Full text: St. Ingberter Anzeiger

ðSl. Jutberter Amzeiger. 
Amtliches Organ des königl. Amtsgerichts St. Ingbert. 
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M 50. 
B.T. Europa und der Panslavismus. 
Von Czar Alexander III. hat man während 
einer ganzen Jugendzeit als Thronfolger außerhalb 
Rußlands kaum etwas anderes vernommen, als 
Aeußerungen und Handlungen wegwerfender Ver— 
ichtung und tiefen Hasses gegen das Deutschthum 
iberhaupt und die deutsche Nation insbesondere 
Zie machten einen um so peinlicheren Eindruck, 
als der Czar selbst deutschen Blutes ist, und durch 
olches Gebahren die ganze Reihe seiner Vorfahren 
ind sich selbst verneinte. Andere Beweggründe 
zieses Verhaltens ließen sich nicht entdecken, als die 
tesorgniß vor der aufbrausenden slavischen Natio⸗ 
zalität in Rußland und der Wunsch, den Natur⸗ 
ehler der Dynastie, nicht slavischen Ursprungs zu 
ein, sondern einer fremden Race anzugehören, durch 
Zelbstberneinung zu sühnen. Und in der That ist 
ieser Naturfehler ein tiefgreifender. Er behaftet 
zas Russenthum in seinem Innern mit einer Zwie⸗ 
pältigkeit, die es von sich auszustoßen suchen muß. 
Selbst das geduldige Deutschland würde zu dieser 
Zeit ein regierendes Kaiserhaus russischer, französi⸗ 
cher, italienischer Race schwerlich ertragen. Czar 
llexander III., seit ihm diese Erkenntniß gekommen. 
hat nichts verabsäumt, um sich mit dem Slaven⸗ 
chum zu identifiziren. Dasselbe aber hat sich un— 
züücklicher Weise durch die Maßlosigkeit seiner Vor⸗ 
ämpfer in überschwängliche und unmögliche Auf—⸗ 
saben verrannt. Nicht blos hat es sich die Auf⸗ 
jabe gestellt, welche nur durch ein ungeheures Blut⸗ 
jad ausführbar werden könnte, das Deutschthum 
m Innern Rußlands in der dreifachen Gestalt der 
deutschen kaufmännischen und handwerksmäßigen 
kinwanderungen und Ansiedelungen, der stadtischen 
und grundbesitzenden Bevölkerungen der baltischen 
Provinzen und der deutschen Beamtenschaft zu ver⸗ 
ilgen oder zu russifiziren, sondern es will auch 
das deutsche Reich als ein Hinderniß der expansiven 
kntwickelung des Russenthums aus dem Wege 
aumen und die slavischen Bevolkerungen der Balkan⸗ 
halbinsel und Oesterreich-Ungarns sich einverleiben 
der seiner Mächtsphäre unterwerfen, um dann das 
roße slavische Weltreich herzustellen, von welchem 
eine Bekenner träumen, daß es die europäische 
Livilisation und Kultur aufzuheben und durch eine 
neue, slavische Civilisation und Kultur zu ersetzen 
bestimmt sei. 
In solche Höhe der Ueberschwänglichkeit würde 
er russische Literaten- und Beamtengeist, welcher 
der Vater des Panslavismus ist, sich niemals haben 
versteigen können, wenn nicht Czar Aldxrander III. 
ils Thronfolger ihm ununterbrochen seine Sanktion 
und Stütze hätte angedeihen lassen. Der Czar 
nithin ist einer der hauptsächlichsten moralischen 
Arheber des Panslavismus. Seine seitherigen Re⸗ 
gerungshandlungen zeigen, daß er das volle Ge⸗ 
dicht der Verantwortlichkeit für denselben übernommen 
at. Wie wäre es anders zu erklären, daß er ein 
hauptdepartement der Verwaltung, das Ministerium 
des Innern, dem Grafen Ignaueff, dem Führer 
»er panslavistischen Partei, übergeben und daß er 
einen Sohn dem Panslavistenführer Katkow, damit 
a ihn zum Werkzeuge des Panslavismus erziehe, 
Wsgeliefert hat. — Europa kann keinen Augenblick 
weifelhaft sein, was er von dem Zöͤglinge Kat⸗ 
iows zu erwarten haben wird. Diese Maßnahmen 
α— zugleich als die nachträgliche, vollstandige 
— der feindlichen Gesinnungen gegen das 
ut vthum angesehen werden, welche dem Czaren 
Thronfolger zugeschrieben worden. Er wird 
v ernten, was er gesäet hat, und wenn des edlen 
Samstag, 11. März 1882. 
Alexander II. unverdientes Schicksal jede Menschen— 
brust tief rühren mußte, so läßt sich in Alexander III. 
Worten und Thaten nichts entdecken, was ihm 
außerhalb der slavistischen Partei Bewunderer, 
Freunde, und wenn das Schicksal ihm seine Gunsl 
entzöge, Mitgefühl zu wecken im Stande wäre. 
Die Partei selbst aber zeigt, daß sie dem Czaren 
chon über den Kopf gewachsen sein will. Skobeleffte 
Auftreten in St. Petersburg unter den Augen des 
Czaren beweist noch mehr, als seine Pariser Aus— 
lassungen, die Entschlossenheit der Partei, mit odern 
gegen den Willen des Czaren vorzugehen. Skobe 
leff kann nicht zu seinem Petersburger Trinkspruch 
und zu seinen Pariser Auslaisungen als vom Czaren 
»evollmächtigt angesehen werden. Denn der Czar. 
o lange er Czar ist, kann nicht sein Kriegsrech 
zjffenilich in die Hand eines seiner Unterthanen 
egen. Ob Skobeleff aber mit Vorwissen und in 
kinverständnisse Ignatieftfs, oder ganz auf eigent 
Faust gehandelt, erscheint unerheblich. 
Der Held kam als der Zukunfts-Attilla des 
banslavismus nach Frankreich, aber als ein solcher, 
der die katalaunischen Felder fürchtet, die für ihn 
iesseits des Rheines liegen. Von dieser Furcht 
ollte Frankreich ihn befreien. Aber er traf Frank⸗ 
eich nicht mehr in den Banden des Gambettaschen 
Ekhrgeizes, sondern sich selbst wiedergegeben. Es 
rkannte die Ungeheuerlichkeit des an der europä— 
schen Civilisation und Kultur beabsichtigten pansla⸗ 
istischen Attentats und den durch dasselbe ihm selbst 
zelegten Fallstrick. — Wer schützte Frankreich selbsl 
zegen den Panslavismus, wenn derselbe mit Frank⸗ 
reichs Hilfe Deutschland und Oesterreich- Ungarn zu 
einen Vasallenstaaten gemacht? Frankreich gab dem 
Barbaren den Laufpaß. 
Nicht nur Skobeleff ist hierdurch kompromittirt 
und Ignatieff, sondern der Czar selbst, und zwar 
ist er es, sofern der panslavistische Uebermuth diesen 
Versuch der europäischen Kriegsstiftung ohne sein 
des Czaren, Vorwissen ausgeführt, in höherem Grade 
als wenn er Mitwissender und Mitwollender war. 
Verleugnungen, selbst Bestrafungen, nachdem der 
Plan gescheitert, sagen nichts. Sie geben nicht die 
zeringste Bürgschaft dafür, daß er nicht wiederholl 
verde, wenn Leidenschaft und Verblendung Gam 
detta wieder ans Ruder Frankreichs gebracht. Daß 
ein solcher Versuch mit oder ohne Vorwissen Czars 
Alexander III. einmal hat gewagt werden können. 
st für Europa zuviel. 
Derselbe entzieht dem Czarenthum solch eines 
Fzaren ein für allemal alles Vertrauen in Europa. 
Er macht es Europa zur gebieterischen Pflicht, das 
Thor seines Hauses demselben unverzüglich und für 
mmer zu verschließen, so zwar, daß einem Angrifft 
Rußlands auf eine der genannten Großmächte mi' 
dereinter Kraft zu widerstehen ist, um die genannte 
Kultur des Westens vor dem Ansturm der Barba— 
renhorden zu schützen. 
Der gänzliche, unwiederrufliche Bruch der alten 
dynastischen Freundschaft Preußens mit Rußland, 
welche sich unter Czar Alexander III. als werthlos 
für die deutsche Nation, ja als eine gefahrlich— 
Täuschung erwiesen hat, das Fahrenlassen aller 
Buhlerei Frankreichs mit Rußland, die gänz— 
siche Isolirung Rußlands auf dem europä— 
schen Festlande müßte die Foige des Skobeleff⸗ 
Ignatieffschen Attentates sein. Das gebieten Europe 
Selbstachtung und Selbstverteidigungspflicht. Es 
jat sich selbst und dem renommistischen Panslavis- 
nus jetzt zu beweisen, daß es nicht in dem Maß« 
noralisch in seinem Innern verrottet und faul ist, 
17. Jahrg. 
wie dieser gemeinsame Feind in der Unendlichkeit 
seiner Selbsterhebung sich gefällt, ihm nachzusagen. 
Politische Uebersicht. 
Deutsches Reich. 
Aus München wird dem „Pf. K.“ unterm 
7. ds. Mis. geschrieben: Herr Abg. Dr. Schäfler 
yon der äußersten Rechten hat in einem Schreiben 
mm die Abgeordnetenkammer seinen Austriit aus 
derselben erklärt und motivirt dies — dem Ver— 
iehmen nach — nicht nur wie seine früheren Ur— 
aubsgesuche damit, daß es ihm nicht möglich sei 
einen Stellvertreter für seine Pfarrei zu erhalten, 
sondern mit der „Stellung, welche die Staatsre⸗ 
gierung der Volksvertretung gegenüber eingenommen 
habe“. — Bezüglich des dem preuß. Volkswirth- 
chaftsrath vorliegenden Gesetz⸗ Entwurfs über Ab⸗ 
inderung der Gewerbeordnung, hat unsere Staatsre⸗ 
gzierung Gutachten von den Handels- und Gewerbe— 
tammern verlangt. Die oberbayer. Kammer wird 
übermorgen hierüber berathen, ebenso — infolge 
des neulichen Beschlusses der Abgeordnetenkammer 
— über Annahme und Abgabe von Eilgütern an 
Sonn⸗ und Feiertagen. 
Die bayerische Kammer der Abgeordneten 
nahm am Mittwoch nach längerer Debaite woran 
sich die Abgg. v. Schauß, Walter, der Cultus 
minister, die Abgg. v. Lerchenfeld, Haus, v. Schlör 
und Rittler betheiligten, den Antrag Aichbichler's 
betreffend die Auslegung der Tegernseeer Erklärung, 
mit 80 gegen 71 Stimmen an. 
In München nahm am 6. ds. M. bei der 
obersten Baubehörde die praktische Prüfung für den 
allgemeinen Staatsbahndienst für das Jahr 1882 
hren Anfang. Es nahmen wegen der derzeitigen 
äußerst unguͤnstigen Anstellungsaussichten nur 10 
Fandidaten (5 für den Landbau⸗ und 5 für das 
Ingenieur⸗Fach) an dieser theil. Der Bedarf an 
Staatsbaupraktikanten ist auf viele Jahre hinaus 
zedeckt und hat sich bereits auch schon eine großere 
Anzahl geprüfter Ingenieure in das Ausland, ns— 
besondere nach Amerika begeben. 
Berlin, 8. März. Die Kirchengesetz⸗Kom⸗ 
mission des Abg.Haͤuses nahm die konserva⸗ 
tiven Anträge zu den drei ersten Paragraphen im 
Wesentlichen an, lehnte jedoch schließlich das ganze 
Gesetz mit allen gegen die Stimme der Konserva⸗ 
tiven ab. Das Zentrum stimmte dagegen. 
Berlin, 8. März. Der permanente Ausschuß 
des Volkswirthschaftsrathes berieth heute die Tubt, 
monopol· Vorlage. Der Berichterstatter Nathusius 
hebt herdor, das Plenum habe fast einstimmig die 
Nothwendigkeit einer höheren Besteuerung anerkannt; 
nur über die Form beständen nach Meinungsver⸗ 
schiedenheiten. Er befürworte die Annahme des 
Entwurfs. Heimendahl empfiehlt eine Fabrikatsteuer, 
die auch als Uebergang zum Monopol geeignet sei. 
Schöpplenburg und Lehendecker sprachen sich gegen 
das Monopol aus. Schließlich entschied sich der 
Ausschuß mit allen gegen drei Stimmen dafür, daß 
der Tabak einer ausgiebigeren Besteuerung zu unter— 
werfen sei, und nahm sodann die 88 2 bis 6 der 
Monopolvorlage mit 18 gegen 7 Slimmen an. 
Berlin, 8. März. Die anßerordentliche 
Generalversammlung der Berlin⸗Anhalter Eisenbahn⸗ 
gesellschaft hat mit 1660 gegen 76 Stimmen die 
Kauf⸗Offerte der Staatsregierung angenommen. 
Straßburg, 8. Maͤrz. Die Handelslammer 
ju Colmar hat einstimmig beschlossen, sich entschieden 
ür die möglichst baldige Einführung des Reichs« 
Tabakmonopols auszusprechen.