Full text: St. Ingberter Anzeiger

St. Ingbeiler Anzeiger. 
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Dder St. Jagberter Anzeiger und das (2 mal wöchentlich) mit dem Haupiblatte verbundene Unterhaltungkblati. Sonntags mit illustrirter Vei— 
lage), erscheint wöchentlich viermal: Dieustag, Donnerstag, Sanstag und Sonntag. Der Abonnementspreis beträgt vierteljährlich 
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4e 14. 2auustag/ deu 27. Jannar 177. 
Eoeialdemokratie und kein Eude! 
Wohin man in Deutichland den Blick richset, woher auch immer 
der Telegr⸗py die Kunde bringt, überall erscheint eine mehr oder 
minder große Gruppe oon Sociald emotrafen vor den Wahiurnen. 
Wir schreiben es unter den Empfindungen des Alpdrucks: das 
Dre⸗daert Unglück“ ist ein allgememeres, und Sachsen ist nicht 
allein der Sitz dieser Parsei. In allen größeren Industriecentren 
Deutschlauds machte sich die rreffliche Ocgauisation der Soc ial⸗ 
demokrutie erkenubar. Diese Erscheuung hat nichts Unerwartetes 
sur Den, welcher der Entwickelung Deumischlands mit Aufmerksamkeit 
folgte. An Rüdrigkeit und ausgezeichneter Ocganisation laäßt üch 
mit der socialistischen Propaganda nur die clericale vrdleichen. 
Wenn wir über die Wahlen in Bayern, Westphalen, am Rbein, iu 
Schlesien und anderen wesenilich katholischen Gegenden Kunde be 
fommen, werden wir erlennen, daß auch dort die Parteidisziplin 
and Organifalion der Clericalen ansehuliche Siege über die andern 
Parteien daboun getragen hat. Eg genügt eben nicht, den Schwarzen 
und den Rothen, mit vereinzelten Wahlversammlungen und Wahl⸗ 
reden entgegenzutteten, eine meist planlose Thätigkeit in den letzten 
Wochen vor der Wahl zu entwickeln und sich im Uebrigen auf den 
lieben Herrgott, den Zufall oder den Verstand des Volkes zu ver— 
laffen. Nur die conservative Partei hat seit einiger Zeit angefanger, 
eine Vereinigung Gleichgesiunter über ganz Deuischland auszubreiten 
und sich zu den Wahlen zu sammelu. Der Anfang laßt fur die 
Zukunft mande Frucht erwar:ey... 
Werfen wir doch einmal einen Blik auf die äußeren Umrisse 
der socialdemotratischen Parteiorganisatiorn! Uuser Material ist in 
pielen Stücken ungenau, da aus Fur«t vor der Polizer manche 
Vereinsvildung unzweifelhaft socialest schen Charakters einen harm- 
loseren Namen führt. Der Bestand der tegelmäßig am polmischen 
Leben theilnehmenden und Geldopfer bringenden Sociulisten wird 
in einem ihrer Organe auf 100. 000 Maun verauschtagt. Ebenso 
biele Exewmplare ihrer Blätter werden abgesetzt, und dos Quartal— 
abouuement nur zu 150 Pfennige angenommen, die Beaträge für 
Reisen ihrer Agitatoren und dergleichin macht einen Jahresauswand 
pou 800 000 Marf. 1869 gab es nur sechs socialdemokratische 
Blätter, jetzt bereis 47, nämlich 32 politische (worunter 83 Witz- 
zlätter) aud 13 Gewerkschaftsorgan. Wie viel Leser stehen hluter 
ihnen ? An wort geden Erkundigungen und Besuche in den Fadbriken 
und Werkstätten, besonders zut Frühstücksstunde oder sonstigen Er— 
holungszeiten. Neben der periodischen Presse ist eine der gewich 
rigsten Waffen dieser Partei der Vertrieeb kleinerer und größerer, 
jedenfells bisliger Schriften socialistiichen Inhalts. Von Seilten des 
Allgemeinen Deutschen Arbeitervercins wurden in Berlin hergestellt 
96,000 Lassale'sche Schriften; in Leipzig 253 700 Broschüren, 
stalender, 32,700 einzelne Gedichte und eine Gedichtsammlung in 
2000 Auflagen. In Brounschweig 198,700 Exemplare Schriften, 
40,000 einzelne Exmplare Gedichte und zwei Gedichtsammlungen 
in einer Auflage von 2400 u. s. w. Außerdem wurden in Ber⸗ 
liu, Chemnitz, München, Nürnberg, Zürich ꝛc. 738,600 Bro chüren, 
35,500 einzelne Exeuplare Ged che (Eebgesehen don ornen, weiche 
den versch edenen Gelegenheiten an einzetnen Orten zu Festibitäten 25. 
aedruckt wurden und die jedenfalls in die Hunderttausende gehen), 
? Gedichtsammlungen in Auflage von 60,000 Exemplaren und 
24,000 Protolbolle gedruckt. Im Garzen 685,000 Exemplare 
Broschüten u. s. w. 10 Gedichtsammlungen (Gesammt Auflage 
84, 400) und 1283200 einzelne Exemplare Gedichte. Die Zahl 
der von der Expedition des . Voxwärts vertriebenen Schriften be 
rägt nach dem letzten Verzeichniß vom 20. d. M. 163. Rechnet 
man die Scheiften allgemeineren Inhalts, wie Gesetzesausgaben und 
dergleichen ab, so bleiben noch iruner über 150 Nummern reiner 
Parteischriften. Darunter siud seibst socialistische Theaterstücke, 
Liederbücher, Photographien, drei verschiedene Kalender ꝛc. Ein 
Berzeichniß der von der Bracke'schhen Verlagshandlung in Braun 
chweig verleaten und vertriebenen Schrif:.en umfaßt 156 Nummern. 
bon den Lassalle'schen Schrijten ist „Zur Arbeiterfrage“ im sechster 
„Arbeiterlesebich“ und „Ueber Verfassungswesen“ in sünfter und 
mehrere andere in vierter Auflage erschienen. Bei den diesmaligen 
steichẽtagswahlen wurden 108 Wahlkreise als „Iffizielle“ bearbeilet, 
davon in Sachsen 16, in Preußen 33, in Baiern 5, in Braun⸗ 
schweig und Weimar je 8, in Wüctemberg 2. An bekannten 
socialdemotratischen Rednern, welche selbstständig auftreten und 
Vorträge halten können, sind 145 vorhanden. Dieselben vertheilen 
sich wie folgte: Nerl'n 21, Hamburg 22, Sachsen 26, Thüringen 
7 Rheinlaud⸗Westfalen 12, Bremen-Hannover-Braunschweig 12, 
Schleswig⸗Holstein 58, Schlesien ˖ Preußen Pommera 7, Mitleldeutsch⸗ 
land Provinz Sachsen 9, Basern 10, Wü'temberg-Baden 6, Main⸗ 
zau 8. Von diesen Rednern werden 8 vollständig besoldet, 37 
ind mit vollem Gehalte an den Partei:Organen als Redacteure 
oder Expedienten angestellt, 6 werden von den einzelnen Arbeils⸗ 
»ranchen voll besoldet, 3 von einzelnen Orten, 14 erhalten regel⸗ 
näßige Zuschüsse, zusammen 68. Von den Uebrigen erhalten 6 ge⸗ 
egentliche Zuschüsse und 20 werden ziemlich regelmäßig, unter Be⸗ 
ücksichtigung der jeweiligen“ Umstände zu einzelnen Agitations- 
Touten berufen, was auch bezüglich jener Agitatoren geschieht, 
velchen regelmäßige Zushüsse gezahlt werden. Alle sonstigen Agi— 
atoren wirken gelegentlich unentgeltlich oder auf Kosten der ein⸗ 
inen Geie. Welche Pariei verfügt über eine ähuliche Orgaui—⸗ 
ation 
Trotz alledem würde der Erfolg dieser Partei nicht ein so 
großer sein, unterstüthzten fie nicht die Verhältnisse. Ebenso wie die 
lerikale Bewegung unter den Beschwerden des Culturkampfes fich 
räftigte, ebenso trug manche Versolgung zur Erweckung des Glau⸗ 
bens bei, als seien gew sse Socialisten Maärtyrer! Die Houpisache 
aber bleibt, daß die dampfe Unzufriedenheit mit der politischen und 
wirthichaftlichen Entwickelung Deutschlands eine Maͤsse Wähler unter 
die rothen Banner führte, die durchaus nicht als, Socialdemokraten 
zu betracten sind. Die verfehlte Handels Polink, die Begünstigung 
des Auslandes auf Kosten deusschet Arbeit, der Wechsel von Ueber— 
Produltiou und Arbeitslosigkeit haben den Wohlstand Deutschlands 
qrauenvoll zerrüttet. Ein wie geringer Theil der Milliarden ist 
zur Woh. fahrt des Vaterlandes angelegt worden! Sollen wir er— 
nnern an die Nünzverschlechterung und die Vorgänge dei Grüp— 
»ung der Reichsbank? Die hieraus und aus hundert anderen 
Quellen entspringende Verarmung ist die Wurjel der Socialdemo— 
natie! Es ist heilige Pflicht Aller, de nicht an dem Umsturz 
des Bestehenden arbeiten, durch größeren Schutz der ehrl'chen Ar— 
neit, durch weisere Gesetze, durch entschiedenen Bruch mit der 
Dampf⸗ Gesetzze bungs · Arbeit, durch Maßzregeln zum Schutze der 
Frauen und Kinder, durch Abschneiden der wilden Schößlinge der 
Bewerbe Zügellosigkeit, durch Revision des Aktien⸗Gesetzes und an- 
erer Meistewerke unserer Lasler, Braun, Benuigsen, Bamberger 
olide Fundamente emner besseren Zutunft zu legen! Dann erleden 
ver nicht mehr solche Ueberraschungen, wie am 10. Januar, dann 
st die destürzende Lehre dieses Tages unserem Valerlande nicht 
»etloren! Das walte der gute Genius Deutschlands, über dessen 
Bevörkrrung schwete Prüfungen heraufsteigen! (Dresd. Nachr.) 
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Deutsches Reich. 
München, 283. Jan. Die in Muunchen, Dachau, Rothen⸗ 
hurg, Neustadt o/ A. und Bayreuth erledigten Gerichtsvollzieher stellen 
werden zufolge allerh. Enischließung einstweiten unbesetzt gelassen. 
Ss dürfte Das wohl mit der neuen Reichsjustizgesetz ebung in Ver⸗ 
bdindung stehen. 
Aus Müncqchen, 283. Januar, geht der „Asdg. Zig.“ eine 
ffiziöse Cotrespondenz zu, welche mittheilt, daß die Mitglieder des 
Odersten Schaltaths, nachdem d'ie „Mehrheit der dermaligen Ab⸗ 
jeorduetenlammer“ die Geldmittel für denselben vom Jahr 1877 
na gestrichen hat, si d ber it ertlärt haben, unter Voraussetz ing des 
illernö hite Vertraucus ihre seithetigt Dieuste auy unenzeltnih zu