St. Ingberker Anzeiger.
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M 124.
Samstag, den 6. August 1881.
* Zur Wiederauflebung der Gewerbe.
Indem wir dieses Thema zum Gegenstande kiner Erörterung
muachen wollen, dürfẽn wir uns wohl der besonderen Aufgabe über⸗
‚oben erachten, erst nachzuweisen, daß unsere Gewerbe allenthalben
an mannigfachen, zum Theil geradezu zerstörenden Uebelständen
und Gebrechen kranken. Der Rückschritt auf dem gewerblichen Ge—
biete ist mit Ausnahme weniger Optimisten von allen Seiten an⸗
erkannt worden, zuvörderst von den Gewerbetreibenden selbst, dann
won den Kaufleuten, von den Consumenten und schließlich auch von
den Behörden. Wenn wir nun in den Gewerben, nicht wie sie
jetzt find, sondern wie sie sein sollten, eine wichtige, ja nothwendige,
unersetzbare Stütze unseres nationalen Wohlstandes erblicken müssen
so muß es auch unsere Pflicht sein, heranzutreten an die gewerb⸗
lichen Nothstände, und Reformen zu schaffen, aber nicht, wie man
vielfach zu thun beliebt, die Besserung von anderen Zeiten und
anderen Verhältnissen zu erwarten. Die Aufgabe, welche der Presse
in diesen Reformbestrebungen zufällt, ist ebenso einfach und klar:
Die Presse muß den Geist gesunder Reformen auf allen Gebieten
des Gewerbes anfachen und durch stetige Theilnahme an den Be—
mühungen; der Gewerbe den reformatorischen Geist erhalten und
neu beleben. Falsch wäre nun nach unserer Meinung der Weg zu
diesem Ziele, wenn man von vornherein einige hervorstehende Uebel⸗
stände auf dem gewerblichen Gebiete charakterisiren und dies bezüg⸗
liche Verbesserungsvorschläge machen wollte. Dies käme uns vor,
als wenn Jemand ein baufälliges Haus dadurch repariren wollte,
daß er einige der wackeligsten Wände einreißt und neubaut; da
hat das Haus wohl einige: neue Wände, aber das Haus selbst
bleibt doch baufällig. Wer Verständniß für die Leiden unseres
Gewerbestandes hat, der wird nun gewiß nicht leugnen, daß unsere
Gewerbe die größte Aehnlichkeit mit einem baufälligen Hause haben,
es würde daher ein ganz verkehrter Weg sein, hier nur flicken und
repariren zu wollen. Der deutsche Gewerbestand braucht ein neues
Haus, einen Gewerbepalast, wie er einst bestanden hat, als die
deutschen Gewerbe blühten und überhaupt eine derartige Bedeutung
hatten, daß man sich ganze Blüthenzeiten in der deutschen Cultur
zar nicht ohne Blüthezeit der Gewerbe vorstellen kann. Die deut⸗
schen Gewerbe haben also in erster Linie einmal von der guten
alten Zeit zu lernen und dasjenige, was dort gut war und sich
dewährte, in der Gegenwart wieder aufzuleben und mit den Er—
ungenschaften der Neuzeit zu einem harmonischen Ganzen zu ver⸗
binden.
Man hat in den letzten Jahrzehnten auf allen Gebieten viel
nach Freiheit geschrieen, weil thatsächlich beengende Fesseln vorhan⸗
den waren; ein Product jener Beftrebungen ist auch die Gewerbe⸗
freiheit gewesen, die ja an und für sich kein Unglück gewesen wäre,
wenn sie nicht eine colossale Desorganisation auf dem Gebiete der
Gewerbe im Gefolge gehabt hätte. Das Princip, Jeden ungehindert
das sein und werden zu lassen, wozu er Lust hat, muß offenbar
als richtig anerkannt werden, aber es muß denn doch dabei die—
jenige Bahn festgehalten werden, die den Gewerbelustigen auch nach
dem Ziele führt, wo er seine Aufgabe würdig erfüllen und sein
Blück finden kann. Ebenso hätten auch mehrfache Maßregeln, so⸗
vohl von Seiten des Staats, als auch von gewerblichen Corpora⸗
tionen getroffen werden müssen, um die Ausbeutung der Kleinen
durch die Großen, des Kleingewerbes durch die Großindustrie, nicht
jum alleinherrschenden Systeme zu. machen. Daß dieses System
dei uns so vielfach überhand genommen hat, muß man allerdings
in erster Linie einer Reihe hervorragender maschineller Erfindungen
zuschreiben, welche das Capital zu den verlockendsten Speculationen
gerausforderten; aber die Gewerbetreibenden hätten sich gegen diese
Ueherwucherung des Fabrikwesens im Gewerbe doch besser schützen
können, als sie es gethan haben. Warum sie es nicht gethan haben,
ist eine nicht einfach zu beantwortende Frage; denn manche haben
es mit Erfolg gethan, infolge großer persönlicher Talente oder weil
hnen ein groͤßeres Capital zu Gebote stand; die meisten thaten es
iber nicht, weil sie nicht wußten, wie sie es fertig bringen sollten,
ind hieran trug wieder der Mangel an Organisation unter den
Vewerben die Schuld. Denn wenn Jeder seinen eigenen Weg geht,
o muß nicht nur der Gemeingeist, sondern auch die gemeinsame.
gesteigerte Belehrung fehlen und vom gemeinsamen Forfschrittk kann
erst recht keine Rede sein. Der Mangel an Organisation oder an
richtigen Organisationen ist also das Grundübel unserer Gewerbe.
Deutsches Reich.
An das Zentralkomite des siebenten deutschen Bundesschießens
in München gelangie die offizielle Mittheilung, daß Kaiser Wil—
jelm durch den telegraphischen Gruß des Komites der versammelten
Schützen in hohem Grad erfreut worden sei und unter wärmster
Anerkennung für diese Aufmerksamkeit sich für den Ausdruck treuer
Anhänglichleit an Kaiser und Reich sehr befriedigt ausgesprochen habe.
Nach der „Allg. Ztg.“ verläßt Fürst Bismardk frühestens am
Samstag 6. August Kisstugen.
Wie man hört, soll es in der Absicht des preußischen
Zriegsministeriums liegen, dem Kaiser eine Veränderung in der
Ausrüstung der Infanterie mit einem Seitengewehr vorzuschlagen?
Entweder soll dasselbe als Bajonett ganz fallen gelassen oder durch
ein an der Seite zu tragendes Schanzzeug ersetzt werden. — Auch
ie Kürassier- Regimenler werden jetzt mit einer weittragenden
Schußwaffe — Karabiner⸗System Mauser — vorläufig allerdings
aur zum Theil, ausgerüstet. Zu dem Zwece sind die Büchsen⸗
nacher der Kürafsierregimenter zu den Gewehrfabriken in Spandou—
Danzig und Erfurt kommandirt worden, um die Reparaturen an
den neuen Waffen, wie überhaupt die Technik derselben genügend
lennen zu lernen.
Gegenwärtig sind Vorarbeiten im Gange, welche die Aenderung
der Reichsgewerbeordnung, soweit das Hausisergewerbe dabei
in Betracht kommt, zum Ziele haben.
Die „Nordd. Allg. Zig.“ bringt einen heftigen Angriffsartikel
zegen diejenigen, welche die Samoavorlage abgelehnt, und
chreibt: „Für diejenigen: kosmopolitischen Freihändler bei uns,
velche im Gegensatz zu ihren praktischen englischen Kollegen um
des lieben Prinzips willen jede staatliche Unterstützung des Handels
derwerfen, wird die Wirkung jenes Reichstagsvotums gewiß ein
Begenstand der Befriedigung sein. Für nationalfühlende und
praktische deutsche Politiker wird die Ablehnung der Samoavorlage
aus nationalen und kommerziellen Gründen siets ein Gegenstand
der Betrübniß bleiben. Uebrigens hat die Verwerfung der Samoa⸗
oorlage die eine gute Wirkung gehabt, durch die Polemik über diese
Frage die Nation aus ihrer äußeren Gleichgiltigkeit gegenüber den
überseeischen Interessen aufgerütielt zu haben.
Die „Germania“ schreibt: „Aus Straßburg wurde jüngst ge⸗
neldet, daß dort Unterhandlungen des bischöflichen Stuhles zu
Trier im Gange seien; der in Aussicht genommene Kandidat solle
ein ausgezeichnetes Mitglied des Straßburger Klerus sein. Diese
iberraschende Nachricht, welche vielfachen Zweifeln begegnete, wird
vyon unserem römischen Correspondenten bestätigt, mit dem aus—
yrücklichen Hinzufügen, daß es sich nicht um einen Kapitularvikar,
ondern um einen neuen Bischof handele. Sollte sich diese Mit
heilung bewähren, so eröffnet sich eine weile Perspeltive, zu deren
Beurtheilung erst nähere Nachrichten abzuwarten sind.“ (Nach der
„Allg. Ztg.“ ist der für den Trierer Bischofsstuhl Ausersehene Dom⸗
ofarrer Korum in Straß burg.)
Ausland.
In die französische Wahlbewegung hat sich jetzt auch
Prinz Jrôme Napoleon gemischt. Sein vom 30. Juli
datirtes Manifest verlangt die Revision der Verfassung des 20.
Februar 1875 und den Appell an das Volk. Das Manifest bringt
venig Neues; es will den „demokratischen Fortschritt“ durch eine
einzige verantwortliche Persönlichkeit. Man kann übrigens nicht
leugnen, daß der Prinz in einem Augenblick, in welchem Gambetta—
ein nahezu ähnliches Programm aufstellt, mit diesem Schritt nicht
ungeschickt in den Streit zwischen der gambettistischen und Grevy'schen
republickanischen Partei hineintritt. An einen augenblicklichen Er⸗
folg wird er indeß gewiß selbst nicht glauben.
Zahlreiche außer Cours gesetzte schweizerische Zwei—,
Fin⸗und Halb⸗Franken stücke mit der sitzenden Helvetia
aus den Jahren 1830, 1831, 1860, 1861, 1862, 18683 sind
noch im Umlauf. Wir machen die Besitzer: darauf aufmerksam.