetzung der Steuer auf Zucker um 42 pCt.
oorlegen, schon vom 1. October d. J. an. Es bedeutet dies einen
Ausfall in den Einnahmen von ziemlich 70 Mill. Fres.; trotzdem
erscheint eine derartige Steuererleichterung möglich, da die erzielten
Ueberschüsse über die Voranschläge in diesem Jahr bereits 53 Mill.
Fres. erreichen. (In Frankreich also Steuererleichterung, und in
Deutschland?)
Der französische Finanzminister hat einen vom J. Juni
datirten und an den Präsidenten der Repuͤblik gerichteten Bericht
über die Liquidations-Rechnung und das „Ausgabe-Budget aus
außerordentlichen Hilfsquellen“ an die Abgeordneten vertheilen lassen
Dieser Bericht ist die erste Gesammt-Uebersicht über die außerordent⸗
lichen Ausgaben, welche Frankreich seit 1871 für die Armee, Marine
und öffentliche Bauten gemacht hat. Die Entschädigungen, welche
nach dem Kriege an die Departements, Städie u. s. w. zu bezahlen
waren, belaufen sich auf 446,566,000 Fres. Die Wiederherstellung
des Kriegsgeräths u. s. w. erforderte 2,107, 321,006 Fres.
Zu diesen 2,107,321,000 Fres. für auß erordentliche Kriegsaus⸗
gaben müssen noch weitere 111,259, 000 Frcs. hinzugefügt werden,
welche für die Artillerie u. s. w. zugesteuert worden, so daß die
Gesammt-⸗Ausgaben für außergewöhnliche militärische Zwecke auf
2,2183,580,000 Fres. zu stehen kommen.
Nachdem schon der leßte französische Ministerialrath die
Amnestie-Frage (d. h. die Frage der Begnadigung auch des
Restes der Communarden) berathen hatte, wurde“ die Berathung
dieses Gegenstandes in einer Freitag Abend bei Minister Freycinet
Statt gehabten Versammlung der sämmtlichen Minister fortgesetzt,
und soll die Frage prinzipiell entschieden worden sein. Die Ver—⸗
kündigung der Amnestie würde am 14. Juli, dem Nationaltag,
erfolgen.
Die der Pforte überreichte gleichlautende Note der Kongreß⸗
mächte verlangt die Ausführung der Konvention bezüglich des Ge—
bietsaustausches mit Montenegro und die Ausführung des
Artikels 61 des Berliner Vertrages betretfs Einführung von Re—
formen in Armenien.
Vermischtes.
*St. Ingbert, 9. Juni. In heutiger Schöffe n—
sitzung kamen folgende Fälle zur Aburtheilung: 1) Ein frem⸗
der Lithograph erhielt wegen Unterschlagung 1 Monat Gefängniß.
2) Ein Bürger von hier wurde wegen Berufsbeleidigung zu 25
Mark Geldstrafe verurtheilt. 8) Eine Frau von hiet erhielt we⸗
gen Mißhandlung 4 Tage Gefängniß. 4) Ein Mann von hier
erhielt wegen Berufsbeleidigung 15Tag Haft.
*St. Ingbert, 14. Juni.“ Heute Vormittag kam auf
einem Heimwege aus der Schule das bjährige Söhnchen des Joh.
Schumacher, Walzer von Renirisch, in der Nähe des Hospitals so
unglücklich unter einen zweispännigen, mit Sand beladenen Wagen
der Frau Witw. Best, daß ihm das eine Bein über dem Fußge⸗
lenk 2 mal gebrochen wurde und er starke Quetschungen erlitt.
Der Kleine hatte mit einem anderen Knaben auf der Straße ge⸗
spielt und das herrannahende Fuhrwerk nicht beachtet, während er
selbst vom Fuhrmanne nicht gesehen worden war.
8 St. Ingbert, 15. Juni. (Concert.) Wir hatten
zestern Abend einen seltenen, wohl wäre zu sagen, „einzigen“
Kunstgenuß. Im Allgemeinen findet man “die Blechmusiken zu
cauh, namentlich die Kavallerie-Musik zu ungenau, zu lässig im
Takte. Ganz das Gegentheil erlebten wir gestern in dem bei
Oberhauser von der Kapelle des in St. Avold liegenden „Schles⸗
wig⸗ Holsteinischen Dragoner⸗Regiments Nr. 13* gegebenen Con⸗
zert. Dem Rufe des „Bleches“ gemäß war die Zuhörerschaft
eine numerisch geringe. Die Leistungen hingegen riefen das all⸗
zemeine Urtheil hervor, daß wir St. Ingberter noch keine solche
Kavallerie-Kapelle hier gehört haben. In der That ist das Zu⸗
ammenspiel dieser Kapelle ein solches, daß man in Zweifel ist,
ob man das Direktionstalent des Kapellmeisters, des Herrn Stabs⸗
tompeter Fuhrmann, oder die Hingabe und die Präcision sei⸗
ner Musiker mehr bewundern soll. Jedenfalls ist hier Beides
zlücklich vereint zu einer seltenen Leistuugéfähigkeit, und wir wün—
chen nicht nur, sondern sind überzeugt? daß diese prächtigen Maän⸗
ner auf ihrer Kunstreise nach Heidelberg wohlverdiente Lorbeeren
erndten werden. Noch einmal Bravo diesem „Blech“!
Se. Maj. der König haben genehmigt, daß die bisher selbst⸗
tändige Telegraphen-Abtheilung der Generaldirektion der kab. Ver—
lehrsanstalten mit der Postabtheilung ab 1. Juli ds. Is. der—
einigt werde. Diese Vereinigung wurde im übrigen deutschen
Reiche bereits früher angestrebt, und soll sich diese Einrichtung als
eine sehr günstige bewährt haben.
F Das Ministerium des Innern hat auf Befehl Sr. Maj.
des Königs die von Wirthen der Pfalz an denselben gerichtete Bitte,
unter die Tage, an welchen die Verlängerung der Tanzmusik
über die Polizeistunde hinaus gewährt werden darf, auch den zweiten
Kirchweihtag zu bestimmen, abschlägig beschieden, in der Erwägung,
daß die wirthschaftlichen und fittlichen Verhaltnisse der Gegenwart
die thunlichste Beschränkung drr vffentlichen Tanzmusik erheischen.
xAm Samstag Mitiag sind die zu einer 12tägigen Uebung
nach Zweibrücken einberufen gewesenen 280 Landwehrleute
wieder in ihre Heimath entlassen worden. Unter Vorantritt der
αιαιιααα.
Pfälzisches Schwurgericht.
II. Quartai 1880.
(Fal TilI1Imann und Consorten. Fortsetzung und Schluß)
Auf, der vordern Antlagebant sitzen die Gebrüder Tillmann — ein Bild
des denkbarsten Kontrastes. Der Hauptangeklagte Michael Tillmann, ein
kräftiger, robuster Mann, strodt trotz der langen Untersuchungshaft von Ge—
jundheit. Als die das Ehrenamt der Geschworenen bekleidenden Männer aus
allen Gauen der Pfalz den Saal betreten, scheinen ihn alte Erinnerungen
zu überklommen, seine Äugen füllen sich mi Thränen. Nedben diesem lebens⸗
trischen älteren Bruder fitzt der jungere — ein vernichtetes Menschenleben,
die fahle Blaässe des eingefallenen Gesichtes, die geknidte Gestalt, das un⸗—
heimliche Hufteln lassen keinen Zweijel, daß er, wie immer das Urtheil der
Geschworenen ausfallen wird, sich in Bälde dor einem andern Richter zu ver⸗
antworten heben wird. Auf der zweiten Anklagebank sitzen die Ehefrau des
Mich. Tillmann und der frühere Buchhalter desselben, Fischer. Es werden
nach Erbffaung der Sitzung zwei Ersatzgeschworene mil den übrigen ausge⸗
ivost, die im Falle der Verhinderung eines Hoauptgeschworenen an der Ur⸗
heilsfindung Theil nehmen wurden. Hierauf wurden di⸗ 83 Belastungs⸗
jeugen aufgerufen und ihnen vom Herrn Vorsitzenden auf's Eindringlichste
die Bedeutung des Eides eingeschärft. Die 30 Entlastungszeugen waren erff
auf Freitag früh geladen. Nachdem hierauf die Angeklagten über ihre per⸗
onlichen Verhãltnisse befragt worden, wird der Verweisungsbeschluß verlesen
And sodann zum eigentlichen Verhör der Angeklagten, und zwar abzesonderl