St. Ingberler Anzeiger.
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453 183. sSamtaa, den 26. Novbeniber 4411870.
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D eutschland.
München, 24. Nov. Hoffmanns Correspendenz meldet:
Der Vertrag über den Abschluß eines Verfassungsbünd-
nissses wurde gestern von den Staatsministern in Versailles vor⸗
dehaltlich der allerhöchsten Ratifikation des Königs unte r⸗
ne i chnet.
Münschen, 22. Nov., Der k. Oberstallmeister Graf von
Holnstein wird die Reise nach Versailles morgen früh antreten.
und dieselbe ohne Aufenthalt bis Versailles fortsetzen. — Nach
zestern eingetroffener Mittheilung sollen keine Sendungen an unsere
Minister in Versailles mehr abgesendet werden, da dieselben bis
morgen oder übermorgen die Rückreise nach München antreten
werden. — Für die nächsten Tage stehen mehrfache Ernennungen
und Beförderungen in der Linie und der Landwehr, namentlich in
den Chargen der Subalternoffiziere, zu erwarten.
München, 23. Nov. Zu der von der Handelskammer von
Oberbayern abgegebenen Erklärung, daß die Konkurrenz, welche
manchen Fabrikationszweigen Deutschlands durch die Einverleibung
pon Elsaß und Deutschlothringen erwachsen wird, Anlaß gebe, beim
Friedensschluß auf eine entsprechende Abänderung des deutsch⸗
ranzösischen Handelsvertrages Bedacht zu nehmen, sind Zustim⸗
mungen fast aller sächsischen Handelskammern, dann der Handels—
kammer der Pfalz, von Essen, Aachen, Schweidnitz und des
Aeltestenkollegiums in Berlin eingelaufen. — Der Münchener Spi—
ralzug, welcher zur Belagerungsarmee vor Paris abgegaugen war,
ist gestern Nachmittags wieder hier angekommen. Derselbe nahm
180 am 30. Sept. verwundete Bayern und Preußen auf, die vor
Paris in Baracken lagen, u. verbrachte dabon noch etliche 50 nach
München, während. die übrigen an anderen Stationen abgesetz
wurden. Die Ankömmlinge sind alle schwer verwundet, meist am-
putirt, darunter ein bayer. Jäger, der beide Hände und einen Fuß
derloren hat. Die Bayern werden in dem Spital der Königin
Mutter in Neuberghausen, die Preußen in Aiblina und Regens—
burg untergebracht.
Berlin, 20. Nop. Das angebliche Berliner Telegramm
der „Independance“, Preußen und Rußland würden im Kriege
pusammen operiren, ist ein falsches Preßmanöver aus London oder
Tours, um durch die Erfindung eines preußisch-⸗russischen Traktates
Mißtrauen gegen Preußen auszustreuen. In hiesigen unterrichteten
Zreisen wird die Lage der orientalischen Frage fortwährend fried⸗
lich betrachtet. Journalistische Untersuchungen über Preußens Stel⸗
iung im Kriegsfalle find daher volllommen müssig (K. 3.)
Seit der Kapitulation von Metz, durch wesche 173,000 Mann
riegsgefangen wurden, haben die franzosischen Armeen bis zum
11. Nov., also in einem Zeitraum von kaum 14 Tagen, noch
deinahe 14,000 Mann verloren, die als Gefangene in die Hände
der Deutschen gefallen sind; nämlich 2400 Mann in Schleitstadt,
220 im Fort Mortier bei Neubreisach, 5000 in Neubreisach selbst,
2400 bei dem Gefecht von Le Bourget, 4100 in Verdun, darun⸗
er 2 Generale, 11 Stabsoffiziere und 150 Offiziere und Unter⸗
offiziere, 302 in Montereau und endlich bei Gelegenheit von Ge⸗
sechten von geringerer Bedeutung, wie bei Artenah, im Ganzen
300 Mann. Die Zahl der in diesem Zeitraum erbeuteten Kanonen
beläuft sich auf 8372.
Aus Berlin, 20. Nov., schreibt man dem „W. W: General
Trochu und Jules Favbre, vornämlich ersterer, zeigen sich bereit auf
Anterhändlungen einzugehen: 1) wenn nicht eine Kapitulation auf
Bnade und Ungnade gefordert und 2) eine Garantie für die Er—
daltung der gesenwärtigen Regierungsform Frankreichs bis zur
definitiven Wahl eines Gouvernements durch die Konstituante ge⸗
jeben wird. Was den ersten Punkt anbelangt, so dürfte auf ein
zewisses Entgegenkommen im deuischen Hauptquartier zu rechneun
ein, weil die außerordentliche Zahl der G fargenen zu einer Modi⸗
itation der Kapitulationsbedingungen von Sedan und Mez, rathet.
Allerdings steht dem entgegen, daß mit dem Falle von Paris die
idrigen Festungen und Armee des Landes bezwungen werden müssen,
wenn die Nalionaldersammlung nicht sofort zur Abschließung des
Friedens schreitet. Was die gegenwärtige Regierungsform Frank
reichs aubelangt so dürfte man in Vefrsailles ferne davon sein,
rgend welche Garautie für ihre Erhaltung zu leisten. Die Nicht⸗
inmischung in die Parteiangelegenheiten des Landes wird grund⸗
ätzlich festgehalten, wenn auch gewisse Eventualitäten nicht
ausgeschlossen sind, die zu einer Aenderung dieser Politik führen
roͤnnten.
Berlin, 23. Nov. Bezüglich der Pariser Zustände schreibt—
»ie „Prov.Corr.““ Von einem blosen Waffenstillstande kann
unsererseits nicht die Rede sein. Die Dinge stehen so, daß wir
chon in nächster Zeit der endlichen Erfüllung unferer militärischen
Aufgaben vor Paris, an der Loire und im Norden mit Zuversicht
intgegensehen können. J
Berlin, 23. Nov. Die ‚Prov.⸗Korr.“ schreibt: Nachde m
die Verträge mit Hessen und Baden über den Beitritt zum Rord-
deutschen Bunde abgeschlossen waren, fanden die Schlußverhandlun-
jen mit Württemberg letzter Tage in Berlin statt. Der unmittel—
ʒare Beitritt Württembergs ist zu erwarten. Die Verhandlungen
nit Bayern sind noch nicht abgeschlossen; dieselben lassen ein nahes
erfreuliches Ergebniß in Aussicht nehmen. — Die Regierung wird
zeim Reichstag die Bewilligung eines Credites bis zu 100 Millionen
zeantragen. Die beabsichtigte Berufung des Landtages für das
aufende Jahr hänge von der Dauer der Reichstagssession ab.
Die Sprache der englischen Blätter erhält sich unterdessen in
hrer alten Heftigkeit. Die „Morning Post“ hebt hervor, daß man
ich auf die Türkei verlassen könne; diese habe die Gefahr vorher⸗
zesehen, ihre Armee gerüstet und brauche nur Geld. Die Meinung
sreußens habe in diesem Conflicte nur eine moralische Bedeuturg,
vährend Italien und Oesterreich sich willig zeigten, die durch einen
chweren Krieg errungene Sicherstellung des Orients gegen Rußland
Astzuhalten. Oesserreich wisse, daß seine Interessen dadei auf dem
Spiele standen, und Italien werde nicht dergessen, daß es in dem
rim seine politische Laufbahn als europäische Macht mit Glück
eröffnet habe. Amerika's Parteinahme in einem europäischen Conflict
vegen des Orients sei ein Hirngespinnst.
Berlhin, 24 Nod. Heute Naqhmitiag wurde der Reisch 4-
ag durch eine Rede des Herrn Delbrück er off net.
Straßburg, 19. Nov. Die Einnahme von Orleans
zurch die französische Loirearmee hat den Muth der Französischge—
innten, und das sind mit wenigen Ausnahmen alle Bewohner des
Eljaß, um ein bedeutendes gehoben. In zolge dessen laufen hier
die ungeheuerlichsten Gerüchte herum, die alle geglaubt werden.
Als Beweis daß die Franzosen in der That um alle gesunde Ver—
nunft gekommen sind, theile ich dieselben hier mit. Darnach wäre
Baribaldi hier gewesen, hätte Werbebureaur errichtet, sei von hier
rus nach Paris gereist, von dort zurückgekehrt und habe seinen
cingeweihten im Vertrauen erzählt, daß es ihm nun, nachdem er
zesehen, wo die Preußen fich befinden, eine Kleinigkeit sei, in
einigen Tagen dieselben total zu zernichten. (11) Ferner glaubt
man hier, daß die Thore Straßburgs geschlossen werden wuͤrden,
weil man stündlich einen Ueberfall der Garibaldianer erwartete,
und ein hiesiger, zu den gebildeten Ständen zu zählender Bürger
war so bornirt, mir folgendes ins Gesicht zu sagen: „Ich bedaure
Sie, da ich Sie liebgewonnen; denn in einigen Tagen werden die
Preußen von außen und innen überfallen und alle umgebracht!“
— Der Verkehr mit den hiesigen Einwohnern ist durchweg ein ange⸗
nehmer, man daif sich nur nicht unterfangen, ihnen ihre wahre
Lage zu schildern. Erzählt man ihnen dagegen, daß die Franzofen
inen Sieg errungen. so wird man gleich mit Wein ꝛc. tractirt,
wenn dieser Sieg auch die augenscheinlichste Lüge ist. Um zuͤ
ehen, wie weit die Dummheit reicht, erzählte ich einigen gebildeten
Damen, aber ungeheuer enragirten Französinnen, daß bei Orleans
2000 unausgebildete französische Soldaten eine preußische Armee
son 40,000 Mann total geschlagen und die Hälfte gefangen ge⸗
ommen, und daß 20 berittene Franctireurs ein ganzes preußisches
Regiment umzingelt und gefangen genommen hätten, als mir ent⸗
jegnet wurde, anstatt mich wegen dieser unerhörtesten Löüode aus—