ot. Iugherter Amzeiger.
Amtliches Organ des königl. Amtsgerichts St. Ingbert.
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M 153.
der Verfall der Handwerks-⸗
geschicklichkeit.
Zeit Jahren hört man Sozial-Politiker und
dustrielle darüber klagen, daß die Arbeitsgeschick⸗
hteit der Handwerker und vieler anderer zu ge—⸗
issen selbstständigen Werken berufenen Arbeiter im
nellen Verfall begriffen sei. Und sie sind mit
rer Klage völlig im Rechte, — der Verfall der
theitsgeschicklichkeit ist eine immer offenkundiger
erdende Thatsache. Nur über die Ursachen dieses
tiedergangs der Handwerksgeschicklichkeit täuscht
jan sich, indem man die Schuld daran den Ar—
eitern persönlich beimißt. Die Schuld liegt viel⸗
zehr lediglich in den unglücklichen sozialen und
dustriellen Verhältnissen, wie sie durch die Ge—
vetbefreiheit und moderne Großindustrie geschaffen
vorden sind.
In der alten Gewerbeverfassung standen die
wieslsen und Lehrlinge zu dem zünftigen Meister
emem patriarchalen Dienstverhältniß. Sie hießen
Mittelalter durchgehends „Knechte“; — sie
uten nur ein Recht auf Arbeit, insofern die
deister sie an ihrem „Amt“ oder ihrer „Zunft“
eeilnehmen ließen; — sie waren unter allgemeiner
cherwachung der Zunft in ihren einzelnen Lei—
ungen dem besondern Meister verpflichtet, dessen
tbeitsgehilfen sie waren; — sie wohnten in seinem
sause, aßen an seinem Tische, waren der allge—
neinen Hausordnung unterworfen; — der Meister
bie eine Art väterlicher Gewalt über sie aus.
ber der unselbstständige Arbeiter hatte wenigstens
in festes Lebensziel vor Augen: er wurde nach
stimmten Lehr⸗ und Wanderjahren selbst Meister
nd fügte sich deshalb in die Unterordnung und
vichränkung seiner persönlichen Freiheit.
dieses Verhältniß dauerte, so lange das Ge—
etbe wenig ausgebildet war, änderte sich aber,
hhald durch die Beschränkung der Zahl der Meister,
ellen sich ein besonderer Gesellenstand herausbildete—
i nie Aussicht hatte, zur Selbstständigkeit zu ge—
»engen, und seine Lage um so bitterer empfand,
meht die Arbeitsbedingungen einseitig von den
deister· Korporationen festgesetzt wurden. Daraus
clärt sich, daß auch das Muͤltelalter seine Streiks
ate, jene Kämpfe um die günstigsten Arbeitsbe—
ingungen, die damals aus vielen Gründen für
ie Arbeitgeber, ja für ganze Städte furchtbarer
aren, als heutzutage. Es trat eine entsetzliche
tümmerung des Handwerks ein, ganz besonders
Deutschland; die Zahl der Gesellen stand bald
„einem Verhältniß mehr zu der Zahl der
deister; beschränkte Selbstsucht, kleinlicher Formen—
m. ein verzopfter Kastengeist machten sich breit.
Als die Großindustrie das alte Gebäude über
n Haufen warf, verband schon längst kein orga—
iher Zusammenhang mehbre die Arheitaeb⸗r und
tbeitnehmer.
Massen unselbstständiger Arbeiter und Arbei-—
Annen, welche niemals Aussicht auf gewerbliche
FAhbstständigkeit hatten, sind mit Einführung der
twerbefreiheit und dem Ueberwuchern der durch
d Zünstigten Großindustrie geschaffen worden,
d— sittliche Verhältniß des Berufes, d. h.
Gewerhes, mit dem auch moralische Pflichten
nupst sind, ist gegen das des lediglich um Geld⸗
es willen betriebenen Geschafts ausgetanscht
8 Und hierin allein liegt die Ursache des
9 2 der Arbeitsgeschicklichkett unserer Hand—
er— oder richtiger Fabrikarbeiter. Das persoön—
Verhältniß, der Gesessen zum Meister der
Samstag, 9. Auqust 1884.
19. Jahrg.
Arbeitnehmer zum Arbeitgeber hat aufgehört, der
Urbeiter hat kein festes Lebensziel und damit auch
einen Ehrgeiz mehr, sondern ist allein darauf an⸗
zewiesen, seine Arbeitskraft zum höchstmöglichen
Preise als „Waare“ zu verkaufen, und er thut
ies um so theurer und rücksichtsloser, d. h. durch
Pfuscharbeit, als diese Waare ja von Tag zu Tag
in Werth verliert und das Schwinden seiner Ar—⸗
zeitskraft für ihn gleichbedeutend mit Noth und
flend ist. Seit der Arbeiter eben eine „Sache“
jeworden ist, kann man schlechterdings keine ethisch⸗
oziale Auffassung seiner Arbeitsthätigkeit von ihm
erlangen — Pflicht des Staates ist es, durch
ine verständige Organisation den Arbeiter wieder
zem Berufe und damit auch der Berufsgeschicklich—
teit zuzuführen.
blätter Leitartikel über die heutige Kaiser⸗Entrevue
in Ischl und feiern dieselbe in schwungvollen Worten
als erneuten Beweis für die ungetrübte Dauer des
isterreichisch· deutschen Bundes und als Unterpfand
des Friedens. Ueberaus warme Huldigungen brin⸗
zen die liberalen Blätter dem Kaiser Wilhelm dar,
velcher, nachdem er das deutsche Reich geschaffen
ind ungeahnt Großes gethan, die erste und mäch—
igste Stütze des Friedens geblieben und als treuer
Freund Oesterreichs und dessen Herrschers sich er⸗
viesen. Mehrere Blätter heben auch als bedeutsam
jervor, daß der jetzigen Entrevue die Minister Kal—
noky und Tisza beiwohnen, was in den letzten
Jahren nicht geschah. Der ungarische Ministerprä⸗
ident Herr Tisza soll angeblich auf speziellen
Wunsch Kaiser Wilhelms nach Jschl berufen wor—⸗
den sein.
Das „Frankf. Journ.“ schreibt: Die Nordsee
vird im englischen Sprachgebrauch bekanntlich Ger-
nan Ocean — Deutsches Meer — genannt. Es
cheint jedoch eine bloße fkagon de parler zu sein,
»enn immer wieder werden Fälle von Frei—
heuterei englischer Fischerfahrzeuge
zegen deutsche bekannt, welche nicht anders, denn
als Kundgebungen systentatischer Böswilligkeit be—
rachtet werden können. Als neuestes Opfer eng—
ischer Seeräuberei ist der einer Geestemünder Firma
zehörige Handelskutter „Diedrich“‘“ zu bezeichnen,
der am vorigen Dienstag unweit der Insel Borkum
von vier englischen Fischerkuttern mit bewaffneter
Macht angefallen und ausgeplündert wurde. Auf
erstattete Anzeige der Beraubten ist die Verfolgung
der Raubgesellen durch das Kanonenboot „Cyclop“
ringeleitet worden; die Hoffnung aber, daß es ge—
ingen werde, die Plünderer dingfest zu machen,
cheint sich nicht bestätigen zu sollen, da sonst gewiß
nzwischen schon eine diesbezügliche Nachricht ver—⸗
autbart wäre. Es ließe sich indessen wohl die
Frage aufwerfen, ob nicht auch der englischen Regie—
rung eine gewisse Verantwortlichkeit beizumessen
väre, wenn sie fortfährt, sich an dem Jahr aus
Jahr ein auf der Nordsee gegen deutsche Fischer
von ihren Nationalen getriebenen Unwesen so gänz—
ich zu desinteressiren, daß letztere daraus allenfalls
ogar schließen könnten, man sehe es höheren Orts
jar nicht so ungern, daß dem Erstarken der deut⸗
chen Hochseefischerei durch systematische Chikanen
nöglich viel Schwierigkeiten in den Weg gelegt
verden. Auch muß es auffallen, daß z. B. Nieder⸗
änder und Dänen von den englischen Seeräubern
inbehelligt bleiben, und just immer deutsche Objekte
s sind, gegen welche sich der britische Uebermuth
ind Konkurrenzneid richten. Wäre es zu viel ver—
angt, daß die englische Regierung auch ihrerseits
zus eigener Initiative für kräftigere Handhabung
zer maritimen Sicherheitspolizei Sorge trüge, um
»em völkerrechtswidrigen Gebahren ihrer Unterthanen
zegen deutsche Nordseefahrer einen Dämvier auf—
zusetzen?
Politische Uebersicht.
Deutiches Reich.
Pf. L.C. Von der Mandatsmüudigkeit,
»ie sich an vielen Orten des Reiches und so
iemlich innerhalb aller Parteien bemerklich macht,
ind leider auch in der Pfalz die ersten Symtome
vahrzunehmen und die Natur der Sache bringt es
nit sich, daß der Nationalliberalismus dadurch vor⸗
rst einen harten Stand bekommt. Wir sind weit
ntfernt davon, unseren bewährten bisherigen Ver—
retern im Reichstage, aus ihrer Unlust, mit dem
ersönlichen Schild fernerhin die der Partei gelten⸗
»en Schmähungen aufzufangen, einen Vorwurf zu
nachen, auch wissen wir, daß sich der Gleichmuth
echt gut predigen, aber in Wahrheit schwer beschaffen
aßt, allein die nationalliberale gute Sache darf
as nicht entgelten müssen. Im allgemeinen Interesse
chheint es somit zu liegen, daß der Verzicht auf ein
Nandat nur da kund gegeben werde, wo ein Anderer
um Ersatze bereit steht. Für diesen aber Sorge
u tragen, ist ein formelles Recht der engeren oder
deiteren Ausschüsse in den verschiedenen Wahlkreisen,
delches man den Vertrauensmännern nicht ver—⸗
ümmern möge.
Der „Reichs-Anzeiger“ meldet: Der königlich
»reußische Minister der Medizinal⸗Angelegenheiten
at die betheiligten Regierungen unterm 2. August
). J. angewiesen, die Ein⸗ und Durchfuhr von
jebrauchter Leib⸗ und Bettwäsche, gebrauchten Klei⸗
ern, Hadern und Lumpen aller Art aus Frankreich
ür ihre Bezirke zu verbieten; ausgeschlossen bleiben
Bäsche und Kleidungsstücke der Reisenden.
Nach Privatnachrichten aus Berlin ist dem
eutschen Botschafter in London Grafen Münster
ie Weisung ertheilt worden, bei Lord Granville
zrkundigungen einzuziehen, wann endlich die Ent—
chädigungen für das Bombardement in Alexandrien
ezahlt werden sollen. Frankreich wird die gleiche
Unfrage stellen, sodaß auch in diesem Punkte die
»eutsche und die französische Regierung England
gjegenüber denselben Standpunkt einnehmen werden.
Aschieds bewilligung. Dem Regierungs⸗
Rräsidenten v. Bernuth in Köoln, welcher bekanntlich
n Folge der Interpellation Richter's im Abgeord⸗
njetenheuse und der sich daran knüpfenden Bemer—
ungen des Fürsten Bismarck wiederholt sein Ent—
assungsgesuch beim Kaiser einreichte, ist nunmehr
er erbetene Abschied mit Pension ertheilt worden.
Wie aus Koln geschrieben wird, scheidet Herr v.
Bernuth am 1. November aus seiner dortigen Stel⸗
ung, welche er seit 1866 bekleidete.
Berlin, 6. Aug. Wie ein Privattelegramm
us Wien mittheist, hringen die meisten Morgen—
Ausland.
Das „Frantf. Journ.“ erfährt halboffiziös aus
Wien, 7. Aug., daß die Erneuerung des Allianz—
ertrags und der Zweck der Entrevue gelungen sei.
Die Bedenken, ob der neue ungarische Reichstag
300,000 Mann zum gemeinsamen Kriegsstand zu—
timmen werde, zerstreute Tisza. wenn auch nicht
orbehaltlos.
Ueber die Erbfolge in Luremburg spricht
ich ein holländisches Blatt, das „Allg. Handelsblad“
n Amsterdam, in folgender bemerkenswerther Weise
us;: Mir sind der Ansicht. daß im Großen und