Full text: St. Ingberter Anzeiger

— Ludwigshafen, 2. Sept. Auf der 
Spitze des Kleterbaumes auf dem Turnplatz Hems· 
jof prangte heute Morgen an einer Stange befestigt 
ine rothe Fahne, die in vergangener Nacht dorthin 
geschafft wurde. Dieselbe trug auf einer Seite mit 
jroßer Schrift und weißer Farbe die Inschrift: 
Hoch Sozialdemokratie“, auf der anderen Seite 
Hoch Sozialstaat“. Die Polizei hat diese Fahne 
erabgenommen und beschlagnahmt. (G..A.) 
Die Eisenbahmen haben neuerdings die 
Benutzung der Rückfahrkarten für die Rückfahrt von 
eiten anderer Personen als des urs prünglichen 
Fahrgastes untersagt. und die Frage, ob sie rechtlich 
ʒazu befugt seien, ist Gegenstand richterlicher Ent⸗ 
cheidung geworden. Das Gericht hatte in zwei 
Instanzen die Benutzung der Rückfahrkarten als 
Zeirug erklärt und die betreffenden Angeklagten zu 
sechs Wochen Gefängniß verurtheilt. In der Re⸗ 
bisions⸗Instanz wurde jedoch das Urtheil aufgehoben. 
Die Veriheidigung führte aus, daß eine bloße In⸗ 
ttrultion der Vahnverwaltung der gekauften Rück⸗ 
jahrkarte ihr Wesen als Inhaberpapier nicht rauben 
sönne; jeder Inhaber habe das Recht, dasselbe zu 
derkaufen, und der Erwerber einen zivilrechtlichen 
Anspruch auf Beförderung. Der berühmte Jurist 
Ihering tritt dieser Auffafsung vollkommen bei. 
Aus seiner eingehenden, sachgemäßen Ausführung 
vollen wir nur folgende Sätze hervorheben, da ein 
veileres Eingehen auf dieselbe uns zu weit führen 
vdürde. Ein Inhaberpapier, daß es nur in gewissen 
Richtungen sein soll, in andern nicht, ist eine oon- 
adictio in adjecto. Hält die Eisenbahnverwalt⸗ 
ung es einmal aus guten Gründen für angemessen, 
tait der Personenbillets, wie fie hei der Post allgemein 
aͤblich sind, Inhaberbillets auszugeben, so kann sie 
das daran für den Erwerber sich knüpfende Recht 
aicht willkürlich wieder beschränken. Es ist eine 
schnöde Mißachtung des Rechts, wenn einem Fahr⸗ 
Jast, der ein Retourbillet vorweist, die Benutzung 
besselben für die Rüdfahrt aus dem Grunde ver⸗ 
agt wird. weil er dasselbe von einem andern er⸗ 
tanden hat. Rechtlich war er dazu vollkommen 
defugt, sein Recht ist das nämliche wie das des 
arsprünglichen Erwerbers, und wie dieser wegen 
grundlos verweigerter Mitfahrt die actio injuriarum 
hat, ebenso er. Ihering führt dann weiter aus, 
baß auch ein entsprechender Vermerk auf der Fahr⸗ 
jarle die Sache nicht anders gestalten könne. Denn 
das objektive Recht setzt der Autonomie der Par⸗ 
scien Grenzen. Neben solchen Bestimmungen. 
welche sie durch Vertrag ausschließen koönnen, gibt 
es auch solche, welche das Recht mit gewissem 
Vorbedacht. um der Ausnutzung der Abhängigkeit, 
der Nothlage der einen Partei durch die andere, 
der kontralllichen Erpressung. loönnte man sagen. 
vorzubeugen, zu absoluten Rormen des Vertrags 
erhoben hat. Es steht den Parteien frei, den 
Vertrag abzuschließen oder nicht, aber wollen sie 
g inmal, so muß es in dieser Gestalt geschehen. 
Es sind dies Bestimmungen, welche das Gesetz 
sozusagen im oͤbervormundschaftlichen Interesse 
für den Verkehr erlassen hat, um fich des Schwachen 
gegen den UÜebermächtigen anzunehmen, und 
gerade im Eisenbahnverlehr ist bei dem ungeheueren 
Lebergewicht, welches die Verwaltung über die 
Privaten hat, diese obervormundschaftliche Fürsorge 
der Gesetzgebung mehr als irgendwo als erforder⸗ 
lich angezeigt. Eine Beschränkung, wie die Eisen⸗ 
zahnberwaltung fie dem Kaufer einer Rückfahrts⸗ 
jarle aufzuerlegen versucht, verträgt sich einfach 
anicht mit dem Wesen eines Inhaberpapiers, fie 
viberspricht der Bestimmung, die dasselbe hat und 
jaben soll. Der Wille der Parteien kann ein 
stechtsinstitut nicht zu etwas Anderem machen, als 
was es einmal ist; wer ein Inhaberpapier aus⸗ 
zibt, muß sich die Folgen. die mit demselben ver⸗ 
zunden sind, gefallen lassen. Etwas Gegentheiliges 
nn allerdings auf dem Wege der Gesetzgebung 
ꝛingeführt werden, und es ist zu erwarten, daß die 
cisenbahnverwaltungen, wenn fie fich überzeugen, 
daß fie auf dem bisher eingeschlagenen Wege ihren 
Zwed nicht erreichen, es an Versuchen in dieser 
Richtung nicht werden fehlen lassen. 
4 Durch einen vor etwas über Jahresfrist er⸗ 
zangenen kaiserlichen Erlaß soll den Mitkampfern 
zer Feldzüge von 1870 und 1871, welche eine 
nnere Koͤrperbeschadigung erlitten haben. also nicht 
„erwundet oder äußerlich verletzt find, erforderlichen⸗ 
—XVV — den kaiserlichen 
Herfügungsmitteln zu Huͤlfe gelommen werden. ob· 
Vermischte⸗ 
wohl sie die Frist zur Geltendmachung ihrer An⸗ 
iprüche haben verstreichen lassen. Darnach können, 
vie in Erinnerung zu bringen ist, auch alle die in 
kede stehenden Mannschaften, welche nach dem 
20. Mai 1875 Invalidenansprüche erhoben haben, 
nit diesen aber abgewiesen find, nachträglich ein 
juterstützungsgesuch einreichen. Dasselbe nimmt 
er Bezirksfeldwebel auch in einer Verhandlung 
zuf, und es sind zur Begründung die Militärpa⸗ 
iere, die früher erhaltenen Bescheide und das 
Zeugniß über den Besitz der Kriegsdenkmünze für 
dämpfer vorzulegen. 
'Forbach, 31. August. Letzte Woche fand, 
vie man der „Lothr. Ztg.“ berichtet, unter einem 
Theile der Kleinrosselner Steinkohlengruben ⸗Arbeiter 
in eigenthümlicher Streil statt. Man weiß nicht 
jenau, von wannen dieser Wind weht. Angeblich 
oll eine Sybilla von Altglashütte ein Grudenun⸗ 
lück zu Camphausen und Dudweiler laͤngere Zeit 
jorhergesagt und in neuester Zeit nun auch ein 
Unglück prophezeit haben, das am dergangenen 
dienstag oder Mittwoch in der Kleinrosselner Grube 
atle ftattfinden sollen. Viele Bergleute von For⸗ 
ach, Ludweiler und Rosseln ließen sich, wie man 
ehauptet, durch diese Prophezeiung abhalten, ihre 
zchicht anzutreien, so daß für dieselben ein bedeu⸗ 
ender Gesammtlohnausfall zu verzeichnen ist. Die 
—XV—— denn 
iicht der geringste Unfall ist zu beklagen. 
Ein Verlierer gesucht! Die Polizei-⸗ 
direttion zu Straßburg i. E. forscht gegen⸗ 
värtig nach dem Aufenthalte eines Direktors G. 
hünther, um demselben ein in einem dortigen 
dotel zurückgelassenes Portefeuille mit 1500 Mark 
u behändigen. Aus dem Fremdenbuche des dort 
im Pariserstaden belegenen Hotels geht hervor, daß 
d. im Jahre 1836 geboren, in Berlin heimaths⸗ 
erechtigt, aus Karlsruhe kommend, vom 16. bis 
18. Juni d. J. dort logirt hat und angeblich nach 
ʒreiburg in Baden abgereist ist. 
Trier, 2. Sept. Im Bureau der Firma 
zack Söhne hierselbst hat in diesen Tagen ein selt⸗ 
amer Vorfall statigefunden. Von Donnerstag 
dachmittag an bis Montag hoͤrte man von Zeit 
u Zeit in der Ofenroͤhre, die in der geraden 
kichiung in den Schornstein führt, ein leises Ge⸗ 
äusch, welches herabfallendem Ruß zugeschrieben 
purde. Schließlich vernahm man aber über dem 
—chieber die Bewegung eines lebenden Wesens. 
Als hierauf der Schieber und die am untern Ende 
er Roͤhre befindliche Büchse weggenommen wurden, 
iel — eine fast ganz verhungerte Taube heraus, 
velche nach sorgfältiger Reinigung sich bald wieder 
rhoit/hat. Bei näherer Untersuchung sah man, 
zaß sich an ihrem linken Beine ein anscheinend 
ilberner Ring befindet, auf welchem die Jahres⸗ 
ahl 1885 und die Nummer 128 gravirt find. 
diese Taube, aschgrau, ist so vertraulich, daß fie 
hrem Verpfleger das Futier aus der Hand nimmt. 
HNan muß annehmen, daß sie ihrem Eigenthümer 
der vielmehr ihrer Eigenthümerin entflogen und 
— wahrscheinlich von einem Raubvogel verfolgt 
— in ben Schornstein flüchtete, durch welchen 
zerab sie in die Ofenröhre gefallen itt. 
7 Zu den Mainzer Morden. Wie 
zie „N. B. L⸗Ztg.“ in Erfahrung bringt, wurde 
on der Mannheimer Kriminalschußmannschaft ein 
Mann ermittelt, welcher Augenzeuge eines der 
Morde gewesen sein soll. Derselde wurde in Ver⸗ 
jaftung genommen und an die Mainzer Staats-⸗ 
mwaltschaft abgeliefert. 
Mainz, 1. Sept. Auf dem Bureau der 
ztaatsanwaltschaft hat sich gestern Nachmittag ein 
ier fremder, dem Arbeiterstand angehöriger Mann 
ingestellt und erklärt, er si Mitwisser und 
vehilfe bei den Mordthaten. Er habe, sagt er, 
herbst am Abend im Wirthshaus getroffen und 
ei von demselben in den Plan eingeweiht worden. 
dierauf habe er während der That und bei dem 
herbringen der Leiche nach dem Rhein den Auf—⸗ 
vasser gemacht. Die ganze Persoͤnlichkeit, wie auch 
die Aussage des Betreffenden ließen unschwer er⸗ 
iennen, daß man es mit einent Geisteskranken zu 
hun hatte und es wurde derselbe einflweilen in 
em Spital untergebracht. Zwei in der Nacht auf 
inem Floß in Kastel als sehr verdächtig verhaftete 
Zurschen wurden alsbald wieder freigelassen, da sie 
hr Alibi in bestimmtester Form nachweisen konnten. 
da von Wothe immer noch keinerlei Spur gefun⸗ 
en ist, nimmt man jetzt allgemein an, daß die 
efundene Leiche mit ihm indentisch ist und daß 
derbit beide Morde ausgeführt hat. 
Zu den Mainzer Morden. Dem 
Zecnehmen nach hat die Staatsanwaltschaft einen 
Taucher engagiert, um von demselben das Rhein— 
zett von Laubenheim abwärts nach den fehlenden 
krtremitäten absuchen zu lassen. In Laubenheim 
vird nach einem Mädchen recherchiert, welches 
während Herbst in Laubenheim war, mehrmais 
nach diesem gefragt haben soll. 
* Man schreibt dem Frankf. Journ. aus 
ßadenBaden: Der frühere Arrangeur und 
reiter der hiesigen Feste und Rennen. Herr André, 
zründete in gegenwärtiger Saison mit Erlaubniß 
— 
velcher jedenfalls ohne Wissen der Polizei 
»der des Staates hauptsächlich dem Spiel⸗ 
„astex fröhnt. Allnächtlich werden jetzt dort un⸗ 
geheure Summen gewonnen und verloren. Ez 
jedeutet dieses Tripot den Ruin von Baden⸗Baden; 
zurch die Thätigkeit dieses „Cercles“ wird auch das 
Zustandekommen der nächftjährigen Rennen und 
Feste in Frage gestellt, da in Folge der kursitenden 
HZerüchte uͤber diese Spielhölle das Direktorium des 
Iternationalen Klubs, worunter der Prinz Hermann 
hon Sachsen ⸗Weimar, Graf Festetic, Herzog von 
damilton und andere hohe Herren sich befinden, 
—ED 
zurch werden die Interessen unserer Mitbürger ge— 
ährdet, da solche immer auf zahlreiche Fremde 
während der Rennen und Feste rechnen; falls diese 
nun ausbleiben, wird die Existenz von Baden⸗ 
Hhaden geradezu in Frage gestellt werden. — Wie 
ez im „Cercle“ zu Baden⸗Baden zugeht, zeigen 
'olgende Beispiele, welche wir aus Gründen der 
Schicklichkeit und des Anstandes allerdings nicht in 
hrer drastischen Thatsache wiedergeben konnen. 
Hei der letzten Réͤunion saß die berüchtigte Miß 
doward (früher Blumenmädchen, dann Maitresse 
Herschiedener reicher Personlichkeiten, welche sie sümmt⸗ 
iich zu Grunde gerichtet, in einer nicht gut be⸗ 
chriebenen Situation bei einem jungen Franzosen, 
als die Prinzessin von SolmsBraunfels mit dem 
Fürsten Bibesco eintrat. Die fürstlichen Damen 
varen entrüstet über das Gebahren der genannten 
Miß und zogen fich zurück, nicht ohne zuvor den 
Direktot, Besitzer genannten .Cercles“, um Auf · 
lärung zu ersuchen, woraufhin Herr Andtoͤ die 
xẽrtlärung abgab, daß Miß Howard und der junge 
Tavalier ein „soeben verheirathetes Ehepaar“ sei, 
welches in den ersten Tagen der Flitterwochen sich 
hefande. — Am Montage wurden im „LCercke 
nartirte Spiellarten entdecht; darauf begab sich 
derr Androͤ persönlich zu einem russischen Cabalier, 
Hraf d. S., in das Viktoria⸗Hotel. beschuldigte 
zen Russen, welcher lezthin 55, 000 Mk. gewonnen 
zatte, die Karten in den ‚Cercle“ geschmuggelt zu 
Jjaben und rieth ihm, sofort abzureisen. Der Russe 
rklärte hierauf, die Karten nicht zu kennen. und 
vandie fich — wahrscheinlich behufs Beschwerde. 
uhrung an den eussischen Konsul. Es wird 
ziese Affaire daher wohl noch vor den Gerichtshof 
selangen. — Aus diesen zwei Beispielen dürfte 
jenügend hervorgehen, daß, soll Baden · Baden 
ernechin unter den anständigen Kurplätzen figu 
iren, die Schliehung eines derartigen „Cercles 
die erfte Bedingung ist. 
p In Waldülders heim (kreis Oppenheim 
purde am verflossenen Sonntag ein grauenhaftes 
Berbrechen veruͤbt, das auf religiodsen Fanatiomus 
urückzuführen ist. Eine aus 7 Personen bestehende, 
her Mennonitengemeinde angehörende Fawilie. 
Stallmann mit Namen, hat nämlich in einem ihret 
Angehörigen, einem Madchen von 24 Jahren, 
Teufel erblickt und um letzteren auszurotten do 
Nadchen ermordet und den Leichnahm in 
hfuhlgrube geworfen. Als fie spater die da 
‚erscharren wollten, wurde die That entdedt. u 
ie g. Wormser Z.“ und die „Landeskt. wd 
st die ganze Familie in das Irrenbaus aepbra 
vorden. soeist 
p. Dasseldorf, 831. Auguft. d 
Morgen 6 Uhr wurde Gottfried Peters aus 
Me Giaddach in hisigen Arrashause enntnn 
Beters hatte am 29. Marz ds. Is. zwei αα 
m Alter von 8—-10 Jahren in der unmen 
den Weise ermordet. 
pasltn, 1. Sebt. Drei Madchen und eit 
Znaben schenite am Sonntag die Ehefrau d 
Berufs · Feuerwehrmannes N. Adolph hier — 
nal ihrem eben nicht mit zeitlichen Gluczaunn 
gesegneten Ehemann. Die Wochnerin is vollstn- 
Jig wohl: eins der Mädchen ist gestorben.