Full text: St. Ingberter Anzeiger (1880)

St. Ingberler Anzeiger. 
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4160. Donnerstag, den 7. Oktober 
1880. 
Deutsches Neich. 
In Folge des Ablebens des bayerischen Gesandten am 
talienischen Hof, Frhrn. v. Bibra, hat Se. Maj. der König den 
Legationsraih Dr. Rumpler mit der interimistischen Fühtung der 
gesandtschaftlichen Geschäfte beauftragt und ist derselbe bereits nach 
Rom abgegangen. 
Seit dem letzten Kriege ist es bis jetzt noch nicht gelungen, 
den entstandenen Verlust an Offizieren in der bayerischen Ar⸗ 
nee ganz zu decken, und besteht immer noch ein nicht unbedeutender 
Mangel an Sekondelieutenants, hauptsächlich bei der Infanterie 
und den Jägern; dieser Mangel wird mit der Formirung eines 
veiteren Infanterie-⸗Regiments, für welches gegen 60 Offiziere er⸗ 
'orderlich sind, und von 2 Feldbatterieen noch empfindlicher werden 
ind die Zahl hundert weit übersteigen. Die Aussicht auf baldige 
Beförderung zum Offizier ist daher gut. 
Wie aus Berlin geschrieben wird, hat der Kaiser die vom 
Fürsten⸗Reichskanzler ausgehende Vorlage, betr. die Errichtung 
ines Volkswirthschaftsrathes, bereits unterzeichnet und 
wird dieselbe zunächst dem preußischen Landtage vorgelegt werden. 
ommt dieselbe zwischen den beiden gesetzgebenden Faktoren in 
Preußen zu Stande, so dürfte deren Ausdehnung auf das ganze 
Reich wohl nur noch eine Frage der Zeit sein. Fürst Bismarck 
»enkt sich diesen Volkswirthschaftsrath, der übrigens in Permanenz 
erklärt werden soll, so, daß sämmtliche Wirthschaftsgruppen: Groß⸗ 
ndustrie, Handel, Kleingewerbe und Landwirthschaft darin Ver— 
retung finden. Wenn diese neue Einrichtung im wirthschaftlichen 
Leben segensreich für die Wohlfahrt des Reiches wirken soll, dann 
erwartet den Volkswirthschaftsrath keine leichte Aufgabe. Die so 
derschiedenen Interessen der einzelnen Erwerbsgruppen nur einiger⸗ 
maßen auszugleichen und die vorhandenen Gegensätze möglichst zu 
»ersohnen, ist wohl eine Aufgabe, welche man wohl fast zu den 
ibsoluten Unmöglichkeiken rechnen muß. Doch hoffen wir das 
Beste; hat doch der Reichskanzler die Wiedererrichtung des deutschen 
steiches fertig gebracht, also wird er wohl auch die Kraft haben, 
den inneren Ausbau desselben immer mehr auszugestalten. 
Die „Nordd. Allgem. Ztg.“ wendet sich gegen die Zeitungs⸗ 
ritik hinsichtlich des Projektes eines volkswirthschaftlichen 
ZSenates und schreibt diesbezüglich: Nachdem der Staatsrath 
nicht mehr in Wirksamkeit ist, wird man dem Könige wie den 
ollegen des Ministers, der aus seinem Ressort das Gesezz einbringt, 
das Recht nicht bestreiten können, den Rachweis zu fordern, daß 
ille betheiligten Interessenkreise zu Worte gelangten, bevor ein 
ẽntwurf mit der Unterschrift des Königs und des gesammten 
Staatsministeriums amtlich vor den Landtag tritt. Keinesfalls 
oͤnne ein gewissenhafter Minifter daraus, daß Industrielle, Land⸗ 
virthe und Kaufleute die wirthschaftlichen Interessen besser verstehen, 
in Motiv entnehmen, gerade diese Sachkundigen nicht zu befragen. 
die „Norddeutsche“ zweifelt nicht daran, daß im volkswirthschaft⸗ 
ichen Senate die Arbeiter edentuell eine Vertretung finden werden, 
vodurch ihre besonderen Interessen wahrgenommen werden können. 
Ddie Arbeiter wissen sehr gut, daß fie bei Weitem das Meiste der 
Anregung und Wirksamkeit der Arbeitgeber verdanken. Beide können 
ohne einander nicht bestehen, find daher darauf angewiesen. Diver⸗ 
zenzen unter einander auszugleichen. 
Das neuste Heft der ,Monatshefte für die Statistik des deut⸗ 
chen Reichs“ bringt eine Uebersicht üuber die Sch ulbildung der 
in den letzten Ersatzjahren in die deutsche Armee und Marine ein⸗ 
gestelltn Mannschaften. Darnach wurden eingestellt im Er⸗ 
atzjahr 1879,80 140,881 überhaupt; in der deutschen Sprache ge⸗ 
drüft 132,660; nur in einer andern Sprache 6004; ohne Schul⸗ 
zildung waren 2217. Die Eingestellten, die weder schreiben noch 
lesen konnten, betrugen 1,57 pCt. der Gesammtzahl gegen 1,80 pCt. 
m Jahre 1878,79, gegen 1,73 pCt. im Jahre 1877/78, gegen 
2,12 pet. im Jahre 1876,77 und gegen 2,37 pCt. im Jahre 
1875,76, so daß sich der Stand der Schulbildung bei Armee und 
Marine um nahezu 1 pCt. in den letzten fünf Jahren gebessert hat. 
Daes Erscheinen des badischen Bisthumsverwesers 
Kuͤbel bei den kaißserlichen Majestäten in Baden⸗Baden 
lam Montag) wird angesichts der obwaltenden Verhältnisse des 
Augenblicks lebhaft besprochen. Eine solche Begrüßuͤng hat in 
rüheren Jahren nicht Statt gefunden, und man öringt daher den 
Borgang mit der Kölner Dombaufeier in Verbindung. Man will 
iun den Kübel'schen Besuch in Baden-Baden im Sinne eines ent⸗ 
jegenkommenden Schrittes der Kurie auslegen; wie weit Das richtig 
st, wird sich zu zeigen haben. 
Ausland. 
Garibaldi hat sich nach Genua begeben, um seinen daselbst 
nhaftirten Schwiegersohn Canzio zu befreien. Die italienische Re— 
zierung hat umfassende Vorkehrungen getroffen, um eine gewaltsame 
Befreiung Canzio's unmöglich zu machen. Die Garnison wurde 
erstärkt und im Hafen sind drei Kriegsschiffe eingelaufen. Und 
eine solche Machtentfaltung ist nothwendig zur Aufrechterhaltung 
eines richterlichen und gesetzlichen Urtheils, durch welches sich ein 
halb kindischer Greis in seinem Schwiegersohne gekränkt fühlt! 
Die „Agence Havas“ meldet aus Ragusa: „Montenegro 
dringt auf sofortige Unterstützung von Seilen des Geschwaders. 
Man glaubt, Seymour, welcher sich nach Cettinje begeben hat, 
verde Montenegro rathen, Dulcigno sofort anzugreifen, indem er 
eine Unterstützung mit oder ohne Beihilfe der anderen Mächte in 
Ausficht stellen werde. 
Das „Reuter'sche Bureau“ meldet aus Konstantinopel: 
Die Pforte erklärte in einer neuen am 4. Oktober den fremden 
Botschaftern zugestellten Note, sie sei, um dem fortgesetzten Drängen 
der Mächte nachzugeben, entschlossen, über alle schwebenden Fra— 
zen zu verhandeln. Sie werde bemüht sein, die Albanesen zur 
lebergabe Dulcigno's unter den den Mächten von ihr bereits mit⸗ 
getheilten Bedingungen zu bestimmen, und schlage zur Regulirung 
)er griechischen Grenze eine Linie vor, welche nördlich von Volo 
deginnen, südlich von Larissa, Metzowa und Janina laufen und 
in der Mündung des Arta-Flusses endigen solle. Die zugesicherten 
Reformen würden in Kleinasien innerhalb dreier Monate eingeführt 
werden. Die Reformen in der europäischen Türkei könnten nur 
in so weit verwirklicht werden, als sie mit der Integrität des Rei— 
hes verträglich seien. Die ausländischen Besitzer der türkischen 
Schuldobligationen würden aufgefordert werden, Vertreter nach 
Konstantinopel zu senden, um Vereinbarungen zu treffen. Gewisse 
Finnahmen des Reiches würden zur Bezahlung der Zinsen den 
ürkischen Gläubigern überwiesen werden. Die Pforte dringe unter 
der Bedingung (Zusicherung?) dieser Reformen darauf, daß die 
Flottendemonstration von den Mächten aufgegeben werde. (Mit 
anderen Worten: die Pforte will von neuem unterhandeln über 
Dinge, über welche schon längst verhandelt und Beschluß gefaßt 
vorden ist; sie sucht eben Zeit zu gewinnen.) 
„Daily News“ bemerkt zu der neuesten Note der Pforte, die 
britische Regierung könne sich, ohne sich zu diskreditiren, nicht 
zurückziehen. Das britische Volk sei nicht in der Laune, die Unter⸗ 
verfung Englands unter die Befehle der türkischen Pascha's ruhig 
unzusehen. Das Blatt räth der Regierung zu einer enischlosseneren 
daltung. 
Londoner Nachrichten zufolge ist die letzte türkische Note 
mannehmbar. Alle Mächte wünschen Aufrechthaltung des euro—⸗ 
»äischen Konzerts und erwarten die Vorschläge Englands. Man 
»laubt, daß die Blockirung der türkischen Häfen werde vorge— 
chlagen werden. 
Vermischtes. 
*St. Ingbert, 6. Okt. In der heutigen Schöffensitz- 
uing kamen folgende Fälle zur Verhanblung: Ein Bursche von 
—A 
Oberwürzbach wurde wegen Körperverletzung zu einer Gefängniß— 
trafe von 1 Monat und ein anderer von Alschbach, dermalen zu 
steunkirchen, wegen Betrugs zu einer Gefängnißstrafe von 2 Mo—⸗ 
aaten 14 Tagen verurtheilt. 
*Si. Ingbert, 7. Okt. Franz Lieser, Uhrmacher von 
5t. Ingbert, z. Z. in Blieskastel, welcher am 8. September abhin 
durch das hiesige Schöffengericht wegen Unterschlagung von 
ca. 70 Mark zum Nachtheil des früheren Postboten Felix zu einer