Full text: St. Ingberter Anzeiger

ↄl. Jugherter Awzeiger. 
Amtliches Organ des königl. Amtsgerichts St. Ingbert. 
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M 201. — 
Politische Uebersicht. 
Deutsches Reich. 
München, 30. Nob. Die Kammer der Ab⸗ 
zordneten setzte heute die Berathung des 
jorstetats fort. Die Anträge des Ausschusses 
urden angenommen. Die durch die Vorarbeiten 
ür die Organisation der Forstverwaltung veran⸗ 
aßte Einberufung zweier weiterer Oberfoörster in 
as Ministerialforstbureau wurde nicht beanstandet. 
die zum Etat einschlägigen Petitionen wurden den 
lusschußanträgen entsprechend angenommen. Abg. 
Dr. Körber (ultr.) ergreift die Gelegenheit, den 
5tand der Forstbeamten auf das Heftigste anzu— 
reifen, und spricht davon, daß gar manche dieser 
zeamten durch Immoralität und Irreligiosität öffent⸗ 
iches Aergerniß erregen. Auch tadelt Redner, daß 
m Forstwesen eine zu große Vielschreiberei herrsche, 
yas eine Folge der neuen übertriebenen wissen— 
haftlichen Bildung zu sein scheine. Die Buch— 
taben haben sich vermehrt und die Bäume ver— 
nindert. Finanzminister v. Riedel muß den 
hrenweethen Stand der Forstbeamten gegen der— 
irtige Anklagen in Schutz nehmen und gegen solche 
horwürfe entschieden Verwahrung einlegen. Was 
»en Vorwurf der Vielschreiberei anlange, so scheine 
»er Vorredner von der neueren Ausbildung des 
Forstpersonals gar keine Kenntniß zu besitzen. Hie— 
ait glaube er den Abg. Körber abgethan zu haben. 
Große Heiterkeit. Abg. v. Schlör (lib.) wendete 
ch vom Standpunkte der liberalen Abgeordneten 
egen die Ausführungen des Abg. Dr. Körber, der 
eine Vorwürfe nicht auf Thatsachen, sondern auf 
hörensagen begründet habe. Vorwürfe wie Im— 
noralität und Irreligiosität einem ganzen Stande 
orzuwerfen, dazu habe Dr. Körber kein Recht. 
Vohin sollte es führen, wenn man einen ganzen 
ztand für die Fehler eines Einzelnen verantwort⸗ 
ich mache? Vor dem Betreten eines solchen Ge— 
ietes solle man sich in Zukunft hüten. Abg. 
Raug nimmt die Forstbeamten des Allgäu gegen 
ie Vorwürfe des Abg. Dr. Körber in Schutz, während 
etzterer erklärt, nicht von dem ganzen Stande ge⸗ 
prochen zu haben und mißverstanden worden zu 
ein. — Die weitere Debatte über diesen Gegen⸗ 
and ergab nichts Bemerkenswerthes. 
München, 30. Nonb. Das siebente 
5ch Uljahr.) Aus Rosenheim wird berichtet: 
im Aufhebung des 7. Schuljahres wurden aus 
zemeinden in den k. Amtsgerichten Berchtesgaden, 
aufen, Reichenhall und Traunstein Petitionen an 
ie Kammer der Reichsräthe gerichtetet, und sollen 
zach dem „Vaterland“ auch in anderen Gegenden 
olche Petitionen an die Kammer der Reichsräthe 
eabsichtigt sen. Während die Landgemeinden der 
enachbarten österreichischen Gebirgsländer Petitionen 
ne Kaiser und Reichstag richten, damit ihnen das 
.Schuljahr erhalten bleibe, weil unentbehrlich 
achelt man unser Landvolk zur Unzufriedenheit 
uf und veranlaßt es zu Schritten, die, wenn sie 
erfolg hätten, später schwer bereut werden dürften. 
Muünchen. Der Kaiser hat dem Staats-Mi— 
ister des kgl. Hauses und des Aeußern, Freiherrn 
Crailsheim, den königlichen Kronen Orden 
rster Klasse verliehen. 
Das „Bayer. Vaterland“ ist höchlichst zufrieden 
amit, daß der bayerische Landtag bisher so 
venig zu Stande gebracht hat. Es macht, um die 
lbgeordneten zu erhöhter Thätigkeit anzuspornen, 
ofaenden Vorschlag, dem eine gewisse Oriainalität 
Samstag, 3. Dezember 1881. 
16. Jahrg. 
nicht abzusprechen ist: „Man interniere das Par⸗ 
ament in irgend einer kleinen Stadt oder einem 
rößeren Dorfe, möglichst im Winter, lasse die 
derrschaften dort gemeinsam ihre Mahlzeiten ein⸗ 
Jehmen, wobei Jeder die gleiche Ration bekommt, 
vecke sie Morgens 6 Uhr zur Arbeit in einem 
zroßen Saale, der abgesperrt bleibt, bis sie fertig 
ind, und schicke sie Abends 8 Uhr ins Bett. Wer 
im Morgen verschläft oder Abends über die Beti— 
tunde verkneipt, verliert das Taggeld. Wer einem 
club beitritt, verliert das Mandat, wer sich ohne 
Frlaubniß des Präsidenten vom Orte entfernt, die 
Freikarte. 
Berlin, 1. Dez. Die gestrige Reichstagssitz- 
ing schien dem Kulturkampf angehören zu 
ollen. Beim Eiat des auswärtigen Amtes warf 
der Abg. Virchow die Frage auf, wie es sich mit 
der Besetzung eines Gesandtschaftspostens beim rö— 
nischen Stuhle verhalte. Fürst Bismarck, der 
jeute, abweichend von seinen Gewohnheiten, schon 
or Beginn der Sitzung erschienen war, verwies 
iuf den Eiat des Preußischen Landtages, wo diese 
frage demnächst zu erörtern sein werde. Herrn 
Vindthoöorst schien die gebotene Gelegenheit aus— 
eichend genug, um sich in die Position, die er in 
er letzten Zeit eingenommen, immer tiefer einzu⸗ 
raben; er wendete sich angriffsweise gegen die li— 
erale Partei und beschuldigte di eselbe der Intole— 
anz. Die hierauf erfolgende Replik des Abg. 
girchow gab dem Reichskanzler Anlaß zu der 
anz präcisen Erklärung, daß er den Fortschritt für 
ine dem Staat schädlichere Partei halte, als das 
zentrum. Der Fortschritt bringe das Schiff in's 
z„chwanken. das Centrum verursache nur eine ge⸗ 
oisse Unsicherheit der Steuerung. Er habe den 
dampf gegen das Centrum aufgeben müssen, seit 
ym die Unterstützung der Liberalen entzogen oder 
dieselbe wenigstens an unerfüllbare Bedingungen 
jeknüpft worden sei. — Die Herren Reichenssper— 
jer und von Kleist-Retzow stellten sich mit großem 
lufwand von Pathos als Bundesgenossen dem 
deichskanzler zur Seite. Fürst Bismarck nahm 
helegenheit festzustellen, er sei zur Einführung der 
Fivilehe durch feine damaligen Ministerkollegen (in 
erster Linie war wohl Herr Falk gemeint), ge⸗ 
röthigt worden, daß er sich dieser Nöthigung un— 
zern unterworfen, ließ er nicht uudeutlich durch⸗ 
cheinen. Die Debatte verlief natürlich ohne Re— 
ultat. — Bei einer folgenden Etatsposition brachte 
er Abg. Dr. Kapp die Vermehrung der Fach— 
onsulatie und gewisse Aenderungen in den Dienst— 
zerhältnissen der Consularbeamten zur Sprache. 
der bisherige französische Botschafter 
n Berlin, Graf St. Vallier, hat am Diens⸗ 
ag dem Reichskanzler seinen Abschiedsbesuch 
emacht. Bismard äußerte, wie das „Berl. Tgbl.“ 
nittheilt, daß er während seiner zwanzigjährigen 
rhätigkeit als Ministerpräsident noch niemals mit 
mem so großen Vertrauen und einer so großen 
zoyalität mit irgend einem Botschafter verhandelt 
abe, wie gerade mit dem Grafen de Saint Vallier, 
er außerdem sich auch zu jeder Zeit der Gunst des 
daisers zu erfreueen gehabt habe. Als das Gespräch 
ich auf den Nachfolger des Kaisers wandte, sagte 
raf de Saint Vallier, daß er dem Fürsten die 
Fffizielle Mittheillung von der Ernennung des Baron 
e Courcel zum neuen Botschafter zu machen 
abe. Als der Reichskanzler darauf fragte: Sind 
Zie mit Ihrem Nachfolger befreundet? und Graf 
e Saint Vallier erwiderte: Baron de Courcel ge⸗— 
jört zu meinen besten Freunden! gab Fürst Bis— 
narck seiner Zufriedenheit damit dadurch Ausdruck. 
daß er sagte: „Nun, dann bedarf ich keines Lobes 
nehr aus Ihrem Munde. Ihre wenigen Worte 
jenügen mir, mich der festen Ueberzeugung hinzu— 
jeben, daß Ihr Nachfolger dieselbe politische Rich⸗ 
ung befolgen wird, wie Sie, und daß er somit in 
Berlin gern empfangen wird.“ 
Die preußische Staatsregierung beabsichtigt 
dem Landtage einen Gesetzentwurf über die Hunde⸗ 
teuer vorzulegen. Die Höhe derjselben soll den 
inzelnen Gemeinden zu bestimmen überlassen blei— 
hen, doch soll dieselbe zwanzig Mark nicht über— 
teigen. 
Reuerdings cirkulirt die Nachricht, daß Feldmar⸗ 
chall Graf Moltke als Chef des großen Gene— 
ralstabs jetzt einen Nachfohger im Grafen 
Walders'ee erhalten solle. In dieser Form ist 
zie Angabe jedoch ungenau. Die Wahrheit ist, daß 
uuf Wunsch des greisen Feldmarschalls ihm ein 
Adlatus beigegeben wird, welchen er selbst vor⸗ 
jeschlagen hat. Graf Moltke wird aber nach wie 
jor an der Svpitze des Generalstabes in Thätigkeit 
oleiben. 
Nachdem im Reichstage in den letzten Tagen 
tliche der bei der Generaldebatte ungesprochen ge— 
liebenen Reden glücklich vom Stapel gelaufen sind, 
äßt sich erwarten, daß die Etatsberathungen bis 
ur driiten Lesung ziemlich rasch und in rein sach— 
icher Weise verlaufen werden, mit einigen Aus— 
ahmen vielleicht des Etatstitels für den Volks— 
virthschaftsrath. Wie es heißt, wird der Kanzler 
ich noch vor Weihnachten wieder nach Friedrichs- 
uhe zurückziehen und auf längere vorläufig noch 
inbestimmie Zeitdauer dort verweilen. Für die 
ächsten Tage ergiebt sich die Vertheilung des 
seichstages von selbst, da nach Verweisung der 
»amburger Zollanschlußfrage an eine Kommission 
„on Hauͤptvorlagen nur der Etat und die Berichte 
iber die Handhabung des Sozialistengesetzes vor⸗ 
janden sind. In den nächsten Tagen wird man 
aher ohne Unterbrechung mit der zweiten Bera⸗ 
hung des Etats fortfahren und wahrscheinlich am 
ende der Woche die genannten Berichte über das 
Sozialistengesetz zur Besprechung bringen. 
Wie man hört, wird der Schluß der Etats- 
derathung im Reichstag auf den 20. Dez. 
erechnet und soll damit nach Erledigung der Ham— 
urgischen Vorlage in Ermangelung anderer Be⸗ 
athungsgegenstände die erste Session des V. deut⸗ 
schen Reichstages geschlossen werden. 
Wie man aus Regierungskreisen erfährt, wird 
der Ankunft des deutschen Gesandten in Washing⸗ 
on, Herrn von Schlözer, in Berlin noch vor 
Weihnachten mit großer Bestimmtheit entgegenge— 
ehen. Weiterhin gilt es als eine ausgemachte 
Zache, daß Herr v. Schlözer im Januar etwa nach 
stom zurückkehrt, um dort die abgebrochenen Ver— 
zandlungen wegen eines Ausgleichs fortzusetzen. 
Trotzdem erhält sich aber noch die Behauptung, 
daß Msgr. Spolverini in München mit besonderen 
Nufträgen nach Berlin hin versehen sei. 
Ausland. 
In Frankreich haben am Sonntag die Wahlen 
der Gemeindedelegirten stattgefunden, 
velche Wahlen insofern von Wichtigkeit sind, als 
iese Delegirten ihrerseits im Januar nächsten Jahres 
zie Wahl von 75 neuen Senatoren vorzunehmen 
daben. Nach den bis jetzt bekannt gewordenen 
stesultaten gehören viele der Gewählten der oppor—⸗ 
unistischen Partei an, auch sollen viele Maires 
Bürgermeister) gewählt sein. Verschiedene Pariser 
Zlätter meinen, daß nach diesen Resultaten der