Full text: St. Ingberter Anzeiger

zt. Jugherter Amzeiger. 
Amtliches Organ des königl. Amtsgerichts St. Ingbert. 
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a „St. Ingberter Anzeiger⸗⸗ erscheint woöchentlich funfmal: Am Montag, Dienstag, Donnerstag, Samstag und Sonntag; 2 mal wöchentlich mit Unter haltungs 
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I36ß6. 
Deutsches Reich. 
Muͤnchen, 9. Juli. Die jüngsten Nachrichten 
der den Gesundheitzustand des Königs Otto haben 
Gedanken wieder angeregt, daß der Prinz⸗ 
degent Luitpold den Königstitel annehmen solle. 
die „N. N.“ bemerken dazu: „Unseres Ermessens 
iegt hier lediglich aufs Neue eine Probe jener Politik 
u Vermuthungen vor, welche seit einem Jahre 
erade dieses Feld ohne jeden Hintergrund von 
thatsachen so eifrig, und trotz aller Zurechtweisungen 
merschrocken heimsuchen. Die einzige, aber zunächst 
rutschlaggebende Thatsache, welche wir als absolut 
icher constatiren können, ist daß der Prinz⸗Regent 
zihst mit seinen Gesinnungen und Wünschen dem 
hrojecte ablehnend gegenübersteht.“ Daß die gegen⸗ 
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aum leugnen; der Weg der Abhülfe ist aber eine 
nterne bayerische Frage. Jedenfalls wird der neu⸗ 
gwählten Kammer wiederum die von der vorigen 
ibgelehnte Vorlage betreffs Aenderung der Ver— 
asfung zugehen, um gewisse, bei einer lang an— 
auernden Regentschaft unerträgliche Beschränkungen 
xtz Regenten in der Ausübung der monarchischen 
zefugnisse aufzuheben. 
Ems, 11. Juli. Nach dem gestrigen Diner 
anternahm der Kaiser eine Spazierfahrt nach der 
diefigen Silberschmelze und besuchte Abends das 
Theater. Heute machte derselbe nach beendigter 
rintkur eine Promenade. 
Berlin, 9. Juli. Die Einführung der Ver⸗ 
uuchssteuer von Branntiwein, d. h. vom Trink⸗ 
srannswein soll derjenige Branntwein, welcher zu 
zewerblichen Zwecken jeder Art verwendet wird, 
zieuerfrei bleiben. Zur Verhinderung von Steuer⸗ 
interziehungen wird es unerläßlich sein, den zu 
olchen Zwecken bestimmten Branntwein zu dena⸗ 
utiren, und zwar in einer Weise, welche denselben 
um Genuß untauglich macht, ohne die Verwen⸗ 
uung desselben zu irgend welchen technischen Zwecken 
u derhindern. Auf der andern Seite muß der 
ur Denaturirung des Trinkbranntweins verwendete 
Stoff flüchtig sein, sodaß der Spiritus nicht von 
m abdestilͤrt werden kann. Seitens der Reichs— 
cegierung sind eine Anzahl hervorragender Chemiker 
wufgefordert worden, Vorschläge zu einer diesen 
qIweden entsprechenden Denaturirung des Spiriius 
u machen. 
Aus Leipzig wird der „Nat.⸗Zig.“ geschrieben, 
daß die in dem Landesverraihsproze sse Verurtheilten 
dlein und Grebert zur Verbüßung ihrer 
Sirafe der königlichen Strafanstalt Halle a. S. 
berliefert werden. 
Straßburg, 8. Juli. Ein Erlaß des Stait⸗ 
aalters bestiimmt, daß vom 1. Januar 1888 (bezw. 
Januar 1889) ab letzteres Datum bezüglich der 
derhandlungen und Beurkundungen der Notare) 
das Gesetz vom 14. Juli 1871, wonach bei den 
griedensgerichten Metz, Gorze, Courcelles⸗Chaussy, 
— Chateau· Salins, Dieuze, Vic, Lorquin⸗ 
hehichurt Schirmede Eales und La Poutrohe fowie 
dem Handelsgerichte Meßz gerichtliche Verhandlungen 
ind Urtheile in französischer Sprache gestaltet 
aren, außer Wirksamkeit tritt. Alle Verhandlungen 
sahen also von obigen Daten an deutsch zu erfolgen 
nd es wird somit die Gerichtssprache in den 
kechzlanden hatsächlich demsch. 
Ausland. 
Wien, 10. Juli. Die „Neue Fr. Presse“ 
kuaugt, daß die österreichische Regierung der bul⸗ 
urnchen Fürstenwahl nur unter der Bedingung 
Dienstag, 12. Juli 1887. 
ustimmen wird, daß alle Signatare des Berliner 
Vertrages derselben zustimmen. Die gleiche Haltung 
vird von Deutschland, England und Italien er⸗ 
vartet. Die „Wiener Allgemeine Zeitung“ macht 
en Vorschlag, der neugewählte Fürst solle bis zur 
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als Regent Bulgariens bestellt werden, wodurch 
auch die jetzige Regierungskrise in Sofia ausge⸗ 
zlichen würde. 
Wien, 11. Juli. Der „Frankf. Zig.“ wird 
jemeldet: Die Deputation der Sobranje reiste 
jessern Mittag von Tirnowa nach Wien ab. Prinz 
Ferdinand von Coburg erwartet die Deputation in 
ẽbenthal und geht nicht früher nach Ischl. Man 
rwartet hier in den nächsten Tagen ein Rund— 
ichteihen der Pforte über die Fürstenwahl. 
Deutschland nimmt keine freundliche 
Stellung ein gegenüber dem Prinzen 
von Coburg. 
Paris, 10. Juli. Die „France“ läßt sich 
aus allen Städten, welche General Boulanger auf 
der Durchreise berührte, aus Melun, Fontainebleau, 
Moret, Nemours, Nevers u. s. w. telegraphiren, 
daß überall eine große Menge Boulanger's harrte 
und daß dieser zu wiederholten Malen gebeten 
jabe, nicht „Vive Boulanger!“, sondern „Vive la 
Republique! Vive la France!“ zu rufen. In 
Tlermont⸗Ferrand wurde General Boulanger von 
dem gesammten Generalstab und einer Reihe De⸗ 
hutationen von Turn⸗ und Feuerwehr-Vereinen 
empfangen; er entzog sich aber einer lärmenden 
Straßenkundgebung, indem er durch einen Seiten⸗ 
ausgang den Bahnhof verließ. Für den morgen 
tatifindenden feierlichen Einzug werden die groß⸗ 
artigsten Vorbereitungen getroffen. 
London, 9. Juli. Die Königin hielt heute 
in Aldershof eine Heerschau über die Truppen und 
Freiwilligen ab, von welchen im Ganzen ewa 
58,000 Mann zusammengezogen waren. 
Petersburg, 10. Juli. Das „Journal de 
Z2t. Petersbourg“ erwähnt die erfolgte Wahl des 
Prinzen Ferdinand von Koburg zum 
Fürsten von Bulgarien und beschränkt sich für jetzt 
darauf, daran zu erinnern, daß die Legalität der 
Versammlung, welche den Prinzen gewählt habe, 
von Rußland niemals anerkannt worden sei. 
Sosia, 9. Juli. Auf die Nachricht von der 
Annahme der Fürstenwahl durch den Prinzen von 
Toburg sandte die Stadt Sosia dem 3 tele⸗ 
zraphisch ihre Glückwünsche; die Straßen sind ge⸗ 
schmückt viele Privathäuser geflaggt; für den 
Abend werden Vorbereitungen zur Illumination ge⸗ 
roffen. Auch in Tirnowa haben die Häuser geflaggt; 
rach Meldungen, aus der Provinz ist die Wahl 
nit großem Enthusiasmus aufgenommen. — Das 
Ministerium Radoslawow beschloß, seine Entlassung 
zu nehmen; die Sobranje wird sich morgen mit 
zieser Frage beschäftigen. Wie die „Agence Ha— 
»as“ meldet, demissionirte die Regentschaft gleich⸗ 
'alls. Sie stellte es der Sobranje frei, ihre De— 
nission oder die Demission des Kabinets anzunehmen. 
Es verlautet, die Sobranje werde beide Demissionen 
iblehnen und zwischen beiden Regierungs-⸗Organen 
ine Verständigung herbeizuführen suchen. — Die 
Deputation der bulgarischen Sobranje zur Be— 
zrüßung des Prinzen von Coburg wird am Mitt⸗ 
voch in Wien erwartet. 
Konstantinopel, 9. Juli. Der divloma⸗ 
ische Agent Bulgariens, Vulcovich, überreichte heute 
»em Großvezier eine Note seiner Regierung, in 
velcher die Wahl des Prinzen Ferdinand von Ko— 
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22Jahrg. 
burg zum Fürsten von Bulgarien und die Annahme 
der Wahl durch den Prinzen notifizirt und hierzu 
zie Genehmigung der Viorte nachgesucht wird. 
Eine Reichsbehörde für gewerblich⸗ 
technische Angelegenheiten. 
Der auf dem neulich abgehaltenen Berufsge⸗ 
nossenschaftstage angeregte Gedanke einer Reichs⸗ 
zchörde für gewerblich⸗ technische Angelegenheiten 
erdient eine ernstere Beachtung, als sie solche ges 
egentlich auftretenden Wünschen zu Theil zu werden 
»flegt. Nicht zum ersten Male sind bei diesem 
inlasse die Incongruenzen zur Sprache gekommen, 
velche dadurch entstehen, daß die Gesetzgebung über 
»as Gewerbewesen Sache des Reiches, die Ver— 
valtung über das Gewerbewesen aber Sache der 
Finzelstaaten ist. Aus den Kreisen der verschieden— 
ten Gewerbetreibenden heraus hört man nicht selten 
dlagen, daß sie in dem einen deutschen Bundes⸗ 
taale in ganz verschiedener Weise behandelt werden, 
is in dem andern. Oft genug sind ähnliche 
vorstellungen auch durch Petitisnen oder einzelne 
sttedner im Reichstage laut geworden, ohne daß 
zer letztere der unzweifelhaftẽn Competenz der Par⸗ 
ikularstaatken gegenüber im Stande gewesen wäre, 
twas zu thun. Diese Competenz ist auch wieder⸗ 
jolt das unübersteigliche Hinderniß für Neuerungen 
iuf dem Gebiete der gewerblichen Gesetzgebung ge— 
vesen, welche sonst eine Berückfichtigung sachlich 
ꝛecht wohl verdient hätten. So hat z. B. die 
chon oft vorgeschlagene Organisation und Ver—⸗ 
valtung des Fabrikbeaufsichtigungswesens gewiß 
nanche recht beachtenswerthe Gründe für sich, aber 
ie siändig wiederkehrende Ablehnung seitens des 
gundesraths beruft sich jedesmal auf die entgegen⸗ 
tehenden Competenzbedenken und damit ist die 
Zache abgethan. Jetzt tritt indeß durch die Be⸗ 
ufsgenossenschaften ein neues und sehr viel stärkeres 
geduͤrfniß nach Gleichmäßigkeit der gewerbe⸗ 
volitischen Verwaltungsmaximem im ganzen Reiche 
jervor. Wo die Berufsgenossenschaften auf das 
Febiet eines einzelnen Bundesstaates beschränkt 
ind, kann freilich ein solches Bedürfniß kaum em⸗ 
funden werden, wo sie sich aber über mehrere 
hundesstaaten beziehungsweise über das ganze Reich 
erstrecken — und das ist bei der großen Mehrheit 
er Fall — da muß die zwischen den einzelnen 
Ztaaten bestehende Verschiedenheit in der Ausübung 
ʒer den Verwaltungsbehörden gegenüber den Be— 
ufsgenossenschaften zustehenden Befugnisse zu Ver⸗ 
virrung, ja zu vollsiändigen Unzuträglichkeiten 
ühren. Die Wünsche, welche aus dieser Sachlage 
zeraus sich bereits nach so kurzer Geltungsbauer 
;es Unfallbersicherungsgesetzes haben hören lassen, 
verden voraussichtlich in den kommenden Jahren 
mmer lebhafter auftreten. Doß man sie lediglich 
us Rücksicht auf partikularistische Empfindlichkeiten 
zuf die Dauer unerfüllt lassen werde, ist schwer zu 
llauben. Glücklicherweise ist der doktrinare Gegen⸗ 
sotz von Unitarismus und Partikularismus in der 
Wirklichkeit unseres Reichslandes längft verblaßt. 
Die ehemaligen Unitarier haben sich mit dem deut⸗ 
chen Bundesstaate als einer dauernd lebensfähigen 
Finrichtung versöhnt, und die ehemaligen Partiku⸗ 
aristen, soweit sie den Partikularismus nicht als 
Agitationsmittel gegen Preußen und das Reich 
zusbeuten, haben sich überzeugt, daß das Reich an 
Fentralisation nur das verlangt, was als praktische 
Maßregel zum allgemeinen Beften für nothwendig 
ctannt ist. Angesichts dieser Entwickelung wird