st. Jugherter Amzeiger.
Amtliches Organ des königl. Amtsgerichts St. Ingbert.
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95.
J
Die obligatorische Sonntagsruhe.
Der Reichstag hat sich neulich mit einem An⸗
rage auf Einführung obligatorischer Sonntagsruhe
ar die Arbeiter beschäftigt, ohne daß die betreffende
debatte zu irgend einem endgültigen Resultate
uͤhrte. Die Ängelegenheit ist sozialpolitisch, aber
a wichtig, um sie auf sich beruhen zu lassen, auch
nat sie offenbar im ganzen Lande Aufsehen erregt,
mal der Fall eintrat, daß sich der Reichskanzler
zürst Bismarck diesmal sehr entschieden gegen die
intragsteller wandte und auf Seiten der Linken
tand.
Vetrachtet man die obligatorische Sonntagsruhe
„om religiösen und humanen Standpunkte, so wird
aan sie gewiß für Jedermann, zumal für die in
er Wocht hart arbeitenden Arbeiter wünschen,
ꝛeurtheili man die obligatorische Sonntagsruhe
adessen vom praktischen Standpunkte, so wird man
icht umhin können, dieselbe doch nur mit einigen
zinschränkungen für gut zu finden. Das Gesetz
agt ja auch bereits, der Sonntag ist ein Ruhetag,
m Feiertag, ader einige Ausnahmen sind gestattet
ind man kann hinzufügen, geradezu nothwendig.
gon Unglücksfallen. die an Sonntagen zur Arbeit
wingen. sehen wir ganz ab und bleiben lediglich
ei den praktischen Rothwendigkeiten des Lebens.
50 ist z. B. bei allen landwirthschaftlichen Betrieben
oegen der Versorgung des Viehes und der Arbeits-
iberhaufung in der Erntezeit vollstandig unmöglich,
mn Sonnlagen gar nicht zu arbeiten. Ganz ähn⸗
ich ist es im Verkehrswesen. Posten, Telegraphen,
tisenbahnen und Schiffe an Sonn und Festtagen
uhen zu lassen, ist gerade zu unmöglich, wenn
nan nicht die schlimmsten Verkehrsstokungen her⸗
eiführen will. Im Uedrigen erinnern wir daran,
aß selbst ganz harmlose Erholungen, die man an
Sonn- und Festiagen genießt, für andere Menschen
Urbeit mit sich dringen. denn seldst die Ausführung
ines geistlichen Concerts an Sonntagen, wogegen
vohl soleicht Niemand etwas einzuwenden haben
vird, verursacht für die Mitwirkenden Arbeit.
Nun könnie Jemand darauf erwidern: Ja, da⸗
n war in der betreffenden Reichstagsverhandlung
iber die Sonntagsruhe auch gar keine Rede, es
andelie sich vielmehr um die Sonntagsruhe für
en schwergeplagten Arbeiter. Dabei muß man
ber sich doch zunächs vergegenwärtigen. daß erstens
ie große Mehrheit der Arbeiter bereits die Sonn⸗
agsruhe besitzt, zweitens die Minderheit nicht ge⸗
wungen werden kann, an Sonntagen zu arbeiten,
esp. dei Arbeitgebern in Arbeit zu reten, die
Zonntags arbeiten lassen, drittens muß man bei
er Frage der Sonntagsruhe doch auch bedenken,
aß fich viele gewerbliche Unternehmungen oft an
onntagen in derselben oder doch ahnlichen Zwangs ·
age befinden wie die landwirthschaftlichen Betriebe
ind Verkehrsanstalten, sie müssen eben, der Noth
xhorchend und nicht. dem eigenen Triebe, an
donntagen arbeiten lassen. Schließlich wäre auch
czüglich der betreffenden Arheitet, die an Sonm⸗
agen arbeiten und dafür Lohn bekommen. in Er⸗
agung zu ziehen. ob ihnen an der Aufhebung der
Sonntagsarbeit und der damit verbundenen Ver⸗
e ihrer Einnahme etwas gelegen ist. —
e vertennen wir aber nicht, daß diese Frage
8 ethische ideale Seite hat und es in dieser
n J nühlich wäre, die Sonntagsruhe für
Indeiee schärferen Bestimmungen
* erwerfen, damit mit der Sonntagsarbeit
von den Arbeitgebern noch Arbeitnehmern
Saummstag, 16. Mai 1885.
20. Jahrg.
Mißbrauch getrieben wird. Aber die Einführung
iner bedingungslosen, obligatorischen Sonntagsruhe
ür die Arbeiter, die gar keine Ausnahme kennt,
zlauben wir aus den erwähnten Gründen ablehnen
u müssen.
—
Zu dem Bericht über den Frühschoppen
heim Reichskanzler bringt das „Fr. J.“
noch Folgendes nach: Der große Saal, in dem
das reiche Buffet aufgestellt, war so gefüllt, daß
nan sich nur schwer darin bewegen konnte, und
voch erging sich ein Theil der Gäste noch in den
ahlreichen geräumigen Nebensälen, unter denen
amentlich ein Zimmer die Aufmerksamkeit erregte,
n welchem die Bilder der drei Kaiser von Deuisch⸗
and, Oesterreich und Rußland hingen und ein
vunderbar geschnitztes Füllhorn aus Elfenbein, ein
veschenk des Kaisers von China, ein Hauptschau⸗
tück bildete. Von den Parteien des Hauses waren
deursch-⸗ und Freikonservative, Zentrum und El⸗
üsser, Deutsche-Freisinnige und Nationalliberale
ertreten, so daß nur Welfen, Polen und Sozial-
»emokraten der Theilnahme sich enthalten hatten.
dem Berichte der „Post“ entnehmen wir noch
olgende kleine Episode: „Der Reichskanzler hatte
einen Platz in einer Gruppe von Nationalliheralen
ind Reichsparteilern genommen; da gesellte sich
Windthorst dazu und wurde sofort mit der
Fcage empfangen, ob er der nationalliberalen oder
der Reichspartei beitreten wolle. „Vorläufig keins
von beiden“, antwortete er. Und als Windthorst
zu bemerken schien, sein Glas sei nicht ganz voll
jegossen, erhielt er den Bescheid, daß er bis zu
em erhofften Parteiübertritt überhaupt mit dem
Wein knapp gehalten werden solle. In diese
cherzhafte Unterhaltung fiel die Musik mit einer
auschenden Passage ein, so daß einige Worte ver⸗
oren gingen. Ein Mitglied der Reichspartei, der
Ibg. Gehlert, warf die Frage in dieses Intermezzo,
b es nicht gut sei, die Musik in den Reichstag
uu dritten Lesungen zu schicken, nur dürfte Herr
Bindthorst dabei nicht Tambourmajor sein. „Ich
yürde mir auch lieber“, erwiderte der Reichskanzler.
den Präsidenten für diesen Posten vorziehen.“
„Und ich den Reichskanzler“, erwiderte ichlagfertig
Jdemand aus der Korona.“
Politische Uebersicht.
*Bezüglich der Frühjahrsreise Dis—
»ofsitionen des Kaisers sollen jetzt wieder
indere Bestimmungen getroffen worden sein.
—XDD
nal von einem Aufenthalte in Wiesbaden absehen
ind fich dirett nach Ems begeben, versichert man
etzt von unterrichteter Seite von Berlin aus, daß
er greise Monarch sich nun doch entschlossen habe,
uersi die gewohnte Wiesbadener Kur durchzumachen.
die Abreise des Kaisers von Berlin nach Wiesbaden
rfolgt voraussichtlich am dritten Pfingstfeiertage,
voran sich etwa Milte Juni der Beginn der Kur
n Ems anschließt.
* Der für Mittwoch beabsichtigt gewesene Schluß
ves Reichstages hat sich nicht ermöglichen
assen, da das Haus an diesem Tage nicht einmal
ie dritte Lesung der Zolltarif⸗Novelle vollständig
u Ende führen konnte; auch sollen noch der deutsch⸗
ussische Auslieferungsvertrag und die Novelle zum
eutschen spanischen Handelsvertrage, welche der
zundesrath bereits in seiner am Montag abgehaltenen
Sitzung genehmigt hat erledigt werden. Dagegen
arf der Schluß des Reichstages nach den Aeußer⸗
ingen, welche Fürst Bismard gelegentlich des bei
hm am Diensiag stattgefundenen parlamentarischen
Fruhschoppens? gethan hat, fuür diesen
Zonnabend erwartet werden. Der „Frühschoppen“
rug im Uebrigen auch diesmal einen durchaus
ingezwungenen Charakter und war von den Mit
liedern des Bundesrathes wie des Reichstages
ahlreich besucht. Sehr bemerlt wurde die lange
Anterredung. welche der Kanzler hierbei mit Herrn
dr. Windthorst pflog; der Centrumsführer frug
ei dieser Gelegenheit an, ob Fürst Bismarck auf
zie Berhandiung des Auslieferungsvertrages mit
sußland großen Werih lege. was der Fürst nach⸗
rrücklich heiabte.
e Die Ernennung des Grafen Herbert Bismard
—XLV
kigen Amte ist in den politischen und parla⸗
nentarischen Kreisen der Reichshauptstadt mit Be⸗
riedigungen aufgenommen worden. Graf Herbert
gismarck wird zwar in noch verhältnißmäßig jungen
Fahren an einen so wichtigen Posten gestellt aber
zie wiederholten Beweise von Tüchtigkeit und Fähig⸗
eit, welche er gegeben hat — wir erinnern nur
in seine erfolgreiche Londoner Mission — berechtigen
u der Hoffnung, daß der älteste Sohn des Reichs⸗
anzlers auch sein neues Amt 'in einer dem Reiche
Isprießlichen Weise ausfüllen werde.
Das scharfe Hereinfahren des Kanzlers in die
Zonntagsfeier ⸗ Debatten des Reichstags hat zur
Folge gehabt, daß die Mehrheit, aus dem Jentrum
ind den Konservativen bestehend, den Antrag
Zuhl abgelehnt hat, welcher heute die vom Kanz
er befürwortete Enquete auf dem Gebiete der Ar⸗
eiterverhaltnisse zur Berathung gestellt sehen wollte.
Nit tausend Masten ist man losgesegelt, ein halbes
dutzend Anträge konkurrirten imAnfange der
Seffion. um den Arbeitern Schutz zu gewähren
nun ist nicht einmal das Boot gereitet, selbst
ie Einhoiung von Information ist von den ehe⸗
nals Schutzbereiten nicht unterstützt worden.
ö———
Das „Berl. Tagbl.“ schreibt: In Bayern
st man mit der jetzt dort erhobenen Malzsteuer
nicht zufrieden; man wünscht ihre Herabsetzung,
esonders im Interesse der kleineren Brauereien,
velche angeblich die seit einigen Jahren erhöhte
Zteuer nicht ertrragen köͤnnen. Das hat nun eigent⸗
ich das bayerische Volt mit seinem Landtag und
einer Regierung auszumachen; vielleicht läßt fich
zie Sache auch arrangiren, nachdem die mit Hilfe
er bayerischen Abgeordneten zu Stande gekomme⸗
nen Zoslerhöhungen die Einnahmen des Reiches ins
Nnendliche gesteigert haben, die Frage gewinnt aber
ür uns an Interesse. indem man in Bayern die
Abhilfe in der Herabsetzung der Uebergangsabgabe
zuf Bier, welches aus Bayern nach Norddeutschland
reht, sucht. Diese Uebergangasabgaabe beträgt iekt
Die TIX. Kommission des Reichstags. welcher
ʒer Antrag Lenzmann⸗Kayser wegen Entschadi g⸗
rug unschuldig verhafteter Personen
ur Vorberathung üderwiesen worden, hat beschlossen,
em Plenum eine Resolution vorzuschlagen, wodurch
zie verbündeten Regierungen um möͤglichst baldige
AIusarbeitung und Vorlegung eines Gesetzentwurfes
begen Entschädigung für unschuldig erlittene Haft
nuf Grund der vom Abg. Dr. Hartmann aufge⸗
lellten prinzipiellen Fragen ersucht werden.