Full text: St. Ingberter Anzeiger

und das Wie der hiernach nothwendig werdenden Einrichtungen 
zu vereinbaren. Von einem süddeutschen Staate ist bekanntlich 
hereits der Vorschlag gemacht worden. Abgeordnete aus Süd— 
deutschlund in den Norddeutschen Reichssstag für die einschlägigen 
Berathungen eintreten zu lassen und denselben in Zollangelegen⸗ 
heiten ein Votum zu bewilligen; gleichzeitig würden auch die süd⸗ 
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absenden. Nach den Ministerconferenzen sollen Zollconferenzen 
ttattfinden, bei welchen auch die übrigen Zollvereinsstaaten Nord— 
deutschlands mit vertreten sein werden. — Wie ich vernehme 
steht eine bedeutende Tarifermäßigung für den internen Telegra— 
p hen⸗Verkehr bevor. 
Wien, 1. Juni. Der Adreßentwurf für das Abgeord⸗ 
netenhaus, für welchen der Abgeordnete Herbst der Referent ist, 
führt eine rückhaltlos offene Sprache, die nichts bemäntelt, nichts 
zudeckt, aber doch vollen Glauben an Oesterreichs Zukunft ausspricht 
und ein vollständiges politisches Programm giebt. Die Einlei⸗— 
tung enthält eine scharfe Verurtheilung der Sistirungspolitik. Bei 
iller Anerkennung der Thatsache, daß die Regierung in die ver— 
tassungsmäßige Bahn wieder eingelenkt ist, ist alles bermieden, 
wpas bex die Thatsache des Ausgleichs mit Ungarn hinausgeht 
und der Feststellung des Rechtsstandpunktes vorgreifen könnte; nur 
läßtz dex Entwurf durchblicken, daß in der finanziellen Seite des 
Ausgleichs der Schwerpunkt der Verhandlungen liegen wird. Aber 
nijt vollster Offenheit tritt er in die Verfassungsfragen ein, welche 
für die Länder diesseits der Leitha zu lösen sind. Er fordert, 
daß auch hier das Verfassungsleben mit den starken Bürgschaften 
der ungarischen Verfassung umgeben werde, und stellt eine durch— 
greifende Reform der Verwaltung, eine freisinnige Regelung des 
Vereinswesens, die Verwirklichung der Preßfreiheit und endlich 
eine gründliche Revision des Concordats als unerläßlich hin. Ue— 
der die bisherige Finanzwirthschaft bricht er in wahrhaft vernich— 
sender Weise den Stab und schließt, indem er freudig die Zusi⸗ 
cherung annimmt, daß eine Politik der Wiedervergeltung werde 
berschmäht werden, mit einem Appell an die versöhnte und ver— 
einte Kraft Oesterreichs, welche allein die Drangsale zu überwin— 
den hoffen lasse, „die schon in naher Zukunft hereinbrechen könn⸗— 
ten.“ — Der Adreßentwurf für das Herrenhaus, für welchen 
Anton v. Auersperg (der Dichter Anastasius Grün) Referent ist, 
perurtheilt nicht minder entschieden glögder Entwurf für das Ab— 
geordnetenhaus die Sistirungspolitik uud ——8* nicht minder 
energisch die schlimme, Lage in der das Reich sich befindet. „Noch 
nie — heißt es da — so weit die Blätter der Geschichte reichen, 
war dies Reich von einer solchen Wucht der manigfachsten Be—⸗ 
drängnisse heimgesucht wie in der jüngsten Epoche,“ nnd: „lein 
Schleier ist dicht und groß genug um all die Schäden und Wun— 
den, an denen der Staatskörper leidet, zu verhüllen.“ Im Ge—⸗ 
gensatz aber zum anderen Entwurf, welcher das Hauptgewicht auf 
die Freiheitsfragen legt und die Wiederherstellung der ungarischen 
Verfassung einfach als Thatsache hinnimmt, behandelt der Ent⸗ 
wurf fürs Herrenhaus aufs Eigenhändigste den Ausgleich, dem 
jast die Hälfte des Raumes gewidmet ist, und spricht sich nur 
zleichsam im Vorbeigehen für eine nothwendige Vervollständigung, 
Belebung und Befestigung des Verfassungslebens aus. Üeber 
Reformen auf dem Gebiete der Gesetzgebung ist er stumm und 
empfiehlt nur im allgemeinen „erhöhte Pflege geistiger Cultur,“ 
von der er die Steigerung der materiellen Wohlfahrt abhängig 
nacht. — Die Neubildung des Cabinets scheint auf unerwar— 
ete Schwierigkeiten zu stoßen. Herbst und Anton v. Auersperg 
haben vorläufig jedes Portefeuille bestimmt abgelehnt; ebenso 
Berger aus angeblichen Gesundheitsrücksichten. Wahrscheinlich wird 
— ** noch eine geraume Zeit lang in der Schwebe 
eiben. 
Pesth, 1. Juni. Der Kaiser ist heute wieder hier einge— 
roffen. — Die Magnatentafel des Landtags hat heute den Ge— 
etzentwurf über die gemeinsamen Angelegenheiten einstimmig an— 
genommen, die Beschlußfassung über die vier Entwürfe (Betreffs 
des Palatins, des Ministeriums, der Nationalgarde und der Büd— 
getvotirung) aber wegen Zeitmangel auf nächsten Montag verscho— 
ben. — Wegen einer angeblichen Lücke in der Entsagungsurkunde 
des Kaisers Ferdinand waren Bedenken entstanden, welche nun die 
Deputirtentafel durch Inarticulirung (d. h. Einregistirung) beseitigt 
hat, so daß die Krönung dennoch an dem festgesetzten Tage stati 
finden kann. 
Frankreich. 
Paris, 2. Juni. Aus guter Quelle wird versichert, der 
aiser Alexander werde von Paris aus eine Amnestie für die bei 
den letzten politischen Ereignissen in Polen compromittirten Polen 
protlamiren. 
Der Kaiser und der Czar, die zwei Großfürsten, der Kron— 
prinz von Preußen, der Konig und die Königin der Belgier und 
die übrigen fürstlichen Persöonen wohnten dem Wettrennen im. 
Bois de Boulogne bei. Die Kaiserin und die Kronprinzessin 
von Preußen waren nicht gegenwärtig. Bei dem Rennen, wel. 
hem eine ungeheure Menschenmenge zusah, kamen zwei französische 
Pferde zugleich ans Ziel; ein englisches war das dritte. 
Wie die „Liberte“ wissen will, hätte der Kaiser von Ruß⸗ 
land in der kaiserlichen Tribine auf der Ren nbahn von Long 
hamp ein Dekret unterzeichnet, durch welches alle gefangenen und 
lach Sibirien verbannten Polen amnestirt würden. 
Paris, 8. Juni. Gestern fuhr der Kaiser mit dem Cʒa⸗ 
ren, dem König der Belgier und dem Kronprinzen von Preußen 
n das Boulogner Holz. Eine Menge von Gesandten mit ihren 
Damen und andere politische Nolabilitäten hatten sich dem Zuge 
angeschlossen. Die sehr zahlreich versammelte Menge — über 
100,000 Menschen, — hielt sich durchaus ruhig, nur die vielen 
anwesenden Preußen grüßten ihren Kronprinzen durch Hutabneh⸗ 
men, was derselbe freundlich erwiederte. Man ist ungemein auf 
den Grafen v. Bismarck gespannt, zu dessen Ankunft mit dem 
König von Preußen sich wahrscheinlich eine noch größere Menge 
versammeln wird, als zu der Ankunft des Czaren. Bei dieser Ge— 
legenheit muß ich Ihnen eine wahre Anekdote erzählen. Ein be— 
kannter hiesiger Journalist wollte in den Wagen des Czaren hin—⸗ 
einrufen: „Vive la Pologne!“ Er irrte sich aber, steckte seinen 
Kopf in die langsam fahrende Carrosse des Fürsten Gortschakoff 
uind rief aus allen Kräften sein Hoch. Der russische Kanzler be— 
znügte sich, abwehrend mit dem Kopf zu schütteln und den Zeug— 
inger halb drohend, halb scherzend zu erheben. 
Paris, 5. Juni. (Ohne Quelbenangabe) Auf Ansuchen 
Frankreichs schickte der Präfident Johnson Hrn. Campbell neuer— 
dings zu dem Präsidenten Juarez um die Freilassung des Kaisers 
Marximilian zu erwirken. — Frankreich stimmi dem russischen 
Vorschlag in der orientalischen Frage bei. 
England. 
London, 31. Mai. Im Unterhaus wird mit 306 
zegen 179 Stimmen ein Antrag zur Reformbill angenom-⸗ 
nen, welchem zufolge kein Flecken unter 10,000 Einwoͤhnern 
mehr als Einen Repräsentanten in das Parlament sen— 
den soll. 
London, 81. Mai. Wie Cremieur in Paris beim Kaiser 
jatte Sir Francis Goldsmid hier sich eine Audienz bei Lord 
Stanley erbeten, damit er seinen Einfluß für die gehetzten Juden 
n der Moldau verwende. Sir Francis kam zu spät, denn Lord 
Stanley hatte bereits an Lord Lyons nach Konstantinopel fehr 
ntschiedene Weisung ertheilt, beim Fürsten Karl zu Gunsten der 
Juden zu interveniren, die wahrhaft herzerschütternde Berichte 
iber ihre Lage hierher geschickt haben. Diese plötzliche Judenhetze 
st um so auffallender, als Fürst Karl sich zu Gunsten der vouͤ— 
tändigen bürgerlichen Gleichstellung der Juden in der Moldau 
irst vor Kurzem persoönlich ausgesprochen, man darf wohl sagen, 
erpflichtet hat. 
— Der Streit mit Spanien wegen widerrechtlicher Beschlag⸗ 
iahme eines englischen Fahrzeuges ist kaum seit einem Mongie 
n einer für die spanische Regierung eben nicht schmeichelhaften 
Weise beendigt worden, so kommt schon wieder die Meldung hie— 
her, daß auf einen englischen Dampfer von dem spanischen Ka— 
nonenboot Prosperidad geschossen worden ist. Der Dampfer heißt 
Beninsula, macht die Fahrt von London nach Spanien uiun schon 
eit 20 Jahren und muß den spanischen Küstenwachen und Kreu— 
jern sehr wohl bekannt sein. Trotzdem wurde er auf seiner letz⸗ 
en Fahrt durch zwei Schüsse des genannten Kanonenbootes zum 
Stehen gebracht und hatte ein insultirendes Verhör zu bestehen, 
weil er angeblich zu nahe an der Küste hingefahren. Schließlich 
wurde ihm die Weiterfahrt gestattet, doch erzeugen Vorfälle dieser 
Art immer böses Blut. 
Italien. 
Aus Turin bringt der „Moniteur“ eine ausführliche Be— 
cchreibung der Feierlichkeiten, welche gelegenilich der bürgerlichen 
ind kirchlichen Trauung des Prinzen Amadeus stattgefunden ha— 
ben. Die Hauptpunkte des Ehepaktes sind: Gütertrennung, 200, 000 
Fres. jährliche Rente für das junge Paar, so lange die Mutter 
der Prinze ssin Cisterna am Leben bleibt und eine Million baar 
von Seiten dieser letzteren. Das Nadelgeld der Herzogin von Aosta 
st auf 50,000 Fres. jährlich festgestellt. 
Amerika. 
Washington, 81. Mai. (epesche des österreichischen 
Besandten nach Wien.) Queretaro wurde am 15. Mai in den 
rühen Morgenstunden durch Ueberrumpelung genommen. Der 
daiser zog sich in die obere Stadt zurück, allein ein heftiger Ar— 
islerieangriff zwang ihn, sich auf Discretion zu ergeben, mit Me— 
ia und Castillo y Cos. ADie Depesche Escobedos ist vom 16. Mai 
atirt. Bis dahin war kein Gewaltact erfolgt. Ein anderes 
utes Zeichen in Bezug auf die Absichten von Juarez ist die