Full text: St. Ingberter Anzeiger

ungenau. Bei längerer Dauer der gegenwärtigen Lage unter— 
blebt die Reise gan sicher. Eben so ünbegründet sind augenblick 
lich die Nachrichten über Vorkehrungen zu Militärtransporten auf 
den Eisenbahnen und über den Rücktritt des Kriegsministers. Er 
wie Bismarck denken jetzt gewiß nicht darau, diese Ehrenposten zu 
verlassen. F F — 
Berlin. 15. April. Die Frankfurter Blätter enthalten folgendes 
Telegramm: „Der Reichstag erledigte in seiner heutigen Schlußbe— 
rathung die Art. I2759 gemäß dem Resultat der Vorberathung 
und verwarf alle neu eingebrachten Amendements. Art. 32, die 
Bewilligung von Diäten betreffend, wurde gestrichen und der Weg— 
fall der Düten festgestellt; für den Wegfall waren 78 gegen90 
Stimmen.“ — Zu den verworfenen Amendements gehören ü- A, 
das zu Art. LI, die Forderung eines veranwortlichen Ministeri 
ums, und das zu Art. 21, die Befreiung der Beamten von Zah⸗ 
lung von Stellvertretungskosten betreffend. 
Berlhin, 16. April. Im Reichstag wurden heute die Art 
60 und 61 der Bundesberfassung, dem Resultat der Vorberathung 
gemäß, angenommen, dagegen das Amendement des Grafen Stol— 
berg abgelehnt, wonach die Heeresleistungen bis zum Erlaß eines 
Bundesgesetzes unverändert bleiben. Graf Bismarck hatte die An 
nahme des Amendements empfohlen. Zu Artikrl 62 wurde das 
Amendement des Herzogs von Ujest mit 202 gegen 80 Stimmen 
angenommen, die übrigen Artikel des Verfassungsentwurfs wurden 
ohne große Debatten erledigt. Bei der Gesammtabstimmung wurde 
der Entwurf mit 230 gegen 58 Stimmen angenommen. Die 
Polen protestirten dagegen und legten ihre Mandate nieder Mor— 
gen sindet die Schlußsitzung statt. 
Berlin, 17. April. Bezüglich der Behauptung, daß Preu⸗ 
ßen besondere milstärische Vorkehrungen treffe, wird aus authenti⸗ 
scher Quelle versichert, daß lediglich die im berflossenen Herbfi 
begonnene Erweiterungsorganisation der Landwehr jetzt vollendet 
wird. Von den Gewehrfabriken werden keine außerordentlichen 
Leistungen gefordert, da der vorhandene Vorräth an Zündnadel⸗ 
gewehren für die nöthig gewordene größere Verausgabung hinreicht 
Von einer Armirung der Rheinfestungen ist nichts bekannt. * 
Wieen, 18. April. Aus verschiedenen Städten des Aus— 
landes wird gemeldet, daß die dort zum Besuche weilenden! öster— 
reichischen Offiziere die Weisung erhalten hätten, unverzüglich zu 
ihren Regimentern zu stoßen. 
Wien, 16. April. Die hiesige „Prefse“ (ein Blatt, das 
seither aus verbissenem Preußenhaß die franzößische Allianz pre— 
digte) spricht sich heut hinsichtlich der Luxemburger Frage und der 
Stellung Oesterreichs zu derselben dahin aus: Oesterreichs Be— 
ruf in dieser Angelegenheit sei unparteiische Vermittelung. Frank 
reich — sagt genanntes Blatt — solle bedenken, was es heißt, 
eine große gebildete und gleichmächtige Nation“ gegen stch zu ha⸗ 
ben, aber auch Preußen solle nicht die wilde Energie des franzö— 
sischen Geistes unterschätzen und Gras Bismarck sich hüten in die 
Fehler seines Gegners zu verfallen und das Nautionalitätsprincip 
zu überschrauben. Die“ Luxemburger Angelegenheit sei in erster 
Linie eine Rechtsfrage, in zweiter eine Gleichgewichtsfrage, ers 
in dritter dürfe ihre nationale Bedeutung in Betracht kommen. 
Mit dem Streben˖ zur Umkehr diefer Rücksichtordnung könne und 
dürfe Oesterreich sich niemals befreunden.“ 
Frankreichh. 
Paris, 13. April. In einem Artikelchen, „Eine Erinne⸗ 
rung“ überschrieben, setzt die „Liberte“ auseinander, daß zwar der 
berwundbarste Fleck für Frankreich hinter Saarlouis und Landau 
liege, daß aber auch Luxemburg von der größten Wichtigkeit, 
Von Saarlouis und Landau aus bedroht, sei Luxemburg unhalt⸗ 
bar, es habe sich 1795 gezeigt; und als Frankreich die Linie 
Vauban's besessen, konnte der „Moniteur“ vom 7. Dezember 
1794 Luxemburg „einen der Schlüssel Deutschlands“ nennen. Am 
3. Prairial des Jahres II der Republik kündigte der Volksre⸗ 
präsentant Talot die Einnahme von Luxemburg in folgendew 
Briefe an: „Mit großer Freude kündige ich euch, liebe Kollegen 
die Uebergabe der Festung Luxemburg an. Der Besitz Luxem 
burgs ist in jeder Beziehung von der höchsten Wichtigkeit; er 
sichert uns unbedingt ein prächtiges Land, schafft uns 60,000 
Mann, ist ein unüberschreitbarer Wall gegen unsere Feinde und 
wird uns bald einen glorreichen, Frankreichs würdigen Frieden 
berschaffen.“ — Die „Liberte“ solgert daraus, daß Frankreich 
nicht nur Luxemburg, sondern auch Saarlouis und Landau haben 
müsse, denn dadurch erhalte die Festung Luxemburg erst ihre 
eigentliche Wichtigkeit. (Mit dem Namen Landau begreifen die 
Leute natürlich nur kurz die Rheinpfalz; jener Name ist ihnen 
geläufiger als etwa der Germersheims.) 
— Uebereinstimmende Mittheilungen aus Paris bestätigen 
die Nachricht, daß das Tuileriencabinet eine Depesche nach Berlin 
gerichtet habe, deren Inhalt „Avenir National“im Wesentlichen 
wie jolgt wiedergiebt: „Ich verzichte darauf, Luxemburg zu kau⸗ 
ten; aber räumen Sie die Citadelle.“ Graf Bismard's Antwort 
zabe gelautet: Nichts lieber als das, aber es ist mir unmöglich; 
es ist zu spät.“ 
Paris, 15. April. Der“,Avenir national“ theilt aus 
Lyoner Briefen verschiedene Thatsachen mit, für deren Richtigkeit 
wir ihm die Verantworilichkeit überlassen. „Seit einigen Tagen, 
heißt es diesen Briefen, werden auf dem Güterbahnhof von Lyon 
ungeheure Massen von Kriegsmaterial, Kanonen, Haubitzen ⁊c. ꝛc. 
perladen. Innerhalb weniger Stunden wurden vor meinen Au— 
zen zwanzig Wagen gepackt.Namentlich werden' dieKanonen 
bon den Laffeten genommen und in hermetisch (19 verschlossenen 
Wagen untergebracht, so daß Niemand unterwegs von dem In— 
halt dieser Güterwagons etwas erfahren kann.“ .. „Das 
seriegsmaterial von Lyon geht nach Osten; die ganze Artillerie 
ist ausgeräumt. — Wir haben in vier Tagen nahe an175,000 
Geschützkugeln befördert. Alle Laffetten für Belagerungsgeschütze 
und alle Plane sind bereits weggeschickt. Die Gensdarmerie— 
Pferde werden sür die Cavallerie requirirt. Die Regimenter 
werden in Folge eines um 8 Uhr (14. nn ieee 
fehlls organisirt und je um ZCompagnien verstärkt. Die Solda⸗— 
len werden jeden Tag eingeübt, je zu 8. Mann, im Freien zu 
lagern und abzukochen. Man spricht auch, allein nur in offiziöser 
Weise, von einer Reorganisation der Artillerie, die um ein Drit⸗ 
el permehrt werden soll. 
Paris, 15. April. Der „‚Liberte“ geht in ihrem Kriegs- 
eifer immer weiter; gestern und vorgestern begnügte sie sich noch 
mit dem preußischen Festungsviereck Luxemburg, Saarlouis, Mainz 
und Coblenz, heute aber verlangt sie bereits, daß Frankreich das 
Kriegsrecht iu jeiner Ansdehnung zur, Anwendung hringe und den 
Rhein zur Grenzscheide zwischen, sich und Deutschland mache. Aber 
erst haben! Der arenin moatienarbemet zu dieser neuen 
-Zchwenkung Girardins: „Wir wünschen der Liberte, daß sie durch 
hre neue Politik das Recht der öffentlichen Debits wieder erlange.“ 
die liberale Presse tritt immer entschiedener zu Gunsten der Er— 
jaltung des Friedens auf. — Es wird fortwährend mit außer— 
ardentlichen Anstrengungen gerüftet. Bei einem Armeeliferanteti 
iefen an einem Tage von 85 Regimentern bedeutende Bestellun⸗ 
gzen ein uünd derselbe versichett, daß seit dem italienischen Kriege 
niemals Anschaffungen von auch nur annähernd gleichem Umfange 
zemacht worden seien. Aeußerlich vermeidet man jedoch Alles 
was Aufsehen erregen könnte. Der Constitutionell dementirt zum 
Beispiel heute sehr scharf den Correspondenten der Times, der von 
iinem bis in die Nacht verlängerten Ministerrathe berichtet hatte, 
n welchem man über die Eventugalität'eines Ultimatums an Preu⸗ 
zen verhandelt hatte — Als Curiosum zur Kennzeichnung der 
Stimmung sei das Gerücht erwähnt Hr.“vi Rothschild habe im 
Verein mit mehren anderen Banquiers dem Kaiser für einen 
Krieg gegen Preußen eine Milliarde angeboten. Das Haus Seil— 
iiere allein soll bereit sein 10 Millionen zu liefern. Marschall 
stiel dringt energisch darauf, daß man die Armeereform schleunigsi 
zum Abhschluß bringe. Hr. Rouher soll daher bereits die Drohung 
Jaben fallen lassen, man werde eventuell die“ üeue“ Organisation 
nuf dem Wege des Decrets einführen. Uebrigens zeigt sich die 
Commision sehr gefügig und eine Verständigung mit der Regie— 
rung steht nahe bevor, — Dle France zeigt die vollständige Ge— 
nesung des kaiserl. Prinzea an. Wenn nur nicht wieder ein 
Rückfall eintrit ! * 
Pariis, 15. April. Ein Blatt von Bar-le-Duc meldet, 
»aß zwei Ppreußische Officiete, welche Pläne von den Befestigungen 
Thionvilles aufnahmen, am 11.April daselbst arretirt worden 
ind.“ (Thionville, zwischen Luxemburg und Metz, ist das alt⸗ 
deutsche Dietenhofen. Uebrigens werden die Franzosen ihrer lie— 
»enswürdigen Art nach jetzt in jedem reisenden Deutschen einen 
Spion sehen). 5 J 
Paris, 16. April.Der Moniteur bringt ein Cirkular des 
sKtriegsministers vom Gestrigen, durch welches die Taxe für Befrei— 
ung vom Kriegsdienste auf 3000 Fr, erhöht wird. (Dieselbe be⸗ 
trug seither 2300 Fr)). 
Paris, 17. April. Die „Patrie“ läugnet nicht, daß mi⸗ 
litärische Vorbereitungen stattfinden, glaubt aber, daß durch die 
keste Haltung Frankreichs der Friede gesichert würde. — Die 
France“ dementirt die Verhaftung von vreußischen Offizieren. 
England. 
London, 6. April. Ein Reisender, welcher nach längerem 
Aufenthalte aus dem Innern Mexico's zurücktehrt, giebt eine 
Mitleid erregende Schilderung der Zustände des Kaiserreiches. 
Welf und Waiblinger schlagen auf sich und Andere los und rau⸗ 
»en, was in ihren Bereich fällt. Die Posten zwischen Mexico 
und Vera⸗Cruz werden regelmäßig ausgeplündert; in demselben 
Tempo, wie die Franzosen von Ort znu Ort nach Vera⸗Cruz zur 
Finschiffung hinmaschirten, folgten die „Liberalen,“ theils Solda⸗ 
en, theils Briganten. In Oqaiaca ist der hrasilianische Consul, der