ministeriums am Neujahrstage an den Für7en Bismarck folgende
Worte gerichtet habe: „Ich habe in Ihrer Stellung Aenderungen
pornehmen müssen, die mir schwer geworden sind; 6 mußte aber
geschehen, um Sie zu erhalten.“ Zum Grafen Roon gewendet habe
der Kaiser geäußert: „Dasselbe güt auch von Ihnen“, worauf er
jedem Minister die Hand gereicht und sie aufgefordert habe, ihm
auch fernerhin ihren Beistand zu leihen.
In Wiener diplomalischen Kreisen erzählt man, wie die
Montags-Revue“ berichtet, Graf Beuft hätte sich direlt an den
Herzog v. Gramont mit dem Verlangen gewendet, ihm jenes Acten⸗
stück namhaft zu machen, in welchem die von dem ehemaligen
französischen Gesandten citirien Sätze enthalten wären, indem sich
Braf Beust nicht zu erinnern vermöge, jemals diese oder eine
ähnliche Aeußerung mündlich oder schriftlich gethan zu haben.
Es ift jetzt von dsterreichifcher Seite zugegeben wor ·
den, sagt die „B. A. C.“ mit vollein Recht bezüglich der vieler⸗
oͤrtetten Gramont'schen Enthüllungen, daß man sich „im Interesse
des europdischen Gleichgewichts an dem Kriege zwischen Frank⸗
reich und Preußen habe betheiligen wollen, und daß man nur aus
Nücksicht auf die mangelhaften eigenen Vorbereitungen und auf
die durch die deutschen Siege inzwischen veranderte Lage davon
Abstand genommen hat. Diese Hiltung Oesierreichs ist unserer
Regierung bekannt gewesen und, wenn dieselbe trotzdem Oesterreich
die Hand zu einem ehrlichen Freundschafts verhältniß geboten hat
so haben wir usererseits keinen Anlaß, daran zu zweifeln, daß
seit dem Rüdtriti des Grafen Beufi auch die öosterreichisch ⸗ ungarische
Regierung jeden Hintergedanken aufgegeben und auch ihrerseits in
ehrlicher Absicht die ihr dargebotene Hand erfaßt hat.
Die „Sp. Z.“ iheilt mit, daß demnächst der bereits dem
Abgeordnetenhause unterbreiteten Vorlage über die Grenzen der
lirchlichen Strafmittel eine zweie über die geistliche Diskiplinar⸗
gewalt folgen wird; damit aber dürfte die Reihe der Vorlagen
auf diesem Gebiete für's Erste ein Ende haben. Die Einbringung
des Civileheentwurfes, der von drei Ministern verfaßt, dem Staats-
ministerium, wie belannt, bereits vorliegt, ist, wie dasselbe Blatt
bemerkt, mindestens zweifelhaft geworden, wo nicht gar als auf⸗
gegeben zu betrachten.
Die Herzensergießungen, in denen der Papst sich periodisch
Erleichterung zu verschaffen suchte, so scheeibt oie „Sp. 3.“, has
Deutschland bisher mit äußerfter Langmuth entgegengenommen
Wirderholentlich ist ja mit diesen Allocutionen ein arger Mißbrauch
getrieben worden; die Stelle, an welcher sie gehalten send, ist eine
erhabene, nach dem frommen Glauben von vielen Millionen ein⸗
geheiligte, so daß, was dort verlautbart, mit Ehrerbietung ver⸗
nommen werden sollte: dem Inhalt und dem Tone nach entspra⸗
chen jene Auslassungen dagegen immer weniger dee Erhabenheit
der Stellung und dem, was ein Christ unter „Heiligung! versteht,
da fie mehr und mehr den Charakter von Volksreden, Clubbisten⸗
polemit und demagogischen Aufreizungen annahmen. Gemeinhin
wurde dann auch nachträglich versichert, der authentische Text der
Ansprachen wäre durch mangelhafie Berichterstattung erregter Zu⸗
hörer entstellt worden. Die Schmähungen und Verwünschungen,
Mißdeutungen und Verdächtigungen wurden in Deutschland bisher
leidenschaftslos registrirt und mit Kopffchütteln oder Achselzucken
fur erledigt gehalten. Diese Milde hat indeß nicht begütigend,
sondern aufftachelnd gewirklt. Neuerdings ist im Valican ein⸗
Sprache geführt worden, deren Zügellosigkeit im grellen Contrast
steht mit der würdigen Haltung, an welcher man den Souberan
erkennt, und deren Heftigkeit doch auch das Maß dessen weit über⸗
schreitet, was dem vorgerückten Alter an Selbst vergessenheit nach⸗
gesehen werden darf. Man ist versucht, der bei jeder neuen Rede
des Papstes wahrnehmbaren Steigerung der Invectioen die Absicht
einer Herausforderung beizulegen, die, je vornehner sie ignorirt
worden, desto drastischer wieder auftritt. Wohin soll das führen?
Wie lange können geordnete Staaten — aus Rücksicht auf die
Gefühle ihrer katholischen Unterthanen — diese senilen Excesse er⸗
tragen 7? Liegt in diesen wiederkehrenden Versuchen, zum Ungehor⸗
sam gegen die Gesetze zu reizen, Haß und Verachtung zwischen den
verschiedenen Confessionen zu säen nicht eine Verletzung der edelsten
Gefühle patriotischer Katholiken, die um ihretwillen die eigent Re⸗
zierung in die unerwünschteste Lage versetzt sehen? — Die Allo⸗
rution vom 23. d. M. bildete den Theil einer Feierlichkeit, mit
welcher die Präconisation von Bischöfen in Italien, Frankreich,
Oesterreich, Belgien ꝛc. verbunden war. Die hohenpriester liche
Fürsorge, die sich über eine Welt erstrekt, fand eine Ergänzung
in tobsüchtigen Insulten, mit welchen die Regierungen der Völker
überschüttet wurden, für deren chriftliches Heil gesorgt werden soll.
Denken wir uns eine Thronrede des deutschen Kaisers, worin der
Papst vor aller Welt mit denselben Prädicaten beehrt wäre, welche
der päpstlichen Beredtsamkeit bei solenner Gelegenheit gegenüber
den weltlichen Obrigkeiten nicht zu unwürdig erschienen sind! Die
Boͤller dürfen fordern, daß es keine Stälte debe an welcher un⸗
gestraft gewagt werden daif, die Lenker ihret Staaaten gu belei.
digen. Von fremden Regenten, von auswättigen Mächten weiß
jede ehrliebende Nation Genugthuung und Sühne für solchen Frevel
zu erlangen. Wie wird aber der Üebermuth gezüchtigt und die
Beleidigung gesühnt, die hier in Rede stiht Das ist eine Frage
an unser Zeitalter, und sie muß gelöst werden.
Der „Magd. Z3.“ wird von hier geschrieben: „Die Allocu⸗
ion des Papstes vom 28. welche im ersten Augenbücke fast un⸗
heachtet geblieben, ist plötzlich zu einer für das Verhaltniß des
Deutschen Reiches zu der kirchenpolitischen Gesetzgebung eutscheiden⸗
de Thatsache geworden, seitdem der authentische Text, namentlich
'o weit die Allocution sich auf Deutschland bezieht, bekannt ge⸗
vorden ist. Waren dir Beziehungen zwischen dem Deutschen Reich⸗
ind der Römischen Curie auf demselben Fuße zu behandeln, wie
wischen zwei weltlichen Mächten. wie im Jahre 1870 zwischen
Deutschland und Frankreich, so würde die unmitlelbare Folge einer
krllärung, wie diejenige vom 23. ist, den Abbruch der diploma⸗
tischen Beziehungen und die Mobilmachung der Armee sein. Glück⸗
icherweise liegt in diesem Falle die Sache viel einfacher, und die
Nordd. Allg. Z.“ hat gesiern bereits die Antwori der Reichsre⸗
zierung auf die unerhörte Herausforderung seitens der Curie er⸗
heilt, indem ste die Regelung des Verhältnisses zwischen Staat
und Kirche für eine Lebensfrage des Deuisches Reiches erklärte.
Praltische Folgen kann diese Auffaffung, insoweit die Reichsgesetz⸗
zebung in's Spietk kommt, allerdings erst in einigen Monaten
haben. Zunächst aber wird die Lösung dieser Aufgaben für den
Preußischen Staat zu einer Frage der Reichspolilik und das ist
»on besonderem Inleresse in —— wo so viel von
einem Stillstande in der preußischen kirchenpolitischen Gesetzgebung
die Rede ist.“
Den Nachrichten aus Frankreich zufolge hat fich an dem
Berhältnifse Thiers zur Subcommission des Dreißiger ⸗Ausschufses
noch immer nichts geändert, und die optimistische Auffassung der
‚Agence Havas“ vom 30. Dezember war ohne Begründung; eine
Debesche der „Independance belge“ theilt mit, daß sich die Com⸗
nission bis zum 5. Januar, an welchem Tage sie sich abermals
dei dem Herzoge von Broglie versammeln werde, vertagt habe.
Es heißt, Hr. Thiers wolle das Publikum fortwährend in dem
Blauben erhalten, daß zwischen der Regierung und dem Dreißiger⸗
Ausschusse ein verträglicher Geist herrsche, damit der Theater coup,
velchen er für sein Wiedererscheinen in Versailles vorbere ile, um
'o glänzender ausfalle. Viele Deputirten der Rechten sollen über
die Entdedung im höchsten Grade erzürnt sein, daß .Sie cle⸗ seine
Agitation für die Auflösungspetitionen durchaus iin der Zustim⸗
nung des Präfidenten der Republik in Scene gesetzt habe. Be⸗
lanntlich möchten diese Herren Thiers eriweder stürzenoder ihn
doch vor den Wahlen. vermittelsi der Minister⸗Verantw ortlichken
anfchädlich machen.
Man strengt sich an, um seinen Verpflichtungen aus dem
etzten Kriege gerecht zu werden; eigenthümlich muͤthen einen da—
ieben die Aeußerungen des Chauvinismus an, weiche sich allent⸗
jalben in Frankreich breit mechen, u. A. sogar in den hoͤheren
nilitärischen Kreisen. So erzählt man in Paris, der Kriegs⸗
Minister Cissey habe sich neuerdings nach dem Stande der Befest⸗
gungswerke von Luxemburg erkundigen lassen und in Offieier⸗
reisen hört man äußern, der nächfie Revanchezug müsse durch
helgien gehen u, s. w. — Nun, so würden wir die Herren Fran⸗
zofrn in den Ardennen empfangen, wie jüngsthin an der Saar
ind vor der Pfalz her.
Wien, 29. Dez. Der „Karlsr. Zig.“ schreibt man, daß
die Pforte ihre Repräsentanten im Auslande angewiesen habe, die
Aufmerksamkeit der Höfe, bei welchen sie beglaubigt sind, auf die
in unerklärlicher und unerklärter Weise sich steigernden militärischen
Vorlehrungen in Serbien zu lenken und die dadurch für die suzeräne
Macht gegebene Nöthigung zu betonen, auch ihrerseits zu denjenigen
Aufstellungen zu schreilen, die sie in den Stand setzen könnsen,
eder Eventualität die Spitze zu bieten. Gleichzeitig melden Nach⸗
richten von der serbisch⸗bosnischen Grenze, duß sich ein ganzes
ürkisches Armeecoips dort concentrirt, und daß die eingebornen
osnischen Truppen aus dem Vilayet herausgezogen und durch meist
isiatische Truppentheile ersetzt werden.
Nach dem Wiener „Vaterland“ wäre die Ansprache des Hei⸗
igen Vaters zwar das Vorzeichen eines göttlichen Strafgerichts,
velches nunmehr über den deuischen Kaiser und seinen Kanzler,
owie über den König Victor Emanuel hereinbrechen wird. Daß
Desterreich die Ehre einer Erwähnung in der Ullocution nicht
viderfahren, erklären die Ultramontanen aus den Rhechsichten des
Papstes auf die angeblichen Dienste, welche Graf Andrassy durch
eine diplomatische Intervention in der xömischen Klostrrfrage ge⸗
eistet hätte. Die Herren sorgen dafür, daß der Humor auch in
der Politik nicht ausgeht.
Frankreich.
Paris, 29. Dez. Nachdem nunmehr die dritte Milliarde
her Kriegscontributidn vollstandig an Deiuschl and entrichtet ist,