Full text: St. Ingberter Anzeiger

nür durch die freie politische und sociale Entwickelung' können die 
noch durch Fo! viele Verschiedenheitew getrenuten deutschen Stämme 
zu einem“großen ftaatlichen Gauzen zusammenwachsen und zur 
Neubczründung eines starken deutschen Reiches gekangen, welches 
die Centralkraft Cuwpas zu bilden hat. Aber in den Mitteln 
zur Erreichung dieses großen und wichtigen Zieles weichen die lie⸗ 
beralen Parteien von einander ab. Die einen verlangen einen 
starren unbeugsamen Rechtskampf für die Anerkennung der Reichs- 
zerfassung von 1849, wenn auch in veränderter Form, während 
die anderen das frische Ergreifen der gegenwärtigen Lage der 
Dinge und die Benutzung der Vortheile fordern, welche die durch 
den deutschen Krieg erzeugte Nothwendigkeit eines Zusammenge— 
jens der preußischen Regierung mit der deutscheir- Rativn der 
Volkspartei gewährt. Die hieraus hervorgegangene Compromiß- 
politik hat zur Beendigung des Verfassungskampfes und zur An⸗ 
rahme der Verfassung des Norddeutscher Bundes geführt, aber 
es läßt sich auch nicht leugnen, daß die inneren Zustände Preu— 
zens dadurch nicht besser geworden sind, und daß ganz Deutsch⸗ 
land mit Mißtrauen darauf blickt und sich fragt, ob es sich einer 
Hegemonie überlassen darf, welcher die Gewähr einer fortschrei⸗ 
enden Entwicklung fehlt und von der im eigenen Lande gefürch⸗ 
tet wird, daß sie die Machtenfaltung über die Fortbildung des 
Rechtsstaates zu stellen trachte. In dem' Widerstreite des alten 
conservativen Regierungsprineips mit dem neuen liberalen, wel⸗ 
hes der Fortschritt der Zeit erfordert, liegt allerdings das größte 
demmniß für die Freiheitsentwickelung der Gegenwart; aber um 
dᷣ nothiger ist es auch, daß die lieberalen: Parteien ihre volle 
Kraft an die Ueberwindung desselben setzen und nicht müde wer⸗ 
den, der preußischen Regierung wie denen der andern deutschen 
Staaten zu beweisen, daß sie nur durch die Hingebung an die 
Volksinterresser und die Einigung mit der Vollsvertretung ihr 
Fiel, die Begründung einest Bundesstaates mit dem Kern einer 
tarken Centralmacht, erreichen können. Der monarchische Bundes⸗ 
xaat, welcher jetzt begründet werden soll, ist eine noch durchaus 
unvollkommene Erscheinung, der nothwendigeine andere Gestalt 
zegeben werden muß. Dazu wird aber der Eintritt der Vertre⸗ 
er. Süddeutschlands in den norddeutschen Bund unzweifelhaft füh— 
ꝛen, Mit dem Beschlusse der füddeutschen Stauten, für die Ber— 
retung ihrer materiellen Interessen Abgeordnete wählen zu lassen 
und in den Reichstag“zu senden, um eine Neugestaltung des Zoll⸗ 
oereins! zu bewirken; ist bereits ein erster Schritt zur Einigung 
gethan. DieNothwendigkeit der wirthschaftlichen Einheit Deutsch⸗ 
lands ist ausgesprochen, an dem Reichssstage wird es sein, daran 
die Forderung der politischen Einheit zu knüpfen und den vollstän⸗ 
Jigen Anschluß Süddeutschlands an den Norden zu bewirken— 
Der vereinten Nationalbertretung Deutschlands muß und wird es 
zelingen, die parlamentarische Regierung zunerringen, welche den 
nonarchischen Bundesstaat in einom constitutionellen, umgestalteten 
Deutschland ebenbürtig neben England stellen und Frankreich zu 
iner neuen Freiheits-Entwickelung anspornen wird. 
Berlin, 17. Juni⸗Es bestütigt sich vollkommen, daß 
Bayern in dem' erweiterten Bundesrathe sechs Stimmen haben 
voll und Preußen sich ein Veto vorbehält. Die Zeitungsnachricht 
iber, daß Bahern dies beantragt habe, scheint unrichtig. Wie aus 
den Protokollen der Minister-Conferenz hevvorgehen soll, befürwor⸗ 
ete Württemberg zwej Stimmen mehr für Bayern. Die ande⸗ 
en Staaten stimmen zu. Selbstverständlich wurde die Zustimmung 
dex anderen Zollvereinsmitglieder, wie für alles Andere vorbehalten. 
Berlin, 17. Juni. Ich habe heute eigentlich nur zu be⸗ 
richtigen, und keine positive Thatsache zu melden, mit der einzigen 
Uusnahme, daß sich der König seit seiner Rückkehr: aus Paris 
ehr offen sehr günstig und sehr zuversichtlich in Betreff der Be— 
estigung des Friedens in Europa ausspricht. Nur die kandiotische 
Frage hat zum Eingehen in Details Anlaß' gegeben; von einer 
franco⸗preußisch⸗rufsischen· Allianzt ist nicht die Rede gewesen. 
— Berhlin, 19. Juni.« Die Prov.Corr. sagt: Die am 4. 
Juni d. J. abgeschlossene Uebereinkunft in- Zollangelegenheiten 
stellt Folgendes fest: die Aufrechthaltung des Zollvertrages vom 
16. Mai 18653 eine gemeinsthaftlicher Vertretung der Regierungen 
des Zollvereins nach Maßgabe des ehemaligen Bundesplenums 
nit einer Aenderung zu Gunften Bayerns (welches 6 statt 4 
Stimmen erhält) und mit Entscheidung durch Mehrheitsbeschlüsse; 
ein Zollparlament in dem durch süddeutsche Abgeordnete verstärk⸗ 
len norddeutschen; Reichstag. Preußen beruft die ersahrwiungen 
der Zollvereinsorgane und führt den Vorsitz in denselben; es schließt die 
Handels vertrage um Namen Allex, ab und hat ein Veto gegen 
Reuerungen in der Vereinsgesetzgebung. Bayern hat, bereits zu— 
gestimmt. Die Zollconferenzen werden vermuthlich am 26. Juni 
heginnen. — Die Nordd. Allg, Ztg. meldet,, daß der. Graf v. 
Tauffkirchen gestern den Beitrxitt Baherns zur Zollübereinkunft un— 
erzeichnet hat, und daß die am 26. Juni zusammentretende Zoll⸗ 
onferenz von Tariffragen nur einen anderen Modus der Tabak 
esteuerung und im Uebrigen nur Allgemeines über das neut 
Zollvereinsverhäktniß auf Grund«der Zollübereinkunff vom 4. 
Funj berathen wird. — Die Kreuzztg. dementirt die Nachricht. 
Jaß wegen Nordschleswig ein Abkommen bereits getroffen sei. 
Das Staatsministerium hat entschiedem das Hannover ine un— 
jetheilte Provinz mit Regierungsbezirken und Landrathsäm— 
tern bleibt. 
Wien 12. Juni- Es ist ein wahrer Meisterstreich den 
die Regierung in Ungarn mit ihrer ausnahmslosen Amnestie und 
roch mehr damit gethan hat, daß der Kaiser das Krönungsge— 
chenk von 1200,000, Dukaten, welches ihm und seiner Gemahlin 
yom Landtage votirt war, zur Unterstützung der invaliden Insur— 
jenten (Honveds — Landesbertheidiger) aus den Jahren 1848 
18489 so0 wie der Wittwen und Waisen aus jener Zein bestimmt 
hat. Es bedarf wohl keiner weiteren Eroͤrterung. daß eine zarte⸗ 
innigere Weise, diese Subsidien zu gewähren, kaum denkbar war, 
ils indem der Monarch gewissermaßen nur den Vermittler spielte, 
zurch dessen Hände die freie Gabe der Nation an die Opfer des 
Revolutionskriegez überging. Dier Bevölkerung selber hatte zu 
yerschiedenen Malen, unter Bach und noch im Jahre 1864, An⸗ 
treugungen gemacht, den Honveds unter die Arme zu greifen, im⸗ 
ner aber war die Regierung diesen Versuchen energisch entgegen— 
gJetreten. Um so größer ist nun heute der allgemeine Enthusias- 
nus. Der kaiserliche Abt der Milde wird auch nach Ablauf von 
18 Jahren noch einer großen Anzuhl von Nothleidenden, nament— 
ich aber vielen unbemittelten Familienmitgliedern. der damals Ge⸗ 
allenen zu Gute kommen. Was die Heransgabe der confiscirten 
ßüter anbelangt, so zweifle ich, ob nach den zahlreichem weilwei⸗ 
en Amnestie⸗Erlassen seit der Kaiserreise vom Jahre 1857 noch 
ziele erkleckliche Rebellenbesitzungen unter Sequester ftehenz guch 
ie Anzahl der Gefangenen,: wenigstens ausn der Zeit des Bür— 
serkrieges, welchen die Amnestie heute noch die Pforten des Ker⸗ 
ers zu offnen hat, nachdem Bach und Schmerling, Forgach und 
Majlath, um die Wette Begnadigungen einzelner Verurtheilten so 
vie ganzer Listen und Classen erwirkt, dürfte keine nennenswerthe 
eim. Allein die Hauptsache ist, daß mit der ausnahmslosen Be⸗ 
madigung, welche auch Kossuth ohne weiteres die Rückkehr in das 
Zaterland gestattet, wenn er nur dem Monarchen Treue schwören 
vill, die unheimliche Einwirkung der Emigration für immer ge⸗ 
hrochen und die letzte Spur des verfussungslosen Regiments vers 
vischtist. Deak erklärte in seinen Adressen von 1861 und 1866 
u wiederholten: Malen, die Ausgewanderten; deren-Heimkehr die 
ingiltigen Sprüche fremder, illegaler Tribunale, der Kriegsgerichte 
daynau's und dann der oktroyirten Bach' schen Gerichte im Wege 
tünden, seien Opfer der Gewalt nicht der Justiz; von einer ehr⸗ 
ichen Herstellung des Constitutionalismus könne nicht die Rede 
ein, bis die ihrer Rückkehr im Wege stehenden Hindernisse besei⸗ 
igt seien. Auch dieser letzteven Forderung. Ungarus ist jeßt rück⸗ 
zaltlos omsprochen und damit der Emigration für die Fortsetzung 
des Martyriums und für fernere politische, Agitationen in der 
Zoimath der Boden unter den Füßen weggezogen. Klapka, der 
jestern bereits auf dem Wege nach Pesth durch Wien kam, wird 
eine „ungarische: Legion“ mehr gegen Oesterreich anwerben; eben 
o rustet sich Görgey, dessen Tochter schon- in Pesth bei der Krö— 
nung als eine der ersten Schönheiten Ungarns-gestrahlt hat, sein 
tilles Asyl in Kärnthen, wo er bekanntlich internirt war, mit ei⸗ 
nem. Wohnorte in feinem Vaterlande, zu vertauschen; und auch 
»er „Gouverneur“ Kossuth ist politisch ein todter Mann, mag er 
sun im London bleiben oder den verlangten Eid leisten und mit 
einer ganzen Vergangenheit brechen, um den Abend seines Lebens 
auf ungarischer Erde zubringen zu koönnen! 
Wicen, 15. Juni.“ Man berichtet uns, der Kaiser werde 
zie Reise nach Paris bereits am 3. Juli antreten und die Kai— 
erin werde mitreisen. Hr. v. Beust und ein großes Gefolge 
verde das Kaiserpaar begleiten. Wenn es dabei bleibt, wird 
zer staiser in Paris mit dem Sultan zusammentreffen. Kaum 
)ürfte mehr zu besvrgen sein, daß eine Trauerbotschaft aus Me— 
iico die Ausführung der Reise vereiteln werde. War schon die 
Thatsache, daß Kaiser Maximilian nach der Einnahme von: Que⸗ 
retaxo zum Kriegsgefungenen erklärt und nach der Haupistadi 
Mexiko abgeführt wurde, insofern eine beruhigende, als dadurch 
die Entscheidung übet sein Schicksal hinausgeschoben wurde, so 
»ildet die mittelst Cabeltelegramms aus New-York vom: 14. d. 
ingetroffene Nachricht, daß die kriegsgerichtliche Untersuchung gegen 
aiser Muximilian geheim geführt wird, ein weiteres Moment 
der Beruhigung. Es liegen aber noch positivere Anhaltspunkte 
zor, welche beinahe die Gewißheit gewühren, daß für Kaiser 
Maximilians Lebem von der gegen ihn eingeleiteten. kriegsgericht⸗ 
ichen Untersuchung eine Gefahr nicht mehr zu befürchten ist. 
Man erzählt hier nämlich es sei dem kaiserlichen Hofe ein Tele— 
Rsramm, zugekommen, worin Kaiser Maximilian selbst anzeigt, daß 
x sich in Kriegsgefangenschaft befindet und sich einer dem Ge—⸗ 
zrauche und den Gesetzen civilisirter Nationen vollkommen ent⸗ 
prechenden Behandlung zu erfreuen habe