Full text: St. Ingberter Anzeiger

reuzzeitung in die Hand, in welcher ihm eine Annonce foigenden 
Inbaltes beionders auffiel: „Eine den höheren Ständen angehörige 
Dame wülischt behufs Erhe'terung einsam trüber Stunden mit 
einem gebildelen älteren Herrn unter strengster Wahrung gegensei- 
tiger Anonymität in geistig anregende Korrespendenz zu treten. 
G. L. S. poste restante Berlin — damals hieß es nämlich, noch 
aicht postlagernd. Odzwar Herr v. K. dem Passusälterer Herr“ 
aicht entsprach, so feyrib er doh theils von Lingwe le getrieben, 
heils auch einer morentanen Laune Folge gebend, an die unbe⸗ 
kannte G. L. S. nach Berlin, sich mit ihrem Vorschlag einver⸗ 
danden erllärend. Auch er zeichnene mit 3 Init alen. Dibei ge⸗ 
stand er seine zmaugziger Jahre zwar ein, versprach aber jeiner au⸗ 
gebenden Freundin, ihrem Wuniche gemäaß, dereinst auch ein „älierer 
herr? werden zu wollen. Die Korreippudenz wurde nuun immer 
ceger und auregeader, sie schtieben sich über Kunst, Musik. Literas 
rur, Theater und tauschten auch hier und da hre Vteinungen über 
leine volitijhhe Dinge aus — da aber ihre Ansichten auf letzterem 
S bien u scht recht üde eintimmen wollten, so wurde dies The na 
taltgenellt: Allfährlich -tauschten sie kleine Weihnachtspräsente und 
Nemjahrsgratulationen aus und theilten sich die fleenste Freude, 
den kleinsten Kummer virtrauensooll mit. — War nan die une⸗ 
kannte G. L. S. habsch? biond oder viücett, groß, tlein? iung 
»der alt, led g, verheirathei oder Wittwe? War sie eine Deuische, 
Französin oder Engländerin? Jede dieser drei Sperachhen ichenb 
ie gleich geläufiz und korrett. — Bild erhselt Hert von K. ibhre 
Briefe aus Loudon, bdald aus Paris, bald weeder uus Si. Peters⸗ 
urg.“ Sie schen in die ghe msten Jutriguen der hoden Gesell 
chaft eingewe hzt zu sein. Uebersp udelnd au Geist und Witß wußte 
ie mit großzer Geschicklichkeit die Klippen zu umgeyen, an denen 
dre Anonymiltät hätte scheitern kͤnnen. Scuromantisch es auch 
dlingen mag, cs bieibt nichts destowenigtr reine Thothache, daß 
Herr v. K. nie erfohten hat, wer G. L. S. gewesen ist; selbst 
dann nicht, als er nach etwa Sjähriger Kortespondenz na v Berlin 
kam und dem Vertrage zuwider alles aufhot, din Schleier seiner 
anonymen Frrundin zu lüsten. Mitte Dezember v. J. erhielt 
Herr v. K. das letzie Schreiben von G. L. S., in welchenn sie 
ihm m'ttheilte, daß sie sich sehr krank fühle; zu Anfang diefes 
Jahres empfiag er aber einen von fremdet Hand geschriebenen 
Brief unter seiuem vollen Vamen zugestelit, wilcher de Nachricht 
enihlelt, daß stine Freundin G. L. S. gistarben sei und ihn zum 
Erben ihr⸗ — — Schooßhürdchens eingesetzt habe. Und siehe 
da — als Herr d. K. eines swönen Abeds nach Hause kam, 
übrgaben ihm seine Wirthsleute einen klemen griesgrämigen steuer⸗ 
markenlojen Piutscher, den ein alter Herr für ihn persönlich abge⸗ 
geben hatie. Da liegt er nun decr kleine Köter auf dem Kauapee 
— sein Herr sucht ihn vergebens auszuforshen über jeine frünere 
Jeheimmüoolle Gebisterin — er bat aher blos ein dumpfes Knurren 
als Autiwort und scheirt sich recht unglücklich zu fühlen. Od pun 
die geistvolle Korrespondentin werklich in dat Jensentss hinüdetge⸗ 
jangen aiite, für velches Erzellenz Stiephan keine Briefoestellung 
übernebmen kann, oder od sie den Brifwechsel nur in diejer dra— 
tichen Weise abgebrocheu hat, um den eifrigen Nachjorschungen 
ihres „shr filichen“ Verehrers sich zu entziehen, das ist eine Frage, 
die wir leder offen lossen müssen, 
F In Berlin hat sich em DTamenElub gebildet, dessen 
Mitzlieder sich verpflichtet haben, nie one Dousch aus zugehen, 
am sih gegen bie inmer häufizer werdenden Gewaltthaten gegen 
Damen auf öffentlicher Straßze dertheidigen zu kön en. Der Ver- 
ziun hat sich den Ramen „Aegide“ beigelegt, Der Dolch dient zu 
zleicher Zet auch als Fächer.— 
fEin recht beschauliches Leben hat ein Maun 
æfuͤhrt, der vor einigen Tagen im Ajyl des Becliner Arbeitshaules 
n hohem Alter gestorben ik. Nach Ausweis seiner Alten hat 
zerselbe seit dem Jahre 1836, also beinahe 49 Jahre im Zucht⸗ 
haus verbracht und während dieser langen Zeit nur 1 Jahr und 
3 Monaote die Freitzeit genossen. 
In Saqleiz wusch vor einigen Tagen si h ein Kaufmanns⸗ 
jehrling mii Spiritus, um, sriner Meinung nach, hierdurch den 
wö per zu kräft gen. Bei dieser Magnipulation kam et in die 
Nahe breunender Lichter, die alsbald den jungen Menschen üder 
den ganzen Körper hin in Flammen sezten. Der Uaglüdliche trug 
ebdensgefährliche Berwundungen davon. 
fRKöorthen, 27. Jau. Eine hiesiige Firma erhielt heute 
aen int dem Poststempel New Yort, den 13. Januar 1877 auf 
»er Rücdseinte versehenen Brief. bei dessen näherer Besichtizung fich 
zetausstellte, da; derselbe ursprünglich am 6. Dec. in Chemniz auf⸗ 
gjegeben war und durch irgend ein Versehen nach Amerila mitbe⸗ 
ördert worden iff, wo derselbe am 27. Dec. abgestempelt und 
jachdem man Köiden in Amerika vergeblich gesucht, auf diesem aller⸗ 
dings ungewöhnsichen Wege am 13. Jan. per Danpfer an seinen 
diitlichen Adressaten zurüdbefördert wurde. 
FeNu mehreren Orten Deutschlauds wird die Wahrnehmung 
zemacht, daß die Störae in diesem Herbst nicht fortgezogeu, soudern! 
a ihem Som nerqartier geblieben sind. Ju diesem Jahrhundert 
Uedeeser⸗Fall nur einmal noch vorgelmmen in den zwanziger 
sahren, pnd war damals der Winter sehr gelinde. Man will 
un aus diesem Vorkommniß schließen, datß der Wenter darnach 
ruch in diesem Jahr nicht jsehr streng sein wird. 0 
—7 Die Tarifkonferenz sämmil. Deutscher Staats⸗ und Privat . 
senbabn⸗Direltionen findet bekanntlich am 5. Februar in Berlig 
att. Von Seite der dayr. Staatsbahnen werden fich der General⸗ 
Direttor derselben Hr. v. Hocheder, sowie der Generaldireltiondrath 
)x. Mayer dortdin begeben. — 
Vom 1. Februar an können Postanweisungen bis zum Be⸗ 
rag von 300 Mort nach Kanstantinopel gejchidt werden; für je 
06 M. und darunter 40 Pf. Gehühr. 
4 Mensschrund Affe. Eine „rühtende Versöhnungsszene“ 
p'elte sin au letz'en Samstag im Berliner Aquarium zwischen 
in Direklor desse bu, Herra Dr. Hermes, und dem Gorilla ab. 
duser ehreuwrihe veerh indige, Staumverwandte“ hat sich nämlich 
or Kurzem ganz nach Menschenart gegen seinen Wohlthäter durch 
nen empfisidliden und in seiner Wirkung ziemlich lang anhaltens 
en Biß vergangen. Anstatt nun seinen Undank zu bereuen; wee 
u erwartten stand, derharrie Nr. Puugu auch nachträglich in der 
iumal gegen seinen Direktor einenommenen feindlichtn Siellung, 
is es endl'ch der Beobachtung des Wärters gelang, dieser Ver⸗ 
mmung siine; Pfleglings auf den Grund zu kommen. Der 
Hhärter wili bmerte haden, daß Pungu's Groll gegen Herrn Dr. 
„rines von dem Jeitpantie hercühre, wo dieser ihn aus der 2. 
ztage gelegenen eigenen Woznung in die unseren Räume des 
iq iariums verwies. De Pracht des Käfizs und aller Komfort, 
er Pungu hier gedoten ist, köounen ihm den traulichen Umgang 
der Familie nicht erseden, wo er init den Anderen an der Mit⸗ 
ustafel sißzen und wohl auch zuweilen vom Fenster aus das bante 
hier und Menschengewoge unter den Linden beobachteu durfte. 
ungu liehß sich die Uebersiedelung nur sehr ungern gefallen, und 
er Wärter behauptet, das das verwörnte Thier von da ab den 
dir-ktor, als den Urhe ber derselben, stets mit scheelen Blicken au 
eschen und die Gete sendeit zu der in einem Biß sich äußernden 
dache mit sichtlicher Uugeduid erwartet hahe. Diese Wahrneh⸗ 
uunnen tdeilte der Wärter ain Freitag Herrn Dr. Hermes mit, 
d dreser veriügte nun, daß der Gorilla am Samstag wieder zu 
nem Vesuche nach oben in seine Wohnung gebracht werde, wo 
er Affe in der ausgezeichneisten Weise empfatgen wurde und svch 
wwder That mit der unterwürfi sten Zuthunlichkeit gegen den 
)direkor geber?ete. Der Groll des Thieres war völlig verschwun⸗ 
en, es umhalete jeden Einzelnen in der Familie, war von der 
ngebundensten Lustigkeit, sprang nach dem Fenster, um wieder auf 
je Straße zu schanen, und klatschte, wie ehestens, voller Vergnüg— 
chteit in die Haäne. Noch undeclennbarer außerte sich das Glück 
zungu's als er auch zu Tische gesiozen wurde. Als es Abend 
»arde, sprang er mit betrüdtem Gesichtsausdruck auf die Schulter 
es Direttors, küßte ihn, deutele trautig nacd der Thür und ließ 
d dann ruhig weeder in das Aquarium nach seinem Käfig tragen. 
Zeitdem sind Dr. Hermes uad der Gorilla wader gute Freunde. 
F Eedol. Der Preis des Petroleums fällt jezt fast eben 
'o schuell, wie er im vorigen Monat gestiegen ist. Während der—⸗ 
elde im Engtod-Verteht Peilte Tezember v. Is. mitt 83 M. für 
0O0 Pfund notirt wurde, steht er jetzt beteits mit 20 -—21 M. 
m Preiscourant. Auch werden von Roite dim wieder bede tende 
stückzänge im Preise des Petroleums gemeldet. 
4 Paris, 26. Im. Gestern stand die russische Graͤfin 
Sophie Garianow⸗orewirschenste (26. Jadre alt) mit ihrer 11 
zahte alten Tohter Nadine uner der Anklage des Viebstahls 
or dem Zidhipolizegericht. Mutter und Tochter waren am 18. 
davenüber vechaftet worden, weil fie in einem Laden gestohlen hatten. 
kine Haussuchung. die man bei ihnen vornahm, führte zur Entdecung 
iner großen Anzahl vor gestohleren Gegenständen. Der Mann 
zer Augeklazten (R'itim ister in russisc,en Diensten) wohnte der 
„itzung an; er war gekonmen, um sich für seine Frau zu ver⸗ 
henden. De Gräsin, die gleich bei'n Beginn des Verhöres bitter⸗ 
ich weinte, läug ete, iegend etwas gestohlen zu haben; ihre Tocter 
estatigte dies und behauptele, daß sie hinter dem Rucken ihrer 
Muter die bei ihnen gefundenen Gegenstände entwendet habe. 
dadine behaup'ete, der hl. Geist habe ihr bejohlen, sich die Sachen 
u nehmen. Lachaud vertherdigte die Gräsia. Er su hte darzuthun, 
aß dieselbe ke neswegs nöth q habe zu stehlen, um auf luxuridie 
Weise zu leben, da sie 30,000 Fics. Reuten hobe. Der Gerichts- 
vof jprach die kleine Nadine frei, verurtheilte zabet ihte Mutter zu 
rei Mondten Gfänaniß. (KR. 3.) 
f In Warsschau sind vor acht Tagen von Betlin mit der 
Fisenbahn 400 Stuck Brieftauden für das russische Kriegtminsterium 
zugekommen. Ein zweiter Transport wurde erwartet. Die Tauben 
ollen zur Einrichtung von Taubenpost- Stationen in Festungen und 
inderen strategisch wichtigen Punkten benutzt werden. Uedrigent 
»stehn diese Einrichtung dereits in einigen Festungen.