Full text: St. Ingberter Anzeiger

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der St. Jugberter Anzeiger und das (Z mal wöchentlich) mit dem Hauptblatte verbundene Unterhaltungeblatt, (Sountagt mit illustrirter Se 
age), erscheint wöchentlich viermal: Dieustag, Dongerstag, Samstag nuud Sonutag. Der Abouuementspreis beträgt vierteljährlih 
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M 81. 
Sonntag, den 27. Mai 
1877. 
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Deutsches Reich. 
Berlin, 24. Mai. Fürst Bismarck nebst Familie ist 
heute Abend nach Kissingen abgereist. 
Mählhausen, 21. Nai. (Aufregung.) Die politischen 
creignisse welche sich letzter Tage in Frarnkreich vollzogen, haben 
zier große Sensation gemacht, bei dielen Schreden hervorgerufen. 
Die Nachricht von dem Sturze des Ministeriums Simon fiel wie 
eine Bombe in die Stadt und als dann die Neuigkeit sich ber⸗ 
breitete, de Broglie sei der Nachfolger Simon's, da schien es, als 
väre die Bombe geplatzt. Weches Gewicht die Mülhauser Be⸗ 
pölkerung dem französischen Staatsstreich beilegt, zeigte sich am 
besten beim Erscheinen der Tagesblätter. Wie zur Zeit der großen 
Aufregung während des Krieges waren die Druckereien von Menschen 
zelagert, die sich Zeiturgen kauften; selbst die Schnellpressen arbei⸗ 
seten viel zu langsam, um die verlangten Blätter rechtzeitig zu 
liefern, und doch war es für die meisten Käufer kein freudiges 
Ereigniß, das ihnen die Zeitungen brachten. Bestürzung und Zorn 
leuchteten aus den Uugen fast aller Leser. Die Versicherung, daß 
der Kabinetswechsel keinen Ginfluß auf die äußere Politik Frank⸗ 
reichs haben werde, hat für die Elsässer keinen Werth, es ist die 
innere Politik, welche umgestaltet werden soll, für die man sich h'er 
so lebhaft interessirt. Ein clericales oder monarchisches Regiment 
wvird die meisten in Frankreich lebenden Elsässer wieder ihrer alten 
Heimath zuführen. J 
Die „Nordd. Allg. Ztig.“ enthält folgende Mittheilung aus 
Metz, von weicher sie allerdings selbst bemerlt, daß sie für die 
kinzelheiten der Darsiellung nicht einzustehen vermöge: „Zwei Of⸗ 
ficiere von der hiesigen Besatzung waren am zweiten Pfingstfeier⸗ 
jage in Cidil nach dem benachbarten Nancy gereist. Der Himmel 
weiß, wie es gelommen, daß die beiden Herren als deuische Officiere 
erkannt wurden, — genug, im Nu stand ihnen eine große Volks⸗ 
nenge, darunter viele Soldaten, so drohend gegenüber, daß die 
Officiere für ihr Leven desorgt sein mußten. Sie bemerken auf 
der Strafe einen Tramwaywagen, eilen schnell nach demselben hin 
and klären mit wenigen Worten den der deutschen Sprache mäch⸗ 
ligen Kutscher über ihre gefährliche Situation auf. Der brave 
Mann haut auf die Pferde ein, schnellt rollt der Wagen dahin, 
zefolgt von einer heulenden Menge, unter der französische Soldaten 
zesonders durch Geschrei und wüthende Geberden sich hervorthaten. 
Der Tramwaywagen langt am Umspaunungsplatz an, die Pferde 
sind bereits müde, der Kutfcher strängt sie schnell ab, spannt frische 
Pferde dor und will gerade weiterjagen, als die tober de Rotte den 
Wagen erreicht, den Pferden in die Zügel fällt, die Stränge durch⸗ 
schneidet und nun in das Innere des Wagens dringt. Die vor: 
zersten der Anstürmer sind Soldaten. Französische Officiere gehen 
oorüber,, sie erfahren von den Wüthenden, wem der rohe Angriff 
zilt; die Offiziere gehen theilnahmslos vorüber! Die beiden Opfer 
der ‚Revanche“ sind in fürchterlicher Weise zugerichtet worden; 
der eine Offizier befindet sich in einem Zustande, der das Schlimmste 
hefürchten läͤßt. So ist mir von einem Augenzeugen, einem Deuischen, 
herichtet worden, der leider nicht im geringsten Stande war, für 
die beiden Mißhandelten schüzend einzugreifen.“ 
Ausland. 
Pest, 24. Mai. Gerüchtweise verlautet, Oesterreich beab⸗ 
ichtige Bosnien, Serbien und die Herzegowina in eine Secunda- 
genitut für Erzherzoz Friedrich, Neffen des Erzherzogs Feldmaischall 
Albrecht, zu verwandeln. 
Paris, 24. Mai. Der „National“ meldet: Zwei Polizei⸗ 
agenten begleiten Don Carlos, um sich zu versichern, daß er das 
ranzofische Gebiet verläßt. General Charette, der ehemalige Com⸗ 
nandant der päpstlichen Zuaven, hat den Prätendenden bis zum 
Bahnhofe begleitet. Die legitimistischen Abendblätter erwähnen der 
Abreise des Don Carlos nicht. 
— Eine große Anzahl radikaler Blätter in Paris und den Pro⸗ 
sinzen wird gerichtlich verfolgt. — Alle Gerüchte von einer Ver⸗ 
taqung der Ausstellung von 1878 werden formell dementirt. 
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(Frankreichs Politikt.) Aus dem gestrigen Artilel 
der „Provinzial ˖Correspondenz“ über die jüngsten Vorgänge in 
Frankreich nimmt die „Nordd. Allg. Ztig.“ Beranlassung, hetvorzu⸗ 
heben, es sei wohl nicht ohae Absicht, daß die wiederholten Ver⸗ 
icherungen der französischen Regierung über ihre friedlichen Ab⸗ 
ichten von der „Prob.Corresp.“ nicht erwähnt worden seien. Ihre 
krwähnung ohne jede weitere Bemerlung hätte wie eine Art ver⸗ 
rauensvoller Bestätigung ausgesehen und irgendwelche Beleuchtung 
in die Eroͤrterung nationaler Bedenken diue ugefuhrt. Vorläufig 
oll nur das Eine als unzweifelhaft gelten, daß die deutsche Regie⸗ 
nung der weiteren Entwickelung der Dinge in Frankreich und den 
Symptomen ihres Zusammenhanges mit der internationalen, und 
nebesondere der klerikalen Politik, die ernsteste Beachtung widme. 
Die Beflifsenheit, mit der man von Paris aus die friedlichen Ab⸗ 
ichten der jetzigen Regierung versichere, löͤnne nicht über das Miß⸗ 
rauen hinweghelsen, das sich an die Einflüsse und Umstände knüpfe, 
unter denen die neue Wendung zu Stande gekommen sei. Man 
visse nicht, ob an der neuen Regierung der Orleanismus oder der 
AIltramontaniamus stärker betheiligt sei. Jedenfalls sei Orleanismus 
nit Ultramontanismus eine sehr bedenkliche Mischung hinsichtlich 
)er Zuversicht auf friedliche Absichten. 
Seraing Gelgien) 24. Mai. Eine vor kurzem erfolgte 
heilweise Arbeitseinftellung der Kohlengrubenarbeiter hat die Her⸗ 
endung stärkerer Militärabtheilungen veranlaßt. Die durch die 
Kuhestörer gesperrten Straßen wurden von der Reiterei frei ze⸗ 
macht, wobei mehrere Personen verwundet wurden; auch wurden 
einige Verhaftangen vorgenommen. 
London, 24. Mai. Ein Spezialtelegramm deß „Daily⸗ 
Telegraph“ meldet: Gestern begann eine große Schlacht vor Batum. 
Die Russen waren verstärkt durch 20,000 Mann, welche sie von 
Urdahan herangezogen hatten. Großfurst Michael füdrt persönlich 
zen Oberbefehl. — Die ruffische Cavallerie rückt von Ardahan bis 
Pennek vor. Der linke Flügel der Russen avancirte von Tyhel bi— 
Zaratilissa. — 
London, 24. Mai. Ein Sensationsgerücht der „Dailh⸗ 
New? will wissen, daß im rothen Meer vier russische Dampfer er⸗ 
schienen feten. 
Konstantinopel, 23. Mai. Die Kammer verlangt 
die Vecsetzung des vormaligen Großveziers« Mahmud Pascha in 
Antlagezustant. Der Commandant von Ardahau wird vor ein 
riegs gericht gestellt. 
Keonilantinopel, 24. Mai. Eine Deputation von 
Zofta's ging in die Deputirtenkammer und verlangte die Ent⸗ 
affung der Minister. Die Debatte war so stürmisch, daß der 
Präsident genöthigt war, die Sitzung aufzuheben. Die Softa's 
zingen darauf zum Paldis des Sultans. 
Odesfsa, 24. Mai. Aus Tiflis verlautet, daß in Surom 
'in Georgien) furchtbare Exzesse gegen die dortigen israelitische Bevöl⸗ 
kerung statifinden. Sechzig Wohnhäuser von Juden, sowie die 
ARD 
grundlos beschuldigt worden, ein Christenkind geraubt zu haben. 
Petersburg, 22. Mai. Der Aufstand der Abchafen 
wächst. Der ganze Küstenstrich von Suchum Kaleh bis Kubansk 
ist in den Händen der Jasurgenten, die durch türkische Streifkorpt 
derstäckt sind; letztere organisiren weitere Korps der Aufständischen. 
Die Küstenpunkte bis Grigorjewsk sind bedrodt; Beamte und Ein⸗ 
vohner fliehen; viele Orte stehen in Flammen und die Kommuni⸗ 
ationen sind auf der ganzen Strecke bedroht. Auf das Ernsteste 
zefährdet, theilweis auch bereits okkupirt sind Suchuk, Gagra, 
Ardler, Kubensk, Lasarewek, Tuapse, Olginst, Michailowsk, Djubah 
und Grigoriewst. Von Rostow und Stawrapol nähern sich rus⸗ 
ische Truppen in Eilmärschen dem Gebiete der Aufstände. Der 
Babnprivatverlehr im Süden ist auf das geringste Maß beschränkt. 
„ermischtes. 
fIn Kaiserslautern hatte ein Bürger für Ab— 
tretung eines Grundstückes an die Stadt neben anderen Vergütungern