Full text: St. Ingberter Anzeiger

St. Ingherter Amzeiger. 
Amtliches Organ des königl. Amtsgerichts St. Ingbert. 
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Politische Uebersicht. 
Einer Wiener Depesche der „Frankf. Zig.“ 
neldet, nach Berichten aus Lemberg bereisten 
ussische Bezirkskommissare sämmtliche Besitzungen 
n Polen, Podolien und der Ukreine, um dort be⸗ 
indliche Waffen zu confisciren. Diejenigen, welche 
in Waffenpatent haben, müssen eine schriftliche Er⸗ 
lärung über die Gattung und die Menge ihrer 
Waffen abgeben. Diese Maßregeln seien eine Folge 
er Furcht vor Agitationen englischer Emissäre und 
wr dem Ausbruch eines Aufstandes. Unter den 
olnischen Gutsbesitzern herrsche große Aufregung. 
Der „Temps“ meldet, eine Depesche Patenotre's 
heile mit, daß die „Pekinger Zeitung“ 
jestern das kaiserliche Decret betreffs der Ausführ⸗ 
ing der Friedenspräliminarien mit 
Frankreich veröffentlichen sollte. Ein Decret 
weise den Vicekönig an, einen Duanekommissar und 
inen Mandarinen nach Hanoi zu senden, um mit 
nem General Brioͤre de NJele den Modus für die 
täumung zu vereinbaren. Dem Führer der 
Schwarzen Flaggen ist der Titel Varon verliehen 
vorden und würde die chinesische Regierung ihm, 
wie es heißt, eine bedeutende Summe zahlen, da⸗ 
nit er seine Truppen entlassen köͤnne, außerdem 
vürde ihm die Verwaltung einer Provinz übertragen 
verden. Eine gestern von der „Times“ gebrachten 
Pachricht, daß in den Verhandlungen zwischen 
Frankreich und China Schwierigkeiten eingetreten 
eien, ist nach Vorstehendem kein Gewicht beizulegen. 
— General Courcy begibt fich am 30. d. Mits. 
aach Tonkin. Er ist schon der fünfte französische 
defehlshaber dort. Vor ihm kommandirte General 
Bouẽt, Admiral Courbet, General Millot und 
Vveneral Briore de l'Isle. Courcy gilt fur einen 
der besten Truppenführer Frankreichs, und zwar, 
vie der „Temps“ versichert, „mit Grund'“. Wenn 
der offene Kampf mit China beendet wird, so ist 
die Beruhigung Hinterindiens die Hauptfache; da⸗ 
u gehört aber mehr als Schneidigkeit, dazu gehört 
Organisationstalent und die siets wache Sorge, 
daß die französischen Beamten nicht erschlaffen und 
jon den anamitischen belogen und betrogen werden. 
Dhnehin fehlt es, abgesehen von der Schwarzen 
Flagge. nicht an Schwierigleiten mit dem Hofe 
von Hus, mit den Häuptlingen der unabhängigen 
Sbanstaaten auf der Westgrenze Tonkins, mit den 
Iufständischen in Kambodscha u. s. w. In allen 
iesen Angelegenheiten find militärische Fragen mit 
volitischen so verquickt, daß entschiedenes Talent 
ind Länderkunde dazu gehört, sie giüclich zu loͤsen. 
Deutsches Reich. 
SBerlin, 15. April. Der Reichsstag 
nat heute in die Berathung der Anträge der 
AIbgg. Mundel und Reichensperger, beir. die Ab⸗ 
nderung des Gerichtsverfafsungsgesetzes und der 
Strafprozeßordnung. Siaalasekreiär Dr. von 
Schelling erklärt, der Bundesrath sei mit Ent— 
virfen beschaftigt, welche eine Erleichterung des 
beschworenenams und eine bessere Bürgschaft für 
ie richtige Entscheidung der Thatfrage dezwecten. 
das Haus beschließt, üuber die Anträge zur Tages⸗ 
rdnung überzugehen. — Abg. Porsch zieht seinen 
Unrag auf Abanderung der Strafprozeßordnung 
wrüch. Der ursprünalichh pon den Abane Vohising 
Samstag, 18. April 1885. 20. Jahrg. 
und Lenzmann gestellte. von dem Abg. Kayser 
vieder aufgenommene Antrag betreffend die Ent⸗ 
chädigung unschuldig Verurtheilter wird nach un⸗ 
rheblicher Debatte an einen einundzwasziggliedrigen 
lusschuß verwiesen. — Die Berathung des An⸗ 
rages des Abg. Liebknecht betreffend die Verhaf—⸗ 
ung der Abgg. v. Vollmar und Frohme in Kiel im 
Jahre 1883 wird, da der Antragsteller krankheits⸗ 
jalber nicht anwesend ist. vertagt. Das Gesuch 
er Gemeinde Kleingandau betreffend Ansprüche an 
»en Militärfiskus wird dem Reichskanzler zur Er⸗ 
vägung überwiesen. Nächste Sitzung morgen 1 
ühr. Zolltarif. 
Berlin, 15. April. Der auf morgen anbe⸗ 
raumte Sitzung des Bundesrathes liegt eine ziem⸗ 
ich umfangreiche Tagesordnung zu Grunde. Unter 
zen neu eingegangenen Vorlagen befindet sich an 
erster Stelle eine elsaß⸗lothringische, betr. Grund 
zuchsachen, dann ein Gesetzentwurf, betr. die Grund⸗ 
ätze, welche bei Vollstreckung von Gesammistrafen 
jei Festsetzung der Einzelstrafen von Gerichten ver⸗ 
chiedener Bundesstaaten angewendet werden sollen, 
er Auslieferungsvertrag zwischen dem Deutschen 
steiche und Rußlond, der Gesetzentwurf, betr. Für⸗ 
orge für Beamte und deren Hinterbliebenen in 
Folge von Unfällen, sowie die Actenstücke zur 
Fongofrage. Es folgen dann verschiedene Ein⸗ 
jaben und Ausschußberichte, darunter auch derje⸗ 
nige über die Abänderung des Zolwwereinsvertraqges 
non 1869. 
Berlin, 15. April. Die Regierung beab⸗ 
ichtigt, die Ausführung des Postdampfergesetzes 
hunlichst zu beschleunigen. Wahrscheinlich wird 
azu noch ein Nachtragsetat pro 1885 —86 ein⸗ 
X 
Berlin, 15. April. Die Mandatsnieder 
egung des Herrn v. Schorlemer⸗Alst hat 
n den Kreisen der Deutschkonservativen einen sehr 
zeinlichen Eindruck gemacht und auch in Regie 
ungskreisen scheint man von dem Ereigniß unan⸗ 
zenehm berührt worden zu sein. Herr v. Schor⸗ 
emer galt als der hervorragendste Vertreter der 
onservatiben Richtung im Zentrum und vermittelte 
orzugsweise die Beruͤhrung dieser Partei mit der 
dechten. Man glaubt, daß jetzt Windthorst die 
derrschaft in der Zentrumspartei noch ausschließ⸗ 
icher führen wird und das bedeutet naturgemäß 
ine Verstärkung der regierungsfeindlichen Richtung 
n der klerikalen Partei. 
Berlin, 15. April. Die „Nordd. Allg. 
ztg.“ erfährt, der Reichskanzler wolle den Rest 
ser Bismarckspende zur Gewährung von Univerfi⸗ 
atssftipendien speziell für Kandidaten und Studie⸗ 
ende des höheren Lehramts benutzen. Sozial 
zolitisch lafse sfich mit einem Kapital, das etwa 
0,000 Mti. Zinsen trage, nichts unternehmen. 
Berlin, 15. April. In den leitenden poli⸗ 
ischen Kreisen der deutschen Reichshauptstadt häli 
nan an der Möglichkeit der Erhaltung des Friedens 
est. Die deutsche Regierung verhält fich durchaus 
alsid und neutral, dürfte sich aber troßz mit Eng⸗ 
ind gemachter sehr übler Erfahrungen zur Ueber⸗ 
ahme einer Vermittlerrolle unter Umständen der⸗ 
jehen. Solche Umstände sind, wie sich der Hamb. 
Forr.“ von hier berichten läßt, noch nicht einge⸗ 
reien. In Berlin wie in Wien wird die feste 
ldeberzeugung gehegt, daß, möge es auch zu einem 
zusammenstoß jener beiden Reiche in Afghanistan 
ommen, der europäische Friede davon nicht 
derde berührt werden. — Ueber die heute zur Gel⸗ 
ung aelanate berubiater⸗ Muffassuna wird der HK 
3.“ telegraphisch berichtet: Der politische Horizon 
yerändert sich wie das Wetter des Monats, in dem 
vir leben. Gestern und vorgestern war die Beun⸗ 
ruhigung keine geringe. Man befürchtete, daß die 
englische Kriegspartei nicht gestatten werde, daß man 
über den Vorfall Komaroff einfach zur Tagesord⸗ 
nung übergehen werde. Dies ist nun doch geschehen, 
venigstens nimmt man an, daß in der Angelegen⸗ 
heit ein Rückschlag Englands nicht mehr erfolgen 
vird, nachdem es sich bereit gezeigt hat, die russische 
erkllärung in Erwägung zu ziehen. Ein neuer 
zwischenfall kann allerdings auftauchen; einstweilen 
ritt aber in den Vordergrund, was England frie⸗ 
ensbedürftig macht: nämlich der Umstand, daß die 
eusfische Militärmacht auf dem Kriegsschauplatze 
zrößer ist als die englische, daß man dies in eng⸗ 
ischen Fachkreisen sehr wohl weiß, und daß die 
lusfichten bei einem Kampfe zwischen England und 
stußland in Bezug auf den Ausgang gar zu un⸗ 
zünstig für England liegen, indem eine russische 
stiederlage von den Russen ohne erhebliche Nach⸗ 
heile ertragen werden könnte, eine englische Nieder⸗ 
ageFhingegen den Befitz Indiens in Frage stellen 
vürde. England hat, wenn ein Sportausdruck bei 
o ernster Sache gestattet ift, den Russen zu lange 
„odds“ zu legen; es kann nur Wenig gewinnen 
ind Unermeßliches verlieren. Aus diesen und 
ihnlichen Gründen fieht man heute der Zukunft 
vieder hoffnungsvoller entgegen. Das kann fich 
reilich auch wieder ändern, denn die Ereignisse find 
seute unberechenbar. — Berichte, die der „N. Pr. 
3.“ aus London zugehen, bestätigen, daß das Ver⸗ 
rauen der dortigen diplomatischen Welt in die 
Z3nverläffigkeit de Emirs von Afghanistan 
irg erschüttert see Man zweifelt sogar, troß aller 
Jegentheiligen Erklärungen. daß gelegentlich der 
etzten Unterredungen des Lords Dufferin mit dem 
kmir, letzterer von der Niederlage der Afghanen 
im Kuscht⸗ Flusse dereits unterrichtet gewesen sei, 
ind fürchtet, daß, besonders wenn die Russen wei⸗ 
er vordringen, der Emir, selbst wenn er wollte, 
nußer Stande sein werde, seine von Anbeginn an 
als fadenscheinig betrachteten Zusagen einzuhalten. 
Ausslaund. 
Petersburg, 16. April. General Komaroff 
neldet aus Taschkri vom 6. April: Die Reste des 
ughanischen Detachements flüchteten nach Herat. 
Im einer Anarchie vorzubeugen, wurde in Vendjeh 
ine temporäre Verwaltung organisirt. Das russi⸗ 
che Detachement bleibt in Taschkri, zur Vorwärts⸗ 
zewegung liegt einstweilen keine Nothwendigkeit vor. 
Warschau, 16. April. Anlaäßlich der Ge⸗ 
üchte von dem Auftauchen englischer Agitatoren 
n Polen bemerkt das offiziöse Blatt, Dnewnik“: 
Es wolle dahingeftellt seine lassen, ob diese Gerüchte 
zegründet seien oder nicht; es sei ihm jedoch an⸗ 
jenehm, erllären zu können, daß sie durch diese 
Berüchte hervorgerufene Auslassungen der auslän⸗ 
ischen wie der lokalen polnischen Presse einstimmig 
gegen solche Agitation protestirten und vor Agita⸗ 
oren warnten. 
London, 16. April. „Daily News“ er⸗ 
ährt, die englische Regierung erwog die am Diens⸗ 
ag eingegangenen modifizirten russischen Vorschläge 
»ezüglich der Grenzfrage eingehend und sandie 
zjestern Abend die Antwort nach Petersburg ab. 
— „Standard“ meldet: Die hiesigen Botschafter 
der Großmächte verständigten ihre Regierungen 
dahin. daß ihres Frachtenz ein Pruch zwischen