Full text: St. Ingberter Anzeiger

müssen, um sie vor Mißhandlungen zu schützen. 
Solche Vorkommnisse würden im Wiederholungs 
falle die ernstesten Folgen haben. Wohin diese 
Drohung zielt, bedarf wohl keines besonderen Com— 
mentares. Ueberhaupt scheint die russische Politik 
in Bulgarien wieder Oberwasser zu bekommen 
Ein Rujstschuker Telegtamm des Wiener telegraph 
ischen Correspondenzbureaus will wissen, Rußland 
berlange als Bedingung einer Wiederversöhnung 
mit Bulgarien einen Cabinetswechsel und die Ein— 
berufung einer neuen Sobranje durch ein russen⸗ 
freundliches Cabinet. nachdem sich zuvor Europa 
über den Throncandidaten geeinigt. Man sieht, 
die Russen beginnen sich wieder als Herren der 
Situation zu fühlen und da das gegenwärtige 
bulgarische Ministerium von keiner Seite Unter— 
stützung zu hoffen hat, so wird ihm nichts übrig 
hleiben, als zurückzutreten. 
Deutsches Reich. 
Muͤnchen, 20. Okibr. Nach einer bereits 
gemeldeten Mittheilung würde dem Reichstage ein 
Besetzentwurf zugehen, der die Herstellung des 
Bieres in der Art der bayerischen Ge— 
setzgebung regeln soll. Eine Vorlage, wie sie 
hier in Anssicht gestellt wird, ist dem Reichstage 
bereits zwei Mal, am 16. April 1879 und am 
22. Februar 1880 zugegangen, wobei es sich frei⸗ 
lich nicht nur um die Einführung einer Mahlsteuer 
nach bayerischem Vorgange, sondern auch um eine 
Verdoppelung der bestehenden norddeuischen Brau⸗ 
steuer handelte. In den Motiben der damaligen 
Vorlage wurde ausdrücklich darauf hingewiesen 
daß nach Artikel 35 der Reichsverfassung die Bun— 
desstaaten ihr Bestreben darauf richten sollen, ein 
Uebereinstimmung der Gesetzgebung über die Be— 
steuerung vom inländischen Bier und Branntiwein 
herbeizuführen. In dieser Richtung beabsichtigte 
die Vorlage einen entscheidenden Schritt bezüglich 
der Besteuerung des Bieres. Die Unterschiede 
zwischen der in den süddeutschen Staaten und der 
im Gebiete der norddeutschen Biersteuergemeinschaft 
bestehenden Bierbesteuerung lägen theils in der 
Höhe, theils in der Form dieser Steuer. In der 
ersteren Hinsicht würde der Unterschied durch Ver⸗ 
doppelung der norddeutschen Brausteuer in der 
Hauptsache ausgeglichen. In der zweiten Hinficht 
werde durch die Einführung der Mahlsteuer für 
die jetzige Biersteuer- Gemeinschaft und für Elsaß— 
Lothringen eine abweichende Form der Besteuerung 
nur noch in Baden bestehen, wo die Steuer nach 
dem Rauminhalt der Braukessel erhoben wird. Der 
Uebergang zum Mahlsteuersystem ist bereits in dem 
Brausteuergesetz vom 31. Mai 1872 eingeleitet, 
indem die Vermahlungssteuer für größere Brauer 
fakultativ zugelassen wurde. Inzwischen ist freilich 
die Sachlage durch den bayerischen Malzzuschlag 
verändert. Der Reichstag hat im Jahre 1880 
die Vorlage nur in erster Berathung erledigt; die 
Verweisung an eine Kommission wurde nicht be— 
schlossen; die zweite Berathung im Plenum hot 
zuicht stattgefunden, 
Muünchen, 21. Oktt. Das Inventar über 
den khniglichen Nachlaß ist nun abgeschlossen. Die 
Gläubiger werden unter Mitwirkung einiger Banken 
mit 7 Millionen Mark befriedigt. 
Berlin, 20. Olt. Dec Kronprinz und die 
Kronprinzessin werden mit ihren Töchtern am 8 
November aus Portofino wieder in Berlin ein— 
treffen. — Der König von Sachsen wird am 29 
Oktober in Berlin eintreffen, um den nächsten Tag 
an der Hofjagd in Hubertusstock theilzunehmen. 
Berlin, 20. Okt. Der Kaiser hat die Ge 
nchmigung zur Einbringung eines Gesetzentwurfs 
betreffend die Unfallversicheriung der Seeleute 
im Bundesrathe ertheilt. Die „Kreuzztg.“ fordert 
die „Nordd. Allg. Ztg.“ auf, den Fürsten 
Alexander mit Vorwürfen zu verschonen, die 
nur neue Verstimmung erregen könnten und scharft 
Enigegnung hervorrufen. 
Ausland. 
Paris, 21. Okt. Das „Journal des De— 
bats“ meldet aus Petersburg, wie wir dem „Fr— 
J.“ entnehmen, man sehe dort als einen schwarzen 
Punkt den Interessen-Konflikt mit Oesterreich 
an, doch herrscht dort Mäßigung in der Regierung 
Deutschland würde vermitteln, jedenfalls sei eine 
kaiserliche Entschließung nahe. Bulgarien werde 
nicht okkupirt, wenn Rußland die Kandidatenwahl 
überlassen bleib— 
Rom, 21. Ott. Der deutsche Kronprinz 
wird am Mittwoch in Monza zum Besuche des 
stalienischen Königspaares erwartet, wie dem „Fr 
Journal deveschirt wird 
ÊÑÊÑl 
Boronlode's Rundreise. 
Einem Mitarbeiter des „Matin“, der dem aus 
Brüssel in Paris eingetroffenen Dérouloöde bis Creil 
entgegengereist war, berichtete „der große Patriot“ 
iüber die Eindrücke, die er auf seiner Reise um 
Ddeutschland herum erhalten haben will. Die wesent— 
ichen Punkte des Berichts lauten: 
Ich begann meine Reise mit Italien und war 
»erwundert, dort sofort nicht, wie man mir gesagt. 
Zaß gegen den französischen Namen, sondern eine 
große Sympathie, eine unbewußte Sympathie der 
Rasse, der Ueberlieferung und der Interessen zu 
finden. Sie war freilich gemischt mit einem ge 
vissen Vorurtheil gegen uns, in Wahrheit aber sah 
ich dem deutschen Koloß nur einige Politiker zu 
Füßen liegen, welche ihre Blicke nach Savoyen und 
Rizza richten. Ich sagte ihnen, daß wir Nizzo 
ind Savoyen nicht genommen, sondern daß diese 
Provinzen uns aus Dankbarkeit zum Geschenk ge— 
macht worden seien. Triest dagegen würde sie zu 
den Herren eines Meeres machen und mit ihm 
werde das letzte italienische Elsaß dem früheren 
Unterdrücker Italiens entrissen... Das Bünd-⸗ 
aiß mit Italien? Es wird abgeschlossen werden, 
sobald wir wollen und begreifen, daß die beiden 
Völker nur gemeinschaftliche Interessen haben. 
Griechenland hat Déͤroulöde ganz besonders ans 
Hderz geschlossen. Es ist ein kleines Frankreich 
rief er aus, und wenn der Krieg ausgebrochen 
wäre, so hätte er sich in Griechenland anwerben 
lassen. Er benutzt diese Gelegenheit, um mit den 
Bulgaren ins Gebet zu gehen, er nennt sie „ein 
undankbares Volk, das vergesse, was es dem Zaren 
schulde.“ 
Wie sich Rußland im Hirn Dörouledes spiegelt 
verdient besondere Beachtung: Das ganze russische 
Volk, sagte er, selbst in seinen untersten Schichten 
haßt den Deutschen. Für es ist der Deutsche 
mmer der Unterdrücker, der Wucherer, dagegen 
and ich überall Beweise der größten Sympathie 
Fin einziger Umstand scheint die russischen Politiker 
von Frankreich zu trennen: nämlich unsere Staats— 
einrichtungen. Ich suchte diesem Mißverständniß 
aus allen Kräften entgegenzuarbeiten. Ueberall 
sagte ich: Ich, Republikaner, ich glaube, daß das 
Bündniß mit dem Zaren eine Nothwendigkeit für 
unsere Republik ist. Die Bündnisse haben nichts 
mit den Staatseinrichtungen zu schaffen, fie 
saben nur den gemeinschaftlichen Vortheil im 
Auge. Die Gefahr ist Deutschland, es iff 
Ihr Feind wie der unsere! In Rußland habe 
ch überall meine Zuhörer bekehrt. Katkow 
selbst schrieb einen Artikel in diesem Sinne und 
'and großen Wiederhall. Man sprach von meiner 
Answeisung aus Rußland; nmiemals war die Rede 
»avon. Ich wiederhole, daß ich von allen Russen 
iur Beweise der Sympathie erfuhr, und an dem 
Tage, wo man sagte, ich sei ausgewiesen, gab mir 
die russische Presse ein großes Essen! Ich brachte 
einen Trinkspruch auf den Kaiser und die Kaiserin 
uus. Ich erinnerte auch daran, daß die Kaiserin 
ene tapfer? dänische Prinzessin sei, die, wie wir 
ꝛen Schmerz habe erleben müssen, ihr Land ühber 
tallen und verstümmelt zu sehen, das sei ein Her 
ensbrand zwischen der Prinzessin Dagmar und 
Frankreich! Ich fügte hinzu, daß wir auch nie 
dergessen würden, wie Alexander II. sich zwischen 
das von seinen Wunden schlecht geheilte Frankreick 
und Bismarck geworfen habe. Wenn sie die war 
men Trinksprüche, mit welchen man mir antwortete 
gehört, dann würden Sie mir sagen: Das fran 
ösisch-⸗russische Bündniß ist eine abgemachte Sache 
Frankreich braucht nur zu wollen! Die fran— 
zösische Republik und das russische Kaiserreich 
jaben gemeinschaftliche Interessen und einen 
jemeinschaftlichen Haß, die innere Politik hat in 
diesen Fragen nicht mitzureden und der zwischen 
den Regierungsformen der beiden Reiche bestehende 
Unterschied wird die Sympathie nicht aufhalten, 
welche die beiden Völker hinreißt, sich über Deutsch— 
and herüber die Hand reichen. Ein Beispiel: die 
Offiziere der russischen Armee folgen mit leiden— 
schaftlichem Interesse dem Auftreten des Generals 
Boulanger und machen aus ihrer Sympathie für 
denselben kein Hehl. „Wir wollen uns nicht,“ se 
agten sie, „mit seiner politischen Rolle beschäftigen 
die Sache des Herzoags von Orleaus geht uns nichté 
an. Uns ist es von Interesse, in General 8 
langer eine große militärische Kraft, ein schw 
Gewicht zu sein welches die Wage zum —5 
Deutschlands zum Sinken bringen kann. da 
wachen des französischen Stolzes, zu —T t 
das Zeichen gegeben, regt auch die Russen n 
zeisterung an. Die russischen Stimmungebn 
schließt Döronloͤde mit einem Lobliede auf di 
sische Armee. uß 
Auch in den nordischen Ländern hat —R 
Haß gegen Deutschland gefunden. Das Volf 
Schweden und Norwegen, so sagt er, ist für dia 
reich, der König für Deutschland. Dieser Eut 
Bernadottes sagt offen: „Mein Blut ist franzn 
mein Herz schwedisch und meine Vernunfi — 
In Danemark haßt Jedermann Deuischin 
Man vergißt dort weder den Ueberfall noch 
Verstümmelung. 
Was Holland betrifft, so wissen Sie, daß 
Frankreich liebt, aber es ist wie O.sterreich: se 
will die deuische Gefahr nicht sehen.“ e 
Nach einigen Worten über Belgien, das sein 
Unabhängigkeit eher durch Franktreich als dun 
Deutschland bedroht glaube, schloß Dérouloͤde sen 
Mittheilung mit foigenden Worten: „Seil 
Jahren erduldet Europa die Diktatur Deutschlande 
heute ist es dieser Diktatur müde. Unsere Sach 
ist es, aus dieser Lage Nutzen zu ziehen.“ 
Verm itichtes. 
F In diesem Jahre unterzog sich eine nie da 
gewesene Anzahl, etwa 740 Schuldie n st⸗Et 
spettanten und Exspektantinnen der Anste 
lungsprüfung. Diese vertheilen sich auf di 
einzelnen Kreise wie folgt: Oberbayern 103 
Niederbayern etwa 70. Pfalz 131, Obeipfalz 6 
Oberfranken 100, Mittelfranken 88, Unterfranke— 
110, Schwaben 75. Aus diesen Ziffern erklt 
fich, daß in einigen Kreifen bereits eine sehr füht 
bare Stockang in der Beförderung zum wirkliche 
Lehrer eingetreten ist. — Die Frequenz der Lehrer 
bildungsanstalten dagegen ist im Rückgange begriffen 
Die Zahl der Präparandenschüler ist seit 188 
von 2621 auf 1653 jene der Schulseminariste 
von 1329 auf 1115 gesunken. 
FOttweilter, 20. Okt. Heute Morget 
3/410 Uhr ist ein Güterzug an dem bei de 
Jochumschen Fabrik belegenen Uebergang entgleiß— 
Menschenleben sind dabei nicht umgekommen abe 
sechs bis fiehen Güter Waggons sind ganz ze 
trümmert. Dieselben find mit Vieh beladen, weich 
vom St. Wendeier Marke verschickt waren. Pferd 
sind dabei zugrunde gegangen, aber wie viel, wei 
man nicht da dieselben noch teilweise in den ze 
rümmerten Waggons stecken. Das eine Ende eine 
Büter⸗Waggons steht hoch über den Waggons auf 
getürmt. Ein Bremser war in seinem Bremshäus 
chen eingedrückt, wurde von Hern Direktor Löffle 
und den Arbeitern der Fabrik mit Berecheisen b 
freit, ohne Schaden erlitten zu haben. 
F Crefelhd, 18. Okt. Wie die „Niederrb 
Volks⸗Zig.“ mitteilt, wurden einer hiesigen Huthand 
lung en gros innerharb 18 Monaten für annähern 
100 00 Mark Hätesentwendet. Jetztr 
endlich der Dieb in der Person des Hilfkellners und 
früheren Packknechts Th. Henseler ermittelt wo 
den. Als Hehler find ein hiesiger Auktionator un 
ein Schneider, der nebenbei auch ein Hutgeschäft be 
sitzt, erkannt. Vorigen Samstaq wurde das sauber 
Kleeblatt verhaftet. 
F Dortmund, 17. Okt. Von hier berichi 
die „Crefeldet Ztg.“: Interessant dürfte die Mit 
teilung sein, daß vorige Woche sechs hohelegant 
russische Reitpferde hier durchkamen, die fü 
den französischen Kriegsminister General Boulang 
bestimmt waren. Begleitet wurden die Tiere durt 
rufssische Soldaten. Die Pferde sollen ein Gescher 
einer höheren russischen Perjsönlichkeit sein. 
F Ein zumTode verurtheilter Möt 
der. Das Schwurgericht in Münster (West. 
hat den Webder Rob. Scholz aus Dülmen zun 
Tode verurtheilt, weil derselbe in der Nacht von 
5. auf den 6 Juni d. J. den Postillon Weingarte 
in Dülmen in grauenhafter Weise ermordet hatte 
Scholz unterhielt mit der Frau Weingarten ei 
diebesverhältniß und ließ sich von derselben zu der 
Morde austiften. Da Weingarten ein leidenschaft 
licher Fischer war, so lud ihn Scholz in der Mond 
nacht ein, mit ihm zum Fischen zu gehen. M 
Wasser erschoß er ihn um 12 Uhr Nachts w 
einem Revolver und zertrümmerte ihm, da er noe 
nicht aleich todt war, mit einem Stein den Schade