Full text: St. Ingberter Anzeiger

z1. Ingherter Amzeiger. 
Amtliches Organ des königl. Amtsgerichts St. Ingbert. 
et. IJugberter Anzeiger“ erscheint wvbchentlich füufmal: Am Montag, Dienstag, Donnerstag, Damstag unn. vr Lag; 2mal wochentlich mit Unterhauungs 
—— Eonntags mit Sseitiger illustrirter BSeilage. Das Blatt kostet vierteljahrlich 1A 60 A einschließlich Tragerlohn; durch die Post bezogen 14 75 , einschließli 
3 gustelaugkgebuhr. Die Einruckungsgebühr fur die 4Agespaltene Sarmondzeile oder deren Raum beträgt bei Inseraten aus ver Pfalz 10 —, bei außerpfalzischen und solch 
auf welche die Erpedition Auskunft ertheilt, 16 0, Neelamen 30 4. Bei 4maliger Cinrkclung wird nur dreimalige berechnet. 
Samstag, 19. Juni 1886. 
31. Jahrg. 
Der Anfall der Krone. 
Deutsches Reich 
Muͤnchen. Zu den feierlichen Erxequien 
veiland Sr. Majestat Koönig Ludwig II. werden 
zahier erwartet: der deutsche Kronprinz, der Kaiser 
on Oesterreich, der König von Sachsen, der Groß· 
jerzog von Hessen, der Herzog vom Cumberland, 
er Großfürst Thronfolger von Rußland, der Herzog 
von Aosflo, Bruder des Königs von Italien, der 
eẽrbgroßherzog von Oldenburg, Vertreter der fran⸗ 
osischen Republik, der Kronprinz von / Schweden 
ind Norwegen, der König der Belgier und ein 
Abgesandter der Königin Regentin von Spanien ⁊c. 
Munchen, 15. Juni. In der Sizung der 
iberalen Partei wurde heute beschlossen, auf die 
iffentliche Behandlung der Vorlagen im Plenum zu 
ringen, wegen der großen Erregung der Bevölker⸗ 
nig. Die pfälzischen Abgeordneten meldeten eben⸗ 
alls von einer zunehmenden Aufregung in der 
Bfalz. — Bemerkenswerth ist der Umschwung der 
jffentlichen Meinung in Betreff des Ministeriums, 
velches selbst Dr. Siegl im „Vayer. Vaterland“ 
in Schuß nimmt gegen die ultramontanen Vor 
vürfe, als ob das Kabinet Lutz Schuld an dem 
Tod des Königs und an Bayerns Schichal sei. 
Muͤnchen, 15. Juni. Der Wittwe des 
Zrofessors von Gudden ist folgendes Beileids⸗ 
chreiben vom Prinz ˖ Regenten zugegangen: „Meine 
jede Frau Obermedicinalrath von Gudden! Bei 
em erschütternden Schicksalsschlage, der Sie be⸗ 
roffen hat, drängt es Mich, Ihnen Mein herzliches 
zeileid zum Ausdruck zu bringen; wenn es in 
olcher Lage Trost giebt, so ist es das Bewußtsein, 
zaß der Verstorbene den Tod in rechter Erfüllung 
Hwerer Pflichten gefunden hat. Indem Ich an 
zhrer berechtigten Trauer vollen Antheil nehme, 
in Ich mit Werthschätzung Ihr geneigter Luitpold.“ 
Muͤnchen, 16. Juni. Das Sekundogenitur⸗ 
»ermögen welches nach dem Tode Köniç Max U. 
ruf den damaligen Prinz Otto überging, vererbt 
ich nach dem Hausgesetz nach dessen nunmehriger 
kFrhebung auf den Thron Bayerns auf die Familie 
———— Prinz 
duitpold selbst als Haupt der dem König zunüchst 
ermandten Linie. Das Vermögen soll 11 Mil- 
ionen betragen. 
Munchen, 16. Juni. Prinz Luitpold wird 
zuch als Prinz-Regent in seinem alten Palais 
vohnen bleiben, wird aber alle feierlichen Staats⸗ 
jandlungen u. s. w. in der königl. Residenz vor- 
jehmen. Nach einer Meldung des „Pester Lloyd“ 
vird Prinz Luitpold sofort nach Bestätigung der 
tegenschaft in Berlin zu offiziellem Besuch bei 
daiser Wilhelm erwartet. 
München, 16. Juni. Der „Frankf. Ztg.“ 
vird von hier telegraphirt: Es gehen allerlei Ge· 
üchte von einer Ministerkrisiss. Die Herren Lutz, 
Frailsheim und Feilitzsch sollen dem Druck der 
uffentlichen Meinung geopfert werden. Es ist 
aͤthlich, diesen Gerüchten gegenüber vorsichtig zu 
ein, vaß einzelne Minister zur Zeit austreten, ist 
chon deßhalb unwahischeinlich, weil das Ministerium 
mdiefer Frage solidarisch bleiben muß. Die Linke 
jab nicht früher ihre Zustimmung zur Regenischaft, 
ils bis sie wußte, daß Lutz bliebe, und Prinz 
zuitpold wird sich auch verpflichtet fühlen, den Mi⸗ 
nister Lutz zu halten. 
Muüͤrchen, 16. Juni. Der Kardinal⸗Staats- 
ekreiär Jakobini ließ dem hiesigen Nuntius folgendes 
Telegramm zugehen: „Der heilige Vater, schmerz⸗ 
ichst berührt durch den tief betrübenden Heimgang 
des Königs von Bayern, beauftragt Ew. Excellenz, 
dem Prinz · Regenten Luitpold die Kondolenz Sr. 
Heiligkeit auszusprechen.“ 
Muünchen, 17. Juni. Die Kommission der 
ammer der Reichsräthe wählte zu ihrem Vorsitzen- 
den Frhrn. v. Franckenste in, zu dessen Stell⸗ 
vertreter Dr. v. Neumayr. Die Kommission 
der Kammer der Abgeocdneten wird Frhrn. v. O w 
oder Ruppert zum Vorsitzenden, den Abg. Geiger 
zum Referenten wählen. — Das offizielle Bulletin 
bdom 16. Juni über den Zustand der Königin- 
Mutter lautet: „Ihr Befinden ist fortschreitend 
in der Besserung begriffen. Das erschütternde Er⸗ 
eigniß rief glücklichetweise keine Rückfälle hervor.“ 
Heidelberg, 14. Juni. Es verdient hervor⸗ 
gehoben zu werden, daß Professor Erb in hiesigen 
nedizinischen Kreisen erklären läßt, er sei in den 
setzten Tagen gar nicht in München gewesen, folg⸗ 
tich habe er auch nicht an der Deputation zum 
zönig Ludwig nach Hohenschwangau theil nehmen 
onnen. Professor Erb soll eine Erklärung vorbe⸗ 
reiten, wonach er mit den bayerischen Vorgängen 
absolut nichts zu thun hat. Seine Theilnahme an 
der Aktion der Münchener Aerzte beschränkte sich 
auf ein Votum, welches vor Wochen von ihm er⸗ 
zeten wurde und weshalb er damals nach München 
zereist sei. 
Berlin, 16. Juni. Der königliche Hof legt 
ür den verstorbenen König von Bayern Trauer 
auf drei Wochen an. 
Berlin, 16. Juni. Der Kaiser wird Freitag 
Abend von hier abfahren und Samstag früh in 
Bad Ems zum Curgebrauch eintreffen. 
Berlin, 16. Juni. Der Kaiser von China 
jat dem jetzigen und dem frühern Admiralitätschef, 
d. Caprivi und v. Sto sch, sechs höhern 
Räthen der deutschen Admiralität und einem Bau— 
deaufsichtiger wegen deren verdienstvoller Theil⸗ 
iahme bei der Ausführung der beim Stettiner 
Vulkan“ erbauten chinesischen Kriegsschiffe den 
Irden des doppelten Drachen in der entsprechenden 
Rangabstufung verliehen. 
die Thatsache, daß Se. k. Hoheit Prinz Otto 
Bahern, trotz seiner in schwerer seelischer Er⸗ 
ntung begründeten Regierungsunfähigkeit, nach 
dutritte seines erlauchten Bruders Konig von 
ahern wird, steht nach der Verfassung fest, da die 
Nihr aufgestellten Erfordernisse der Thronfolge⸗ 
tigkeit sämmtlich zutreffen und insbesondere Re⸗ 
Angsaunfähigkeit von der ordentlichen Thronfolge 
qt ausschließt. Eine andere Frage ist aber. ob 
ccht ein Verzicht des Prinzen Otio auf die Krone 
golgen wird. Max Seydel sagt in seinem „Baier. 
nazrecht· über die hier einschlägigen Normen im 
en Theil, erstes Buch, 84 „Der Anfall der 
one' Nachstehendes: 
auch für Bayern gilt der im deutschen Staats · 
mie allgemein anerkannte Satz, daß bei Erledigung 
Thrones durch Tod oder Verzicht des bisherigen 
nihabers die Krone dem verfassungsmäßig Berufe⸗ 
von selbst anfällt, ohne daß es zunächst eines 
werbungsaktes bedürfe. Allein, wenn auch die 
hne dem Berufenen ohne seinen Willen anfällt, 
wirbt er sie doch nicht gegen seinen Willen. Er 
uuß daher, sobald er hierzu in der Lage ist, sich 
der die Annnahme der Krone erklären. Bei dem 
regerungsantritte soll der neue Herrscher den 
—— 
ger feierlichen Versammlung der Staatsminister 
ad übtigen Mitglieder des Staatsrathes ⁊c. .... 
xr Eid lautet: „Ich schwöre nach der Verfassung 
ad den Gesetzen des Reichs zu regieren, so wahr 
it Gott helfe und sein heiliges Evangelium.“ 
— 
erobes oder des Regierungsantrities. Der Verzicht 
fden Erwerb der Krone kann ausdrücklich oder 
uschweigend — durch Nichtübernahme der Re⸗ 
cungsgeschüfte — erklärt werden. Da die Be⸗ 
cung zur Krone nicht Gegenstand vertragsmäßiger 
erflgungen ist, eine einseitige Erklärung aber, 
iche vor Anfall der Krone abgegeben wurde, den 
därenden für die Zukunft nicht bindet, 
rolgt, daß der Verzicht auf die Krone rehtliche 
edeutung nur als Ablehnung im Momente des 
antalles hat. Denn erst dann tritt durch die 
tuerbergebung der Krone eine Konsumtion des 
ronfolgerechtes der Ablehnenden ein. Der Ver⸗ 
dt kann an keinerlei Bedingungen geknüpft und 
keinem Vorbehalte versehen werden. Wer die 
cone nicht so annimmt, wie sie ihm verfassungs 
aßig zufällt, kann weder jetzt noch überhaupt je⸗ 
als König werden .. .. Soll aus irgend einem 
stunde ein Prinz oder dessen Linie von der Thron⸗ 
uge ausgeschlossen oder ihnen ein anderer Platz 
nder Reihenfolge der Berufenen angewiesen wer⸗ 
m, so kann dies nur durch Verfassungsänderungs⸗ 
eieß geschehen.“ 
Ausland. 
Zürich, 16. Juni. Nachdem gestern Mittag 
bor der Haupwwache ein Auflauf stattgehabt wegen 
her Verhaftung zweier tumultuirender streikender 
Schlosser, entstand Abends 7 Uhr bei der Ueber⸗ 
ührung eines Schlossers zum Gerichtshaus ein 
zroßer Auflauf. Die mit Pflastersteinen bombardirte 
ßZolizeieskorte feuerte scharf, verwundete zwei Kna⸗ 
den und tödtete einen Tischler. Die Polizeiwache 
wurde von der Menge belagert, worauf die Poli⸗ 
zei mit gefälltem Bajonnet säuberte. Das Militär 
sst in der Kaserne konsignirt. 
Die „Nordd. Allg. Ztg.“ weist auf die 
Deutschenhetze und Spionenriecherei 
n Frankreich hin. Die Geschichte der letzten 
16 Jahre lehre wiederholt, daß derartige plumpe 
Spekulationen auf die durch erstaunliche Unwissen- 
jeit geförderte Leichtgläubigkeit vieler Franzosen 
durchaus nicht ganz verfehlt seien. Darnach sei 
hatsächlich jeder Deutsche, der sich heute nach 
Frankreich begibt, der Gefahr ausgesetzt, dort ver⸗ 
»ächtigt und kraft des neuen Spionengesetzes ver⸗ 
'olgt und bestraft zu werden. 
Die Frage der Ausweisung der Prinzen aus 
Frankreich ist nunmehr erledigt, die Präten— 
denten werden nicht mehr im Lande geduldet. Die 
ranzösische Deputirtenkammer nahm am 11. Juni 
—2 z2 l 
50 die staatsrechtlichen Darlegungen Dr. Sey⸗ 
w, der unbestrittenen Autorität auf diesem Ge— 
ete. Man sieht: eine Fülle neuer und schwie⸗ 
ner Fragen jaucht auf, über welche im Augen⸗ 
ide zu entscheiden uns die Kompetenz fehlt. 
C(M. N. Nachr.)