Full text: St. Ingberter Anzeiger

St. Jugherter Amzeiger. 
Amtliches Organ des königl. Amtsgerichts St. Ingbert. 
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M 240. Dienstag, 5. Dezember 1882. 17. Jahrg. 
Politische Uebersicht. 
Deutsches Reich. 
Aus Baden, 3. Dez. Die von einzelnen 
Zeitungen gebrachte Mittheilung, daß vor oder kurz 
iach Neujahr die Strafkammer Freiburg mit der 
Aburtheilung der der Verursachung des Hugstetter 
Fisenbahnunglücks Beschuldigten befaßt 
vürde, dürfte sich nicht bewahrheiten, da die Unter⸗ 
iuchung noch nicht so weit fortgeschritten ist. An— 
zeschuldigt sind zur Zeit von der Staatsanwaltschaft 
sier Personen, Bahnamtsvorstand Am bros in Frei⸗— 
zurg, Zugmeister Rupp, Lokomotivoführer Schlat⸗ 
erer und Bremser Rummel. Ihr Verschulden 
vird in der unterlassenen Instruction des Fahrper⸗ 
ponals, Herbeiführung und Nichtverhinderung zu 
zroßer Fahrgeschwindigkeit, Nichtbedienung der Brem⸗ 
sen gefunden; dem Zugmeister wird zur Last ge— 
legt, daß er sich mit unzulänglichem Fahrpersonal 
hbegnügte, ohne die Einstellung weiterer Personen 
»on dem Bahnamte Freiburg zu verlangen. So— 
viel scheint heute schon fest zu stehen, daß ein Hauptver⸗ 
chulden darin liegt, daß zu wenig Bremser auf 
dem Zuge waren, und die Bremsen, die bei rich— 
tiger Bedienung die Fahrgeschwindigkeit hätten er⸗ 
mäßigen müssen, nicht richtig bedient waren. Wen 
daran die Schuld trifft, wird die spätere Verhand⸗ 
lung erhellen. — Heute können wir schon consta⸗ 
iren, daß, ohwohl die badische Verwaltung das 
Personal zu stellen hatte, das Bahnamt Colmar 
yor Abfahrt des Vergnügunszuges zwei elsäßische 
Schaffner zur Begleitung commandirte; es scheint 
dies darauf hinzuweisen, daß man dort die Unzu⸗ 
änglichkeit des Fahrpersonals erkannte. Die Ge⸗ 
neral⸗Direktion in Karlsruhe hat die leitenden An⸗ 
»xdnungen getroffen. Dieselbe hat insbesondere die 
Bestimmung erlassen, daß die zwei beigegebenen bad⸗ 
chen Schaffner die Bremsen zu versehen hätten. 
Wir begreifen nicht, wie man bei einem Vergnüg⸗ 
ungszug, der mit 1200 Menschen angefüllt ist, 
tatt jede erdenkbare Vorsicht aufzubieten, jede er⸗ 
venkbare Sparsamkeit obwalten läßt; es ist uns 
aber auch fernerer nicht verständlich, wie man 
den Zugmeister in Anklagestand versetzt, weil er 
aicht mehr Personal für seinen Zug verlangt, die 
Feneraldirection, die die Unzulänglichkeit des Brems⸗ 
nersonals und die Nichtbedienung der Bremsen durch 
hren Erlaß direct herbeigeführt hat, aber außer 
Anklage läßt. Es scheint uns dies Verfahren nicht 
'ogisch zn sein, denn der Grundsatz: quidquid de- 
irant reges, plectuntur Achivi, ist auf dem Ge—⸗ 
diete des Strafrechts nicht angezeigt. Die Ursache 
der Entgleisung ist noch nicht aufgeklärt, nur Com⸗ 
inationen, keine strikten Beweise scheinen vorzuliegen. 
Die Sachverständigen, unter denen württembergische, 
chweizerische, elssische und badische Techniker sich 
finden, sollen darüber sich gutachtlich außern. Wir 
zJlauben nicht, daß die Sachverständigen den strikten 
Nachweis führen können, wen die directe Schuld 
in dem Unglück, bei dem 64 Personen todt blie⸗ 
ben. 225 verwundet wurden, tifft. 
(Frankf. Journ.) 
Berlin, 3. Dez. Die Gewerbeordnungscom⸗ 
nission des Reichstags hat sich nach Wiederauf⸗ 
aahme ihrer Verhandlungen zunächst mit dem 8 
56b betreffend den Gewerbebetrieb im Umherziehen 
beschäftigt. Von einem liberaien Mitglied wurde 
—VVV0 
durch F 56 Abs. 2 aufgestellten Beschränkungen 
des Gewerbebetriebs im Umherziehen zu dispensiren 
als unconstitutionell und zu Unsicherheit führend. 
Von conservativer Seite dagegen wurde die Be— 
timmung als zweckmäßig vertheidigt und schließlich 
56b Abs. 1 mit 12 gegen 6 und Absatz 2 ein⸗ 
timmig angenommen. 8560, Waarenversteigerun⸗ 
gen ꝛc. betr., waro, trotz mancher geäußerten gegen⸗ 
heiligen Wünsche, nach dem Regierungsentwurfe 
angenommen. Die 88 57 — 59 fanden ebenfalls trotz 
nancher Wünsche von liberaler und conservativer 
Zeite, Annahme. Viel Heiterkeit erregie die von 
ronservativer Seite versuchte Begründung einiger 
Bestimmungen des Entwurfes mit der naiven 
Aeußerung, der ganze Entwurf habe ja den Zweck, 
alle berührten Gegenstände dem Ermessen der Poli— 
zeibehörde zu überlassen. Auch liberalerseits ward 
diesem Ausspruche zugestimmt. 
Berlin, 4. Dez. Fürst Bismard ist 
aus Varzin hieher zurückgekehrt. 
Kaiser Wilhelm, welcher am Samstag 
on Letzlingen zurückkehrte, geht heute (Dienstag' 
ur Jagd nach der Goehrde. Wie es heißt 
ollte die Jagd erst nächsten Freitag Statt finden, 
vurde aber vorgerückt, weil die Kaiserin am 
7. ds. Mts. von Koblenz in Berlin zurück— 
rwartet wird. 
Eiuigermaßen überraschend war die in der am 
Freitag Statt gehabten Sitzung des preußischen 
Abgeordnetenhauses abgegebene Erklärung 
des Justizministers, daß er gegen Entschädig— 
ung unschuldig Verurtheilter sei. Damit 
sst denn auch das Schicksal des Antrages im Reiche 
entschieden. Wenn derselbe, was nicht unwahr—⸗ 
cheinlich ist, im Reichstage wirklich die Mehrheit 
finden würde, so würde der Bundesrath gegenüber 
dem Widerstreben Preußens denselben wohl ver⸗ 
verfen, und Das wäre in der That vom Stand⸗ 
zunkte der Humanität recht bedauerlich. 
Abg. Schulze⸗Delitzsch begründete in der 
Z„amstags⸗Sitzung des deutschen Reichstags 
ie Interpellalion betreffs einer Novelle zum Gee⸗ 
rossenschaftsgesetz. Staatssekretar Schelling 
erwiderte, eine Reform des Genossenschaftswesens 
hiete so weite Gesichtspunkte, daß sie in die Bahnen 
einer Novelle kaum passe; es werde vielmehr ein 
neues Genossenschaftsgesetz nöthig werden; dasselbe 
hefinde sich schon in einem vorgeschrittenen Studium 
der Vorarbeit. Nach unerheblicher Besprechung der 
Interpellation durch die Abgg. Perrot und Frege 
vertagte sich das Haus auf heute. 
Miittels kaiserlichen Erlasses sind ver⸗ 
inderte Vorschriften für das Bajonetfechten der In⸗ 
'anterie genehmigt worden. Der Kaiser hat, wie 
er Kriegsminister den Commandobehörden mittheilt, 
eine Willensmeinung dahin ausgesprochen, „daß 
ie hohern Vorgesetzten ihr Augenmerk darauf zu 
ichten haben, daß das Bajonetfechten nicht in 
zrößerm Umfange betrieben wird, als es mit Rück— 
icht auf seine Bedeutung angemessen ist, nament⸗ 
ich, daß nicht andere Dienstzweige dadurch beein⸗ 
trächtiat werden“ 
Ausland. 
Frankreich und Rußland beantragen eine 
Fonferenz zur Regelung der ägyptischen Angelegen⸗ 
seiten, wenn England nicht in die Herstellung des 
tatus quo ante in Aegypten willigt. Frankreich 
lehnt den Vorsitz in der Commission für die ägyp— 
sische Staatsschuld ab. Die französische Regierung 
si entschlossen, die Rechte Frankreichs auf die West- 
tüste Madagascars energisch zu waähren. 
Eine Privatmeldung der „Tribüne“ aus Pe⸗ 
tershurg bestätigt, daß die dortige Polizei um— 
fangreiche Verbindungen revolutionärer Elemente 
mnit Wortführern der Arbeiter entdeckt hat. Eine 
Anzahl von Etablissements ist unter besondere Auf⸗ 
icht gestellt worden mit der Ankündigung der 
Schließung und militärischen Sperrung beim ersten 
edrohlichen Anzeichen. Es ist erwiesen, daß am 
letzten Sonntag in der Nähe der Stadt eine zahl 
reiche Versammlung sozialiistischer Elemente statt⸗ 
jefunden hat, welche im Einklang mit weiteren An⸗ 
iftungen der Studenten zu handeln beschloß und 
ollen bereits ca. 40 Werkführer und Personen 
ihnlicher Art in Gewahrsam sein. Es ist das 
offenbar ein bedeutsamerer Anschlag, den man sehr 
ernst zu nehmen hat und der auch die Studenten⸗ 
inruhen in ein anderes Licht bringt. Das Mili⸗ 
är ist consignirt und größere Fabriken erhalten 
eigene Einquartirung, doch scheint man in gewissen 
creisen dem Militär selbst nicht recht zu trauen. 
Aus Anlaß der im Anfang des nächsten Jahres 
zevorstehenden Feier der silbernen Hochzeit des 
dronprinzen des Deutschen Reiches wird demnächst 
die kaiserliche Erlaubniß zur Veranstaltung einer 
Heldsammlung im russischen Reiche erfolgen. 
Mit dem Ertrage der Sammlung soll in Moskau 
inter dem Namen: Friedrich-Wilhelm-Victoria⸗ 
A 
Deutschen Reichs ein Zufluchtss und Krankenhaus 
erbaut werden. Das Institut soll eine Centralstelle 
werden, wo in Rußland weilende Deutsche Rath, 
Unterstützung und Auskunft, sowie im Bedürfniß— 
falle Aufnahme in dem Krankenhause finden werden, 
und steht ihm sicherlich eine höchst segensreiche 
Wirksamkeit bevor, da es kräftigst zur Unterstützung 
und Förderung des Deutschthums in der slavischen 
Fremde beitragen wird. 
Die Nachrichten aus Rußland lauten sehr 
z»eunruhigend. Der Nihilismus ist keineswegs er⸗ 
torben, sondern wuchert trotz russischer Polizei und 
ibirischer Verbannung im Stillen fort. Zu den 
zroßartigen Krawallen der Studenten in Kasan 
und Petersburg tritt noch eine allgemeine Unzu— 
riedenheit in den Reihen der Offiziere über eine 
inliebsame undkleidsame Uniformänderung. Es 
cheint leichter wahr werden zu sollen, was genau⸗ 
ere Kenner der russischen Verhältnisse schon längst 
prophezeit haben, daß nur eine Revolution das 
Land aus seinen traurigen Zuständen erlö—⸗ 
sen wird. 
Kairo, 4. Dez. Arabi, nur der bewaffneten 
Rebellion angeklagt, bekannte sich von dem Kriegs- 
gerichte derselben schuldig, worauf derselbe zum 
Tode verurtheilt wurde. Der Khedive verwandelte 
die Todesstrafe in lebenslängliche Verbannung. 
Kairo, 4. Dez. Ein Dekret des Khedives,. 
welches das Todesurtheil Arabis in Verbannung 
umwandelt, spricht zugleich aus, die Todesstrafe 
solle vollstreckt werden, wenn Arabi nach Aegypten 
zurückkehre. 
Lokele und vfälzische Nachrichten. 
* St. Ingbert, 5. Dez. Wie wir hören, 
nahm der Stadtrath in seiner gestrigen Sitzung 
das Budget pro 1883 ohne Aenderung nach den 
Vorschlägen der Budget-Commission an. Es bleibt 
also bei den 110 Prozent Umlagen für's nächste 
Jahr. (Wie schon früher erwähnt, sind dies 11 
Prozent weniger als heuer. 
Sit. Ingbert, 5. Dez. Gestern Abend 
zatten sich im kleinen Sälchen des Café Oberhauser 
die Lehrer der beiden christlichen Confessionen zu 
Fhhren ihres nach Venningen scheidenden israe—