Full text: St. Ingberter Anzeiger

Amtliches Organ des königl. Amtsgerichts St. Inabert. 
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M 85. 
Samstag, 3. Mai 1884. 
—19. Jahrg. 
Politische Uebersicht. 
Deutsches Reich. 
Berlin, 80. April. Das Befinden des 
neichstanzlers ist wieder sehr befriedigend, 
o daß er seine Spazierritte wieder aufnehmen konnte. 
Auch die Krankheit der Fürstin Bismarck ist ziemlich 
gehoben und befindet sich die Fürstin in Genesung. 
Berlin, 1. Mai. Die Reichstagskommission 
für das Sozialistengesetz lehnte mit zehn gegen zehn 
Stimmen die Vorlage ab. 
Berlin, 1. Mai. Eine Aussicht auf die 
Annahme des Sozialistengesetzes nach der Regie— 
rungsvorlage wird als nicht mehr voͤrhanden ange⸗ 
sehen, was sicher die Auflösung zur Folge hat. 
Wiederherstellung alter Bergwerkle und die Errich⸗ 
tung zahlloser gewerblicher Etablissement, dies alles 
röffnet aber nicht nur dem Unternehmer und In⸗ 
jenieur, sondern hauptsächlich auch dem Arbeiter 
iel größere Chancen zu zufriedenstellendem Fort⸗ 
ommen. Die Existenzgarantie dort ist eben eine 
zrößere. Und so kommt es, daß uunsere mit den 
siesigen Verhältnissen und der gebotenen zu ge— 
iingen Existenzgarantie unzufriedene Arbeiterbevölte⸗ 
ung dem heimathlichen Boden den Rücken kehrt. 
Es ist unzweifelhaft, daß sich der großen Bevölke— 
sungsmassen ein tiefer Mißmuth bemächtigt hat, — 
eine Stimmung, so trübe, daß ihnen die Verhält⸗ 
nisse des Vaterlandes, wenn nicht verleidet, so doch 
aicht mehr lieb genug sind, um Freude am fernen 
Weiterbleiben zu haben. Mangel, oft auch Noth, 
Arbeiterentlassungen, Lohnherabsetzungen trugen das 
hrige dazu bei, die Auswanderungslust zu erhöhen. 
Wenn auch in der letzteren Zeit die geschäftlichen 
Lerhältnisse sich gebessert haben, wenn sehr viele 
Industriezweige wieder vollauf Beschäftigung haben 
ind in den meisten Branchen wieder gut bezahlte 
kräfte gesucht werden, so hat das den Auswande 
rungsstrom doch nicht zu hemmen gewußt, und ein⸗ 
nal im Fluß, bedarf es großer staatlicher Um⸗ 
valzungen, um ihm einen auhaltenden Damm ent— 
gegen zu setzen. Die Wurzeln, welche den Arbeiter 
an die Scholle fesselten, sind aber zu sehr gelockert 
vorden. Nichts haält ihn mehr zurück. Lieber reißt 
er sich aus seiner bisherigen Lebensweise heraus, 
und tritt in ein Land und zu einem Volke über, 
dessen Sitten und Gebräuchen ihm fremd sind und 
dessen Sprache ihm unverständlich ift. 
Bringt aber nun die Auswanderung dem 
Mutterlande Nutzen oder Schaden? 
Es würde auf eine vollständige Berkennung der 
Verhältnisse hinauslaufen, wollte man in der Aus— 
vanderung ein sehr großes Uebel erblicken, eine 
Volkskrankheit, die mit allen zu Gebote stehenden 
Nitteln unterdrückt werden müßte. Im Gegentheil 
st zu behaupten, daß die Blutentziehung, welche 
die Auswanderung für den sozialen Körper beden⸗ 
et, nicht nur wohlthätig wirken kann, sondern in 
)er That oft genug heilsam gewesen ist. Ein Blick 
'n die Geschichte beweist uns dies tausfende Male, 
zie Lücken im Erwerbsleben, welche die aus der 
Heimath Scheidenden zurücklassen, geben andern 
»ermehrte und besser gelohnte Arbeitsgelegenheit, 
die Existenzgarantien werden vermehrt. Auch in 
ozialer Hinsicht ist zu beachten, daß die Lösung 
vieler gesellschaftlicher Beziehungen die Anknüpfung 
nancher anderen gestattet, welche jedenfalls einen 
rfrischenden Einfluß auf das Volksleben ausüben. 
die verheerenden Wirkungen eines großen Krieges 
gleichen fast genau der Auswanderung. Beide er⸗ 
trecken sich in überwiegendem Grade auf das männ⸗ 
liche Geschlecht. Es ist nun eine oft wiederholte 
Erfahrung, daß nach großen Kriegen, wenn sie 
jelbst mit einer Niederlage geendigt haben, die Be—⸗ 
yölkerung intensiver als vorher wächst und das Er⸗ 
werbeleben kräftiger als zuvor emporblüht. Und 
dieselben Wirkungen muß, wenn auch hier die Be⸗ 
dingungen für scharfe Beobachtung nicht so günstig 
liegen, eine vermehrie Auswauderung hervorbringen. 
Eine Hauptsache aber ist es, die Auswanderer⸗ 
massen nicht ziel⸗ und planlos fort zu lassen, da⸗ 
mit sie im großen Westen verschwinden. Die aus—⸗ 
vandernden Arbeitskräfte, wie die mit fortziehen⸗ 
yen Kapitalkräfte müssen moglichst dem Mutterlande 
rhalten bleiben, und das kann anr geschehen, wenn 
ie Auswanderung agehörig geleitet und deführ 
vird, wenn ganze Staaten mit deutschen Ansiedlern 
»evölkert werden, die in fortwährenden ftaatlichen 
ind kommerziellen Beziehungen zur Heimath bleiben. 
dann wird die Auswanderung von Segen für die 
zurückbleibenden, wie für die Fortziehenden sein. 
Wenn aber nun die Folgen der Auswanderung 
vohlthätige sein können, so weisen die Ursachen 
derselben in den meisten Fällen auf Schäden in 
inserem heimathlichen sozialen Leben hin. Es 
uuß deshalb das unausgesetzte Bemühen unseren 
Staatsschifflenker darauf gerichtet sein, heilenden 
kinfluß auf diese Wunden im Volkskoörper auszu⸗ 
iben. Von seiten der neueren Gesetzgebung ist 
zereits manches geschehen, um das Loos der aͤrbei⸗ 
tenden Klassen zu verbessern. Das zarte Alter, 
welches sich nicht selbft gegen die nachtheiligen Ein— 
flüsse allzusehr angespannter Arbeit vertheidigen 
kann, ist durch Gesetze geschützt worden. Fablik— 
nspektionen sind ins Leben gerufen worden, welche 
uuf Beseitigang aller derjenigen Einrichtungen hin⸗ 
virken müssen, welche die Gesundheit und das 
deben auch der erwachsenen Arbeiter bedrohen. 
Ferner hat die Gesetzgebung die Haftpflicht der 
Arbeitgeber für von ihnen verschuldete Arbeiterun⸗ 
älle anerkannt. Durch das Reichsgesetz vom 15. 
Juni 1883, die Krankenversicherung der Arbeiter 
netreffend, ist einem weitgehenden Bedürfniß abge⸗ 
jolfen worden. Das Fachschulwesen ist ganz be— 
sonders gefördert worden, wodurch vermehrte Aus— 
bildung der Arbeiter und Erringung höherer Löhne 
Jewährleistet wird. Und namentlich die vermehrte 
lusbildung kommt nicht nur den hier bleibenden 
Arbeitskräften zu gute, auch dem auswandernden 
Arbeiter ist, fern von der Heimath, eine höhere 
gewerbliche oder technische Bildung ein Kapital von 
unberechenbarem Werthe. — 
Gefährkich aber ist es, wenn die Auswande⸗ 
rung einen fieberhaften Charakter annimmt, wenn, 
vie dies ja oft genug vorgekommen ist, durch ein 
ogenanntes „Auswanderungsfieber“ die Arbeiterbe⸗ 
bölkerung ganzer Bezirke decimiert und der Erwerb 
in denselben lahm gelegt wird, dann können direkte 
Nachtheile sehr schwerwiegender Art eintreten. 
Ist eine Anschauung berechtigt, daß der aus⸗ 
chlaggebende Grund für Auswanderung in den 
neisten Fällen darin besteht, daß sich die die Hei⸗ 
nath Verlassenden in derselben nicht mehr wohl 
ühlen, so wird das am sichersten Heilung und 
Besserung der Zustände versprechende Mittel sein, 
wenn wir uns bestreben, denen, welche die Haupt⸗ 
nasse der Answandernden stellen — den Arbeitern 
—, das Vaterland theuerer zu machen. Bleiben 
aber die Ausgewanderten mit dem Heimathlande 
in engster Beziehung, sind sie auch in fernen Lan⸗ 
den mit unauflöslichen Banden an das Vaterland 
verknüpft und besteht ein fortwährender Kreislauf 
von Beziehungen, ähnlich dem Blutkreislauf des 
Körpers, so wird die Auswanderung niemals zum 
Schaden gereichen, sie wird im Gegentheil von den 
egensreichsten Folgen sür die ganze Nation be— 
gdleitet sein. V. W. 
ELokale und pfälzische Nachrichten. 
P Mimbach, 30. Apiil. Heute Abend gab 
hier ein sogenannter Gymnastiker und Seiltänzer 
für das gab sich der Maun nämlich aus) mitten 
nuf freier Straße, bei natürlich hocheleganter Be— 
euchtung! eine sogenannte Vorstellung. Was der 
jute Mann aber eigentlich ist, für das gab er sich 
edoch nicht aus: Ein Tausendkünstler in der Gym— 
rastif. das muß man hm lassen, denn er mah⸗“ 
Ausland. 
Paris, 30. April. Frankreich wird bon 
⸗gina eine Kriegsentschädigung in Hoͤhe von 125 
Millionen Franken fordern. 
Zur Auswanderungsfrage. 
Nachdruck verboten. 
Mit Beginn der wärmeren Zeit eines jeden 
zahres steigt die Auswanderung nach den uͤber— 
eeischen Ländern. So auch dieses Jahr wieder. 
zeitiger als sonst melden die Zeitungen von Aus— 
vanderermassen, die, veranlaßt durch das zeitige 
Frühjahr, heuer sich früher in Bewegung gesetzt 
Jaben, als dies andere Jahre geschehen ist. Aber 
nuch im Allgemeinen steigt die deutsche Auswande— 
cung. Aus vielen Gegenden laufen die Meldungen 
ein, daß allerorts weit mehr gerüstet wird, als in 
den Vorjahren. Selbst aber Gegenden, die das 
VBort, Auswanderung“ bislang nicht kannten, sen⸗ 
ven jetzt zahlreiche Kräfte über den Ozean, und so 
nimmt die zügeliose, fort und fort steigende Aus⸗ 
wanderung einen beinahe drohenden Charakter an. 
Welches nun sind die Ursachen dieser in wirth⸗ 
lwaftlicher, sozialer und politischer Hinficht gleich 
emerkenswerthen Erscheinungen? Unzweifelhaft ist, 
»aß einer der wichtigsten Beweggründe bis noch 
wenig Jahren und gewissermaßen noch heute 
n demjenigen Lande zu suchen ist, nach welchem 
at ausschueßlich die deunschen Auswanderermassen 
inströmen, das Isind die Vereinigten Staaten von 
lardamerika. Es ist dies auch ganz natürlich, daß 
ich die Auswanderung dorthin gedraͤngt hat. Na— 
nentlich in den Vereinigteu Staaten bietet sich dem 
Anlernehmungsgeist ein wei größeres Feld als in 
curopa. Dort entstehen alljaͤhrlich neue Bevölke— 
ungsanhäufungen, neue Städte um plötzliche Ver⸗ 
Poßerungen älteret Städte. Es lag in der Natur 
xt Dinge, daß sich dort das Geschaft nach dem 
urchtbaren Burgerkriege eher und schneller wieder 
nheben mußle als dies in alten Europa, nach 
Lerrauschen des Milliardenzaubers, möglich ist. Und 
möchte angezweifelt werden,ol' die frühere 
des europuischen Gewerbestandes, namentlich 
n Anbetracht der Ueberfüllung aller Erwerbszweige, 
wieder erlangt wird. 
hit Sit einiger Zeit aber wird die Aufmerksam⸗ 
As auswanderungslustigen Bevölkerung mehr 
F Zinmerta gelenkt und sind dies vorzugsweise 
e chargentimien. Paraguay und die südlich 
on ändereien von Brasilien. Auch dort 
*— verheerender Krieg faft all⸗ Werthe und 
an en vernichtet. Der Vau neuer Staͤdie, die 
—5 großen Gas⸗ und Wasseranslalten, die 
mucrn von Verlehrsmitteln zur Verbindung 
ohnplätze, die Jnanctfntee hornn