ðt. Jugherter Auzeiger.
Amtliches Organ des königl. Amtsgerichts St. Ingber!t
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M 28.
Prh. Staatssozialismus nud Sozialdemokratit.
Staatssozialismus — das Wort hat
seit Kurzem das volle Bürgerrecht in unserer öͤffent⸗
tüichen, ja in unserer amtlichen Sprache erhalten.
Wir hätten es nicht für unmöglich gehalten, daß
noch vor wenigen Jahren eine Anklage gegen einen
Schriftsteller erhoben worden wäre, welcher die
Pläne der Regierung als staaissozialistisch bezeichnet
hätte: er habe der Regierung damit unwahre und
gehässige Vorwürfe gemacht, denn der JAusdruck
sozialiftisch‘ bezeichne etwas schlechthin Verwerf⸗
üches, mit den Grundlagen unserer Staatsordnung
Unverträgliches. Heute bezeichnen die begeisterten
dobredner der Regierung ihre Pläne als staats⸗
———
keinen Anstand genommen, vom Tische des Bun⸗—
desraths her in aller Unbefangenheit gewisse Ele—
mente des Unfallversicherungsgesetzes als staats-
ozialistisch zu bezeichnen.
Die Bezugnahme auf den Staat soll die Schäd⸗
ichkeit, die in dem Begriffe des Sozialismus liegt,
zaralysiren. Wir gestehen aber, daß es uns recht
chwer wird, den Staatssozialismus von anderen
Formen des Sozialismus zu unterscheiden. Auch
die Sozialdemokratie ist ein Staatssozialismus; auch
äe will Alles, was sie verwirklichen will, durch den
Staat verwirklichen. Sie stellt dabei nur die Vor⸗
dedingung, daß gleichzeitig mit dem Inhalte des
Staatslebens auch die Form des Staates sich ver⸗
indere, daß die gegenwärtigen Verfassungsverhält⸗
nisse umgestaltet und durch eine reine Demokratie
rsetzt werden, die nach mehr oder minder offenen
Zugeständnissen auf die demokratische Republik hin⸗
wslaufen. Dagegen vermeint der Staatssozialis⸗
nus im Rahmen des Königthums und des monarch⸗
schen Prinzips zu seinen Zielen gelangen zu können.
Ein anderer Unterschied, welchen man wohl
nacht, geht dahin, daß der reine Sozialismus eiwas
berbrecherisches. der Staatssozialismus etwas Tu⸗
jendhaftes sei. Zu einem wirklichen Unterscheidungs⸗
nerkmal eignet sich auch das wohl nicht, denn die
deute, die offen eingestehen, daß ihr Streben nicht
auuf Tugend gerichtet sei, sind selten. Zur Zeit
Us die sozialdemokratische Presse ihre wildesten
Orgien feierte, fand man doch in jedem Blattchen
venigstens einmal täglich die Notiz, daß der 545
ialismus nur das Gute wolle und daß daher UÜlle
asterhaft seien, die sich den sozialdemokratischen
Bestrebungen widersetzen. In der That sindet man
nuch in der Sozialdemokratie persönlich milde Mit⸗
Jieder, die eine Abscheu vor allem Blutvergießen
jaben und der festen Ansicht leben, daß das lausend⸗
jährige Reich nach ihren Träumen sich in aller
Ruhe und Freundschaft verwirklichen lasse. Umge⸗
lehrt findet man aber auch im Gefolge des Staais-
sozialismus Marodeure, die an Wildheit der Sprache
nit den schlimmsten Ausschreitungen der Sozial⸗
emokratie wetteifern und gegen Liberalismus und
dapital eine aufreizende Sprache führen.
Ist es schwer, genau die Grenze zu ziehen, wo
ich Sozialismus und Staatssozialismus scheiden,
so ist es nicht minder schwer, genau die Merkmale
pestzustellen, die beiden gemeinsam sind. Philologische
Pedanten sind schnell dei der Hand, auf die Ab⸗
eitung von socius und sociare hinzuweisen. Wäre
iher damit des Pudels Kern wirklich entdeckt, so
müßte man ja sowohl in jeder Actiengesellschaft wie
n jeder Genossenschaft eine sozialistische Tendenz
tblicken, wahrend es doch allgemein öekannt ist.
daß sowohl die Geschäftsformen des Großkopitals,
wie sie in den Actiengesellschaften. als die Ge—
Dienstag, 7. Februar 1882.
schäfisform des Kleinkapitals, wie sie in den Ge—
nossenschaften uns entgegentreten, den Sozialismus
aufeinden oder von ihm angefeindet werden.
Die Schwierigkeiten, mit denen wir hier kämpfen,
derringern sich sofort wesentlich, wenn wir nicht
das fertige System, sondern lediglich die Tendenz
in das Auge fassen. Sozialistisch nennen wir die
Tendenz, von den Aufgaben, welche das menschliche
Fulturleben mit sich bringt, möglichst viel auf die
Schultern des Staats abzuwälzen, während umge—
ehrt der Individualismus möglichst wenig dem
Staat überlassen und möglichst viel durch den freien
Weltbewerb bewirken will. Der Sozialismus rühmt
sich, das Wohl Aller durch die im Staate verwirk—
lichte Gemeinsamkeit Aller herbeiführen zu wollen;
ͤber auch Individualismus hält an dem Grund—⸗
jatze fest, daß das öffentliche Wohl das höchste Ge⸗
setz ist und stellt nur die Behauptung auf, daß das
zffentliche Wohl durch die Enthaltsamkeit des Staates
ind durch die Entfesselung der wirihschaftlichen
räfte sicherer gefördert werde. Dabei ist es freilich
weder der einen noch der anderen der beiden Rich⸗
tungen gelungen. eine allgemein gültige Definition
darüber aufzustelleu, wie weit die Befugnisse des
Staates gehen sollen. Auf sozialistischer Seite ist
man nicht einig darüber, ob Jedermann gehalten
ein soll, aus der öffentlichen Garküche zu speisen
»der ob eine Freiheit der Familie, für sich selbft
zu kochen, gestattet sein soll. Umgekehrt ist aber
nuch der Grundsatz, daß der Staat keine andere
Aufgabe habe, als Schutz gegen die Feinde von
mußen und Verbrecher im Innern. niemals aner⸗
annt gewesen.
Das Bild von dem, was der Staat leisten
sohl, gestaltet sich bei einem Jeden nach der Vor⸗
sttellung, die er davon hat, was der Staat leisten
kann. Wir würden es in der That für eine
athologische Erscheinung halten, wenn Jemand
war zugäbe, der Staat könne dieses oder jenes
wirthschaftliche Uebel heilen, er sol le es aber nicht
damit der große Grundsatz aufrecht erhalten bleibe,
daß der Staat sich nicht in die Freiheit des wirth⸗
chaftlichen Verkehrs mische. Wir für unser Theil
ind ganz und gar damit einverstanden, daß der
S„Staat alle Menschen so glücklich mache, wie er es
rgend vermag; wir bezweifeln nur, daß er sie so
zlücklich machen kann, wie manche von den neuesten
Weltverbesserern uns das vorschwärmen.
Daß in den Anschauungen über die Grenzen
dessen, was der Staat kann, in der letzten Zeit
ein Umschwung eingetreten ist, ist sehr begreiflich
Wir sind aufgewachsen in der schmerzlichen An—⸗
chauung, daß unser Staat schwach ist. Statt eines
deutschen Reiches hatten wir den geographischen
Begriff Deutschland. Die deutsche Verfassungsfrage
zie holsteinische, die kuhrhessische Frage nahmen
»inen niederschlagenden Verlauf; während des Krim
rieges war die preußische Politik so schwächlich
daß auf dem Pariser Congresse Preußen eine ge⸗
visse Mühe hatte, die Rücksichten für sich zu er—
angen, die man einer Großmacht schuldig ist. Der
Krone ging ihr Besitzthum in Neufchatel verloren
ind wenn wir auch nie der Ansicht gewesen sind,
aß dieses Besitzthum für die Krone oder für den
Staat Werth gehabt, so verstimmte doch die unsichere
Haltung, welche die Regierung diesem Ereignisse
gegenüber einnahm. Wir sahen den Staat schwach
nuf dem Gebiete, wo er stark sein sollte, und wir
timmten daher unsere Vorstellungen herab von dem
vas er auf anderem Gebiete leisten könne.
Die umgekehrte Erfahrung haben wir in den
17. Jahrg.
letzten Jahrzenten gemacht. Der Staat zeigte sich
über alles Erwarten stark; Deutschland wurde einig
und größer, es sah sich als die europäische Vor—
macht anerkannt. Man hatte den Staat nach
Außen hin Dinge verrichten sehen, die alle Er—
wartungen überstiegen; es war natürlich, daß man
von ihm erwartete, er werde nun auch auf dem
Inneren Gebiete Dinge vollenden, die nie zuvor
ein Staat fertig gebracht.
Psychologisch erklärlich ist der Hergang, aber
dennoch kommt man dabei zu falschen Resultaten.
Man hatte gesehen, daß der Staat verwirklicht
hatte, was längst in den Wünschen Aller gelegen
hatte und doch unerreichbar erschienen war; nun
meinte man, werde es sich immer so fügen, daß
der Staat Alles verwirklichen könne, was drin⸗
Jend wünschenswerth erscheint. Was der
Staatssocialismus fördert, ist allerdings nichts
auderes, als daß alle Menschen möglichfl
chleunig glücklich gemacht werden. Und wenn er
das, was er sich vorsetzt, erreichen könnte, wäre es
ein Unrecht, kein Staatssozialift zu sein. Die Ge—
chichte hat aber gelehrt, daß alle Fortschritte auf
dem Wege zur menschlichen Vollkommenheit sich sehr
angsam vollziehen, und wir vermuthen, daß es in
Zukunft auch nicht anders sein wird. Die sangui—
nische Stimmung, welche ein Nachklang großer er⸗
ochtener Siege ist, wird allmälig wieder in ein
ruhigeres Bett zurücktreten und dann wird nicht mehr
ernsthaft davon die Rede sein, man wolle den Staats⸗
socialismus verwirklichen.
VPolitische Uebersicht.
Deutßsches Meich.
München, 5. Febr. Die der Rechten ange⸗
hörigen Mitglieder des Finanzausschusses der Ab⸗
zeordnetenkammerr hatten ernstlich den Plan
Jefaßt, im Etat der Eisenbahnverwaltung die
113,000 M. für den bahnärztlichen Dienst zu
dreichen. Es gründete sich dieser Pian höchst wahr⸗
cheinlich auf eine von Eisenbahnbediensteten ange⸗
hrachte Denunciation, die sich aber bei eingehender
Antersuchung als unbegründet herausstellte. Nach⸗
dem nun vorgestern die Mitglieder des Finanz—
ausschusses von den hiesigen bdahnärztlichen Ein⸗
cichtungen persönlich Einsicht genommen hatte, faßte
der Ausschuß gestern einhellig den Beschluß, der
ammer die Bewilligung von 110,000 M. zu
mpfehlen und nur 3000 M. zu streichen. — Die
dammer der Reichsräthe wird am 13. d. eine
Sitzung halten zur Berathung des Gesetzentwurfs
über die Casernenbauten (von der Abgeordneten⸗
lammer abgelehnt) und des Gesetzentwurss über die
Bestrafung des Concubinats. Was die Casernen⸗
bauten anlangt, so wird, wie wir hören, der Re—
werent, General Frhr. d. Pranckh, die Bewilligung
beantragen. (Pf. K.)
München, 5. Febt. Daß der von der
Kammer der Abgeordneten bezüglich der Bestrafung
des Concubinats gefaßte Beschluß in der Kammer
der Reichsräthe denselben Widerspruch erfahren
werde, wie es bei der Berathung in der Abge⸗
ordnetenkammer seitens der königl. Staatsregierung
und den Rednern der liberalen Partei der Fau
wvar, war vorguszusehen, und ist auch insofern be—
zeits eingetretken, als der Herr Reichsraih von
daubenschmied als Referent beantragt: es sei dem
Beschlusse der Abgeordnetenkammer (Personen, welche
in fortaesetzter außerebelicher Geschlechtsvperbindung m.