Full text: St. Ingberter Anzeiger

4 Die Leipziger Polizei erließ kürzlich gegen das Schlephen⸗ 
ragen der Damen folgende nicht jehr galante aber recht praltische 
herordnung: 8 1. Allen Perfonen, welche schleppende oder den 
voben siteifende Kleidungsstücke tragen. ist das Betreten des Trot⸗ 
dies, der Spazier⸗ und Fußwege im Bezirk der Stadt Leipzig bei 
iner ? Strafe von 5 bis 50 M. verboten. 82. Die Schutzleute 
saben Zuwiderhandelnde zur Feststellung des. Tyatb standes sofort 
auf die Polizelwache abzujuhren. Die Namen der Bestraften werden 
im Ende jeder Woche durch das „Leipziger Tageblatt“ veröffentlicht. 
B'erlin. Die Geschichte einer Irren. Einen traurigen 
Beitrag dafur, in welch hohem Grade der Aberglaube selbst noch 
unseren gebildeteren Ständen: verbreitet ist, liefert der folgende 
torfall. Vor etwa einem Jahre war es, als die Mutter eines 
siesigen⸗Kanzleibeamten in der Wohnung desselben verstorben war. 
die junge liebenswürdige Gattin des Beamien begab sich in Fotge 
vesfen persönlich nach dem betreffenden Polize bu eau, um den Tod 
er· Schwiegermutter anzumelden und?eunnpfiung auch den bezüglchen 
Todtenschein. Auf der Struße angelangt, eutfaltete sie den Schein, 
am ihn flaͤchtig zu uͤberlesen, wurde aber zu ihrem Entsetzen gewahr, 
daß sie, berandaßt darch die Unachtsamkeit des Bureaubeamten den 
aigenen, auf ihre Person lautenden Todtenschein ia den Händen 
ielt. Dieser allerdings unver eihliche Fehler, welcher dem lassigen 
Zeamten eine derbe Rüge eintrug, auch sofort reparirt wurde, gab 
die Veranlassung, daß die sonst lebenelustige Frau es sich in den 
zopf setzte, an dem Tage, auf welchen der Todtenschein ausgestellt 
var wuͤrde sie wirllich sterben. Alles Bitten und Flehen, Zanken 
ind berzeugende Ermahnungen des Manvpes halfen nichts, der 
Zemüthszustand der thoͤrichten Frau wurde immer bedenllicher. 
Zzu allem Ueberfluß ging die Verblendete auf Anrathen einer 
Freundin, ohne Vorwissen des Gaiten, zu einer Kartenlegerin, die 
hren Wahn durch allerlei myster ose Redensarten noch vermehrie, 
õ daß der trostlose Gatte sich diefer Tage genöthigt sah, seine 
Frau einer Privat⸗Irrenheilanstalt zu übergehen. 
7 Eine ebinso unsinnige wie Auffehen erregende Wette sollte 
am Piittwoch Abend zwischen Steglitz und Friedenau bei Berlin 
um Austrag vebracht werden. Der Sekretär Schw. hatte im 
Freundeskreiie behaaptet, daß er für 75 M. einen Schnellzug über 
uͤch wegfahren lasse. Ein Kaufn.ann ärgerte sich üher die Renom⸗ 
noge and ging auf den Vorschlag Sch's ein. Letzterer schaffte sich 
ine enganschließende wollene Jade, ein Paar hohe Stiefel und 
iberhaupt Alles an, was fest am Koörper saß und was nicht etwa, 
duhrend er zwischen den Schienen lag und der Zug über ihn weg⸗ 
drauste, von dem niedrig laufenden Maschinenkasten erfaßt werden 
inete gur ein Freund und Kollege protestirte gegen den un⸗ 
innigen Streich, aber vergeblich, denn S. haitte sich zu sehr in die 
Idee verraunt. Um 74 Uhr stellten sich die Freunde an der 
ʒezeichneten Stelle der Bahn ein. Sch. in seinem enganschließenden 
dostume und einer über den Hinterkopf gehenden Mütze. 5. Mi⸗ 
nlen vor Ankunft des Schnellzuges reichte Sch. den Freunden die 
dand und legte fich zwischen die Schienen. Kaum lag er laugge⸗ 
recht da, als mit einem Male seine Frau mit den Worten auf 
hn zustürzte und ihn wie eine Wahnsinnige über die Schienen 
ortrollend zurief: „Mann, Deia Weib, Deine 3 Kinder, bist Du 
on Sinnen.“ Willenlos und beschämt trat Sch. vom Bahnkörper 
und gelobte dem klagenden Weibe, nie wieder auf diese Idee zu 
mimnen. Der Freund und Kollege haite durch Benachrichtigung 
der Frau den tollen Streich verhütet. 
1 FErnst gemeinter Heiraihsantrag. Ein Hauptmann aus 
Theresienstadt, Winwer in den besten Jahrenn mochte wohl 
das, Alleinfein“nicht länger mehr ertragen und darum inse rirte 
in verschiedenen Zeitungen einen „Gruftgemeinten Heiraihsantragꝰ. 
Fre belam unler der Chiffre à -b diverse Anträge, darunter aber 
much den Antrag seiner eigenen 26jährigen Tochter! Im Briefe 
elbsi erzählt die Tochter dem Heirathskandidaten, wie schlecht es 
hr. ginge, was sie von ihrem Vater, einem, alkten Brummbaͤr, zu 
den. habe ec. Der Candidat und Vater ging in sich und söhnte 
ich mii der sonst schönen und braven Tochter aus. 
.Zwei Aneldoten von Friedrich dem Großen. Der Oberst 
. W., Tommandeur des Regiments L. zu F. zeichnete sich durch 
eine sirenge Ordnun Lliebe, durch senen Eifer, sowie ausgezeichnete 
denntnifse im Dienste aus. Aber zugleich war er ein äußerst 
itziger Mann, der⸗ auch den kleinsten Dienstfehler nicht verzieh und 
annu injeiner Hitze und Aufregung sich oft beleidigender Ausdrũde 
ed ente. — Einst sah er, daß während des Exercirens ein Fähn⸗ 
ich das Essponton nicht dorschrifismäßig hielt. Er ritt auf ihn 
de und rief mit zorniger Stimme: Herr Fähntich, Sie stehen da, 
die ein Dchse!“ — „Um Verzeihung, Hetr Oberst!“ gab: der 
zähnrich zur Antwort, zich bin nur ein Kalb gegen Sie — 
ha viese unter dem Gewebr gegebene Antwort ein Verbrechen gegen 
je Subordination war, so wurde der Fähnrich sofort arretirt und 
emnaͤchst Kriegstericht Über ihn gehalten. — Der Ausspruch des 
ẽrtenninisses lautete: Infam kassirt! —-Das Urtheil mußle dem 
öonige zur Bestätigung vorgelegt werden. Der große Friedtich 
Srie siuu der Beslätigung darunter: „Viel Witz und Dreistigkeit 
ür einen Fähndrich. 4 Wochen nach Spandau und dann in ein 
zuderes Regiment.“ s »w 21 —— 
General Seldlitz berichtete einst dem Könige eins der vielen 
leineren Gefechte, die togtäglich im 7jaährigen Kriege votfielen. 
xreselbst halte bei dem Gefechte lommandirt und erwähnte gegen 
en Monarchen die musterhafte und kluge Anführung eines Officiers 
»om Wunschen Freicorps. „Freicorps Freicorpo!“ ansfwortete 
Friedrich (der lein Freund dieser Truppe war). „Geh' er mir 
soch mit der klugen Tapierkejt eines Officiers vom Freicorps.“ — 
Und dieser machte eine rühml che Ausnahme!“ fiel Seidlitz ein. 
Ich habe wenig Oifiziere lengen-gelernt, die sich so zu benehmen 
sußlen, wie dieser. Er verd ent ein Regiment zu führen.“ — 
Wie heißt er?“ Seidlitz nannte den Namen. „Den hab' ich 
chon nennen hören,“, sagte der große König, „er hat sich schon bei 
iner Affaire ausgezeichnet.“ „Ja und er verdient einen Orden,“ 
chloß der unerschütterliche Reitergeneral. — Ohne daß der Held 
jon Roßbach es wußte, schickte Friedrich nach dem Oifizier, Dieser 
am. Der gnadige Monarch legte den Verdienst⸗ Orden (pour le 
wérite) und eine Goldrosle auf den Tisch. — Er hat sich sehr 
‚rad gehalten, sagte der König freundlich. Ich muß ihn belohbnen, 
vähle er! Hier liegen 100 Friedrichsd'or und hier der Orden, 
das von beiden will er ?? — Ohne sich zu lange zu bedenken, 
niff der Offizier nach dem Gelde. „Ehre hat er wenig,“ jagte 
Friedrich unwillig, „sonstewürde er den Orden genommen haben.“ 
WWerzeihung Ew. Majestät! Schulden habe ich, die ich erst 
ʒezahlen will. Den Orden werde ich in einigen Tagen nachholen.“ 
— 3Brav, mein Sohm!“ rief erfreut der Monar h, indem er den 
Ifftzier auf die Schulter · Uopfte, «nehmer den⸗Orden nur auch 
zleich mit. Er verdient ihn“ U 
f Eine harmlose Strlle in einem Theaterstücke hat am 22. 
Sept. im Theatre⸗ Francais in Paris zu einer politischen Demon⸗ 
tration geführt In. dem. kheinen Stück von Fr. E. de Girardin: 
a joie fait peur weist eine Mutter, die den Tod ihres Sohnes 
rfährt, jeden Versuch, sie damit zu trösten, doaß man noch keine 
zewißheit darüber habe, mit der Bemerkung zurück, daß ja ein 
jfizieller Bericht der Regiexung vorliege, worauf die Raive des Slückes 
afällt: Aber“ die kann sich ja täuschen !“ — Parhlou!“ rief-da 
anz laut ein Herr aus dem Patterre, und das Publikum, das 
och unter dem frischen Eindrucke der anmaßenden Sprache Mac 
nahon's in seinem Manifeste stand, brach in frenetischen Bei⸗ 
ill aus, so daß der Dialog auf der Bühne durch einige Mintiten 
iterbrochen blieb. Es ist zu bemerken, daß sich diese Szene im 
tsten Theater Frankreichs zutrug und diese Demonstration sonach 
on dem sash'onabelsten Publikum, das Paris überhaupt besitzk, 
using. .„Das Regime Mac Mahon's“, bemerkt dazu das 
CIX. Siocle“, „wird noch manchen Fußkeitt von der öffentlichen 
deinung empfangen bis zu dem Tage, da es vollends über den 
zaufen geworsen wird.“ 
f Prinz Peter Napoleon (berüchtigt durch den an dem 
zournalisten Vicior Noir verübten Meuchelmord) hat Brüssel und 
zelgien verlassen und vergaß, so heißt es wenigstens, seine Schulden 
u vezahlen. Die fürstlichen Mobilien wurden in einer Salle de 
ontes der Vorstadt Irelles öffentlich versteigert. Ob der Prinz 
ich nach London zurüdgezogen hat, wo bekannilich seine Frau als 
zutzmacherin figurirt, ob er nach Bulgarien gegangen äft, um dem 
Fzar aus der Verlegenheit zu helfen (beim Beginn desrussischen 
erieges bot Prinz Peter Bonaparte Alexunder II. seine Dienste an) 
b er nach Rom geplgert, da er seit einigen Johren unter die 
frommen gegangen und nur noch mit Jesuiten verkehrte, konnte 
nan bis jetzt nicht in Erfazrung bringen. In Brussel wurde der 
Z.inz gänzlich ignorirt. 
Das verhaͤngnißvolle Theaterbillet. Im Zuschauerraum 
ines Petersburger Theaters hat'sich, wie der dortige Horold 
nildete, folgende ssumme, aber nichts destoweniger durchaus · wirk⸗ 
ame Szene abgespielt. Herc“ A.. eine seit längerer Zait in 
51. Pete:“burg sehr „gesuchte“ Persönlichleit — wenigstenssoll 
er Gerichta⸗Pr'staweeines bestimmten Bezirls der Residenz. Herrn 
l. bereits unzählige Male in seiner Wohnung vergeblich gesucht 
aben — erhielt vor wenigen Tagen durch Vermittelunz der Stadt⸗ 
ost ein nettes, duflendes Briefchen, in dem ein Theaterbillet zu 
nem beliebigen neuen Stücke und ein Zettelchen mit den Worfen 
ag: Komme gewiß, lieder Karl, es erwartehDich Deine B. K.“ 
gHerr A., der vielfache intime Beziehuntzen besitzt und in dem 
etigen Wechsel der Gegenstände seiner. Empfindungen einen ganz 
rsonderen Reiz zu finden scheint, gab sich alle Mühe, die er⸗ 
»ähnten Anfangsbuchstaben zu einem ihm theuren Namen zu er—⸗ 
znzen, er war jedoch nicht so glücklch, dies zu erreichen und ver⸗ 
igle sich mit einer um so größeren? Spannung und Erwartung, 
mer der Ersten ins Thealer. Der 1. Alt war zu Ende und 
och var Niemand erschienen, um den neben Herrn A. frei geblie⸗ 
enen Platz in Anspruch zu nehmen; da, mitten in einer spannen⸗ 
en Scene des 2. Altes wird der Arm des Herrn A. leise berührt; 
lektrifch zusammenzuckend, sieht er zur Seite und erblict neben sich 
men recht gemuthlich aussehenden Herrn, der ihm leise zuflüsterte