St. Ingberler Anzeiger.
—
Der St. Ingberter Anzeiger und das (2 mal wöochentlich) mit dem Hauptblatte verbundene Unterhaltungsblatt. (Sonntags mit illustrirter Bei—
lage), erscheint wöchentlich viermal? Dienstag, Donnerstag, Samstag und Sonutag. Der Abonnementspreis beträgt vierieljahrlich
1 Mark 20 R.⸗Pfg. Anzeigen werden mit 10 Pfa., von Auswarts mit 15 Pfg. fur die viergespaltene Zeile Blattschrift oder deren Raum, Neclamen
mit 30 Pfg. pro Zeile berechnet.
M 141. Sonntag, den 9. September 1877.
Verfälschung und Verschlechterung der anima⸗
lschen Nahrungsmittet.
Von Alb. Frank.
(Fortsetung.)
Leider gelingen diese Kunststaückchen viel zu häufig, da den
meisten empirischen Fleischbeschauern alle Kenntnisse zur bestimmten
Beurtheilung aller derartiger Fälle mangeln, so daß sie sich von
den Vorspiegelungen der oft sehr redegewandten Schlächter über⸗
toͤlpeln lassen. Falls jene in der Geschichte dennoch ein Haar finden
sollten, so sucht man sie durch Geschenke zum Schweigen zu bestimmen
was zwar nicht immer, aber doch viel zu oft gelingt. Und wenn
ja das Gewissen sich regt, so hat man den Trost, daß das Fleisch
ja ausgebeint und noch dazu nicht einmal in dem der Aufsicht des
betreffenden Besichtigers speciell unterstellten Bezirk verwurstelt werde
Daß vieles Fleisch von dieser Sorte zugleich mit solchem besserer
Qualität im Laden ausgehauen wird, dürste mancher Con⸗
jsument und manche Hausfrau genugsam erfahren haben. Die meifl
berechtigten Klagen, msbesondere wegen übermäßiger Knochenzuwage,
finden vorzugsweise in den erwähnten Mißständen ihren Grund, da
die Knochen des zur Wurftfabtikation verwendeten einen Thieres
mit dem Fleisch des zum Aushauen bestimmten anderen als Zuwagt
milverkauft werden müssen!
Mit beregtem Versahten find aber nicht alle Arten erschöͤpft,
wie das liebe Publilum um Geld und Gesundheit gebracht wird;
noch unzählige andere Methoden kommen — und gerade nicht immer
in den kleinsten Geschäften — zur Anwendang.
Häufig — besonders im Sommer — werden alle nicht mehr
zum Aushauen im Laden geeigneten Fleischtheile, Fleisch von allerlei
Thieren, besonders Pferdefleisch, und kranke Organe zusammen ver
arbeitet, welche im Wurstinhalt zwar unkenntlich, aber nicht un⸗
schädlich gemacht werden. Ebenso werden alle verdorbenen, nicht
mehr verläuflichen Wurstwaaren wieder unter den Wurstteig gearbeitet.
Wahrlich, lieber Leser oder schoͤne Leserin, weun Ihnen der
Inhalt mancher mit wahrem Behagen verspeisten, vielleicht gar
noch aus einer berlihmten Stadt verschriebenen Wurst bekannt waͤre,
Sie würden sich versucht fühlen, denselben aus reinem Respekt vor
der Waare dem hl. Ulrich zum Opfer zu bringen.
Von der neuen Art Bindemittel zu reden, halte ich für über⸗
lässig; nur sei kucz bemerklt, daß, ehe Stätkemehl, aufgeweichte
Semmel und andere Stoffe als solche bekannt waren, man recht
gute, fest und nicht zu kurz gebundene Würste kaufen konnte, ohne
daß man sich bei ihrer Herstellung eines anderen Bindemittels de⸗
dient hätte als unseres heimischen Wurstfadens. Wenn nun der
Fortschritt zur Entdeckung anderer Bindemitiel geführt hat, so war
dies eine nothwendige Folge der Verwendung von alletlei verdorbenen
Fleischwaaren; am wenigstens aber darf es der oft beschuldiaten
eigenartigen Beschaffenheit des sonst guten Fleisches auf's Kerbholz
geseßzt werden.
Wie sehr übrigens die Verwendung kranken Fleisches in Städten
überhand genommen hat, mag aus dem Bericht des Fleischercon⸗
zresses in Bremen entnommen werden, wonach zuverlässigen Angaben
sufolge über die Hälfte des in Berlin verzehrten Fleisches von
heimlich eingeführten kranken Thieren stammt.
Auf eine andere, weniger schädliche Att wird das Publikum
betrogen, indem der Wurftmasse übermäßig viel Wasser zugesetzt
wird, das als Beschönigung wieder die Rolle eines Bindemittels
abernehmen muß. Allerdings befördert ein kleiner Wasserzusatz den
Zusammenhalt der Fleischwuüͤrste wesentlich; wenn aber, wie es jetzt
an der Tagesotdnung, so viel Wasser in die Masse gearbeitet wird,
daß oft über ein Drittel der Wurst nach dem Kochen aus Wasser⸗
vblasen besteht (da hierbei in Folge ber Gerinnung des Fleischeiweißes
das zugesezte Wasser wieder ausgeschieden wird), so geht dies über
die Grenze des Erlaubten und ist als gemeiner Betcug zu bezeichnen.
In den kleineren Provinzialstädten findet man diese das Ge⸗
meinwohl schadigende Genußmitlelverderbniß am wenigsten, mehr
schon auf dem Lande, noch mehr in grökeren und am meisten in
Fabrikstäͤdten Die Ursache dieser steigenden Entwickelung des Un⸗
fugs ist in der zu gelinden Handhabung der gesetzlichen Vorschriften
durch die Polizei, in dem Bildungsgrad des Technikers und sonstigen
Berhältnissen zu suchen. (Schluß folgt.
DZeutsches Reich.
Berlin, 6. Sept. Es wird behauptet, schreibt die „N.
L. C.“, daß in der nächsten Landtagssession eine Resolutlon betreffe
Aufhebung der Staatslotterie beabsichtigt werde. Unzweck⸗
naͤßiger würde der Zeitpunkt zu solchem Vorgehen sicherlich nicht
gewählt werden können. In einem Augenblicke, wo wie es
heißt, dem Staate ein sehr erheblich größerer Beitrag zur
Anterhaltung der Volksschule zugemuthet werden soll, ihm eine
kFinnahme voncund 214, Millionen Mark entziehen zu wollen, wäre
doch eine etwas wunderliche Faninanzpoltik, es sei denn, daß die
Antragsteller einen rationelleren Ersatz zu bieten wüßten. Leider
ist dazu aber gar keine Aussicht vorhanden.
Ausland.
Paris, 6. Sept. Die Liberte bringt folgende Mitiheilung:
„Die Herren Bacthelemy Saint⸗Hilaire, Calmon, Mignet und
Jules Favre haben gestern Abend dem Polizei-Präfekten die Be⸗
zingungen mitgetheilt, unter welchen Frau Thiers die Mitwirkung
der Regieruang bei Thiers' Begräbnißfeierlichkeiien annehmen werde:
ꝛs siad unter andern folgende: Die Unkosten für die eigentlichen
Leichenfeierlichkeiten bestreitet Frau Thiers selber; Frau Thiers
glaubt freie Hand bei Feststellung der Anordnung des Zuges be⸗
halten zu sollen. Die erste dieser Bediagungen wurde von der
Regierung für unannehmbar erklärt, da nach altem Herkommen es
Pflicht der Regierung sei, bei Leichenfeierlichkeiten dieser Art auch
die Kosten zu tragen. Auf der anderen Seite hielt sich die Regie⸗
zung nicht für berechtigt, die Ausführung der Decrete fallen zu
assen, welche bei allen officiellen Feierlichleitn die Ordnung der
Festzüge seststellen. In Folge dessen ward beschlossen, daß, wenn
Frau Thierßs von ihren Bedingungen nicht abgehen zu sollen ver⸗
meine, die Regierung an der Begräbnißfeier für Thiers sich nicht
betheiligen, sondern sich begnügen werde, ihm die militärischen
Ehren zu leisten, zu welchem sein Rang in der Ehrenlegion und
seine Eigenschaft als gewesener Praäsident der Republik ihn berech⸗
ige. Da heute Frau Thiers erklärt hat, sie halte es für unmög⸗
lich, von diesen zwei Grundbedingungen abzugehen, so haben die
Minister diesen Morgen den Beschluß gefaßt, das Dekret vom 5.
September, welche diese Feier offitiell ordnete, für nichtig zu er⸗
lären.“ Gestern stellte Frau Thiers dem Präsidenten des Staats-⸗
zaths die Altenstücke ihres verstorbenen Mannes zu, welche beson⸗
dere Bedeutung für den Staat haben. Der Generalrath von
Paris und der Generalrath des Seinedeparlements beschlossen,
Thiers“ Begräbnisse beizuwohnen und ihre Kollegen zur Mittheil⸗
rahme aufzufordern. Die Geschäftsleute der Rue Croix des Petits⸗
Fhamps beschlossen, am Begräbnißtage sämmtlich ihre Läden zu
cließen.
Paris; 6. Sept. Gambetita wird am Dienstag vor dem
Zuchtpolizeigerichte erscheinen. Der Marschall empfing heute den
neuen Gesandien der Vereinigten Staaten von Nord-Amerika. Et
vurden dabei die üblichen Höflichkeitabezeigungen ausgetauscht.
London, 6. Sept. Die rufsenfreundlichen Daily News“
adeln bitter den russischen Generalstab und befürchten eine gänzliche
Niederlage, wenn keine Aenderung stattfindet. Im Schipkopaß
jalten die Russen ihre Stellungen inne, aber die Türken auch die
hrigen. Die Russen wuürden somit den Paß nochmals erodern
nuüssen, wenn sie den Balkan überschreiten wollen. Die serbischen
Truppen sollen angeblich nun doch sofort die Grenze überschreiten,
and zwar in zwei Korps, eines zu 20,000 Mann unler Horvatovicz,
das andere unter Leschjanin. Die Russen vefestigen ganz Ardahan,
welches jetzt eine offene Stadt ist.
London, 6. Sept. Die ‚Times“ melden: Die Herdbst⸗
regen begannen in Bulgatien und stören die Kampagne. Die Russen
saben die ganze obere Lomlinie aufgegeben. In Folge der Nieder⸗