Full text: St. Ingberter Anzeiger

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Amtliches Organ des königl. Amtsgerichts St. Ingbert. 
ot Ingberter Anzeiger“ erscheint täglich mit Ausnahme der Sonn- und Feiertage. 2 mal woͤchentlich mit unterhaltungs · Blatt und Freitags und Samstags mit acht 
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23. Jahrg. 
Viso. 
Freitag 13. Juli 1088. 
Der umgeänderte Entwurf der 
sers⸗ und Invalidenv ersicherung. 
Der vom Bundesrathe unmittelbar vor Beginn 
cnen allsommerlichen Pause in erster Lesung fertig⸗ 
aellte neue Entwurf der Alters⸗ und Invaliditats · 
asicherungsvorlage enthalt eigentlich nur eine ein· 
g wirklich durchgreifende Abänderung im Vergleiche 
in ursprünglichen „Grundzügen“, nämlich die 
hetzung des Systems der Berufsgenossenschaften 
curch Versicherungsanstalten. Wenn der Bundes · 
ah die berufsgenossenschaftliche Grundlage jetzt ver⸗ 
uen und dafür größere geographische Verbande 
— und Invalidenversicherung 
Aussicht genommen hat, so find für diese um⸗ 
nderte Organisation offenbar praktische Gründe 
igedend gewesen und ihnen die social⸗wirlhschaft⸗ 
ihen, Momente, swelche für die Beibehaltung der Be⸗ 
szgenossenschaften auch bei der Alters und Invaliden⸗ 
xrsicherung sprachen, untergeordnet worden. Die 
haicherungsanstalten sind räumlich abzugrenzen, 
iuch Bundesstaaten oder weiteren —XX 
Inden und erscheinen als ihre nothwendigen Or⸗ 
e nur der Vorstand, der Ausschuß und das 
ziedsgericht, während der Aufsichtsrath und die 
zeirauensmänner der Arbeiter nach dem neuen 
zutwurfe sich lediglich als facultative Organe dar⸗ 
ilen. Im Vorstande der Versicherungsanstalten 
then im Allgemeinen nur Staatsbeamte und kön⸗ 
in Arbeilgeber wie Versicherte ñur ausnahmsweise 
is Beisißende zugelassen werden; die Feststellung 
xt Rente wird durch die unteren Verwaltungsbe⸗ 
oͤrden vorbereitet und erfolgt durch den Vorstand 
vrbehaltlich der Beschwerde an das Schiedsgericht. 
di festgestellte Renie wird durch das Rechnungs⸗ 
hureqgu des Reichsversicherungsumtes auf die be— 
heiligten Verficherungsanstalten vertheilt, als über- 
pachendes Organ wird für jede Versicherungsan⸗ 
galt von reichswegen ein Commissar bestellt. Im 
lehtigen it auch im neuen Entwurfe das Abrech 
ungaͤwesen, das System der Marken und der 
Autungsbücher underändert geblieben. 
Sieht man von der prinzipiell einschneidenden 
nschung der Berufsgenossenschaften durch die Ver⸗ 
herungsanstalten als Versicherungsorgane ab, so 
weist sonst der neue Entwurf keinerlei grundsätzliche 
lbanderungen auf., und es bleiben nur verschiedene 
iindet wichtige Umgestaltungen übrig, wie z. B. 
et Veginn der Invalidenrente ebentuell noch vor 
vlendung des 15. Lebensjahres, die vorläufige 
jestseung der wöchentlichen Beiträge der männ⸗ 
then Personen auf 21 Pfennige, der weiblichen 
14. Die Entrichtung der Ärbeiterbeiträge nach 
enderwochen — statt nach den regelmäßigen 
muiahlungen — und die verschiedenartige Be⸗ 
nsung der Beiträge für die einzelnen Berufszweige. 
adhe aber lehnt sich der umgearbeitete Ent⸗ 
orn Beibehaltung des Umpfanges der Ver ⸗ 
—D der Rentenform, der Bestimmungen 
ie Aufbringung der Kosten. von denen wie⸗ 
d je ein Drittel auf das Reich, auf die Ar—⸗ 
9 et und auf die Versicherten entfallen, der 
zung hinsichtiich des Beginnes und der Höhe 
en Renten u. s. w. durchaus an die ersten , Grund⸗ 
de Es beträgt demnach die Wariegin bei 
id —— bei der Invalidenrente 5 Jahre 
Ade bei jener der Bezug nach vollendetem 
a acjahts der Bezug der Invalidentente, 
eg ie Versichernde dauernd erwerbsunfähig 
e ersrente ist auf 120 Mark jährlich nor⸗ 
Invalidenrente steigt von 120 Mark bis 
zu einem Maximum von 250 Mark; weibliche 
Personen erhalten *s des Rentenbetrages. Ebenso 
ist für den Reichsbeitrag das Umlageverfahren, für 
die Beiträge der Arbeitgeber und Arbeiter das 
Deckungsverfahren beibehalten worden. In die 
Alters⸗ und Invalidenversicherung werden alle B 
veiterkategorien, auch die noch nicht unfallversicher⸗ 
ungspflichtigen, einbezogen, ebenso alle Betriebsbe⸗ 
aimten, Handlungsgehilfen u. s. w., deren jährlichen 
Vehali⸗ und Lohnbezug 2000 Mk. nicht überschreitet. 
Der neue Entwurf hat demnach den Bedenken 
wvelche sich von Anfang an gegen die Berufsgenos 
enschaften als Träger der Alters⸗ und Invbaliden⸗ 
bersicherung kund gaben, Rechnung getragen, X 
gegen weitere wichtige Punkte — wie 3. B. Hin⸗ 
qusschiebung der Altersgrenze auf 70 Jahre, die 
stentenform, Festsetzung der Rente — erhobene 
Finwande aber unberücksichtigt gelafsen. Ob der 
Hundesrath in der zweiten Lesung die betreffenden 
Zeschlüsse seines Ausschusses einer Revision unter⸗ 
iehen wird, steht noch dahin, jedenfalls werden sie 
m Reichstage zu langwierigen und lebhaften De⸗ 
hatten führen. Da hier indessen fast auf allen 
Zeiten der Wunsch herrscht, diesen hochwichtigen 
Besetzeniwurf nicht scheitern zu sehen, so werden 
sich wohl alle aufrichtigen Arbeiterfreunde der Hoff 
nung hiugeben dürfen, daß auch über diese den vor⸗ 
läufigen Äbschluß des socialpolitischen Reformwerkes 
dedeutende Vorlage eine Verständigung erzielt wird. 
Lokale und pfälzische Nachrichten. 
x* St. Ingbert, 183. Juli. Das Kirchen⸗ 
konzert, welches der prot. Kirchenchor in Neuhäusel 
unter Mitwirkung sehr geschätzier Kräfte veranstal ⸗ 
tet, mußte eingetretener Hindernisse wegen abermals 
verschoben werden und wurde nun definitiv auf 
Sonntag, den 22, Juli nachmittags 3 Uhr fest⸗ 
gesetzt. 
* St. Ingbert, 13. Juli. Das Central⸗ 
Comite der Kaiser⸗Wilhelm⸗Stiftung erläßt an die 
Kreisausschüsse und Zweigvereine ein Rundschreiben, 
welchem wir nach dem ‚VLd. Elb.“ Folgendes ent- 
nehmen: 
„Die Mittel unseres Centralfonds der Kaiser⸗ 
Wilhelm⸗Stiftung sind schon seit einer Reihe von 
Jahren erschöpft und mußten wir die bisher den 
Zreisausschüssen gewährten Zuschüsse zur Unter⸗ 
Jützung der Invaliden den Kapitalsbeträgen des 
Zaudeshilfsvereines entnehmen. Rachdem seit 1874 
nus letzterem Fonds 180,800 Mk. zu bezeichnetem 
Zwecke eninommen worden sind, ist dieser Fonds 
so zusammengeschmolzen, daß dessen Zinsen kaum 
nehr für die dem Centralkomite überwiesene Ge⸗ 
pährung von Unterstützungen hinreichen und der 
Fonds selbst in wenigen Jahren bei Fortgewährung 
der bisherigen Zuschuͤsse aufgezehrt wäre. Da der 
Verein hierdurch bei Kriegsausbruch in große Ver⸗ 
legenheit kommen würde, hat der Centralausschuß 
in seiner letzten Versammlung beschlossen, „künftig⸗ 
hin Zuschüsse zu Anterstützungszwecken aus Central⸗ 
sonds nicht mehr zu leisten.“ Jeder der bestehen⸗ 
den Zweigvereine wird unablässig bemüht sein, durch 
Erhebung regelmäßiger Mitgliederbeiträge, Ge⸗ 
winnung neuer Milglieder und sonstige Veran⸗ 
taltungen sich selbst die Mittel zu schaffen, um 
ur die in seinem Bezirke wohnenden unterstützungs- 
zedürftigen Invaliden und deren Relikten aus 
igenen Mitteln zu sorgen. Die Kreisausschüsse 
werden überall da, wo Zweigvereine bestanden 
haben, in ihrer Thätigkeit aber wahrend der langen 
Friedenszeit erlahmten, sowie dort, wo eine Neu⸗ 
ildung von Zweigbereinen moöͤglich und zweckmaßig 
st, die Reorganisation bezw. Neubildung anregen 
ind fördern. Ueberschüsse an Zinsen, für welche 
inzelne Vereine keine Verwendung haben sollten, 
fönnen nach Maßgabe des 8 19 der Statuten von 
den Kreisausschüssen eingefordert werden. Central⸗ 
Comite. Graf zu Castell.“ 
»St. Ingbert, 13. Juli. Angeblich um 
den Gastwirthen bei den hohen Spirituspreisen zu 
billigen Liqueuren“ ⁊c. zu verhelfen, blüht jetzt, 
jach der „S. u. Bl.⸗Z.“, eine Industrie, die ihre 
Sendlinge den Gastwirthen in Stadt und Land 
zuf den Hals schidt und denselben beim Glase 
Hhier aus den mitgeführten Fläschchen, flüssigen 
Zucker, Spiritus und Essenzen enthaltend, sofort 
Fiqueur „fabriziert'. Der Reisende macht 3 bis 
1 Mark Zeche und versteht nun dem von seinem 
Gaste eingenommenen Wirthe einzureden, daß er 
sich auf diese Weise seine Liqueure um mindestens 
20 bia 28 Pfg. den Liter billiger herstellen könne, 
als er sie von seinem bisherigen Lieferanten be⸗ 
zieht. Und nun wird dem Vertrauensseligen von 
den gangbarsten Sorten“ ein größeres oder 
fleineres Quantum dieser Liqueur⸗ oder Rum⸗ 
Fssenz, die lediglich aus 1 bis 2 Vot ätherischen 
Dels mit Spirisus vermischt besteht, zum Preise 
don 10 bis 15 Mt. das Kilo aufgeredet; der 
reelle Werth der Waare beträgt kaum 2 bis 3 Mk. 
Herwendet der Gastwirth das ihm aufgeschwindelte 
Seut Hes Reich. 
Wiesbaden, 12. Juli. Die diplomatischen 
Verhandlungen sind soweit gediehen, daß die Mög- 
sichkeit nicht ausgeschlossen ist, daß der Kronprinz 
on Serbien auch vor dem Urtheilsspruche des 
Tonsistoriums nach Serbien kommt. 
Berlin, 11. Juli. Einer allerdings unver⸗ 
ürgten Meldung zufolge soll Kaiser Wilhelm auf 
zer Rückreise von Petershurg nicht nur nach Kopen⸗ 
zagen, sondern auch nach Stockholm zu gehen 
gedenken. 
Berlin, 12. Juli. Der Reichskanzler Fürsi 
gismard ist mit mit Graf Rantzau heute Nach- 
nittag 8).Uhr nach Friedrichsruh abgereist. 
Ausland. 
Brusssel, 12. Juli. Nachdem das Brüsseler 
Ausstellungscomité beschlossen hat, vom 15. Juli 
ab die Angestellten der Aussteller nur mehr gegen 
in Abonnement von 15 Fr. einzulassen, legte 
ine Anzahl deutscher, russischer, italienischer und 
zelgischer Aussteller Verwahrung dagegen mit der 
Drohung ein, ihre Ausstellung zu schließen, falls 
die Maßregel nicht rückgängig gemacht werde. 
Paris, 11. Juli. Felix Pyat verzichtete 
darauf, wegen der Beschlagnahme des vom Grafen 
von Patis an die Maires gerichteten Briefes eint 
Interpellation einzubringen. 
Paris, 12. Juli. Deputirtenkammer). Bou⸗ 
langer bringt einen Antrag ein, der die XWWo 
der Kammer herbeiführen soll. Der Präsident er- 
klärt, das Recht, die Kammer aufzulösen, habe nur 
der Präsident der Republik. Nach einem sehr 
murmischen Auftritt erklart General Boulanger, da 
hm die freie Rede auf der Tribüne versagt sei, 
o appellire er an das Land und erkläre hiermit 
seinen Austritt aus der Kammer. 
Paris, 12. Juli. In Port au⸗Prince, der 
daupistadt der Insel Haiti, find ernstliche Unruhen 
usgebrochen, 300 Häuser und öffentliche Gebäude 
ind niedergebrannt.