Full text: St. Ingberter Anzeiger

maßig kleinen Raume zusammengedrängt ist, so 
mußten für den Eisenbahntransport besondere Vor⸗ 
kehrungen getroffen werden. Das Geschittz ruhf 
auf zwei eigens für diesen Zweck gebauten Wagen, 
weiche durch eine drehbare Brücke miteinander ver⸗ 
bunden sind. Jeder dieser Wagen hat 8 Achsen, 
ein eigenes Gewicht von 89 Tonnen und eine 
Tragfähigkeit von 75 Tonnen. Zwischen der Lo⸗ 
—X— laufen 
zur größern Sicherheit zwei unbeladene Wagen. 
Da der Sonderzug, mit welchem das Geschütz be⸗ 
fördert wird, gewisse Eisenbahnbrücken nicht passiren 
darf, so müssen die von demselben zu bef ahrenden 
Strecken mit besonderer Vorsicht ausgewählt werden. 
7 Dortmund, 8. März. Der heute früh 
7 Uhr von hier nach Düsseldorf Köln gehende Zug 
fuhr vor der Station Marten infolge falscher 
Weichenstellung in einen mit Kohlenwagen besrtzten 
Strang der, Zeche „Germania“. Der Kaufmann 
Westhelle aus Dortmund warde getödtet, 4 Personen 
find schwer, mehrere leicht verletzt. Schwer verletzt 
wurde Direktor Bohres von der Zeche Borussia. 
Zwei Maschinen und 6 Wagen sind zertrümmert, 
darunter der Postwagen; in letzterem war ein 
Brand enistanden. Es ist ein Wunder, daß der 
Beamte gerettet wurde. Der Zug war schwach besetzt. 
P Dussseldorf, 6. März. Der, Erste 
Staatsanwalt macht bekannt, die von einigen Zeit 
ungen gebrachte Mittheilung: daß die Thäter des 
am 14 Februar ds. Is. hierselbst an der Pfand⸗ 
versetzerin Wittwe Schoop verübten Raubmordes in 
der Nähe von Offenbach am Glan verhaftet worden 
seien, entbehre jeglicher thatsächlichen Grundlage, da 
es bisher leider nicht gelungen ist. eine sichere Svur 
der Mörder aufzufinden. 
F Mannheim, 4. März. Wie die „N. B. 
L.“ berichtet, treiben sich hier und in der Umgegend 
etliche Schwindler — angeblich Italiener — herum, 
welche minderwerthige alte Geigen als italienische 
Meister⸗Geigen gegen verhältnißmäßig hohe Preise 
zu verkaufen suchen und worauf schon eine größere 
Anzahl von Personen reingefallen ist. Das Pu— 
blikum wird deshalb vor diesen Leuten gewarnt! 
fHeidelberg, 5. März. Prof. Dr. 
Schweninger verwirklicht jetzt seinen schon seit länger 
als einem Jahr gehegten Plan, in der Nähe von 
Heidelberg ein Sanatorium für Fettleibige zu er⸗ 
richten, indem er das Schloßhotel des Herrn H. 
Albert zu den Zwecken einer Heilanstalt herrichten 
läßßzt, welche schon in wenigen Wochen eröffnet wer⸗ 
den soll. Wie man hört, ist auch eine Drahtseil⸗ 
bahn nach dem Schloßhotel projektiert. Selbstver⸗ 
ständlich würde damit das alte Projekt einer Draht ⸗ 
seilbahn nach der Molkenkur aufgegeben werden. 
F Frankfurt a. M., 83. März. Gestern 
Morgen fand ein hiesiger Geschäftsinhaber auf 
seinem Schreibtisch einen Brief seines Buchhalters. 
Er öffnete das Schreiben und las zu seinem nicht 
geringen Schreden Folzendes: „Da 5000 Mark 
für Sie dasselbe, was für mich 5 Mark sind, so 
habe ich es für keine Sünde gehalten, Ihre Kosse 
um diesen Betrag zu kürzen. In dem Augenblick, 
wo Sie diese Worte lesen werden, bin ich bereits 
außer Ihrem Bereich. Lassen Sie mich nicht ver⸗ 
folgen, denn ich habe Sie insofern sicher gestellt, 
als ich Ihnen zwei Kinder und meine Gattin zu⸗ 
rücklasse, für die Sie hoffentlich auch etwas thun 
werden, da sie im Augenblick völlig mittellos sind.“ 
Der Geschäftsinhaber begab fich nach der Wohnung 
seines Buchhalters, wo er dessen Frau in einer 
perzweifelten Stimmung antraf. In einem Brief, 
welchen die Frau Morgens erhalten hatte, theilte 
ihr der Durchgänger mit, daß Herr X, sein Chef, 
jedenfalls für sie und die Kinder sorgen werde. 
Letzterer wurde in der That durch die Verzweiflung 
der armen Frau derart gerührt, daß er ihr eine 
Stunde nach seinem Besuche tausend Mark sandte, 
und zwar mit der Bemerkung: „Ob ich umm 5 
oder 6000 Mark betrogen worden, wäre ziemlich 
einerlei, jedenfalls sollen Sie mit Ihren Kinderchen 
porerst keine Noth leiden. — Die Frau begab 
sich sofort zu dem edeldenkenden Kaufmann, stattete 
jhren Dank ab und kehrte mit ihren Kindern zu 
ihren Eltern zurück. 
FAugsburg, 6. März. Im vorigen Jahre 
starb in Waghäusel in Baden der dahier behei⸗ 
mathete Kassier der dortigen Zuckerfabrik Oppen⸗ 
heimer. Er hinterläßt ein Vermögen von 150,000 
Mk., welches, da kein Testament und keine recht⸗ 
mäßigen Erben vorhanden, dem bayerischen Fiskus 
anheimfallen wird. 
4 Die Münchener „N. N.“ schreiben: Nach 
inseren Informationen befätigt sich die Mittheilung 
des „Nürnb. Anz “. daß hier hedeutende Bestellungen 
ür das auf königlichen Befeht neu zu erbauend« 
.chinesische“ Schloß gemacht worden sein sollen; 
zuch das auf dem Falkenstein veojektirte Schloß im 
byzantinischen“ Stil soll im Frühjahr in Angriff 
jensmmen werden. Diese beiden Allerhöchsten Auf⸗ 
räge fallen in die Geschäftzaufgabe der kgl. Hof ˖ 
aubehörde. „Der „Nürnd. Anz.“ bemerkt hiezu: 
„Daß dadurch die Regelung der immer mißlicher 
verdenden Verhältnisse der kgl. Kabinetskasse nicht 
rleichtert wird, ist selbstverstäudlich 
Aus dem Kreise Oels 4 Marz. 
xin großes Unglück hat sich am Dienstag auf dem 
Ddominium Stampen zugetragen. In dem oberen 
Stockwerk des sogenannten Dörrhauses waren 38 
Frauen beschäftigt;, »als der Flachs plößlich zu 
rennen anfing. : Bei dem reißenden Umsichgreifen 
es Feuers erlitten 35 Personen mehr oder minder 
tarke Brandwunden; 8Personen sind dereits kurze 
Zeit nach dem Brande gestorben, während eine 
sroße Zahl schwer Verletzter in das Krankenhaus 
u Oels gebracht wurden. Das Elend iß unbes 
chreiblich; von einer Vermißten soll nur die Asche 
efunden worden sein. Die Unglücklichen konaten 
ich nicht retien, weil die nach oben führende Treppe 
inpassirbar wurde und die in der oberen Etage 
efindliche Thür von außen verrammelt gewesen 
ein soll. Für die im Oelser Kreiskrankenhaust 
zefindlichen schwer Verletzten bittet Herr Superin⸗ 
endent Ueberschür durch öffentliche Bekanntmachung 
um Unterstützung durch Darreichung alter Leinwand 
an das Krankenhaus. 
4 Einen ganz mer?würdigen Selbstmordversuch 
anteinahm am Samstag Vormittag ein Tischler- 
jeselle in Berlin, indem er in der Leimlüche 
reines Meisters in der Fehrbellinerstraße sich durch 
Verbrennen das Leben nehmen wollte. Zu diesem 
Zwecke hatte er sein Hemd mit Spiritus getränkt 
und angezündet. Er wurde mit schweren Brand⸗ 
vunden bedeckt aufgefunden und nach dem Laza 
ruskrankenhause gebracht. 
F Ein üchneidig er junger Dandy in 
jellgrauem, eleganten Paletot, mit hechtfarbenen 
—XXVD 
jebrannten Frisur und das unvermeidliche Monocle 
ins Auge geklemmt, passirte am Samstag Miittag 
surz vor dem Pariser Platz in Berlhin den 
Straßendamm dicht hinter einem Schlächter Trans- 
»orwagen, als gerade durch einen tückischen Zufall 
die hintere Einlaßthüur des Wagens aufsprang, 
vobei einer der borstigen Insassen desselben heraus 
ind in clegantem Bogen dem forschen Elegant mit 
„oller Wucht auf den Leib flog. Der Anprall war 
'o heftig, daß der „Getroffene“ in seiner ganzen 
dänge zu Boden gestreckt wurde, was bei dem 
larken Schmutz namentlich den „Hellgrauen“ nicht 
onderlich wohl that. Der also Erlegte bewahrte 
indeß seinen Humor, denn mit den Worten: „Un⸗ 
jerhofftes Schwein“ erhob er fich und verschwand 
inter dem Gelächter der zahlreichen Zeugen dieser 
rastischen Szene, während der Führer des Wagens 
hinter dem die Linden hinabflüchteuden Rüsselthier 
eine Hetzjagd veranstaltete. 
Dise Stellung unter Polizei- 
Aufsicht ist eine Maßregel von sehr zweifel⸗ 
haftem Werth, wie eine am Samstag vor der 
ierten Strafkammer des Berliner Landgerichts! 
tattgehabte Verhandluug - abermals erwiesen hat 
Auf der Anklagebank nahm ein schon vielfach vor⸗ 
estrafter Mensch, der Arbeiter Mierschky, 
Platz. Er ist ein Gelegenheitsdieb, der indeß seine 
Fertigkeit als Langsinger steis nur an sehr gering⸗ 
verthigen Objekten versucht hat. Er hat aber sein 
Diebeshandwerk mit einer so unablässigen Beharr⸗ 
licheit praktizirt, daß er wiederholt ins Zuchthaus 
jeschick werden mußte. Er will seine Rückfälle 
‚adurch ertlären, daß er nach verbüßter Strafe 
edesmal unter Polizeiaufsicht geblieben ist, wodurch 
eder Arbeitgeber seine Vorstrafen erfahren und ihn 
'ofort wieder entlassen habe. An die Zuchthaus- 
uft scheint er sich schon so gewoͤhnt zu haben, daß 
er mit der größten Gleichgiltigkeit dem Ausgang 
der Verhandlung entgegensah. Sie haben das 
Recht, sagte der Vorsitzende zu ihm, zu verlangen, 
daß Ihr Termin erst eine Woche nach der Zustell⸗ 
ang der Vorladung angesetzt werde. Die Ver⸗ 
handlung ist in Ihrem Interesse vor Ablauf 
dieser Frist angesetzt worden. Wollen Sie nun, 
daß heute gegen Sie verhandelt werden soll, oder 
vünschen Sie einen neuen Termin? — Angell.“ 
Nee, um Jotteswillen nich, et kann jleich losjehen 
man zu. — Vors.: Sie sollen aus einem Ko 
waarenladen einen Reisekorb entwendet haben n 
Angekl.: Det stimmt. — Vors.: Haben Sie 
noch etwas zu sazen ? — Angekl.: Sie 
mich doch reene jar nischt. — Vors.: Sie u— 
vohl unter allen Umständen wieder ins Zuchue 
tommen? — Angekl.: Ja woll, det sagen de * 
'o, ader et is nich an dem. — Vors.: —* 
jaben Sie denn wieder gestohlen, nachdem ẽuin 
vorher erst aus dem Zuchthaus entlassen — * 
waren? — Aungetl.: Ick muß doch leben. n 
Vors.: Warum arbeiten Sie nicht? — Aungeil. 
Det is leicht gesagt, aber da schicken se muͤ * 
Winter aus 'n Zuchthaus, und nu soll ick mir übe 
Hals un Kopp Arbeit verjchaffen. Un wenn i 
ooch wirklich; wat finde un arbeiten will, den 
agen se mir doch balde wieder fort. — Vorß 
Sie brauchen es ja nicht zu sagen, daß Sie anh 
dem Zuchthaus kommen. — Angekl.: Wat ick niq 
age.? det dhun die striminells —Vors.: Wi 
neinen Sie das? — Angekl.: Et kommen die 
„chutzleute un fragen nach mir, wo ick doch unte 
ojenannter Polizeiaufsicht steh', und wenn da dir 
Arbeitsherr einen solchen blauen Rock sieht, bin ig 
och schon rausjeschmissen. — Der Staatsanwal 
»eantragte gegen den Angeklagten fünf Jahre Zuch— 
daus. — Vors.: Angeklagter, haben Sie noch eiwe 
mnzuführen? — Angekl: Is schou jut. man immer 
veg, Se brauchen erscht nich zu berathen. — 
—X 
wei Jahren und drei Monaten, fünf Jahre Ehr⸗ 
zerlust und Zulässigkeit von Polizeiaufsicht. Der 
Borsitzende fuͤhrte bei der Begründung des Erkennt: 
uisses aus, daß die Angaben des Angeklagten nicht 
inwahrscheinlich seien. Es müsse für einen Zucht 
zäusler furchtbar schwer srein, Arbeit zu bekommen 
nsbesondere im Winter. Diesmal würde der An— 
jeklagte nach seinem Wunsch im Sommer aus der 
Strafanstalt entlassen werden, hoffentlich werde e 
hmn dann gelingen, sich eine Existenz zu gründen. 
AUuf Zulässigleit der Polizeiaufficht, die ja für den 
—XEV—— 
tannt werden müssen. 
GEin findiger Kadi. Aus Mojsul in 
Mesopotamien wird dem „Berliner Tagbl.“ ge 
chrieben: Der Kadi (d. h. der erfte Präsident de 
Fivilgerichtshofes) von Mossul ist ein gar gestrenger 
Zerr. der nicht mit sich spaßen läßt, wie man au 
olgendem Vorfall ersehen mag. Wahrend einet 
zolagigen Krankheit seines Söhnleins bezog der 
Zadi die von dem behandelnden Arzte verordneten 
Arzeneien aus einer Apothele im Bazar; nun be— 
findet sich zu Mossul kein einziger diplomirter, so 
mit auch nach türkischem Gesetze zum Halten einen 
zffentlichen Apotheke allein qualifizirter Apotheler. 
Da nun aber eine Stadt mit nahezu 80, 000 Ein 
vohnern schlechterdings o hne Apotheke nicht wohl 
bestehen kann, so ließ man es ruhig geschehen, daß 
dot 15 Jahren ein hiesiger Christ, nachdem er zu 
vor eine Zeit lang bei den eifrig kurpfuschenden 
Dominikanern als Küchenjunge bedienstet war, in 
Bazar so eine Art lateinischer Volksküche eiablitte, 
zu deren Betrieb er, des Lesens der sranzöͤfischen 
Schrift ein wenig kundig, damals der Behörde hin· 
ceichend befähigt schien. Der emeritirte Küchen· 
unge erlernie im Laufe der Zeit auch noch das 
Pillendrehen und fungirt so als unser alleiniget 
Apotheker schlecht und recht bis auf den heutigen 
Tag. Zu Reujahr schickte der Apotheker feiuen 
„Affistenten“ mit einer Rechnung für verabfolgie 
Medulamente im Betrage von 40 Pialtern (69n Ml 
sebst seiner ergebensten Empfehlung zum Kadi. di 
ym der Famulus mit ehrerbietigem Schweigen 
Aberreichte. Der fromme, weißbeturbante Hetren 
grimmie darob über die Maßen — dena ein Kodi 
nimmt nur, doch gibt er nie! — und befah 
einigen anwesenden Exekutio⸗Organen. den Mis 
hater ins Gefängniß abzuführen. Obwohl hier 
gesetzlich nicht berechtigt, konnte er sich das schon 
erlauben, da der so Gemaßregelte nur ein Chrif 
ind ein onomanischer Unterthan war. Der zohi 
lappernde Famulus wurde abgefühct und bren 
manu ins VLoch gesteckt. Damit war die Sach 
edoch keineswegs noch abgethan, der Gerechtigleil 
dlile noch welerer Vauf gelaffen werden. Zre 
indere Bramte wurden in den Bajar gesandt, um 
die Bude des Ruchlosen, der sich erfrechte, —T 
Zadi Geld fuͤr Vevitamente zu fordern, zu schliete 
und durch Anlegung des Amissiegels unzugangit 
u machen. Im Namen des Gesetzes! 
Zleihzeng wurde dem Apotheter eine Zuschrit du 
Zadi eingehändigt. worin ihm „vorläufia“ —